Montag, 12. Juli 2021

Physiker und Nicht-Physiker

Wir lieben es, in Kategorien zu denken. So ist unser Gehirn aufgebaut, es sucht nach Ähnlichkeiten und sortiert neue Eindrücke den bekannten Erinnerungen zu. So unterteilen wir die tierische Welt in Männchen und Weibchen (wobei das bei Menschen recht prominent durch eine weitere Ausprägung, dem „Diversen“ ergänzt wird).
Die Welt der Physik ist da einfacher. Es gibt Physiker und Nicht-Physiker. Das hat nichts mit dem Wissen zu tun, sondern mit einer inneren Einstellung. Ich erläutere das am vorgestern erlebten Beispiel.

Da stellt sich ein Arbeitskollege in einer Präsentation als Physiker vor und erzählt in diesem Zusammenhang eine kleine Anekdote aus seiner Studentenzeit.

Der Professor hatte sich in der ersten Stunde des Semesters vor die Studierenden gestellt und diesen mit auf den Weg gegeben, dass sie die (von ihm in dieser Vorlesung vorgestellte) Quantenmechanik nicht verstehen werden. Nicht verstehen können. Und das auch akzeptieren müssen.

Als Student fragt man sich, warum er die Vorlesung hält, wenn man sie ohnehin nicht verstehen wird. Aber die Botschaft war eine andere. Tatsächlich gibt der Lehrbeauftragte seinen Schülern einen Hinweis auf Bescheidenheit, Demut und die richtiger Einschätzung der realistisch erreichbaren Ziele. Es ist von vornherein unmöglich, die Quantenmechanik komplett zu verstehen. Man kann sich mit ihr beschäftigen, weite Teile begreifen, aber ab einer gewissen Tiefe ist das menschliche Gehirn überfordert.

Dieses Verständnis hat weitreichende Konsequenzen. In einer Physik-Prüfung erwartet im Gegensatz zur Schule niemand, dass man den Stoff vollumfänglich verstanden hat. Gefragt sind ein übergreifendes Gesamtverständnis und der Nachweis der intensiven Beschäftigung mit dem Thema. Ich nenne es eine mit Wissen gefütterte Intelligenz. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Andererseits resultiert aber auch, dass mangels kompletten Verständnisses ein deterministischer Ablauf bestenfalls auf grober, mehr oder weniger alltagsgängiger Ebene zu erwarten ist. Physiker werden folglich niemals sagen können, dass dieses oder jenes Ereignis eintritt, sondern nur über eine hohe Wahrscheinlichkeit sprechen.

Was aber an der kleinen Geschichte meines Arbeitskollegen fast noch bemerkenswerter ist, war die Reaktion der Zuhörer. Diese Reaktion lässt sich auch kategorisieren, und zwar in Unverständnis und Verständnis. Menschen der ersten Gruppe haben vielleicht Mitleid mit den Studenten, tadeln gedanklich den herzlosen Professor und finden die Aussage deplatziert und demotivierend. Wer Physik in seinem Herzen trägt, wird allerdings die Botschaft verstehen und innerlich nicken. Und damit schließt sich der Kreis zum Anfang dieses Artikels, dass man die Menschheit vielleicht nicht in zwei Geschlechter trennen kann, wohl aber in Physiker und Nicht-Physiker.

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