Die dicke Pia konnte das besonders gut. Der kleine Spieltrupp saß dann zusammen vor ihrem Haus, da gab es nämlich einen Überstand vor der Garage, so dass wir auch bei schlechtem Wetter geschützt waren. Und für das Spiel mit dem Erraten von dem, was ein anderer sieht braucht man ja auch keinerlei Spielzeug oder Zubehör.
Heutzutage spiele ich das längst nicht mehr, gebe auch meinem Umfeld keine Tipps, aber ich denke immer noch daran, dass jeder Mensch etwas anderes wahrnimmt. Konkret frage ich mich manchmal, was meine Mitmenschen sehen (siehe: "Durch die Augen meiner Mitmenschen"). Dabei ist mir klar, dass das ganz stark von der eigenen Wert-Schätzung abhängt. Wenn ich mich umschaue kann ich erkennen, was an Gegenständen oder Leistungen hochwertig oder was eher luschig ist. Interessiere ich mich für Technik, wird mir die Musikanlage ins Auge fallen, bin ich Grünliebhaber sind es eher die Zimmerpflanzen. Und deren Zustand, denn es geht ja nicht nur um die Ausstattung, sondern auch um deren Pflege.
Das ist ein entscheidender Punkt. Wieviel ist dem Eigentümer die Beschäftigung und Pflege wert? Spielt sie für ihn eine Rolle, wird er auch Zeit und Engagement in die Auswahl, Kultivierung und Dekoration der grünen Zimmergenossen stecken. Umgekehrt wird er sicher auch bei mir darauf achten, ob alles gesund aussieht oder die Anzahl brauner Blätter überwiegt. Dafür wird ihm die Größe der Lautsprecherboxen möglicherweise egal sein.
Umgekehrt gilt diese selektive Wahrnehmung aber auch. Ich kann mir noch so viel Mühe mit der Tischdekoration geben, wenn die Gäste darauf keinen Wert legen, Bier kann man auch aus der Flasche trinken und mit dem mickrigen Fernseher kann man noch nicht mal anständig Netflix schauen – dann werden sie die sorgfältig ausgewählten Servietten einfach übersehen. Und damit zusammenhängend auch nicht erkennen (können), wieviel Arbeit in der Vorbereitung lag.
Anders formuliert ist also auch Wertschätzung ein selektiver Vorgang. Was ich nicht sehe, das wird von vornherein von der Wertschätzung ausgeschlossen. Und leider ist unser Gehirn so gebaut, dass es zur Vermeidung von Reizüberflutung einen großen Teil der visuellen Information gemäß dem ihm antrainierten Schema ausblendet. Heißt: Was wir von innen heraus wichtig finden, das wird vom Sehen zur Wahrnehmung durchgelassen, was für uns keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, das wird vor der bewussten Wahrnehmung schon weggefiltert. Wir sind – wie man sagen könnte – auf diesem Auge blind.
Womit sich der Kreis zur Empathie, also dem Hineinversetzen in sein Gegenüber, schließt. Sorgfältige Beobachtung lässt nicht nur Rückschlüsse auf den Charakter und die Werte meines Mitmenschen zu, sie ermöglicht auch die Anerkennung von Leistung, die für mich vielleicht gar nicht so zentral ist. Lobende Worte für die beeindruckende Erscheinung seines Kraftfahrzeuges ist für den Besitzer ein Zeichen, dass ich seine unermüdliche Putzerei des Vehikels erkannt habe. Das geht auch dann, wenn ich selbst kein Auto habe oder mir dessen äußere Erscheinung völlig egal ist.
[Weitere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen