Montag, 22. Dezember 2025

Oh, sorry, das hab ich wohl überlesen

Werfen wir mal einen Blick in die Statistik. Waren es vor einigen Jahren eher seltene Fälle, bei denen ich keine oder eine zu späte Antwort bekam, ist der Anteil inzwischen auf rund 10 Prozent gestiegen. Das hört sich wenig an, aber bei einem täglichen Mailvolumen von 50 E-Mails bleiben immerhin 5 davon unbeantwortet oder die Antwort kommt so spät, dass ich sie nicht mehr verwenden kann.

Und leider greift auch hier der Zinseszins. Am zweiten Tag sind es schon 10 Nachrichten, unter Abzug der aussortierten oder frustriert gelöschten am dritten Tag immerhin 12 und so weiter. Es bildet sich mit der Zeit ein Morast an Unbeantwortetem, Nachzufragendem, Veraltetem.

Das hab ich wohl überlesen
Wie kommt das? Frage ich nach, dann wird mir mit wenig schlechtem Gewissen mitgeteilt, dass die Zeit einfach nicht gereicht habe, die Arbeitslast zu hoch sei. Eine Grundeinstellung, die mittlerweile schick zu sein scheint, denn auch an mir geht die zunehmende Verdichtung nicht spurlos vorbei. Trotzdem gelingt es mir bis auf seltene Ausnahmen, jede E-Mail kurzfristig zu bearbeiten. Was mir leichter fiele, wenn sie beim Empfänger dann auch gelesen und bearbeitet oder weitergespielt würde.

Als zweiter Punkt höre ich dann - zum Teil mit vorwurfsvollem Unterton - dass sich die Person entweder gar nicht angesprochen gefühlt hat oder zumindest nicht erkannt hat, dass sie etwas machen sollte. Oder nicht wusste, wie oder was sie machen sollte. Warum nachfragen, wenn der Absender sicher noch mal nachlegt, sofern er keine Antwort bekommt. Der Absender degradiert zum Bittsteller, würden die Kollegen das auch machen, wenn sie Post vom Vorstand bekämen?

Das muss ich - dritte Ausrede - überlesen haben. Ja, jetzt wo ich nachfrage und den Punkt noch mal herausarbeite, die Textstelle markiere und auf eine Antwort dränge, ja, jetzt wird mein Antritt klarer. Aber wieso steht das erst im zweiten Satz oder unter dem erläuternden Screenshot? Ich freue mich, weil meine E-Mail zumindest geöffnet wurde, aber leider hat es nicht gereicht, sie auch nur bis zum zweiten Satz zu lesen.

Wenn jemand denkt, damit wären die Fälle beschrieben und nach Klärung würde es jetzt weitergehen: Weit gefehlt. Selbst wenn die Gegenseite die E-Mail nach Aufforderung gelesen, die Botschaft verstanden, den Auftrag angenommen und mir einen Zieltermin für die Lieferung genannt hat, ist nicht zwingend zu erwarten, dass ich wirklich etwas bekomme.

Erneut landet mein Postausgang in der Wiedervorlage, unter Verweis auf unerwartete Umstände oder den durch meine Nachfrage unter Druck genannten unrealistischen Termin geht es nach wie vor nicht weiter. Zum Teil geht das dann in die zweite, dritte, vierte Runde. Was zeigt, dass in vielen Fällen andere Randbedingungen hinderlich sind, weniger die vorgebliche Arbeitslast.

Ich spreche von der Konsequenzlosigkeit, die die Motivation und Priorisierung der Bearbeitung negativ beeinflussen. Garniert mit dem Nachlassen eines kollegialen Verständnisses, denn jede nicht erledigte Arbeit und jede Nachfrage erzeugt ja auf meiner Seite wieder Zusatzaufwand.

Ein Weg aus dem Dilemma wäre die Vorgabe eines Zeitrahmens für Reaktionen auf E-Mails, die Anweisung, dass jeder Posteingang innerhalb von zwei Werktagen zu beantworten, bearbeiten oder weiterzuleiten ist. Das geht allerdings nicht als einfache Order, die den Mitarbeitern übergestülpt wird. Schnell bilden sich diverse Umgehungsstrategien aus, die Ausreden werden geschickt angepasst.

Vielmehr braucht man einen Kulturwandel, muss behutsam wieder zurückdrehen, was sich da als Mode etabliert hat. Es ist schon auffallend, mit welcher Energie sich manche Menschen bei einer Tasse Kaffee ausführlich über ihre unerträgliche Arbeitsmenge beschweren, nach Rückkehr an den Arbeitsplatz aber keine Anstalten machen, dieser Menge auch Herr zu werden. Kollegen als Partner für einen gemütlichen Kaffeeklatsch gerne, als Informationsbedürftigen oder gar Anforderer ungerne. Auf dieser Mikroebene lässt sich die soziale Struktur, der Umgang mit- und füreinander wieder auf ein Niveau zurückführen, von dem letztlich alle profitieren.

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