Montag, 28. November 2022

Warum sollte ich blinken?

Zweifellos ist es eine Last, wenn man auf der Autobahn unterwegs ist und es mit Blinkmuffeln zu tun hat. Das sind die Autofahrer, die auf jegliches Blinken verzichten, sozusagen schweigsam unterwegs oder einfach unbedacht sind und vielleicht mal wieder erinnert werden sollten. Verträumt, möglicherweise die Straßenverkehrsordnung nicht mehr im Kopf, über die Jahre ein wenig träge geworden oder lässig und cool.

Wenn man diese Fraktion der Autobahnbenutzer zur Ordnung bringen will, dann sollte man ihnen nahelegen, auch an die Anderen zu denken, den Sinn dieser Vorschrift in den Mittelpunkt stellen und sie freundlich ermahnen. So zumindest sieht es der ADAC, macht Aufmerksamkeits-Kampagnen, schreibt wohlwollende Artikel in seiner Clubzeitschrift und lässt Verkehrspsychologen zu Wort kommen.

Warum sollte ich blinken?
Doch möglicherweise liegt hier ein Denkfehler vor. Die Nichtblinker sind gar nicht vergesslich, auch nicht besonders cool oder unbedacht. Nein, sie haben gelernt, dass Blinken nicht selten Nachteile mit sich bringt. Wer frühzeitig das Signal gibt, dass er auf die Überholspur wechseln möchte, der kann fast sicher sein, dass der Hintermann Gas gibt, um vor dem Spurwechsel noch vorbei zu schlüpfen. Ähnlich beim angezeigten Abbiegevorgang in der Stadt, da saust der Gegenverkehr noch schnell in die Lücke, schneidet die Vorfahrt einfach ab.

Nach einem solchen Lernprozess setze ich also an einer ganz falschen Stelle an, wenn ich die Einsicht fördern will oder meine, die Vorgaben in Erinnerung bringen zu müssen. „Da wäre ich ja schön blöd“, oder „warum sollte ich blinken“ sind die erwartbaren Reaktionen der so Belehrten.

Mehr noch, ich setze eventuell bei der falschen Zielgruppe an, denn nicht die Blinkmuffel sind das eigentliche Problem, sondern die Rücksichtslosen, die ein blinkendes Fahrzeug als Gefahr für ihre freie Bahn empfinden. Denn leider haben sie nicht verstanden (oder vergessen), dass beim Spurwechsel das Fahrzeug von der rechten Spur grundsätzlich vorgelassen werden muss. Und auch der Rechtsabbieger mit Anhänger leider vor dem linksabbiegenden Sportwagen Vorfahrt hat.

Wenn man – in welchem Umfeld auch immer – Missstände entdeckt, dann ist die Behandlung der Symptome meist wenig erfolgreich oder geht sogar in die falsche Richtung. Bevor man konkrete Maßnahmen ergreift, ist die Identifikation des tatsächlichen Auslösers von grundlegender Bedeutung. Und genau dort – bei den Auslösern – muss man ansetzen. Damit man nicht mehr der Dumme ist, wenn man blinkt.

Dienstag, 22. November 2022

Die Entjungferung der Customer Journey

Sie kennen bestimmt auch diese Entjungferung von Begriffen. Bis zu irgendeinem Zeitpunkt ist ein Wort mehr oder weniger neutral, man verbindet kein spezielles Bild damit oder gar eine eigene Geschichte. Und dann passiert etwas, was ebendiese Bedeutungslosigkeit beendet. Vor Jahren fuhr ich durch Wiesbaden, von der Platte kommend rechts in eine Straße, die mir vom Navi angesagt wurde. "Unter den Eichen", und ich dachte spontan nicht an die Bäume, sondern an die Verkleinerungsform von Ei. Und da bekommt dieser Name eine ganz andere, sagen wir mal erotische, Bedeutung. Ich erkannte natürlich sofort meinen Irrtum, aber seither kann ich nicht mehr dort entlang fahren ohne dieses Bild vor Augen und ohne zu schmunzeln.

Die Entjungferung der Customer Journey
Und heute Morgen war es dann auch wieder so weit. Ich hatte ausnahmsweise mein Homeoffice verlassen und wollte zum Schreibtisch in Frankfurt fahren. Mit der Bahn also, was sich zunächst auch gut anließ, fuhr der Zug doch pünktlich los und legte auch den ersten Teil der Strecke in der vorgesehenen Zeit zurück. In die Zeitung vertieft registrierte ich nur am Rande, dass wir dann vor Höchst einen unplanmäßigen Halt einlegten. Und dort eine gute Weile standen, uns in den Bahnhof vorarbeiteten, wo dann der nächste längere Stopp war.

Nun, ich will nicht alle Details ausführen - regelmäßige Bahnfahrer kennen die Vielfalt der Meldungen und Begründungen, warum Züge ausfallen, verspätet sind, unvermittelt enden oder umgeleitet werden. Sie machen eine (wie es im modernen Jargon der Vertriebler heißt) Customer Experience, eine Kundenerfahrung. Was eigentlich positiv nach Erlebnis klingen soll, angesichts der Verfünffachung der Fahrzeit aber eher im Sinne eines Traumas wahrgenommen wird.

Noch lustiger, weil doppeldeutig und in diesem Fall auch so völlig unpassend ist der Begriff der Customer Journey. Stimmt schon, es ist eine Kundenreise, doch leider nicht als spaßige Tour durch die wundervolle Welt der Produkte mit einem Glücksmoment am Schluss. Nein, es ist eine unerwünschte Abenteuerreise, eingebettet in ein verärgertes Umfeld und hektische Versuche, trotz Funkloch Kontakt mit dem Büro aufzunehmen und Termine zu verschieben.

Und so erweitere ich - herzlich willkommen - meine Sammlung der Begriffe, die ihre Unschuld verloren haben.

Montag, 14. November 2022

Der Vogel Strauß in mir

Kaum ist die Uhr umgestellt – Winterzeit – kann ich wieder ungestört im Badezimmer herumlaufen. Das große Fenster ist ganz dunkel, da kann mich ja keiner sehen, wie ich mir gerade die Zähne putze oder mich rasiere.

Obwohl, das stimmt nicht ganz. Eigentlich stimmt es überhaupt nicht. Sogar im Gegenteil. Wenn es draußen hell ist fühle ich mich wie auf dem Präsentierteller. Aber keiner schaut herein, weil das Badezimmer gegenüber dem hellen Sonnenlicht eher dunkel ist. Ist es draußen jedoch dunkel, dann fällt das erleuchtete Fenster jedem Passanten ins Auge.

Der Vogel Strauß in mir
Wie der Vogel Strauß gehe ich von meiner eigenen Wahrnehmung aus. Wenn das Fenster für mich dunkel ist, dann schaut doch auch keiner herein.

Noch einen Schritt weiter gibt es auch Dinge, die ich selbst nicht sehen will oder die für mich nicht besonders wichtig sind. Die nackte Glühbirne, die seit dem Einzug vor geraumer Zeit von der Decke baumelt fällt mir nicht auf, nein, ich will sie eigentlich gar nicht sehen, weil sie mich an die noch aufzuhängende Lampe erinnert. Jeder Gast wird sich allerdings fragen, warum da noch Rohbau-Restanten zu sehen sind.

Wer keinen Wert auf schöne Kleidung legt kann das natürlich für sich so entscheiden. Aber viele Mitmenschen werden aus der äußeren Erscheinung ein Urteil ableiten. Wegschauen oder einen Bogen um den Spiegel machen bringt nichts – wie beim Vogel Strauß.

Man würde sich überfordern, wenn man alles an und um sich sieht und steuert. Aber eine ausgeprägte Aufmerksamkeit empfiehlt sich, und unersetzlich in diesem Zusammenhang ist auch ein regelmäßiger Perspektivenwechsel. Sei es nun wörtlich (wie beim Beispiel mit dem beleuchteten Badezimmer) oder in Gedanken (wie bei der Kleidung). 

Sonntag, 6. November 2022

Guten Morgen

Guten Morgen

Die Sonne lacht mir ins Zimmer „guten Morgen“, ich frage mich, ob sie es ernst meint. Da liegt ein Wochenende hinter, eine Arbeitswoche vor mir. Und da soll ich einen guten Morgen haben? Ein wenig Hohn vielleicht in ihrem grinsenden Gesicht, oder steckt vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit darin?

Ich blinzele zum Fenster, noch ein wenig schlaftrunken erst das eine Auge, dann das andere. Die Gedanken sammeln sich, kann ich mich an Träume erinnern? Süße Erinnerungen an das Wochenende, an den Sonntag in Müßiggang. Aber jetzt ist Montag, die Arbeit ruft und mit ihr der Ernst des Lebens.

Meine Gedanken sind noch ein wenig schläfrig, nur langsam lassen sie sich auf meine Führung ein. Was liegt denn vor mir, was ist für den Tag geplant, was wird alles auf mich einströmen? Da sind Besprechungen, kleine spannende Herausforderungen, aber auch langweilige Routinearbeiten. Mal wieder dies, aber zur Abwechslung auch mal das.

Insgesamt eine bunte Mischung an Aufgaben, viel zu tun, aber nicht alles zu schaffen. Dafür ist der Kalender zu voll und die Liste der Todos zu lang. Ich denke nach, und dann überfällt mich ein Gefühl der Gelassenheit. Der Tag mag kommen, ich werde ihn meistern, Dinge, die ich verändern kann werde ich versuchen zu beeinflussen – und was nicht geht: das werde ich zulassen.

Ich schließe noch mal die Augen, konzentriere mich auf das Gefühl des Kissens, auf dem ich liege, auf die Decke, die mich umschließt und den Atem, der in regelmäßigen Zügen aus meiner Nase strömt.

Nein, denke ich, ich werde nicht mit Panik in den Tag starten, Panik, dass ich die allzu vielen Aufgaben per definitionem gar nicht schaffen kann, sondern ich werden schauen, was geht und den Rest auf morgen vertagen.

Ja, denke ich, die Überschrift des Tages wird Gelassenheit sein. Nicht nur Souveränität, sondern das Verständnis, dass das Leben lebenswert ist, jeder Tag ein Unikat, das sich nicht wiederholt.

Ich schließe noch mal ganz fest die Augen, reiße sie auf, springe aus dem Bett und weiß, dass die Sonne recht hatte: Es wird ein guter Morgen (und ein guter Tag).