Montag, 12. Februar 2024

Gute und schlechte Menschen

Sicher, was ein Meter ist, das wissen wir. Und wer es nicht weiß, der kann in den Baumarkt gehen, sich ein Metermaß kaufen und hat dann einen brauchbaren Maßstab. „Messen“, pflegte mein Physiklehrer zu sagen, „Messen heißt vergleichen.“ Und damit hatte er nicht nur Recht, es ist auch gleich eine Anleitung, wie man bei Bedarf vorgehen muss.

Will ich die Temperatur messen, dann nehme ich ein Thermometer, Druck kann ich mit dem Barometer feststellen und für die Feuchtigkeit nehme ich ein Hygrometer zur Hand. Und so weiter. Das geht prima, weil es in diesen (und einer Reihe weiterer Fälle) festgelegte Skalen gibt. Grad Celsius wird durch das Frieren von Wasser bei null Grad und Kochen bei hundert Grad festgelegt.

Doch das Bild trügt. Auch wenn es anders erscheint können wir die meisten Eigenschaften überhaupt nicht messen. Mal versagt unsere Skala (Wie ausgedehnt ist der Weltraum?), mal gibt es keinen Maßstab (Wie sehr kitzelt Zähneputzen?), mal gibt es noch nicht einmal eine Definition (Wie stark ist die Liebe?).

Fassen wir die Qualitäten einer Sache oder einer Dienstleistung zusammen, dann kann man versuchen, eine Bewertung hinzubekommen. Die Stiftung Warentest bemüht sich seit Jahrzehnten, nicht messbare Eigenschaften eben doch messbar zu machen. Dafür werden gelegentlich verschiedene Einflussfaktoren zusammengeführt, Langlebigkeit beispielsweise als Kombination aus Verschleißarmut und Wartungsfreiheit definiert.

Ein besonders schwieriger Schritt ist die Zusammenfassung als Gesamtnote. Allein über die Gewichtung der einzelnen einfließenden Faktoren kann man sehr unterschiedlicher Meinung sein. Die intellektuelle Leistung eines Menschen wird in eine einzige Abiturnote verdichtet, die aus unterschiedlichen Fächern errechnet wird.

Was im technischen oder schulischen Umfeld noch gehen mag wird aber bei der Charakterisierung eines Menschen schlichtweg unmöglich. Nicht alleine, dass wir die meisten Charaktereigenschaften nicht sinnvoll messen können, auch die von uns innerlich vorgenommene Gewichtung erfolgt unbewusst und individuell orientiert an eigenen Vorlieben und persönlichen Erfahrungen.

Gute und schlechte Menschen
Natürlich wissen wir, dass es gute und schlechte Menschen gibt und gruppieren unsere Mitmenschen entsprechend ein. Aber bei genauerer Betrachtung ist diese Einschätzung gar nicht so einfach. Sie ist geprägt von unserem Wertemaßstab, der sich aber selbst an Randbedingungen wie Kultur, Familie und Erfahrung orientiert. Der fiese Bankräuber verliert seinen Schrecken, wenn wir mit ihm auf einer einsamen Insel gemeinsam ums Überleben kämpfen.

Und wir bekommen ausgesprochen häufig dieses Urteil suggeriert. Jeder Spielfilm arbeitet ganz bewusst mit der Steuerung von Sympathie und Antipathie. Wir halten innerlich zum ausrastenden Familienvater und zittern mit ihm, dass er dem ablehnenden Sachbearbeiter die ärztliche Behandlung seiner Tochter abtrotzen kann. Obwohl das Richtig und Falsch eigentlich anders verteilt ist.

Ich glaube nicht an das Gute im Menschen. Aber auch nicht an das Schlechte. Wohl aber daran, dass es für mich gute und schlechte Menschen gibt.

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