Montag, 19. Februar 2024

Das Kreuz mit der Priorisierung

Ein Freund von mir steht total auf Autos. Sein Lebensziel ist der Kauf einer schicken Karosse, sein Bewertungsmaßstab für einen Mitmenschen ist die Wertigkeit des Fahrzeuges, das dieser fährt. Fiat ist ein No-go, BMW und Audi gehen so gerade, aber wenn es wirklich was Ordentliches sein soll, dann muss schon ein Stern zu sehen sein. Wer etwas auf sich hält, so seine Einstellung, der achtet darauf, was für ein Auto er kauft. Wenn man dafür auf eine Fernreise verzichtet, dann ist das eine gute Entscheidung, sitzt man doch jeden Tag im Automobil, während der Tapetenwechsel nur wenige Wochen andauert. Seine Priorität liegt da ganz klar bei der mobilen vor der immobilen Investition. Alles andere zur Seite, ein Mercedes muss her, andere Einkäufe müssen warten.

Ausgesprochen eindringlich habe ich dieser Tage demonstriert bekommen, dass ich meine Zeit zu einem merklichen Anteil auch für die körperliche Ertüchtigung einsetzen sollte. Mit Argumenten, der Inaussichtstellung des körperlichen Verfalls, Übungen zur Erfahrung und Selbsteinschätzung ging es darum, die Priorisierung dieses Themas erheblich zu steigern. Aufmerksam und schuldbewusst über die bisherige eigene Ignoranz lauschten wir den aufrüttelnden Worten. Kein Zweifel, ein Umdenken und Umplanen des Lebens sind unabdingbar. Alles andere zur Seite, Gesundheit muss her, der Rest dieser untergeordnet.

Das Kreuz mit der Priorisierung

Das eine (Auto) wie das andere (Gesundheit) ist wichtig und eine genaue Betrachtung wert. Der Unterschied liegt darin, dass man über die Reihenfolge von pekuniären Aktivitäten unterschiedlicher Meinung sein kann, während der Basischarakter einer guten Gesundheit außer Frage steht. Woraus sich ergibt, dass die Gestaltungsmöglichkeit bei Basisthemen merklich eingeschränkt ist. Aber es gibt sie, die individuelle Anpassung an meine Lebenssituation. Die Priorisierung ist so eine Art Vorfahrtsregel oder eben Reihenfolge der Berücksichtigung. Der hieraus resultierende Aufwand, sowie die Integration in mein Leben obliegen aber mir.

Und da ist es: Das Kreuz mit der Priorisierung. Jeder meint, seinen eigenen Wertekanon vermitteln zu müssen. Was ich dir sage, das ist wichtig, wichtiger, am wichtigsten. Tod-und-Teufel, wenn du das anders siehst oder renitent eine eigene Reihenfolge in dein Leben bringst. Dabei ist auch hier die Balance entscheidend. Eine Reihenfolge kann man beispielsweise im Sinne von Themenblöcken festlegen, Großraum Körper vor Großraum Geist. Bei konkurrierenden Aspekten hat man dann schon mal eine Entscheidungshilfe.

Angelehnt an die Zwei-Faktoren-Theorie von Frederick Herzberg (Hygienefaktoren und Motivatoren) kann man die Lebensplanung in Basis- und Komfortfaktoren teilen. Wobei die Geschichte mit der Automarke sicher im Komfortbereich landet. Randbedingungen gibt es in beiden Fällen, ererbte Krankheiten als Beispiel oder finanzielle Möglichkeiten als Kriterium.

Am Ende bleibt – und das ist die gute Botschaft – nach Befriedigung der Basisfaktoren immer noch genug Gestaltungsmöglichkeit, um sich ganz individuell zufrieden durch das Leben bewegen zu können. Und ob man nun ein Faible für Autos hat oder erhöhtes Engagement in sein Schuhwerk steckt, das ist viel weniger von außen vorgegeben als man manchmal meint.

Montag, 12. Februar 2024

Gute und schlechte Menschen

Sicher, was ein Meter ist, das wissen wir. Und wer es nicht weiß, der kann in den Baumarkt gehen, sich ein Metermaß kaufen und hat dann einen brauchbaren Maßstab. „Messen“, pflegte mein Physiklehrer zu sagen, „Messen heißt vergleichen.“ Und damit hatte er nicht nur Recht, es ist auch gleich eine Anleitung, wie man bei Bedarf vorgehen muss.

Will ich die Temperatur messen, dann nehme ich ein Thermometer, Druck kann ich mit dem Barometer feststellen und für die Feuchtigkeit nehme ich ein Hygrometer zur Hand. Und so weiter. Das geht prima, weil es in diesen (und einer Reihe weiterer Fälle) festgelegte Skalen gibt. Grad Celsius wird durch das Frieren von Wasser bei null Grad und Kochen bei hundert Grad festgelegt.

Doch das Bild trügt. Auch wenn es anders erscheint können wir die meisten Eigenschaften überhaupt nicht messen. Mal versagt unsere Skala (Wie ausgedehnt ist der Weltraum?), mal gibt es keinen Maßstab (Wie sehr kitzelt Zähneputzen?), mal gibt es noch nicht einmal eine Definition (Wie stark ist die Liebe?).

Fassen wir die Qualitäten einer Sache oder einer Dienstleistung zusammen, dann kann man versuchen, eine Bewertung hinzubekommen. Die Stiftung Warentest bemüht sich seit Jahrzehnten, nicht messbare Eigenschaften eben doch messbar zu machen. Dafür werden gelegentlich verschiedene Einflussfaktoren zusammengeführt, Langlebigkeit beispielsweise als Kombination aus Verschleißarmut und Wartungsfreiheit definiert.

Ein besonders schwieriger Schritt ist die Zusammenfassung als Gesamtnote. Allein über die Gewichtung der einzelnen einfließenden Faktoren kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. Die intellektuelle Leistung eines Menschen wird in eine einzige Abiturnote verdichtet, die aus unterschiedlichen Fächern errechnet wird.

Was im technischen oder schulischen Umfeld noch gehen mag wird aber bei der Charakterisierung eines Menschen schlichtweg unmöglich. Nicht alleine, dass wir die meisten Charaktereigenschaften nicht sinnvoll messen können, auch die von uns innerlich vorgenommene Gewichtung erfolgt unbewusst und individuell orientiert an eigenen Vorlieben und persönlichen Erfahrungen.

Gute und schlechte Menschen
Natürlich wissen wir, dass es gute und schlechte Menschen gibt und gruppieren unsere Mitmenschen entsprechend ein. Aber bei genauerer Betrachtung ist diese Einschätzung gar nicht so einfach. Sie ist geprägt von unserem Wertemaßstab, der sich aber selbst an Randbedingungen wie Kultur, Familie und Erfahrung orientiert. Der fiese Bankräuber verliert seinen Schrecken, wenn wir mit ihm auf einer einsamen Insel gemeinsam ums Überleben kämpfen.

Und wir bekommen ausgesprochen häufig dieses Urteil suggeriert. Jeder Spielfilm arbeitet ganz bewusst mit der Steuerung von Sympathie und Antipathie. Wir halten innerlich zum ausrastenden Familienvater und zittern mit ihm, dass er dem ablehnenden Sachbearbeiter die ärztliche Behandlung seiner Tochter abtrotzen kann. Obwohl das Richtig und Falsch eigentlich anders verteilt ist.

Ich glaube nicht an das Gute im Menschen. Aber auch nicht an das Schlechte. Wohl aber daran, dass es für mich gute und schlechte Menschen gibt.

Montag, 5. Februar 2024

Warum der?

Warum der?

Im Laufe der Lebensjahre hat man sich so seine Fertigkeiten angeeignet, das eine oder andere erreicht, manches aber natürlich auch nicht. Kurz, man entwickelt zunehmend ein klares und halbwegs realistisches Bild über die eigene Leistungsfähigkeit. Was aber manchmal dann doch wieder in Frage gestellt wird, wenn man andere Menschen sieht, die bei einem Thema vorgezogen werden.

Der Klassiker ist die Frage der hintergangenen Partner („Was hat er / sie, was ich nicht habe?“), aber auch im Beruf erlebt man die Beförderung von vermeintlich inkompetenteren Mitbewerbern. Da werden Ergebnisse gefeiert, die man doch selbst viel besser hinbekommen hat oder potentiell besser hinbekommen würde. Warum sehen das die Anderen denn nicht?

Nun, die einfache Erklärung besteht darin, dass die Welt ungerecht ist. Das ist ein schöner Trost für alle, die der Sache nicht weiter auf den Grund gehen wollen oder können. Und sicher ist da auch ein Quantum Wahrheit drin, denn wer könnte behaupten, dass alles mit rechten Dingen zugeht. 

Vielmehr stecken hinter vielen Entscheidungen Aspekte, die wir nicht kennen, die wir nicht beeinflussen können oder die von Scheinargumenten verdeckt sind. Entscheidungsträger denken mehr oder weniger bewusst zuerst mal an sich selbst. Das ist das Pendant zum Überlebenstrieb und ganz tief in uns verwurzelt. Danach kommen dann Punkte wie Vorteile für das persönliche Umfeld, das Unternehmen, die Menschheit.

Und der einzelne Mensch mit seinem Antritt? Naja, er kommt dabei viel weniger zum Tragen als rein sachlich gesehen sinnvoll oder zu erwarten wäre. Der Verleger wird den eher mittelmäßigen Roman seines Bestseller-Autors dem brillanten Werk eines Neulings vorziehen. Nicht aus Qualitätsgründen und auch nicht aus persönlicher Abneigung, sondern aus Angst vor dem Einbruch seiner Provision, den Nachteilen für den Verlag und dem Shitstorm der Leser.

Es kann aber auch ein ungeeignet gewählter Markplatz sein. Wer in der Schalterhalle sitzt und Kunden abfertigt, wird in der Innovationsabteilung nicht ernst genommen. Da muss schon eine etwas unkonventionelle Erscheinung und der Nachweis eines kreativen Umfeldes vorgewiesen werden. Ansonsten landet jeder noch so gute Vorschlag in der Schublade der zweitplatzierten Themen.

Viele erfolgreiche Menschen berichten von ihrem Erfolgsrezept. Ganz oft wird dann erst mal das Thema Glück erwähnt. Wie bei der Ungerechtigkeit der Welt ist auch da was dran. Der gefeierte Sänger ist im Urlaub auf Mallorca von einem zufällig anwesenden Agenten beim Karaoke-Wettbewerb entdeckt worden, zusammen mit einem Dutzend sangeslustiger Urlauber auf der Bühne hat er einfach Glück gehabt.

Moment mal, schauen wir uns das doch mal genauer an. Zuallererst muss er ja ganz passabel gesungen haben, sonst wäre er unbemerkt von der Bühne abgegangen. Dann muss er sich überhaupt auf die Bühne gestellt, also präsentiert haben. Wer nur heimlich unter der Dusche singt wird sicher nie entdeckt. Dann war es vermutlich nicht der erste Auftritt, möglicherweise nimmt er jeden Karaoke-Abend mit und durch diese Übung signalisiert er eine gewisse Routine, erhöht aber zugleich auch die Wahrscheinlichkeit, Aufmerksamkeit zu erreichen und sich eine kleine Fangemeinde aufzubauen. Und die Auswahl eines publikumsgängigen Ohrwurms ist natürlich auch hilfreich.

Machen wir uns nichts vor: Den Agenten interessiert weniger die Stimme, als vielmehr das Potential, das in ihrer Vermarktung stecken könnte. Ein sympathischer junger Mann mit kreischendem weiblichem Fanclub ist für ihn ein Köder, den er einfach einkaufen muss. Zwar ist er eigentlich selbst in Urlaub, aber so eine Gelegenheit lässt er sich nicht entgehen, zumal nach aktueller Strategie der Agentur gerade in dieser Richtung noch Entwicklungsbedarf ist.

Und da sind sie: Die Zutaten, die den Weg nach oben ebnen (können) – nicht hinreichend, aber notwendig. Zufall, Qualität, Timing, Steigbügelhalter, Sichtbarkeit und Hartnäckigkeit. Für die praktische Umsetzung muss man sich also „nur“ Gedanken machen, was man davon selbst beeinflussen kann und dann energisch daran arbeiten. Das ist ganz bestimmt kein Erfolgsgarant, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, von den Entscheidungsträgern ausgewählt zu werden.