Montag, 25. September 2023

Fragen ohne Antwort

Das Leben von gebildeten Menschen verläuft in logischen Bahnen, flankiert von erlernten Inhalten und bearbeiteten Fragen. Manche Dinge können wir selbst ergründen, anderes mit der Hilfe von Informationsquellen oder Fachkundigen erforschen. Ob wir die Antworten verstehen oder nicht, hängt von der Vorbildung und dem Verständnis für ein Fachgebiet oder eine Materie ab.

Fragen ohne Antwort

Zunächst gibt es jene Fragen, deren Antwort wir mehr oder weniger alle verstehen. Dass ein Apfel vom Baum fällt liegt an der Erdanziehung, die kennen wir und die erfahren wir. „Das ist doch klar“, wäre eine Aussage, die uns jeder Handwerker an den Kopf werfen würde.

Nächste Stufe sind Aspekte, die wir berechnen, ja, sogar nachweisen können, die aber im Leben eines normalen Menschen nie auftauchen. Schlaue Menschen berichten uns glaubwürdig von schwarzen Löchern, zeigen Grafiken und Simulationen oder gar Fotografien.

Dann gibt es Fragen, die wir zwar beantworten können, deren Erläuterung aber außerhalb unserer Erfahrungswelt liegt. Das Speichern von Erbinformationen in der DNA klingt logisch, aber wir können hier nichts anfassen oder nur mit speziellen (z. B. mikroskopischen) Verfahren einen Bezug dazu gewinnen.

Als nächsten Abstraktionsschritt kann man mit bestimmten mathematischen Verfahren Rechenoperationen in gekrümmten Koordinatensystemen durchführen, aber anschaulich ist das nicht. Überhaupt merken wir, dass unser Gehirn mit seiner Vorstellungskraft hier an seine Grenzen gerät. Immerhin gibt es gelegentlich Transformationen, die uns helfen, die Berechnungen wieder unserer Anschauungswelt zu nähern.

Und dann – Königsklasse – gibt es Fragen, die wir weder mit unserem menschlichen Denkapparat noch mit von ihm erdachten Verfahren beantworten können. Es fällt uns Menschen unglaublich schwer, diese Grenze zu akzeptieren. Hartnäckig versuchen wir, auch hier Wissenschaft zu betreiben ohne zu erkennen, dass wir in ein Metier vorstoßen, das für uns nicht erfassbar ist. Wer sich die Frage nach der Größe des Weltraums stellt oder sich vorstellen soll, wie es „dahinter“ weitergeht, der merkt schnell, dass es hierzu keine Antwort gibt.

Tatsächlich ist schon die Suche nach Antworten auf solche Fragen unvernünftig, da es diese Antworten für uns Menschen nicht geben kann. Recht leicht sind wir bei der Hand, einem Kind zu sagen „das verstehst Du nicht“ und erwarten, dass das Kind sich damit zufrieden gibt. Wieviel schwerer tun wir uns damit einzuräumen, dass wir auch als Erwachsene nur einen vermutlich ganz kleinen Ausschnitt – nämlich unsere Alltagswelt und ein wenig drumherum - er-fassen und be-greifen können. Und dabei denke ich noch nicht mal so sehr an religiöse oder transzendente Themen. Auch die durchaus technische Frage nach dem Beginn der Zeit gehört in diese Rubrik. Wer meint, dass es einen Anfangspunkt gegeben haben muss und entsprechend Theorien wie Urknall oder dergleichen verfolgt, der extrapoliert in unzulässiger Weise seine menschliche Erfahrung, dass doch alles begrenzt ist.

Aber genau das ist es eben nicht, oder wie Nena so wundervoll naiv gesungen hat: „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ – undefiniert halt.

Montag, 18. September 2023

Das Leben ist leicht

Es gibt manchmal diese Tage, an denen ich ganz traurig bin. Da liegen mehr als fünfzig Jahre Leben hinter mir, ganz sicher nicht mehr so viele Jahre vor mir. Und es gibt doch noch so Vieles, was ich gerne machen möchte, machen muss, es nicht einfach anderen Menschen hinterlassen kann. Gemessen an der (bisherigen) Geschichte der Menschheit bin ich nur ganz kurz auf der Erde, das Vor-mir ist mehr oder weniger bekannte Geschichte, das Nach-mir nicht genauer vorherzusagen als das Wetter der nächsten Woche.

Ein Hauch von Vergänglichkeit streicht an mir vorbei, in der (gedachten) Lebensmitte stellen sich Fragen nach dem Sinn der Arbeit, der Verlässlichkeit von Beziehungen oder dem Sinn des Lebens. Das war als Jugendlicher ganz anders, der Tag startete voller Elan, die Welt um mich herum schien nach Veränderung durch mich zu betteln, Gestaltungswille und Lebensfreude im unbeschwerten Umfeld waren die großen Überschriften.

Aber mit den Jahren sind immer mehr Belastungen dazu gekommen, kein Hüpfen durchs Leben, sondern ein mühsames Waten durch den Morast des Alltags. Frustration über die Widerstände beim Erobern der Welt, Enttäuschung über misslungene Beziehungen, fehlende Perspektive der persönlichen Entwicklung an allen Fronten. Der ursprüngliche Weg nach oben geht zunehmend in einen Pfad der Depression und Burn-out über. Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr.

Das Leben ist leicht

Und dann kommt jemand an, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Living is easy“ – das Leben ist leicht! Erst mal nur so dahingesagt, aber dann dämmert mir, dass da was dran ist. An beeindruckend vielen Stellen kann ich es mir leicht oder zumindest leichter machen. Der Kühlschrank ist leer? Nicht so toll, aber es gibt ja noch Nachbarn oder Tankstellen. Das Auto streikt? Es geht auch ohne mich, tut mir Leid. Kein Handwerker für die Renovierung aufzutreiben? Ein bisschen rumtelefonieren und notfalls verschieben. Nur nicht sauer werden, diese Pannen des Alltags gab es schon immer, entscheidend ist, davon keine schlechte Laune zu bekommen… ändern kann man meist ohnehin nichts.

„Junge, musst Du cool sehen“ ist ein ziemlich bescheuerter Spruch, aber im Grunde bringt er die Sache auf den Punkt. Es ist ganz oft eine Frage der Perspektive. Alles was von der Planung oder Erwartung abweicht ist vielleicht unangenehm und erfordert gedankliche Ausweichmanöver. Aber andererseits ergibt sich oft eine neue Sicht der Dinge und bei genauerer Betrachtung ist es manchmal gar nicht schlimm, möglicherweise sogar lustig.

Aus Kindersicht ist es lustig, mit den Füßen in eine Pfütze zu trampeln, das hochspritzende Wasser anzuschauen; Die mit jedem Tritt nasser werdenden Füße spielen da eine eher untergeordnete Rolle. Spielen, Spaß haben, über das lachen, was die Erwachsenen "albern" nennen ist fester Bestandteil des jungen Lebens. Genau an der Stelle können wir auch Ü50 noch ansetzen, mit Humor gegen Stress und Burnout und von Zeit zu Zeit zu der Bürowand umdrehen, auf der (und sei es nur in Gedanken) mit farbiger Sprayflasche die Worte „Das Leben ist leicht“ wie eine Aufforderung aufgesprüht sind.

Montag, 11. September 2023

Probiers mal mit Gemütlichkeit

Ich hatte ja nie den Eindruck, dass das Dschungelkind Mogli merklich Stress hatte. Vielmehr bedient es in seiner Disney-Fassung die Sehnsucht nach unbekümmerter Kindheit, Umgebung mit Freunden und dem Schutz vor Gefahr im entscheidenden Moment.

Die jungen Konsumenten nehmen dieses Bild einer heilen Welt als warmherzige Lebensgeschichte auf, Erwachsene stellen sich mehr oder weniger bewusst diesem naiven Zielbild. Und in diese weltfremde Idylle platzt dann noch der Bär Balu als liebenswert gemütliches Fabeltier. Mit seinen guten Ratschlägen zu Ruhe und Gemütlichkeit weißt er den Weg zum Glück.

Naja, das ist zweifellos ziemlich einfach gestrickt und ein allzu simpler Antritt. Besonders schwierig ist es nämlich, Gemütlichkeit zu erreichen. Die kann man nicht einfach einschalten, entweder hat oder erreicht man innere Ruhe, oder man hat noch zusätzlichen Stress, weil man nicht an seinem Ziel (nämlich die Ruhe und Gemütlichkeit) ankommt.

Ruhe kann man nicht einfach verordnen. Was man aber beeinflussen kann, ist die Stärke, mit der man an seiner inneren Unbewegtheit festhält. Manche sprechen von Ge-lassenheit, also dem Vermögen, Dinge, Menschen, Charakter und Umstände als gegeben zu akzeptieren, sie zuzulassen. Das hat nichts mit Nüchternheit oder gar Gefühlskälte zu tun, sondern ist ein Maß dafür, wie stark man sich von äußeren Impulsen beeinflussen lässt.

Eine wichtige Stufe der gelungenen Stressbewältigung ist das Annehmen der Situation und die Suche nach Alternativen. Und wenn es selbst bei sorgfältiger Betrachtung keine Ausweichmöglichkeit oder Erleichterung gibt, dann ist es hilfreich, statt dem Hadern mit der aktuellen Lage mit Ruhe und Gemütlichkeit zu kontern.

Montag, 4. September 2023

Du bist total unsympathisch

Die Verteilung an den Tischen hatte sich ganz zufällig ergeben. Mir gegenüber ein Mann um die Vierzig, Business-Casual in grau, eckige Brille, leichte Stirnfalten. Sein Haar kurz geschnitten, sorgfältig gegelt und aus den Hemdenärmeln ragten manikürte Hände, Ehering.

Ich war ein wenig überrascht, denn er machte keinen Hehl daraus, dass er sich nicht mit mir unterhalten wollte. Mehr noch ließ er mich spüren, dass ich ihm total unsympathisch wäre. Woran konnte das nur liegen, ich hatte mir wie alle anderen Gäste die Vorträge angehört, mich aber nicht an der Diskussion beteiligt. Auch konnte ich mich nicht erinnern, ihm vielleicht den Vortritt an der Garderobe genommen oder ihn durch irgendeine andere Handlung oder Geste verärgert zu haben. Nein, vor dem Treffen hier am Tisch hatte ich ihn noch nicht einmal gesehen. Trotzdem reagierte er unübersehbar ablehnend.

Es ist offenbar nicht so, dass diese Apathie irgendeinen konkreten Auslöser haben muss. Meinem eigenen Charakter entsprechend war ich davon ausgegangen, dass jeder Fremde mir erst mal eine Chance gibt, mich in mehr oder weniger positivem Licht darzustellen. Wieweit das über den Abend trägt ergibt sich dann im weiteren Verlauf, aber man könnte erst mal einen guten Eindruck vermitteln.

Du bist total unsympathisch
Aber mein Gegenüber war da anders. Laut Namensschild war er Mitarbeiter einer Firma Blablub-Consulting, ich fragte mich, ob der Name richtig geschrieben war und ob er witzig sein sollte. So sah der Mann gar nicht aus, nach seiner finsteren Miene wollte ich ihn aber auch nicht darauf ansprechen. Ob er auch anderen Menschen gegenüber dermaßen verschlossen agierte? Gerade drehte er sich zu einem Gesprächspartner zu seiner linken Seite, wechselte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte und machte dann Anstalten aufzustehen.

Sein Blick fiel wieder auf mich, verdüsterte sich und mit einem gewissen Schwung stieß er den Stuhl zurück, um mit zügigen Schritten in Richtung Buffet zu verschwinden. Was habe ich ihm nur getan, wollte ich mich gerade fragen, als mir klar wurde, dass genau diese Frage hier schlicht verkehrt war. Sie kam aus mir, meiner Erfahrungswelt und meiner inneren Einstellung. Ich konnte ihm ja noch gar nichts getan haben, sein Verhalten konnte also keine Reaktion sein.

Vielleicht erinnerte mein Äußeres ihn an irgendeine verhasste Persönlichkeit, vielleicht eine bestimmte Handbewegung, mein Aftershave, Haltung, Kleidung oder was auch immer. Wenn er wieder auftauchte, das nahm ich mir tapfer vor, dann wollte ich ihn nach dem Grund seines Auftretens fragen. Aber er kam nicht wieder, so unvermittelt wie er plötzlich am Tisch saß, so spurlos war er auch wieder verschwunden.

Ob er mir überhaupt eine Antwort auf meine Frage gegen hätte, grübelte ich noch ein Weilchen. Aber selbst das konnte ich nicht herausfinden, weder an diesem Abend noch später, denn weil es mir keine Ruhe ließ fragte ich den Organisator nach diesem merkwürdigen Fremden von Blablub-Consulting. Doch weder dieser graumelierte Brillenträger noch die von mir zitierte Firma waren bekannt. So bleibt nur die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die mich spontan unsympathisch finden, ohne dass ich eine Möglichkeit habe, den Auslöser herauszufinden.