Montag, 26. Juli 2021

Meine Badewanne – oder wie ich Radio ohne Radio höre


Wohlig die Wärme. Ich bin umgeben von warmem Wasser, ich fühle mich so leicht. Der Duft von Lavendel aus dem Badezusatz steigt mir in die Nase. Auf der Zunge noch die Erinnerung an das Abendessen, in den Ohren eine Melodie aus dem Radio.

Aus dem Radio? Wie kann das sein, schließlich ist hier kein Radio und ich habe auch kein Empfangsgerät im Haus eingeschaltet. Doch tatsächlich: Ganz leise höre ich so etwas wie Musik, ein Zirpen nur, das ist keine Einbildung. Ich höre auf zu Plantschen, ganz still wird es im Zimmer und umso deutlicher höre ich jetzt feine Geräusche. Ich lausche eine Weile, die Musik verstummt und fast meine ich, eine Stimme zu hören, die so etwas wie Nachrichten vorliest.

Als könnte ich diesen Spuk durch Ungeschicklichkeit beenden gleite ich nahezu lautlos aus der Badewanne, nehme mir ein Handtuch und schaue mich im Zimmer um. Wo mag die Quelle der akustischen Überraschung liegen? Von den Außenwänden kann es so wenig kommen wie von der Trennwand zum Schlafzimmer. Auch die Türe kommt nicht in Betracht. Dann fällt mein Blick auf den Versorgungsschacht. Bingo! Ich nähere mich und das Wispern wird deutlicher. Immer noch sehr verhalten, aber deutlich wahrnehmbar. Im Schacht laufen die Wasser- und Lüftungsrohre sowie ein paar Elektroleitungen, ich stelle mir die Frage, woher Radioempfang kommen könnte.

Vorsichtig öffne ich die Revisionsklappe. Dunkelheit, nur die wärmegedämmten Flexrohre glänzen mir entgegen. Ich halte die Luft an, schließe die Augen und lausche – jetzt ist wieder Musik zu hören, klassische Musik meine ich zu identifizieren. Behutsam greife ich in den Schacht, stecke meine Hände zwischen die weichen Luftrohre, drücke die Aluummantelung etwas auseinander. Stille. Keine Musik mehr, keine Stimme, nichts. Ich warte einen Moment, aber es bleibt stumm, war es doch nur Einbildung, frage ich mich, während ich die Hände zurückziehe.

Ist da nicht wieder die klassische Musik, jetzt, da die Alurohre sich wieder aneinander schmiegen? Wieder mit den Händen rein – Stille – Hände raus – Musik. Langsam wird mir klar, dass die Metallrohre wie eine Antenne wirken, dass durch den ganz speziellen Bau, genau diese Berührungsfläche und exakt diese Abmessungen ein Schwingkreis entstanden ist, der einen langwelligen Radiosender empfängt. Vermutlich müsste man lange rechnen, um gezielt solch eine Apparatur zu bauen, durch Zufall ist sie in meinem Haus ganz von allein entstanden.

Und so stehe ich noch eine Weile, höre mit geschlossenen Augen den Geräuschen zu, die auf so geheimnisvolle Weise von weit her durch die Wände zu mir kommen.

Freitag, 23. Juli 2021

N-1 (Endlich Freiraum!)

Der Tag ist voll und der Kalender platzt aus allen Nähten. Mehr oder weniger automatisch engt man langsam die Pausen ein, die Übergangszeiten zwischen den Sitzungen werden reduziert und die verbleibenden Lücken werden mit Kleinarbeiten gefüllt.

Heraus kommt eine Jagd von Termin zu Termin, ein immer-zu-spät und ein gehetzter Gesichtsausdruck. Damit nicht genug, auch die eigene Zufriedenheit leidet, weil die Qualität unter solchen Randbedingungen einfach nicht mehr stimmen kann.

Nehmen wir mal an, am Tag gäbe es N Arbeiten zu erledigen. Diese sind - im Sinne einer Voll-Auslastung - auch durchaus unter zu bekommen. Wie weiter oben dargestellt: Der Kalender ist dann lückenlos voll. Und nun stellen wir uns vor, wir erledigen eine Aufgabe nicht, sei es, dass sie vertagt wird, sei es, dass sie von einem Kollegen übernommen wird.

Der entstehende Freiraum lockert das ganze Gebilde ein wenig auf, über die Arbeitsstunden verteilt können wieder Rüstzeiten eingerichtet und die Gelegenheit genutzt werden, den Gedanken eine kurze Pause zu gönnen.

In der Bilanz macht sich die (eine) unerledigte Arbeit kaum bemerkbar, in der Qualität aller anderen Bearbeitungen aber schon. Und in der Laune und dem Blutdruck erst recht. Ich sag mal, ein guter Deal.

Montag, 12. Juli 2021

Physiker und Nicht-Physiker

Wir lieben es, in Kategorien zu denken. So ist unser Gehirn aufgebaut, es sucht nach Ähnlichkeiten und sortiert neue Eindrücke den bekannten Erinnerungen zu. So unterteilen wir die tierische Welt in Männchen und Weibchen (wobei das bei Menschen recht prominent durch eine weitere Ausprägung, dem „Diversen“ ergänzt wird).
Die Welt der Physik ist da einfacher. Es gibt Physiker und Nicht-Physiker. Das hat nichts mit dem Wissen zu tun, sondern mit einer inneren Einstellung. Ich erläutere das am vorgestern erlebten Beispiel.

Da stellt sich ein Arbeitskollege in einer Präsentation als Physiker vor und erzählt in diesem Zusammenhang eine kleine Anekdote aus seiner Studentenzeit.

Der Professor hatte sich in der ersten Stunde des Semesters vor die Studierenden gestellt und diesen mit auf den Weg gegeben, dass sie die (von ihm in dieser Vorlesung vorgestellte) Quantenmechanik nicht verstehen werden. Nicht verstehen können. Und das auch akzeptieren müssen.

Als Student fragt man sich, warum er die Vorlesung hält, wenn man sie ohnehin nicht verstehen wird. Aber die Botschaft war eine andere. Tatsächlich gibt der Lehrbeauftragte seinen Schülern einen Hinweis auf Bescheidenheit, Demut und die richtiger Einschätzung der realistisch erreichbaren Ziele. Es ist von vornherein unmöglich, die Quantenmechanik komplett zu verstehen. Man kann sich mit ihr beschäftigen, weite Teile begreifen, aber ab einer gewissen Tiefe ist das menschliche Gehirn überfordert.

Dieses Verständnis hat weitreichende Konsequenzen. In einer Physik-Prüfung erwartet im Gegensatz zur Schule niemand, dass man den Stoff vollumfänglich verstanden hat. Gefragt sind ein übergreifendes Gesamtverständnis und der Nachweis der intensiven Beschäftigung mit dem Thema. Ich nenne es eine mit Wissen gefütterte Intelligenz. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Andererseits resultiert aber auch, dass mangels kompletten Verständnisses ein deterministischer Ablauf bestenfalls auf grober, mehr oder weniger alltagsgängiger Ebene zu erwarten ist. Physiker werden folglich niemals sagen können, dass dieses oder jenes Ereignis eintritt, sondern nur über eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen.

Was aber an der kleinen Geschichte meines Arbeitskollegen fast noch bemerkenswerter ist, war die Reaktion der Zuhörer. Diese Reaktion lässt sich auch kategorisieren, und zwar in Unverständnis und Verständnis. Menschen der ersten Gruppe haben vielleicht Mitleid mit den Studenten, tadeln gedanklich den herzlosen Professor und finden die Aussage deplatziert und demotivierend. Wer Physik in seinem Herzen trägt, wird allerdings die Botschaft verstehen und innerlich nicken. Und damit schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Artikels, dass man die Menschheit vielleicht nicht in zwei Geschlechter trennen kann, wohl aber in Physiker und Nicht-Physiker.

Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges] 

Montag, 5. Juli 2021

Wir sind alle Opfer

Ist das nicht tragisch? Da ist die ganze Welt das Ziel von Angreifern, mal in technischer, mal in körperlicher Hinsicht. Und selbst wenn wir nicht persönlich betroffen sind, richten wir uns doch darauf ein.

Bräuchte ich Dutzende von Passwörtern für alle möglichen Computerprogramme und –zugänge, wenn es keine Verbrecher gäbe, die mit meinem Account Schindluder treiben könnten?

Müsste ich auf meinen PC Antiviren-Programme installieren, wenn es keine Nerds gäbe, die sich einen Sport aus Datenangriffen machten?

Wäre ein Spamfilter vonnöten, wenn keiner auf die Idee käme, mir unspezifisch eine Brustvergrößerung anzubieten?

Und so weiter.

Die Folge dieser potentiellen Angriffe: Wir bauen Abwehrmechanismen, die unseren Alltag erschweren. Selbst wenn wir nie im Leben tatsächlich ausgeraubt, angegriffen oder unerwünscht belagert worden sind, geht diese potentielle Gefahr nicht einfach an uns vorbei.

Es ist im Grunde wie der Terrorismus, eine verschwindend kleine Gruppe sorgt durch die Verbreitung von Angst und Schrecken für eine sehr deutlich empfundene Bedrohungslage.

Oft zeigen wir auf Menschen unseres Umfelds oder vielleicht auf Politiker, wenn es darum geht, mehr Leichtigkeit in unseren Alltag zu bekommen. Aber fast meine ich, dass wir – in Summe – von diesen unfreiwillig mitzumachenden Sicherheitsmechanismen weit mehr drangsaliert werden als irgendein Politiker es sich ausdenken könnte.