Montag, 27. Dezember 2021

Der WG-Effekt – oder: geh‘ auf Toilette, wenn sie frei ist

Um die Pointe vorweg zu nehmen: Wer mal eine Weile in einer WG gewohnt hat, der geht auf Toilette, wenn sie frei ist, und nicht erst, wenn es dringend wird.
Entfernt hat es etwas mit dem Sprichwort „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ zu tun. Aber viel mehr gilt es klassisch auch im Alltag aller Bahnkunden: Nimm den erstbesten Zug, der in die richtige Richtung fährt – vielleicht ist es heute der letzte.
Übrigens aus meiner Sicht auch der Gegenspieler von „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ – ob nach halbwegs getaner Arbeit überhaupt noch Zeit für Vergnügen ist, steht oft in den Sternen.

Also Chance erkennen, kurz abwägen, zugreifen. Bei kleinen Dingen wie Einkäufen, bei großen Dingen wie Lebensentscheidungen. Kann sein, dass es nachher noch besser ist (dann lohnt es sich, weil die Blase voll ist), aber mit guter Wahrscheinlichkeit ist das Bad dann gerade verriegelt.

Wir wohnten in drei Zimmern, aber als Studenten hatten wir ja immer Besuch, meine beiden hübschen Mitbewohnerinnen konnten sich über Mangel an Bekanntschaften nicht beschweren. Praktisch waren wir meist sechs Personen, die sich ein Badezimmer teilten. Und das nicht nur für einen kurzen Moment, sondern auch mal für die neueste Haarpflege, ein sorgfältiges Make-up oder eine romantische Zeit in der Badewanne.

Wer da nicht vorausschauend plante oder eine starke Blase hatte, der musste ins Waschbecken, naja, jedenfalls, wenn er nicht noch eine Notlösung in der Nachbarschaft bereitgehalten hatte.

Und auch der Mittagsschlaf nach kurzer Nacht und Morgenvorlesung war unbedingt bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einzulegen, nicht erst nach Erledigung der Übungsaufgaben. Man konnte darauf wetten, dass sonst irgendwer im Haus die Musik aufdrehte, sich lautstark mit seiner Freundin stritt oder liebte oder unüberhörbar die Wohnung sauber machte.

Jetzt noch schnell eine kalte Cola aus dem Kühlschrank holen. Ich habe zwar keinen Durst, aber…

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 20. Dezember 2021

Frankfurt, deine Kreuzungen

Aus dem Büro kann ich auf eine große Kreuzung schauen. Und das fasziniert mich immer wieder. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens ist da immer kreuz und quer Betrieb, die Kreuzungsfläche ist nahezu immer von rückstauenden Autos besetzt. Das ärgert dann die Fahrer, die schon eine Weile von der Ampel gestanden haben. Sie wollen nun endlich bei grünem Licht voran kommen. Das geht aber nicht, weil ja auf der Kreuzung noch die Autos stehen, die noch nicht weiterfahren konnten.

Und jetzt kommt das Phänomen. Statt – der Straßenverkehrsordnung folgend – vor der (grünen) Ampel stehen zu bleiben und zu warten, dass die Kreuzung sich leert. Statt dessen preschen die Fahrzeuge in die verstopfte Kreuzung, hupen und gestikulieren wütend, denn da ist ja ein durchaus lästiges Hindernis. Gleich der zweite Fehler, denn die Hupe ist kein Hilfsmittel, um seinen Unmut zu bekunden, sondern ein Instrument zur Warnung. 

Bemerkenswert mit anderen Worten, dass es Menschen gibt, die hier ganz eindeutig im Unrecht sind (das Einfahren in eine volle Kreuzung ist eine Ordnungswidrigkeit), sich aber vollumfänglich im Recht fühlen. Dies dann, zweitens, als eigenes Recht vermutlich im Sinne von Vorfahrt bei grün, missverstehen. Dieses empfunden Recht, drittens, rücksichtslos durchzusetzen versuchen und dabei, viertens, durch ihr Hupen die nächste Ordnungswidrigkeit begehen. Abschließend, fünftens, mit ihrem Egoismus dafür sorgen, dass die Kreuzung endgültig verstopft und so auch andere Verkehrsteilnehmer eher langsamer vorankommen.


Nun sind es ja nicht nur Frankfurter Kreuzungen, an denen man so schön beobachten kann, dass Menschen ihre Unrechtsposition nicht nur nicht erkennen, sondern vehement für ihr eigenes (falsches) Rechtsempfinden einstehen. Nein, aus Unwissenheit, Selbstgerechtigkeit und Frechheit-siegt entsteht ein Verhalten, dass ein soziales und reibungsloses Miteinander deutlich erschwert. Und was man sowohl bei anderen aber auch bei sich selbst in Frage stellen und kritisch ansprechen sollte.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 13. Dezember 2021

Rosi aus der Personalabteilung

Es waren Zeiten, in denen Computer etwas Elitäres hatten. In den Unternehmen setzte langsam ein Verdrängungsprozess der Schreibmaschinen ein und erste technische Abteilungen entstanden. Das nannte sich Elektronische Datenverarbeitung (EDV), die Verantwortlichen trugen weiße Kittel. Langsam kam Schwung in diese erste Digitalisierung und wie zu erwarten wuchs schnell auch ein neuer Zweig der Kriminalität. Plötzlich gab es die Möglichkeit, Konzepte und Planungen zu beobachten oder zu stehlen. Die Mitarbeiter waren mit diesen Angriffen natürlich überfordert, die neue Technik verlangte ihnen ohnehin schon ein hohes Maß an Umdenken und Einarbeitung ab. Da war man schon froh, wenn man „sein“ Programm bedienen konnte, von Datenaustausch oder gar Umgang mit Cyber-Kriminalität war man weit entfernt.
In dieses Szenario platzte ein großes Unternehmen mit einer Kampagne zur Erhöhung der Aufmerksamkeit. Begleitend zur Entwicklung von Zugriffssperren und Virenscannern lag der Schwerpunkt darin, den Mitarbeitern erst mal die Gefahr vor Augen zu führen. Denn man hatte erkannt, dass nicht die Technik das begrenzende Element ist, sondern der Mensch.

„Ihre Computer können Sie schützen, aber was ist mit Rosi aus der Personalabteilung?“ stand auf den Plakaten.
Beim Schreiben im Jahr 2021 werde ich rot, wenn mir dieser Spruch durch den Kopf geht, ist er doch aus heutiger Sicht politisch ausgesprochen fragwürdig. Aber einen korrekten Kern hat er schon, und auch wenn heute ein großer Teil der Mitarbeiter sensibilisiert ist, gibt es eben doch immer noch eine Rosi, die den präparierten USB-Stick vor dem Eingang aufhebt und ihn ohne böse Absicht in ihren Computer steckt. Mit möglicherweise fatalen Folgen.
Anders als klassische Brandmauern reicht ein kleines Loch, um den gesamten Schutzmechanismus auszuhebeln. Dabei ist es geradezu paradox, dass wir mit zunehmenden Sicherheitsanforderungen immer leichter in Versuchung kommen, diese zu torpedieren. Gespeicherte Passwörter im Browser und Passwort-Safes mögen noch einigermaßen sicher sein, aber spätestens der Zettel in der Schreibtischschublade, der berühmte Aufkleber unter der Tastatur oder die unverschlüsselte Textdatei mit allen 50 Passwörtern brechen jedes noch so ausgefuchste Sicherheitssystem.

Dann natürlich eine neue Ausprägung in der aktuellen Digitalisierungswelle. Da viele Personen von zu Hause aus arbeiten, ist die Möglichkeit des direkten Angriffs verringert. Dafür könnte man die Verbindungen belauschen, was aber technisch ziemlich gut unterbunden werden kann. Viel leichter – und da treffen wir wieder unsere gute Rosi – viel leichter ist es, einem Angestellten wörtlich über die Schulter zu schauen, den im Homeoffice ungesperrten Computer zu kapern, bei Besprechungen zuzuschauen oder auch nur an der Tür zu lauschen. Es reicht mal wieder ein Mitarbeiter, der die Geschichte mit der Sicherheit ein wenig lax handhabt.

Tja, wenn die Rosi nicht an Corona gestorben ist, dann lebt sie vielleicht gerade wieder auf.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 6. Dezember 2021

Lufthansa - Anstoss für Grundhaltung und Kultur


Neulich im Hotel. Die Architekten und Planer haben sich viel Mühe gegeben. Alles an dem Haus spielt auf das alte Unternehmen an. Farben, Formen, Konstruktionen: Alles hat einen mehr oder weniger deutlichen Bezug zur Lufthansa. Auch das Restaurant, das Angebot und nicht zuletzt die Angestellten. 

Ein interessantes Erlebnis, als ein Rezeptionist morgens am Nachbartisch wegen eines defekten Fernsehers vorstellig wurde. Es war wie ein Steward im Flugzeug, der die Gäste bestmöglich versorgt und ihnen einen guten Flug wünscht. Er stellte sich der Familie am Frühstückstisch vor, erläuterte seine Funktion und seine Lösungsmöglichkeiten. Und wie man ihn über den Tag erreichen könnte, wenn noch Probleme oder Wünsche aufkämen.

Wie schön, dachte ich bei mir, ein Angestellter, der nicht Angst vor seinen Kunden hat, sondern mit breiter Brust vor sie tritt und ihnen Hilfe anbietet: „Was kann ich für Sie tun“ statt „Zimmer 406 nervt wegen einem defekten Fernseher.“ Eine angenehme Grundhaltung, die mir schon als Zuschauer dieser kleinen Szene gute Laune machte.

Als nächstes überlegte ich, wie man diese Grundhaltung im Unternehmen etablieren kann. Nein, eigentlich vorher noch die Frage, ob die Unternehmensführung diese Qualität überhaupt als Wert erkennt und haben möchte. Also Hilfsbereitschaft gegenüber Kunden als Ziel formuliert. Und dann im nächsten Schritt überlegt, wie man dort hingelangt.
Ein wichtiger Baustein ist wie auch an anderer Stelle das Verständnis, dass positiver externer Umgang nur auf der Grundlage eines positiven internen Umgangs funktioniert. Herrscht ein gutes Betriebsklima, dann helfen sich die Kolleginnen und Kollegen gegenseitig: „Was kann ich für Sie tun“ statt „Das ist nicht meine Aufgabe“. Das hat etwas mit Arbeitslast zu tun, aber nicht nur. Ich kenne genügend Menschen, die sich auch ohne Überarbeitung um jede Aufgabe drücken.

Wir können jeden gebrauchen, aber jeder muss auch sein Scherflein beitragen. Und das tut er nur sehr bedingt auf Befehl, es reichen auch nicht nur Kampagnen und Aufforderungen. Nein, es muss von oben bis unten und auch wieder von unten bis oben vorgelebt und authentisch in allen Details ausgelebt werden. Wobei die Betonung auf „allen“ und „Details“ liegt.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]