Montag, 26. Mai 2025

Alles eine Frage der Definition

Als regelmäßiger Nutzer der Nahverkehrsangebote unserer Deutschen Bahn kann ich ein Lied davon singen. Züge, deren Abfahrtszeit mit der Angabe aus dem Fahrplan übereinstimmt sind Mangelware. Über die Jahre hat man sich daran gewöhnt, ein paar Minuten später empfindet man schon nicht mehr als ungewöhnlich. Denn das ist es ja auch nicht: ungewöhnlich.

Alles eine Frage der Definition
Bei nüchterner Betrachtung der letzten Wochen komme ich auf rund 50 % Pünktlichkeit. Auf meiner Strecke fallen alle zwei bis drei Tage mehrere Züge ersatzlos aus, bei Erkältungswetter oft noch mehr. Die restlichen Züge bauen durch allerlei Unwägbarkeiten insbesondere im Berufsverkehr schnell mal eine Verspätung auf, die sie schon wieder pünktlich erscheinen lassen, rücken sie dadurch doch an die Stelle des nachfolgenden Zuges.

Noch weniger erfreulich ist das Bild, wenn man mit scharfem Blick auf die Uhr schaut. Dann sind es nur noch 30 % der Verkehrsmittel, bei denen die Abfahrt mit dem Uhrzeiger übereinstimmt. Wobei man bei der Betrachtung der Pünktlichkeit auch noch die beiden Messpunkte Abfahrt und Ankunft betrachten muss. Ist ein Zug pünktlich, der zwar zur richtigen Zeit den Bahnhof verlässt, aber den Zielbahnhof erst mit Verspätung erreicht? Oweh, dann kann ich leider nur noch 20 % Pünktlichkeitsquote bescheinigen.

Doch halt! Wie kann ich das nur so negativ darstellen. Ausfallende Züge haben per Definition keine Verspätung, sie fahren schlichtweg gar nicht und fallen deshalb aus der Statistik. Und als pünktlich wird ein Fahrzeug auch dann noch eingestuft, wenn es dem Fahrplan nur 6 Minuten hinterherhinkt. So reibe ich mir verwundert die Augen, wenn ich bei meiner Customer Experience mit einer offiziellen Pünktlichkeit von 90,3 Prozent konfrontiert werde.

Tja, wenn man die Fakten nicht verändern kann, dann muss man eben die Definition anpassen.

Montag, 19. Mai 2025

Stichwort: Bürokratie

Kaum ein Begriff aus dem Alltag hat so einen schlechten Ruf wie Bürokratie. Dabei ist es im Grunde ja erst mal durchaus richtig, wenn man sich auch um den Schreibkram kümmert, Formalitäten einhält und gewisse Abfragen in standardisierter Form verteilt. Und diese Dinge verwaltet, verteilt, zu Entscheidungen führt oder schlicht darüber Buch führt. Was jedoch oft zur Diskussion gestellt wird, ist der Umfang und die Tiefe, in der diese Form der Arbeit erfolgt. Und das aus gutem Grund, denn im Sinne von „Lean“ ist Bürokratie ja nicht wertschöpfend, sondern (bestenfalls) verdeckt-notwendig. Und alle Tätigkeiten in dieser Rubrik sollen und müssen so gut es geht verringert werden.

Das kommt natürlich auch unserer inneren Bequemlichkeit entgegen. Niemand wird behaupten, dass er Spaß an der Steuererklärung hat, dass es ihm Freude bereitet, ein Zollformular auszufüllen oder in seinen Unterlagen für die Auskunftsbögen eines Kreditantrages zu recherchieren. Je weniger dieser lästigen Arbeit anfällt, desto lieber ist es einem, da sind sich alle einig. Und können sich also in guter Gesellschaft wissen, wenn sie nach Bürokratieabbau verlangen.

Doch an diesem Punkt beginnt das Dilemma. Mit der Verringerung dieser vermeintlichen Blindleistung werden ausgerechnet die Personen beauftragt, die diese Prozesse zu verantworten, sie vielleicht sogar ins Leben gerufen haben. Es würde eine gewisse Schizophrenie erfordern, wenn sie das abschaffen, was sie selbst initiiert haben oder was sich aus ihrer Sicht seit Jahren bewährt hat. Nein, dieses Formular ist in vollem Umfang notwendig, weil es Paragraph xy bedient, jene zusätzliche Abfrage in der Anlage wurde notwendig, weil das Soundso-Gesetz dies erfordert. Und der Ablauf für den Kunden lässt sich nicht ändern, denn der Datenstrom hat eine definierte Richtung, kann Genehmigung B nicht vor Begutachtung A erfolgen. Und so weiter.

Stichwort Bürokratie
Und dann wird es geboren: Das "Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz". Da sitzen intelligente Menschen zusammen, nennen sich Senat der Stadt Bremen und haben entweder aus eigenem Antritt oder auf Druck der Bürger ein gutes Ziel vor Augen. Sie wollen die Arbeit geschmeidiger gestalten. Diese Verbesserung nennen sie Effektivierung und machen daraus: ein Gesetz, also wieder irgendein Papierwerk, das Anweisungen und Regelungen enthält. Und das sich auf die Verwaltung, also im weiteren Sinne auch sie selbst, bezieht. Nun ist eine Verwaltung gemäß ihrer Definition niemals wertschöpfend, ist also bestenfalls unabdingbar notwendig, tendenziell aber Verschwendung. Es ist also zu kurz gesprungen, wenn man hier etwas effektiver gestaltet, vielmehr muss das Ziel sein, die Verwaltungsverfahren auf den Prüfstand zu stellen und möglichst ganz abzuschaffen.

Das allerdings erfordert kein Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz, sondern ein rigoroses Streichen von Verfahren. Nur Mut, was man ersatzlos streicht, braucht man nicht mehr zu optimieren, was durch schlankere Prozesse obsolet wird, erfordert keine Steigerung der Effektivität. Und Bürokratie durch die Bürokratie eines Gesetzes zu bekämpfen ist ein Ansatz, der zumindest nach außen ziemlich widersprüchlich erscheint.

Montag, 12. Mai 2025

Stichwort: Gerechtigkeit

Als Schüler haben wir so viele Dinge gelernt, die damals völlig logisch und naheliegend klangen. Wie gemein war die Abgabe des Zehnten an den Fürsten. Naja, meine Steuerabgaben heute dürften um ein Vielfaches höher liegen. Oder der Umgang mit anderen Kulturen und Religionen. Geprägt von einer geradezu unfassbaren Naivität und Armut an verschiedenen Perspektiven. Die kontrastreiche Darstellung der Guten und der Schlechten in der Weltpolitik und die nachträglich schlaue Interpretation historischer Ereignisse.

Doch das zieht sich auch in das Erwachsenenalter durch. Neulich war ich in der Stadt und sah eine Demonstration, die sich lautstark durch die Fußgängerzone schlängelte. Die Parolen waren kaum zu verstehen, doch den Plakaten nach zu urteilen ging es um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. "Gleiches Geld für gleiche Arbeit!" konnte ich lesen. Das hörte sich spontan gut und einleuchtend an. Aber dann fragte ich mich, wie man das klarstellen, gar messen könnte.

Stichwort Gerechtigkeit

Die linke Seite, also "gleiches Geld", das ist eine gut definierbare Größe. Aber wie steht es mit der rechten Seite der Gleichung, also der "gleichen Arbeit"? Bei mehr oder weniger einfachen Arbeiten mag das noch mit Sinn zu füllen sein. Wenn die Aufgabe in der Montage von Kotflügeln besteht, kann man mitzählen, wie viele Kotflügel pro Stunde eine Arbeitskraft verarbeitet. Aber selbst hier muss man möglicherweise schon differenzieren. Nehmen wir an, eine junge Frau am Band kann nicht nur die Kotflügel anschrauben, sondern bei Bedarf auch kurzfristig die Bedienung des Fließbandes oder die Organisation des Nachschubs übernehmen. Zwar ist es nicht primär ihre Aufgabe, aber sie ist universeller einsetzbar als die anderen Kollegen.

Es ist einleuchtend, dass diese Vielseitigkeit, das Potential zur spontanen Übernahme ungeplanter Aufgaben oder eine kurze Rüstzeit beim geplanten Wechsel der Tätigkeit eine geldwerte Leistung ist. Von außen sehe ich nur die Frau, die wie alle Kolleginnen und Kollegen die Kotflügel mit den Autos verbindet, aber das vorhandene Potential sehe ich nicht. Von "Gerechtigkeit" zu sprechen ist in diesem Zusammenhang mindestens schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Ergänzend liegt es nahe, dass die scheinbar verletzte Gleichheit von denen eingeklagt wird, die hiervon Vorteile haben, also weniger Potential haben, dabei aber in der Außensicht eine ähnliche Aufgabe ausführen müssen. Wer - vielleicht aufgrund irgendwelcher Regularien oder dem vermuteten Nasenfaktor - besser bezahlt wird, der wird sich nicht beschweren. Die höhere Bezahlung ist in diesem Fall vielleicht eine Motivation, eine Wertschätzung der zusätzlichen (potentiellen) Arbeit oder auch im Sinne des (Arbeits-) Marktes eine normale Reaktion.

Forderungen der Gleichheit und Gerechtigkeit gehen in Richtung Kommunismus. Inwieweit dieser Ansatz sinnvoll und tragfähig ist, sei mal in diesem Zusammenhang dahingestellt. Aber weiter zurückverfolgt kommt man dann zu der Forderung, dass auch alle Menschen gleich zu sein haben. Und das ist nun mal nicht der Fall.

Montag, 5. Mai 2025

Wie schön, das zu hören

Der Saal ist recht voll, alles gepflegte Zuhörer im mittleren Alter. Die Bühne noch leer, aber man kann schon mit gemütlichem Sessel, Barhocker, einem Mikrofon und einem aufgeklappten Konzertflügel erahnen, wie der Abend gestaltet sein wird. Ein schönes Setting, bestimmt interessante, kurzweilige und lustige Momente in den nächsten Stunden.

Die Eintrittskarte habe ich schon vor vielen Wochen gekauft, tatsächlich ist der Platz ziemlich gut und im Grunde kommt es auch mehr auf die Akustik an. In der Zeitung war ein kleiner Artikel, die Ankündigung dieses Events mit Beschreibungstext und einem kleinen Bild.

Jetzt geht es los, der Künstler betritt die Bühne, wird beklatscht und erzählt sich da vorne langsam warm. Ein kurzes Intermezzo am Flügel, ein umgedichteter Chanson und dann die nächsten Ausführungen über allerlei Themen des Alltags. Seine Anekdoten aus der Ehe sind harmlos, aber auch seine politischen Witzchen tun niemand weh. Oder vielleicht doch, zumindest, wenn man mit irgendeiner Partei sympathisiert. Auch die Gags auf Kosten von Olaf Scholz sind wenig schmeichelhaft. Aber sie sind lustig und das Publikum folgt dem Frontmann bei seinen Ausführungen.

Wie schön, das zu hören

Ach, was tut es gut, wenn mal jemand das ausspricht, was man selber denkt. Oder zum Denken vorgelegt bekommt. Oder so oft hört, dass es doch schließlich wahr sein muss. Dabei ist diese persönliche Meinungsbildung gar kein demokratischer Prozess, denn es ist im Grunde eine Einzelmeinung, der sich die Zuhörer hier anschließen. Man weiß zwar, wer es gesagt hat, aber das macht es nur scheinbar vertrauenswürdig.

Und dann kommt noch ein anderer Effekt dazu. Ich suche mir von vornherein nur die Redner aus, die in meinem Sinne argumentieren. Wer Urban Priol an den Lippen hängt, könnte sich auch für Georg Schramm Priol interessieren. Lisa Eckhart dürfte ihn nicht so ansprechen. Und da bekommt er das, was er schon immer gedacht hat, hier bestätigt aus dem Mund eines populären Referenten. Der zum einen seine persönliche Sicht der Dinge präsentiert, sich dabei andererseits aber auch vorsichtig daran orientiert, was der Veranstalter und das Publikum erwarten.

Und so wird durch diesen Feedback-Prozess eine Meinung gebildet und publiziert, die ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt, ohne auch nur ansatzweise neutral zu sein. Zumal viele Vortragende auch den einen oder anderen unpassenden Gag in Kauf nehmen, um den Unterhaltungswert zu steigern. Die Zuschauer sollen sich amüsieren und am Ende sagen können: "Wie schön, das zu hören."