Im Gegensatz zu Computern neigen Menschen dazu, Dinge zu vergessen. Da hat man sich Wissen angeeignet, vielleicht eine Szene gemerkt oder einen Mitmenschen kennengelernt. Und ein paar Tage später ist es dann wieder weg. Wie hieß das Teil noch mal, was hatte die Frau auf der Party an und welchen Namen hatte der Mann, mit dem ich mich im Zug unterhalten habe?
Das ist dann recht lästig, man kann so lange grübeln wie man will, der Name taucht nicht mehr aus dem See des Vergessens auf. Spätestens bei der nächsten Begegnung muss man das kleinlaut zugeben oder versteckt versuchen, die Wissenslücke wieder zu füllen.
Ein positiver Aspekt ist aber das Vergessen von unangenehmen Erlebnissen, sei es in Form von Verdrängung oder in Form von Verarbeitung. Da vergoldet sich die Erinnerung an die Schulzeit, weil die Hänseleien der Mitschüler und die Dispute mit den Lehrern ausgeblendet werden. Erst recht ein Segen ist das Vergessen nach Kriegserlebnissen oder anderen traumatischen Erfahrungen.
Aber selbst das "kleine Vergessen" hat seine guten Seiten. Wenn ich mir meine Geschichten nicht gut merken kann, sind auch Lügen nicht meine Königsdisziplin. Wem ich welche Version der Story erzählt habe und wer welche Details kennt, muss ich mir merken können, sonst ist mein Phantasiegebäude auf Sand gebaut.
Eine sehr unschöne Eigenschaft ist es auch, nachtragend zu sein. Was aber von vornherein nur geht, wenn man sich bestimmte Dinge längerfristig merken kann. Damit ich meinem Mitmenschen sein Fehlverhalten von vor vielen Jahren auftischen kann, muss ich mich daran erinnern können, muss die Erinnerung so gegenwärtig sein, dass ich sie spontan abrufen kann.
Wie fast alle Funktionen des Gehirns kann man aber auch das Behalten oder Vergessen ein wenig beeinflussen. Wer sich Dinge nun mal gut merken kann, muss ja deswegen nicht automatisch nachtragend sein. Hier kann man einen Riegel vorschieben und im Sinne von „Vergeben und Vergessen“ das eine mit dem anderen koppeln.
Und so lange Vergesslichkeit noch nicht pathologisch ist, kann man durch Auffrischung, Nutzung des erworbenen Wissens oder Beschäftigung mit einem Thema viel mehr Informationen greifbar halten. So funktioniert bei vielen bewunderten Mitmenschen deren vermeintliches Elefanten-Gedächtnis. Sie verknüpfen Informationen, durchdenken sie und sprechen mit anderen darüber.
Zentral jedenfalls, sich nicht über das eigene schlechte Gedächtnis zu grämen. Ein ständig kritisiertes Gehirn ist (unbemerkt) auch frustriert und merkt sich immer weniger. Oder ist enttäuscht, weil es uns mit seinem Vergessen etwas Gutes (im Sinne Verarbeitung) liefern wollte.
Gedächtnisforscher machen den Hippocampus dafür verantwortlich und sprechen bei Blackout tatsächlich von einer Art Verweigerungshaltung dieser Hirnregion. Es scheint nur auf den ersten Blick abwegig, sich auch mit seinem Gehirn zu beschäftigen, seine Leistung zu beobachten und an gewissen Stellen zu sich zu sagen: „Ein Segen, das mit dem schlechten Gedächtnis.“
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