Ich glaube, das kennt jeder: Man hat mit einem Mitmenschen,
sagen wir mal, einem Kollegen zu tun, der einem gehörig auf die Nerven geht.
Eigentlich ist er nicht nur fachlich inkompetent, auch seine arrogante Art und
überhaupt: wenn der schon reinkommt.
Doch halt, so einfach dürfen wir es uns nicht machen. Schauen
wir doch mal genauer hin.
Er mag ja nun objektiv in der betroffenen Aufgabe nicht
richtig eingesetzt sein. Von mir aus dürfen wir ihn also – ausdrücklich bezüglich
dieses Jobs – als fachliche Fehlbesetzung einwerten. Schließt sich direkt die
Frage an, ob er in anderen Fachaufgaben vielleicht sehr gute Arbeit leistet.
Und noch einen Schritt weiter, ob im aktuellen Umfeld nicht gerade diese
Kompetenz von Nutzen sein kann.
Dann zweitens die Arroganz. Es gibt Menschen, die scheinen
von Natur aus diese Eigenschaft zu demonstrieren, auszuleben, zu verströmen
geradezu. Sind sie arrogant oder wirken sie (nur) so? Insbesondere im ersten Fall
bohre ich sofort wieder nach: Warum sind sie hochnäsig, was haben sie davon, welches
(tiefere) Bedürfnis steckt auf ihrer Seite dahinter?
Und drittens dann noch die Sache mit der geradezu
aggressiven Reaktion beim Eintritt in meine Sphäre. Hier ist der Mann ganz offensichtlich
zwar der Auslöser, aber die Wirkung passiert in mir. Entsprechend bin ich Herr
der Lage und kann in mir den Wirkmechanismus erforschen, das „Weil“ erkunden
und in sachlicher Betrachtung auch meine Reaktion beeinflussen.
Im aufgeführten Beispiel entwickelt sich aus einer (nach
außen sichtbaren und faktisch belegbaren) Abwertung ein Abfärben auf andere
Eigenschaften, die zum Teil weniger messbar sind, jedenfalls aber in der
verallgemeinerten Kritik untergehen.
Und damit sind wir am Kern meiner Anregung für heute: Wir
sind ja schließlich keine Hunde, die sich in der Wade verbeißen, sondern sind
grundsätzlich in der Lage, verschiedene Eigenschaften zu differenzieren. Im
Idealfall nehmen wir zwar (auch) die schlechten Merkmale wahr, nutzen und
schätzen aber insbesondere auch die (in der allgemeinen Unzufriedenheit
wahrscheinlich unerkannt gebliebenen) guten Punkte.