Eine Weisheit der Dakota-Indiana lautet: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!
Da hinten war doch immer ein Gasthaus. Eine Kneipe, in der morgens die Penner, mittags die Schöppchen und abends die Skatspieler einkehrten. Hinter der Theke noch die Treppe runter zur Kegelbahn, mal mehr, mal weniger lautstark besucht. Einmal im Monat kam aus dem Nachbarort ein Musiker, baute seine elektronische Orgel auf und spielte Evergreens zum Tanz. Für manche Bewohner der Höhepunkt im Kalender.
Heute muss man schon genau hingucken, tatsächlich gibt es noch die dreistufige Treppe zu einem kleinen Podest, Tür mit bunten Fensterchen drin und daneben ein kleiner Stahlkasten mit der Karte, heute leer mit ein paar kleinen Elektrokabeln für die ehemalige Beleuchtung. Die ausgeschenkten Biersorten, der Klare, ein paar einfache Gerichte und natürlich der Termin für die nächste Musik waren hier ausgehängt.
Auf der Fassade noch der Schatten, wo mal das Wirtshausschild hing, "Zum kühlen Grund" oder so ähnlich, ich habe es tatsächlich schon vergessen. Aber die Zeiten sind vorbei, das volle Haus, die turbulenten Tanzabende, die Thekensteher und politisch Engagierten: Sie sind weg. Ich frage mich, wo jetzt getrunken wird, wo Skat geklopppt wird, was aus den Kegelvereinen geworden ist. Ist die Geselligkeit einem "trauten Heim, Glück allein" gewichen? Und kann Social Media das tatsächlich ersetzen?
Nicht nur an dieser Stelle manifestiert sich, dass selbst in wenigen Jahrzehnten aus blühenden Landschaften eine verkümmernde Steppe werden kann. Lokale Gastronomie stirbt aus, aber sie nimmt auch gleich die restliche Nahversorgung, die Treffpunkte und die Kontaktmöglichkeiten mit in den Tod. Hier und da noch ein Sportverein, in dem die älteren Semester ihre Yoga- und Gymnastikkurse besuchen. Für die Bepflanzung des Dorfbrunnens fühlt sich niemand mehr zuständig, die Straßenreinigung musste die Gemeinde gegen Gebührenerhebung in die Hand nehmen.
Vieles, was früher von Gemeinschaften getragen wurde, was gemeinsam nicht nur geleistet, sondern auch entschieden wurde, ist nun als Dienstleistung übergeben, für den vermeintlichen Komfort scheint Geld da zu sein. So verschiebt sich das nachgefragte Produktportfolio von der Bereitstellung von Gemeinschaftserlebnissen zu der Bereitstellung von Bequemlichkeit. Wer will schon in nächtelangen Diskussionen die Verwendung der spärlichen Einnahmen und Spenden festlegen, wenn er sich für ein paar Euro aus der Verantwortung kaufen kann.
Die Kunden sind nicht ausgestorben, es wird sogar mehr Geld für Konsum ausgegeben als je zuvor. Aber das Geld fließt in andere Kanäle, die Konsumenten verlangen nach anderen Produkten. Es geht uns gut, da steht nicht mehr der monatliche Tanzabend im Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem Clubabend on demand: Ich habe jetzt Lust darauf, dann fahre ich eben mal schnell hin. Ich reise zum Besonderen, weder muss ich warten, noch gehe ich davon aus, dass das Besondere zu mir kommt.
Überhaupt wird mit dem Warten völlig anders umgegangen. Statt auf den monatlichen Einkaufsbummel in der Stadt hinzufiebern oder auch nur Einkäufe und Bedarfe zu einem Trip zu sammeln, wird das Internet bemüht, sofort bestellt, im Nu geliefert. Und an anderen Stellen kann man das Warten durch die Aufnahme von Krediten verkürzen. Niemand spart mehr auf ein neues Auto, wenn er es über eine Finanzierung direkt fahren kann. Der kleine Aufpreis ist die Umgehung der Wartezeit allemal wert.
"Geiz ist geil" war mal ein Slogan, der mächtig Furore gemacht hat. Das ist eher einem "Komfort ist geil" gewichen, oder vielleicht sogar einem "Ich bin geil". Beim Feiern seiner Einzigartigkeit, der kaum noch zählbaren Selfies und dem egozentrischen Außenauftritt ist kein Platz für Nachbarschaft, keine Zeit für Geselligkeit, kein Impetus zu sozialem Engagement. Diesen Kunden verkauft man am besten das Gefühl, den maximalen Komfort erhalten zu haben. Das steht ihnen nämlich zu.
Hier endet die Nostalgie. Es hat keinen Sinn, den alten Zeiten hinterherzutrauern, auch wird es keinen Erfolg haben, diese in irgendeiner Form wiederbeleben zu wollen. Die klassischen Kegelvereine sind tot, der traditionelle Tanzabend ein Auslaufmodell. Wer hier investiert, ist reaktionär unterwegs und darf sich nicht über Fehlschläge und Misserfolge wundern. Wie in allen anderen Sparten ist das Leben auch hier Veränderung, man muss mit der Zeit gehen, die Menschen im Sine von Kunden da abholen, wo sie sind.
Gerade haben wir uns noch Gedanken über die geänderten Bedürfnisse gemacht, auch einen Blick auf die Ströme geworfen. Was machen denn die Personen, die früher voller Begeisterung ihre Schnitzel mit Pommes an der Kegelbahn konsumiert haben? Und wird das Tanzbein noch geschwungen, nur an anderer Stelle? Oder müssen wir genauer hinschauen und die zugrundeliegenden Bedarfe verstehen, also zum Beispiel den Wunsch nach körperlichem Kontakt und unverbindlichem Kennenlernen?
Zugegeben wird es hier schwierig, denn man kann nicht einfach 1:1 umziehen. Möglicherweise teilen sich nämlich die bis dahin zu einer Gemeinschaft gehörenden Menschengruppen auf. Ein Teil hottet vielleicht am Wochenende im Club, während ein anderer zum Zumba-Kurs im Fitnessstudio wechselt. Wer sich analytisch mit dem Thema beschäftigen muss oder möchte, kann also wie bei Völkerwanderungen Grafiken erstellen und versuchen, in Kombination mit Zahlen und Befragungen die Entwicklungen mitzuverfolgen und bis zu einem gewissen Grad vorherzusehen.
Nur die alte Kneipe, die sollte man nicht mehr in Betrieb zu nehmen versuchen.
[Weitere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]