Montag, 28. Juli 2025

Long Covid

Die Medizin kennt die Spätfolgen der Pandemie, die wir in den Jahren nach 2020 erlebt haben. Da erholen sich Infizierte nicht mehr vollständig von der Krankheit, bleiben Schäden zurück oder tauchen erst mit erheblichem Zeitversatz auf. In Abgrenzung zu den akut beobachteten Symptomen von vorübergehendem Fieber, Entzündungsreaktionen bis hin zum Tod geht es bei Long Covid um mittel- oder langfristige Auswirkungen.

Bekanntermaßen ist auch über den Sinn von Impfungen, damit in Zusammenhang gebrachte Nebenwirkungen und Probleme ausführlich und kontrovers diskutiert worden. Auch in diesem Fall stehen die körperlichen Auswirkungen im Mittelpunkt, werden Statistiken angefertigt und ausgewertet, was mit Menschen nach den unterschiedlichen Szenarien passiert ist.

Long Covid

Weniger publik, ist aber auch die Untersuchung der gesellschaftlichen Veränderung interessant. Ähnlich der körperlichen Aspekte gab es kurzfristige Maßnahmen, die wir zum großen Teil schon wieder vergessen haben. Wer denkt noch an die Benutzung der diversen Apps, wer hat noch in jeder Jackentasche eine FFP2-Maske? Und wer hält vor der Supermarktkasse noch 1,5 m Abstand?

Doch auch hier gibt es längerfristige Veränderungen, ja sogar komplette und irreversible Auswirkungen auf den Alltag. Denken wir beispielsweise an Homeoffice, das zwar mittlerweile von einigen Arbeitgebern wieder teilweise zurückgerollt wird, aber dennoch seine Dauerfolgen in Videomeetings und mobiler Arbeitsplatzausstattung hat.

Daneben ist aber auch eine Änderung der Arbeitskultur zu beobachten. Im klassischen Büroalltag gab es natürlich auch die verlängerte Kaffeepause und einen gewissen Spielraum, sich um Arbeiten zu drücken. Aber die allgegenwärtige Unerreichbarkeit von Ansprechpartnern, die sich in der Unsichtbarkeit verschanzen oder eine Hotline vorschalten, breitet sich merklich aus.

Es hat ja keine Konsequenzen, wenn die Kunden in der Warteschlange hängen "wegen unerwartet hohem Telefonaufkommen" (das höre ich inzwischen seit mehreren Jahren bei nahezu allen Rufnummern vom Arzt bis zum biederen Handwerksbetrieb). Wir haben uns an die Anonymität des Lockdowns gewöhnt, wundern uns geradezu, wenn wir jemanden schnell und persönlich erreichen.

Angeregt durch die geänderten Möglichkeiten haben sich Bringdienste und Versanddienstleister ausgebreitet, der immobile Komfort ist in den Mittelpunkt gerückt. Aber auch die Vereinsamung nimmt zu, da viele Menschen deutlich weniger antreffbar unterwegs sind. Wer seine Schuhe bei Zalando kauft, dem kann man nicht im örtlichen Schuhgeschäft begegnen.

Überhaupt hat sich das Thema Kennenlernen deutlich in Richtung Internet und Plattformen verschoben. Egal ob Date, Freundschaft oder Hundetreff: Für alles gibt es ein geeignetes Forum, für das ich meine Wohnung nicht verlassen muss. Anonymer, sicherer und unverbindlicher scheinen die Prämissen für Kontakte zu werden.

Da passt es gut, dass Gesellschaftsspiele von Internetspielen abgelöst worden sind, man trifft sich an den Bildschirmen zum Zocken, selbst ausgewachsene Wettkämpfe werden virtuell ausgetragen. Nicht nur weit überregionale Rankings verändern das Kräftemessen, auch der Umgang mit den eigenen Emotionen beim Gewinnen oder Verlieren ist nicht mehr mit Präsenzturnieren zu vergleichen.

Und wenn es eben doch nur außerhalb der eigenen vier Wände geht, kann man einen beeindruckenden Kontrast erleben: Wöchentlich pilgern zehntausende Menschen in Fußballstadien, während die meisten anderen Sportarten um ein paar Dutzend Zuschauer buhlen. Bei körperlichen Aktivitäten sieht man eine Verschiebung von Mannschaftssportarten in Richtung Einzelsportler im Freihantelbereich der Fitnessstudios. 

Wir Deutschen, schon früher weniger auf der Straße als mediterrane Kulturen, ziehen uns noch stärker in die Häuser zurück, „trautes Heim, Glück allein“. Kommunikation und Interaktion werden am persönlichen Nutzen gemessen. Insgesamt steht das eigene Leben mit seiner Work-Life-Balance im Mittelpunkt, werden alle Aktivitäten dem eigenen Komfort oder Anspruch untergeordnet. Hat man sich zu Corona erst mal eingerichtet und an das unbeobachtete Päuschen gewöhnt, will man sich nicht mehr umstellen.

Durch den Fokus auf das Individuum leidet zunächst mal die Sozialstruktur. Aber auch die Wertschätzung für jegliches soziales Engagement geht zurück, wodurch Ehrenamt und überhaupt Vereinsarbeit erheblich geschwächt werden. Typischerweise gerät dadurch auch jegliche Rücksichtnahme in den Hintergrund, sowohl im persönlichen Umgang als auch im Sinne der Empathie für Kunden.

Diese sehen sich einer zunehmenden Digitalisierung von Abläufe ausgesetzt, Vorgänge wurden ins Internet verlagert. FAQ-Listen im Internet sollen die Ansprechpartner ersetzen, Kontaktformulare die Kundenkommunikation kanalisieren. Das Vorzeigen des Ausweises ist durch verschiedene Postident-Verfahren ersetzt worden, für jedes Konto braucht man mindestens zwei Apps auf einem Smartphone.

Spätestens an dieser Stelle registriert man, dass der Abstand zwischen technikaffinen Menschen und dem Rest der Bevölkerung immer größer wird. Internet-Zugang, Smartphone, E-Mail, Google, ChatGPT und das Management von unzähligen Passwörtern sind zu Grundvoraussetzungen des Alltags geworden. Auch wenn der Service oder die Dienstleistung sich an alle Bürger wendet, wird auf Technik-Legastheniker keine Rücksicht genommen: Banken, Versicherungen, Krankenkassen, Finanzamt, Stromlieferanten gehen wie selbstverständlich von Technikliebhabern aus.

Ein Teil dieser Trends war schon vor Corona als Ansatz vorhanden. Aber Covid-19 hat die Geschwindigkeit der Veränderungen dermaßen erhöht, dass technischen Entwicklung, Kultur, Gesellschaftsstruktur, intellektuelle und psychische Weiterentwicklung nicht mehr zusammenpassen. Und damit kann man getrost von gesellschaftlichem Long Covid sprechen, einem Phänomen, das uns noch viele Jahre begleiten wird, bis sich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt hat.

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Montag, 21. Juli 2025

Social Media

Gott sei Dank bin ich hier unsichtbar. Ich bin zwar nicht anonym, vielmehr habe ich einen echten Account mit ehrlich ausgefülltem Profil. Aber ich schaue nur zu, muss noch nicht einmal Geld einwerfen für eine Peepshow, in der sich andere Menschen darstellen, schön finden, sich feiern und sich feiern lassen.

Social Media
Laut muss es sein, nicht zu perfekt, ein Kamerawackler hier, ein Störgeräusch da. Wenn es allzu fehlerarm daherkommt, ist es nicht mehr authentisch. Wir alle sind morgens auf dem Weg ins Badezimmer ein wenig zerknautscht, aber hier muss man das auch zeigen. Auf den Moment zu warten, wenn wir geduscht und mit einem Makeup aus dem Badezimmer kommen, scheint unfein.

Das alles macht nichts, denn Millionen Menschen sind Zuschauer, von wo auch immer sie den kleinen Reels und Memes folgen, sie liken oder in seltenen Fällen kommentieren. Auf dem Jahrmarkt der Selbstdarstellung darf man nicht allzu schnell heiser werden. Und sich daran messen, Lebensziel: Anzahl Follower und Klickzahlen.

Schnell muss es sein, wer nicht mit dem Dekobild, spätestens aber im Video innerhalb von drei Sekunden Interesse geweckt hat, ist schon wieder vergessen. Bummeln in einer belebten Fußgängerzone und der Versuch, hier den ganzen Tag Blickkontakte aufzubauen und Menschen kennenzulernen.

Tiefere Beschäftigung mit einem Thema ist ja auch nicht das Ziel dieser Plattformen, Oberflächlichkeit ist Programm. Dieser Nachfolger der Regenbogenpresse gewährt Einblick in andere Leben, nicht der unerreichbaren Royals und der High-Society, sondern der erreichbaren vermeintlich Gleichen.

Wie jedes System gibt es auch hier optimierende und selbstlernende Elemente. Sei es, dass der Algorithmus der Plattform die Beiträge gezielt verteilt und votet, auch die Orientierung an den erfolgreichen Veröffentlichungen führt zu einer auf den ersten Blick unbremsbaren Entwicklung dieses fröhlichen Treibens.

Und dann die Erkenntnis: Das ist alles real, die richtige Welt – Diese Personen gibt es wirklich, sie leben nicht irgendwo unerreichbar, sondern vielleicht ein paar Straßen weiter. Aber es ist nicht meine Welt, ich stehe wie im Zoo am Fenster eines Geheges und schaue dem bunten Treiben zu.

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Montag, 14. Juli 2025

Kulturzyklen

Werfen wir mal einen Blick in den Kalender oder gleich ins Geschichtsbuch. Dann stellen wir fest, dass sich Kulturen entwickeln. Das muss man ganz neutral sehen, mal geht es aufwärts und es entsteht eine "Hochkultur", dann aber auch wieder abwärts: Die Schaffenskraft lässt nach, die Riten werden vernachlässigt, am Ende steht die Auflösung. Oft kommt es wie bei einer insolventen Firma zu einer Art Ausverkauf, Nachbarkulturen dringen ein, bringen ihren Anteil ein und sorgen so für eine Erweiterung oder Anpassung.

Kulturzyklen

Man kann sich das römische Reich anschauen, das nach einer Blütezeit zerfiel, Griechenland oder auch das Morgenland, das zum Beispiel mit der Türkei einmal zu den Hochkulturen gehörte. Dieses Verständnis für Zyklen, das Entstehen wie auch das Vergehen von Kulturen, ist wichtig, wenn man sich die Situation im Deutschland des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts anschaut.

Wir blicken in den letzten hundert Jahre zurück auf Saus und Braus zurück, Phasen gewaltsamer Erweiterungsversuche, die in zwei Weltkriege mündeten. Wir schauen auch auf das German Wirtschaftswunder, historisch einzigartige Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Wohlstand. Ein enormer und über Jahrzehnte stabiler Bedarf an Arbeitskräften, Gastarbeitern, Zugezogenen aus dem Ausland. Und natürlich die Flüchtlinge, die es in dieses friedliche Paradies zieht.

Als Zeichen der Rezession im Kulturzyklus beobachten wir Diskussionen über Einwanderung im Allgemeinen und den Versuch einer Definition von Deutschsein. Es ist schwierig zu bewerten, ob die bunte Vielfalt an Restaurants aller Nationen in diversen Städten eine Bereicherung oder eher der Anfang einer Infiltrierung sind. Wird die deutsche Sprache durch Sätze wie "Alter, was geht?" bereichert oder verstümmelt? Denn gerade Sprache ist sicher ein gemeinschaftstypisches Element, neben bestimmten Grundeinstellungen und Tugenden spielt sie eine zentrale Rolle bei der Identifikation einer Gemeinschaft und ihrer Kultur.

Welche Aspekte kann man verfolgen, um diese Zyklen einschätzen und managen zu können? Ich habe bereits die Sprache mit ihren Sprachbildern, Symbolen und Metaphern erwähnt, daneben spielt natürlich auch die Geschichte mit ihren Erfahrungen, Mythen und Meilensteinen eine Rolle. Und überhaupt die Identität, zu der Selbstbewusstsein, die Ausprägung von Patriotismus oder das Selbstwertgefühl gehören. Wenn wir noch die Einstellung wie gesellschaftliche Werte, Gesetze oder Ansichten hinzunehmen haben wir schon ein recht vollständiges Bild. Das man ergänzen kann und auch die gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigen sollte.

Die Beobachtung von Veränderung ist politisch neutral, erst hieraus abgeleitete Maßnahmen können je nach Zielrichtung eine politische Farbe bekommen. Und auch hier zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass Aktivitäten zur Stabilisierung eines Zustandes einerseits nahezu immer in Mord und Totschlag enden, andererseits aber mittelfristig erfolglos sind. Veränderungen der Kultur kann man nicht aufhalten, bestenfalls kann man sie steuern. Und selbst das dürfte nur in seltenen Fällen und in begrenztem Umfang gelingen.

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Montag, 7. Juli 2025

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer

In der etwas sperrigen Wortwahl deutscher Behörden werden die Lenker von Autos auch als Kraftfahrzeugführer bezeichnet. Langsam wird mir klar, dass sie damit den Nagel besser auf den Kopf treffen, als ich bislang gedacht habe. Ist man doch als Person auf dem Fahrersitz tatsächlich so etwas wie eine Führungskraft.

Durch das Lenkrad bestimmt man die Richtung, durch die Pedalerie und Gangschalthebel hat man Einfluss auf die Geschwindigkeit. Und als gute Führungskraft kommuniziert man seine Entscheidungen mit Hilfe des Blinkers auch seinen Partnern auf der Straße.

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer
Neuerdings ist diese Führung allerdings um eine Hierarchieebene erweitert worden. Mit einem Spurhalte-Assistent und adaptiver Geschwindigkeitsregulierung übernimmt das Auto sowohl die Lenkbewegung als auch Beschleunigungs- und Bremsvorgänge. Ich muss gar nichts machen, ein kleines Motörchen dreht für mich das Lenkrad, ein Computer schaltet sich in die Datenübermittlung zwischen meinen Füßen und dem Motor- und Verzögerungsmanagement ein und für die Wahl des richtigen Ganges sorgt traditionell die Getriebeautomatik.

Was für eine schöne Welt, die einen Vorgeschmack auf autonomes Fahren ermöglicht. Doch leider funktioniert das Ganze in der Praxis eben doch nicht so ganz zuverlässig. Mal wird ein Verkehrsschild übersehen, verliert der Spurassistent seine Orientierung, dann wieder rollt das Fahrzeug in weiser Voraussicht schon viele Kilometer vor dem Kreisverkehr nur noch aus.

All dies geschieht ohne deutliche Warnung, verschwindet nur ein grünes Symbol aus dem Display, wechselt irgendein Bälkchen seine Farbe auf rot oder die Geschwindigkeit sinkt unerwartet ab. Da heißt es aufpassen, schließlich ist man ja die Führungskraft und muss sein Middlemanagement im Griff behalten. Sich darauf zu verlassen, dass der PKW die Kurve erkennt und unter Berücksichtigung der Fahrspur verzögert und lenkt, ist keine gute Idee.

Früher war ich der Herr des Autos, Lenkung im Uhrzeigersinn hieß rechts fahren, beherzter Tritt auf das rechte Pedal sorgte für Reaktion aus dem Maschinenraum und dem Versuch, schneller zu werden. Das ist heutzutage nur noch prinzipiell so. Die Bewegung des Lenkrades wird vom Spurhalteassistenten kontrolliert und je nach seiner Einschätzung widerspenstig gegengehalten. Ebenso verweigert mir der Antrieb erst mal den Gehorsam, wenn der Tempomat der Meinung ist, dass ich an dieser Stelle nicht schneller fahren sollte.

Die Erlangung der Fahrerlaubnis – kurz Führerschein – muss dringend renoviert werden. Lernte man früher etwas zu Stotterbremsen und Anfahren am Berg, muss man heute die Orchestrierung und das Management von Assistenzsystemen beigebracht bekommen. Und überhaupt ist der Führungsanspruch zwischen Oldtimern und aktuellen Modellen so groß, dass man im Grunde zwei verschiedene Fahrzeugklassen beherrschen können muss.

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