Montag, 15. September 2025

Stichwort Wertschätzung

Ich war jetzt letztlich auf einem kleinen, aber sehr feinen Musikkonzert. Alles war hochwertig, die Musiker konnten mit ihren Instrumenten umgehen, die Texte waren hochwertig geschrieben, das Arrangement und die Technik vom feinsten.

Und doch konnte dieses Ensemble nur eine recht überschaubare Zahl von Zuschauern für sich gewinnen, war selbst der kleine Saal bedauernswert leer. Gemessen am Standard, der tagtäglich im Radio zu hören ist, den wir auf den Megakonzerten präsentiert bekommen und womit die Agenturen fette Gewinne machen, war dies eine herausragende Leistung. Trotzdem waren die Ränge leer, obwohl die Werbung recht deutlich auf die Veranstaltung hingewiesen hatte.

Stichwort Wertschätzung
Ein wichtiger Grund ist der Schneeball-Effekt. Wenn eine Band erst mal einen gewissen Namen hat kommen Zuschauer, die weitere Zuschauer mitbringen, was zu Buchungen in größeren Hallen und damit größerer Sichtbarkeit führt. Und eine Formation, die vor ausverkauften Stadien auftritt, muss ja gut sein, da „geht man hin“.

Und zweitens spielen dann zunehmend die gegenseitigen Empfehlungen eine Rolle. Vorgruppe der Scorpions zu sein ist als solches schon ein Ritterschlag. Im Fernsehen bei irgendwelchen Talkshows von Prominenten erwähnt zu werden ist mehr wert als ein Plakat an der Bushaltestelle von Georgsmarienhütte.

Die Empfehlung eines Formel-1-Fahrers wiegt dann mehr als die Aussage eines Musikkenners, ein hübscher und authentischer Influencer kann seine Anhänger stärker in Bewegung setzen als eine Erwähnung im Literarischen Quartett.

Wertschätzung für den Auftritt, für ein Angebot, ein Kunstprodukt bemisst sich damit bei weitem nicht nur an der eigentlichen Qualität. Es ist auch eine Frage des Preises (was nichts kostet ist auch nichts), der Knappheit (Karten schnell ausverkauft), der Konkurrenz (mein Freund leistet sich das) und der Empfehlung (wenn Lothar Matthäus das sagt).

Fazit: Man kann mit dem Strom mitschwimmen und gemeinsam mit der Mehrheit wunderbare Veranstaltungen erleben. Aber wie bei Marius Müller Westernhagen zu hören ist: „Gold find man bekanntlich im Dreck, und Straßen sind aus Dreck gebaut“. Einen Wert zu schätzen erfordert manchmal etwas mehr als nur dem Getöse der Influencer zu lauschen oder sich von Bekannten einen Floh ins Ohr setzen zu lassen. Augen und Ohren auf, Wertschätzung ist eine sehr individuelle Leistung, und zwar sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Abnehmerseite.

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Montag, 8. September 2025

Das Kölner Grundgesetz (9..11)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Das Kölner Grundgesetz 9..11

Werfen wir abschließend noch mal einen Blick hinter die lustigen Aussagen und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation. Zur Abrundung gibt es eine kurze Ableitung, die sich aus den elf Artikeln ergibt. (-> Artikel 1..4, -> Artikel 5..8)

Artikel 9: Wat soll dä Kwatsch?

Das mehr oder weniger heimliche Infragestellen von Vorgaben und der unauffällige Widerstand sind passive Element der Kölner Seele. Römer, Franzosen, Preußen oder auch Nazis: Alle waren mal in Köln und sind auch wieder verschwunden. Alles Kwatsch, der Kölner nur in ihrer Ruhe stört und durch das Einziehen des Kopfes überstanden wird.

Dinge in Frage zu stellen, nach dem Sinn von Anweisungen zu forschen und im Grunde erst mal abzulehnen, führt zu einer gewissen hartnäckig -konservativen Grundhaltung, die allerdings durch die Erkenntnis „Jede Jeck is anders“ liberal ausgelebt wird.

Nicht überraschend kommt man andererseits auch nicht voran, wenn man alles Ungewohnte leichtfertig als Kwatsch bezeichnet und alles Unbekannte in Frage stellt. Wer in einem solchen Umfeld Impulse setzen will, sieht sich erst mal in Erklärungsnot, muss begründen, welches Ziel dieser oder jener Antritt verfolgt. Neben der erwarteten Begründung ist dabei insbesondere der initial ablehnende Standpunkt ausgesprochen hinderlich.

Die grundsätzlich richtige Frage nach dem „Warum“ kippt in Artikel 9 leicht in ein Werkzeug, mit dem man sich in der Komfortzone verankern kann.

Artikel 10: Drinks de ejne met?

Nicht ohne Grund gibt es in Köln eine Vielzahl an Brauereien und Biersorten. Das Obergärige ist Teil der Kultur und wird unaufgeregt mit dem Umfeld geteilt. Dabei erfüllt es verschiedene Funktionen, sei es als Eisbrecher beim Kontaktaufbau, als anregendes Alkoholgetränk oder zur Gruppendefinition, wenn für eine Gesellschaft ein gemeinsamer „Deckel“ herhält.

Unbürokratische Einladung zu einem Glas, das Angebot ins Gespräch zu kommen und ohne große Hürde zumindest temporär Teil der Gemeinschaft zu sein, gehört kulturell zusammen. Wer in der Nähe sitzt, muss sich um Kontakt nicht unbedingt bemühen.

Dieser einfachen Form der Integration steht natürlich auch eine gewisse Unverbindlichkeit zur Seite. Ein Kölsch miteinander zu trinken bedeutet keine tiefe Freundschaft, auch wenn man sich schnell über persönliche Themen unterhält. Schnell rein kann durchaus auch schnell weiter bedeuten, ermöglicht aber auch das Knüpfen von zahlreichen Kontakten.

Vernetzung ist das Stichwort, das man im geschäftlichen Umfeld hierfür verwendet. Mit jedem mal ein Kölsch trinken, über das sprechen, was einen beruflich oder privat bewegt und vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, ist elementare Basis für den sprichwörtlichen Kölner Klüngel.

Dabei sind Seilschaften, Lobbys oder Clubs und Vereine auch anderswo absolut gängig. Nur, dass sie in Köln weniger formal sind, sondern eher allgegenwärtig. Kein Wimpel, keine Mitgliedschaft, einfach ein Thekenbruder.

Artikel 11: Do laachs de disch kapott.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Kopfschüttelnd über die Welt, die Umgebung oder auch sich selbst. Humor wird hier eingesetzt als Mittel, um das Leben leichter anzugehen, Kritik oder Konfrontation durch ein Lachen zu ersticken.

Warum sollte ich mich auflehnen, wenn ich es durch ein Lachen abtun kann. Energieschonend und so doppeldeutig, dass man mir nicht vorwerfen kann, dass ich die Untertänigkeit verweigere oder mich in die Untätigkeit zurückziehe.

Daneben ist das Lachen aber auch eine Form, sich von Dingen zu distanzieren. Wenn ich über Sachverhalte oder Mitmenschen nur lache, dann nehme ich sie nicht ernst. „Lass sie machen, darüber lache ich mich kaputt“ ist auch ein Weg, um sich erst gar nicht damit zu beschäftigen.

Ist eine Situation verfahren, dann kann ein fröhliches Lachen die Stimmung wieder entspannen. Oder auch aufheizen, wenn ich durch einen Lachanfall demonstriere, dass mir die ganze Szene lachhaft erscheint. Die Formulierung von Artikel 11 ist so zu verstehen, dass man dabei den Kopf schüttelt und eine Beschreibung anhängt (im Sinne von „stell dir vor…“), die die Kritik konkretisiert oder etwas ins Lächerliche zieht (im Sinne von „das darf doch nicht wahr sein...“).

Ableitung

Ein wichtiger Komplex der kölner Seele ergibt sich erst als Ableitung aus den elf Artikeln. Wir finden in den Aussagen „Levve un levve losse“, „Jede Jeck is anders“ und „Wemm et jefällt…“ die liberale Grundhaltung, die in der Kultur verankert ist. Dabei steckt in dem ersten Sinnspruch ein wenig des savoir vivre, das die Franzosen hinterlassen haben.

Überhaupt wird die Offenheit für Anderssein primär aus der Bequemlichkeit gespeist, sich das eigene Leben nicht stören zu lassen. Warum sollte ich etwas gegen Homosexuelle haben, wenn sie mich nicht in meiner Gestaltung stören. Und andere Religionen sind mir im Grunde ähnlich unwichtig wie das eigene „hillije Kölle“, in dem ich mit Regelmäßigkeit kritisch mit dem Bischof aneinander gerate.

Diese zentrale Unstörbarkeit der Ruhe resultiert natürlich in einer massiven Schwierigkeit, solche Menschen zu steuern. Wer Drohungen nur soweit ernst nimmt, wie er nicht dramatisch in seiner Lebensgestaltung gestört wird, der beschleunigt den Schritt nur, wenn er selbst das möchte. Zum Beispiel beim Christopher Street Day, den die Kölner sofort als Modifikation von Fastelovend verstanden und in ihr Kulturgut aufgenommen haben.

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Mittwoch, 3. September 2025

Das Kölner Grundgesetz (5..8)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Das Kölner Grundgesetz 5..8


Setzen wir unseren Blick hinter die lustigen Aussagen fort und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation. (-> Artikel 1..4)

Artikel 5: Et bliev nix wie et wor.

Dass die Welt sich dreht und das Wasser den Rhein herunterläuft, war den Kölnern schon vor Jahrhunderten klar. Zweifellos erfahren wir in der heutigen Zeit eine Dynamik, die wir bisher nicht erlebt haben. Grundsätzliche Veränderungen sind häufiger als eine Menschengeneration, dauernde Anpassung ist unabdingbar.

Wenn man dies im Hinterkopf hat, liegt es nahe, sich auf Veränderungen einzustellen, von vornherein Flexibilität in das Leben zu integrieren. Heutige Lösungen, aktuelles Wissen, etablierte Abläufe, alles ist im Fluss und Evolution oder gar Eruption unterworfen.

Doch andererseits scheint es dann wenig sinnvoll, sich ausführlich mit dem heutigen Stand zu beschäftigen. Morgen passt es ja ohnehin nicht mehr, gibt es dies oder jenes nicht mehr oder läuft ganz anders. Warum also Energie in Optimierung stecken, die ja nur eine begrenzte Halbwertszeit hat.

Überhaupt wird damit der Aspekt der Nachhaltigkeit in Frage gestellt. Langfristig zu denken passt nicht zur Einstellung, dass sich die Bedingungen unabsehbar ohnehin ändern. Strategie spielt eine Rolle, aber auf heutigen Daten kann man nicht aufsetzen, da sie nicht in die Zukunft übertragbar sind.

Artikel 6: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.

Gerade Beratungshäuser leben davon, dass sie immer wieder Trends entdecken, Neuerungen ausrufen und vehement für die Berücksichtigung dieser Themen eintreten. Wer nicht mitmacht, muss mit schlimmen Konsequenzen rechnen, beängstigende Szenarien werden wortreich ausgemalt.

Hier mit Augenmaß zu agieren ist ein Gebot der Stunde. Nicht jeder Megatrend ist wirklich so zentral, nicht jede avisierte Kundenerwartung tritt wirklich so ein. Neuerungen darf man also getrost mal in Frage stellen, die Relevanz auf sein persönliches Umfeld prüfen und im Zweifelsfall erst mal zurückhaltend agieren.

Wenn dies aber zur allgegenwärtigen Haltung wird und jede Veränderung als beängstigendes Ändern der Gewohnheit und Verlassen der Komfortzone verstanden wird, dann sind auch sinnvolle Entwicklungen von vornherein blockiert. 

Wer alles, was er nicht kennt als entbehrlich verwirft, der distanziert sich innerlich von jeder Form des Lernens. Es ist sozusagen das Gegenteil von Neugierde, Wissbegierde oder Fortschrittswillen. Und das ist natürlich bequem, denn die Beschäftigung mit Unbekanntem kostet Zeit und Energie, und birgt die Gefahr, dass man abgehängt wird.

Artikel 7: Wat wells de maache?

In den ersten Wochen eines Jurastudiums lernt man die beiden Grundfragen eines Juristen kennen. „Bin ich zuständig?“ und „Ist [die Klage] [hier] zulässig?“ Wenn ich prinzipiell der Meinung bin, dass ich Einfluss nehmen kann, dann stelle ich mir doch die Fragen, ob es meine Aufgabe ist und wie ich die Sache angehen sollte.

Entspannend weißt Artikel 7 darauf hin, dass vieles vom Schicksal beeinflusst wird, folglich ein gewisser Fatalismus angeraten ist. Mehr oder weniger schulterzuckend stellt man sich die Frage, ob Engagement angebracht ist oder man es einfach laufen lässt und als gegeben akzeptiert.

Wir begegnen also auch in diesem Artikel der kölschen Gemütlichkeit, um nicht zu sagen Lethargie, erkennen die negative Ausprägung von Gelassenheit wieder. Bevor man überhaupt in die Prüfung der Zuständigkeit und Zulässigkeit eintritt, kann man sich schon zurücklehnen und auf äußere Gewalt verweisen.

Andererseits verhindert man so auch jede Form von Übereifer. Wer sich erst mal fragt, ob es nicht unbeeinflussbares Schicksal ist, der stirbt nicht an Herzinfarkt. In der Ruhe liegt die Kraft, legt uns der Ansatz nahe.

Artikel 8: Maach et joot, ävver nit zo off.

Ansonsten eher gemütliche Menschen, gibt es bei Kölnern eben doch ein paar Aktivitäten, bei denen sie in Schwung kommen. Dazu gehört insbesondere ihre Pflege von Beziehungen. Freunde, Nachbarn, das Viertel und natürlich die Familie sind wichtig und bekommen gerne die Energie ab, die sie bei der Arbeit gespart haben.

Treffen und miteinander reden ist wichtig, aber auch allerlei Formen der körperlichen Begegnung. In diesem Artikel wird frivol auf das Liebesleben angespielt, das natürlich in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. 

Im übertragenen Sinne sind aber auch die tägliche Arbeit oder schlicht alle Vorgänge im Leben gemeint. In Abwandlung erklärt auch mancher Kölner „man kann et uch üvverdrive“ und weißt damit auf die Suche nach angemessener Qualität oder Quantität hin. Man kann des Guten auch zu viel tun, dann kippt es von positiv in kritisch.

Der Haken ist allerdings, dass schwer zu beschreiben ist, wann etwas „zu oft“ ist. Wenn man die Messlatte niedrig genug einstellt, kann man sich sein Leben sehr entspannt einrichten. Unter Hinweis auf die abgelieferte Qualität ist dann der Weg frei, sich von lästiger Wiederholung zu befreien.

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Montag, 25. August 2025

Das Kölner Grundgesetz (1..4)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Kölner Grundgesetz 1..4

Werfen wir einen Blick hinter die lustigen Aussagen und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation.

Artikel 1: Et es wie et es.

In der heutigen Zeit wird oft von Gelassenheit gesprochen. Der Begriff bezieht sich darauf, etwas zu akzeptieren, eine Situation als unbeeinflussbar in Kauf zu nehmen. Man lässt sie zu, weil man sie nun mal nicht ändern kann.

Als Folge steckt man seine Energie nicht in Dinge, die nicht im eigenen Verantwortungsbereich liegen oder gar auf höhere Gewalt zurückzuführen sind. Behördliche Anordnungen trägt man mit Fassung, auch auf Wetter kann man sich nur bestmöglich einstellen.

Kehrseite der Medaille ist eine gewisse Lethargie. Wenn ich alles nur über mich ergehen lasse, fehlt jeglicher Antritt, etwas in Frage zu stellen oder gar ändern zu wollen. Damit ist die Einstellung „das ist nun mal so“ ein merklicher Hemmschuh bei jedem Änderungsimpuls.

Auch der Bequemlichkeit wird damit Vorschub geleistet. Wer selbst unsinnige Vorgaben klaglos erfüllt, holt sich keine blutige Nase, Verantwortung muss man so nicht übernehmen und die Komfortzone in keinem Moment verlassen.

Artikel 2: Et kütt wie et kütt.

Neben der Erkenntnis, dass alles „irgendwie“ weitergeht, steckt auch das Verständnis dahinter, dass man nicht wirklich in die Zukunft schauen kann. Es gibt sie und auch morgen geht die Sonne auf, aber alles andere kann man nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erraten. Entsprechend kann man Enttäuschungen vermeiden, wenn man nur eine unklare Erwartung an die Zukunft hat.

Nennen wir es also mal Erwartungsmanagement, durch das wir uns auf einen realistisch beeinflussbaren Teil der zukünftigen Abläufe konzentrieren. Daneben steckt aber auch das Verständnis dahinter, dass jede Planung immer gewisse Risiken birgt. Man kann versuchen, durch geschickte Mechanismen zukünftig auftretende Pannen zu minimieren, aber am Ende ist oft doch ein anderer Weg durchlaufen worden, als man vorgesehen hat.

Treibt man Artikel 2 auf die Spitze, dann verzichtet man komplett auf jede Form der Planung. Sie scheint nicht sinnvoll, denn es kommt ja doch anders. Vorgänge einfach laufen zu lassen, Projekte sich selbst zu überlassen und überhaupt alles steuerungslos drauflos zu machen, scheint damit der richtige Weg.

Abgesehen davon, dass dieser Antritt sehr bequem und arbeitssparend ist, vermeidet er auch Verantwortung für Planung oder Fehlplanung. Was dann auch zur Folge hat, dass man nicht aus Planungsfehlern lernt. Optimierung Fehlanzeige.

Artikel 3: Et hätt noch emmer joot jejange.

Positiv in die Zukunft zu schauen ist eine gute Grundlage für optimistischen Fortschritt. Kein Platz für depressive oder auch nur skeptische Gedanken, denn am Ende wird erfahrungsgemäß doch alles zu einem guten Ende kommen.

Der Rückblick auf die bisherigen Vorgänge und die Einschätzung, dass diese gut gelaufen sind, ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Denn der Begriff „immer“ impliziert, dass früher alles gut war, dass wir auf der Basis positiver Erinnerungen Vertrauen in die zukünftigen Abläufe haben dürfen.

Andererseits entbindet uns Artikel 3 auch von steuernden Eingriffen. Warum sollte ich irgendetwas machen, aktiv werden, für eine optimale Entwicklung sorgen, wenn es ja doch wie immer gut wird. Eine gewisse Lethargie und Bequemlichkeit der Lebensführung steckt also auch in diesem Artikel. 

Und es ist tendenziell ein Gegengewicht, wenn wir über Abweichung von Gewohnheiten nachdenken. Was gestern gut war, wird auch morgen funktionieren; Wieso also bewährte Abläufe ändern oder auch nur in Frage stellen?

Schließlich ist eine gesunde Skepsis oder Sorge ein wichtiger Treiber für Unfallverhütung. Wackelige Konstruktionen, murksige Abläufe oder fragwürdige Ansätze müssen durchdacht und korrigiert und verbessert werden. Auf ein gutes Ende zu hoffen, auch wenn die Qualität mangelhaft ist, dürfte keine gute Idee sein.

Artikel 4: Wat fott es, es fott.

Ich kenne viele Menschen, die gar nicht heute leben, sondern noch in der Vergangenheit gefangen sind. Sie denken an ihre ehemalige Arbeit, an ihre Jugend, ihre verlorene Sportlichkeit oder hadern mit dem Alterungsprozess ihres Körpers. Wie wohltuend ist es da, wenn man sich klar macht, dass man zwar mit dem Schicksal hadern kann, dass man in Erinnerungen schwelgen oder vergangenen Qualitäten oder Dingen hinterhertrauern kann; Dass es aber viel konstruktiver ist, loszulassen und nach vorne zu schauen.

In abgewandelter Form begegnen wir hier Artikel 1, der eine gewisse Gelassenheit fordert und im Schwerpunkt die Akzeptanz nicht beeinflussbarer Tatbestände erwartet. Ein verlorener Gegenstand ist weg, das lässt sich nach Suchen und Fundbüro nicht mehr ändern. Der jugendlich Teint, die damalige Sportlichkeit und Attraktivität sind irgendwann nicht mehr vorhanden.

Doch gerade diese zwar grundsätzlich vergänglichen Aspekte kann man natürlich schon ein wenig beeinflussen. Regelmäßigen Sport, Körperpflege und Beschäftigung mit der äußeren Erscheinung kann man sich unter Hinweis auf den Zahn der Zeit sparen. Und auch die Überführung der Flitterwochen in eine lebenslange Partnerschaft ist nicht notwendig, denn „Honeymoon is over“.

Abnehmende Liebe, die Einkehr vom Alltag in eine Beziehung oder auch in die Arbeit sind Veränderungen, gegen die man aktiv gegenhalten kann. Was allerdings ein mühsames Geschäft ist, das sich durch den Hinweis der Vergänglichkeit vermeiden lässt. Hier kann man sich dann auf Artikel 4 berufen und nüchtern feststellen, dass es nun mal weg ist.

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Montag, 11. August 2025

Volles Programm

Die Straßen leer, der Parkplatz voll.
Mit dem Reisekoffer vom Auto zum Zug. Noch erreicht zur regulären Abfahrtszeit.
Der Zug steht bereit, aber er fährt nicht.
Personen im Gleis, wie der Triebkopfführer uns wissen lässt.
Eine Stunde auf dem harten Sitz, Ungewissheit, wann der Zug abfährt.
Der Regionalexpress fährt vor uns ab. Wir warten immer noch.
Eine Frau weiter hinten wird nervös, schimpft und telefoniert lautstark.
Der Zug fährt los, aber er endet außerplanmäßig in Höchst.
Durch die herausquellenden Menschenmassen verpasse ich den Schienenersatzverkehr.
Der Folgebus kommt verspätet.
Wir fahren hinter einem Müllfahrzeug her und verspäten uns weiter.
An der Station Flughafen muss ich mir den Weg vom Bus zum Zug suchen, überraschend weite Strecke mit Koffer.
Der Zug kommt pünktlich an, muss dann aber auf einen Anschluss warten.
Ankunft am Ziel.
*
Volles Programm
*
Die Abfahrt meiner Rückfahrt ist laut App nur wenige Minuten verspätet.
Tatsächlich dann auf dem Bahnhof alle fünf Minuten Erhöhung der Verspätungsvorhersage.
Der Zug fährt ein, noch könnte ich am Umsteigebahnhof meinen Anschluss erreichen.
Die Klimaanlage im Wagen ist ausgefallen, ich ziehe um.
Am neuen Platz setzt sich ein Pärchen dazu und zeigt sich lautstark Tiktok-Videos.
Erneuter Platzwechsel führt zu kurzer Ruhe, bis gegenüber eine vierköpfige Familie Platz nimmt.
Die Verspätung überschreitet die Umstiegszeit, Neuplanung erforderlich.
Ausweichroute in überfülltem Zug, Stehplatz mit Koffer.
Zwischenstation erreicht, Anschluss fährt verspätet von anderem Gleis ab.
Die S-Bahn hat einen geänderten Fahrplan, pendelt nur noch auf der halben Strecke.
Wieder einen Sitzplatz ergattert, mein Nachbar entdeckt im Gewühl einen Freund und unterhält sich quer durch den Wagen mit ihm.
Klimaanlage auch hier außer Betrieb, menschliche Gerüche füllen die ohnehin schlechte Luft.
Türstörung, ich muss mit Koffer zum anderen Ende des Wagens.
Ausstieg und zum Auto. Nach Mäharbeiten hat das Fahrzeug einen feinen grünen Mantel.
*
Warum schaust du so genervt, will meine Frau wissen.

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Montag, 4. August 2025

Das Internet ist für uns alle Neuland

Es war 2013, unsere damalige Bundeskanzlerin gab den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ auf einer Pressekonferenz von sich und musste sich danach allerhand Spot gefallen lassen. Gewiss, zu diesem Zeitpunkt war die Idee eines weltweiten Datennetzes schon mehr als vier Jahrzehnte alt. Und seit immerhin zwanzig Jahren gab es in Deutschland diese Kommunikationstechnik für die breite Öffentlichkeit.

Und doch war ihre Aussage gar nicht so abwegig, wie sie von zahlreichen Journalisten dargestellt wurde. Schließlich kommt es ja nicht nur auf die Technik an, auch nicht auf ihre Verfügbarkeit, sondern vielmehr, wie weit sie sichtbar oder unsichtbar in unserem Alltag auftaucht. Oder anders formuliert, wie selbstverständlich wir sie empfinden oder in Überlegungen, Arbeitsabläufe oder Interaktionen einfließen lassen.

Für mich war das Internet auch Neuland, war ich doch mit Briefpapier, Telefonbüchern und gedruckten Katalogen groß geworden. Schnurgebundene Telefone mit Wählscheibe und von der Deutschen Bundespost zertifizierten Anschlusskabeln prägten mein Umfeld. Insofern war der Übergang von diesen Apparaten über Schnurlostelefone weiter zu Handys und schließlich zu Smartphones jeweils eine Umstellung, Umgewöhnung. Neuland eben.

Notgedrungen habe ich also immer dazulernen oder mein Wissen aktualisieren müssen. Niemand hat mich gefragt, ob ich den Wechsel mitgehen will. Vielmehr wird in der aktuellen Zeit völlig selbstverständlich nach E-Mail-Adresse und Handynummer gefragt, ein Internetzugang vorausgesetzt und der Umgang mit Apps erwartet.

Das Internet ist für uns alle Neuland
Aus dieser Innovations-Gewohnheit heraus ist auch das Eindringen von ChatGPT und Co für mich nur ein weiterer technischer Fortschritt, den ich in meinem Leben mitmachen muss. Und folglich finde ich es ganz normal, mich damit zu beschäftigen und die neuen Möglichkeiten in mein Leben, meine Überlegungen und Arbeitsabläufe zu integrieren.

Recht überrascht habe ich festgestellt, dass sich gerade junge Menschen, irreführend als „digital natives“ bezeichnet, hier deutlich schwerer tun. Zweifellos haben sie schon viel früher Kontakt mit allen Ausprägungen der Internetmöglichkeiten, nutzen Plattformen und haben Google mit der Muttermilch aufgesogen.

Aber was nicht von Anfang an da war – Beispiel ChatGPT – ist eben auch für diese jungen Personen Neuland. Dass man viele Recherchen nicht mehr mit klassischen Suchmaschinen betreibt oder bei Beratungsbedarf spontan an den öffentlichen Chatbot denkt: Das ist eine Grundhaltung, die sie sich erst mal aneignen müssen.

An genau diesem Punkt haben dann die älteren Menschen die Nase vorn, die in der Aktualisierungsbereitschaft und dem Erkunden von Neuland mehr Übung haben. Aus diesem Grund muss ich jungen Kollegen recht häufig die Frage stellen, ob sie dieses oder jenes Problem schon mal mit ChatGPT diskutiert oder sich Lösungen haben vorschlagen lassen.

Fazit: Gerade in der schnelllebigen Zeit müssen wir permanent Neuland betreten. Das gilt für alle und insofern hat es eine Verbindung zur Schule – auch dort wird im Wesentlichen Grundwissen mit langer Aktualitätsdauer vermittelt. Die eher flüchtigen Inhalte müssen wir uns den Rest unseres Lebens schon selbst aneignen.

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Montag, 28. Juli 2025

Long Covid

Die Medizin kennt die Spätfolgen der Pandemie, die wir in den Jahren nach 2020 erlebt haben. Da erholen sich Infizierte nicht mehr vollständig von der Krankheit, bleiben Schäden zurück oder tauchen erst mit erheblichem Zeitversatz auf. In Abgrenzung zu den akut beobachteten Symptomen von vorübergehendem Fieber, Entzündungsreaktionen bis hin zum Tod geht es bei Long Covid um mittel- oder langfristige Auswirkungen.

Bekanntermaßen ist auch über den Sinn von Impfungen, damit in Zusammenhang gebrachte Nebenwirkungen und Probleme ausführlich und kontrovers diskutiert worden. Auch in diesem Fall stehen die körperlichen Auswirkungen im Mittelpunkt, werden Statistiken angefertigt und ausgewertet, was mit Menschen nach den unterschiedlichen Szenarien passiert ist.

Long Covid

Weniger publik, ist aber auch die Untersuchung der gesellschaftlichen Veränderung interessant. Ähnlich der körperlichen Aspekte gab es kurzfristige Maßnahmen, die wir zum großen Teil schon wieder vergessen haben. Wer denkt noch an die Benutzung der diversen Apps, wer hat noch in jeder Jackentasche eine FFP2-Maske? Und wer hält vor der Supermarktkasse noch 1,5 m Abstand?

Doch auch hier gibt es längerfristige Veränderungen, ja sogar komplette und irreversible Auswirkungen auf den Alltag. Denken wir beispielsweise an Homeoffice, das zwar mittlerweile von einigen Arbeitgebern wieder teilweise zurückgerollt wird, aber dennoch seine Dauerfolgen in Videomeetings und mobiler Arbeitsplatzausstattung hat.

Daneben ist aber auch eine Änderung der Arbeitskultur zu beobachten. Im klassischen Büroalltag gab es natürlich auch die verlängerte Kaffeepause und einen gewissen Spielraum, sich um Arbeiten zu drücken. Aber die allgegenwärtige Unerreichbarkeit von Ansprechpartnern, die sich in der Unsichtbarkeit verschanzen oder eine Hotline vorschalten, breitet sich merklich aus.

Es hat ja keine Konsequenzen, wenn die Kunden in der Warteschlange hängen "wegen unerwartet hohem Telefonaufkommen" (das höre ich inzwischen seit mehreren Jahren bei nahezu allen Rufnummern vom Arzt bis zum biederen Handwerksbetrieb). Wir haben uns an die Anonymität des Lockdowns gewöhnt, wundern uns geradezu, wenn wir jemanden schnell und persönlich erreichen.

Angeregt durch die geänderten Möglichkeiten haben sich Bringdienste und Versanddienstleister ausgebreitet, der immobile Komfort ist in den Mittelpunkt gerückt. Aber auch die Vereinsamung nimmt zu, da viele Menschen deutlich weniger antreffbar unterwegs sind. Wer seine Schuhe bei Zalando kauft, dem kann man nicht im örtlichen Schuhgeschäft begegnen.

Überhaupt hat sich das Thema Kennenlernen deutlich in Richtung Internet und Plattformen verschoben. Egal ob Date, Freundschaft oder Hundetreff: Für alles gibt es ein geeignetes Forum, für das ich meine Wohnung nicht verlassen muss. Anonymer, sicherer und unverbindlicher scheinen die Prämissen für Kontakte zu werden.

Da passt es gut, dass Gesellschaftsspiele von Internetspielen abgelöst worden sind, man trifft sich an den Bildschirmen zum Zocken, selbst ausgewachsene Wettkämpfe werden virtuell ausgetragen. Nicht nur weit überregionale Rankings verändern das Kräftemessen, auch der Umgang mit den eigenen Emotionen beim Gewinnen oder Verlieren ist nicht mehr mit Präsenzturnieren zu vergleichen.

Und wenn es eben doch nur außerhalb der eigenen vier Wände geht, kann man einen beeindruckenden Kontrast erleben: Wöchentlich pilgern zehntausende Menschen in Fußballstadien, während die meisten anderen Sportarten um ein paar Dutzend Zuschauer buhlen. Bei körperlichen Aktivitäten sieht man eine Verschiebung von Mannschaftssportarten in Richtung Einzelsportler im Freihantelbereich der Fitnessstudios. 

Wir Deutschen, schon früher weniger auf der Straße als mediterrane Kulturen, ziehen uns noch stärker in die Häuser zurück, „trautes Heim, Glück allein“. Kommunikation und Interaktion werden am persönlichen Nutzen gemessen. Insgesamt steht das eigene Leben mit seiner Work-Life-Balance im Mittelpunkt, werden alle Aktivitäten dem eigenen Komfort oder Anspruch untergeordnet. Hat man sich zu Corona erst mal eingerichtet und an das unbeobachtete Päuschen gewöhnt, will man sich nicht mehr umstellen.

Durch den Fokus auf das Individuum leidet zunächst mal die Sozialstruktur. Aber auch die Wertschätzung für jegliches soziales Engagement geht zurück, wodurch Ehrenamt und überhaupt Vereinsarbeit erheblich geschwächt werden. Typischerweise gerät dadurch auch jegliche Rücksichtnahme in den Hintergrund, sowohl im persönlichen Umgang als auch im Sinne der Empathie für Kunden.

Diese sehen sich einer zunehmenden Digitalisierung von Abläufe ausgesetzt, Vorgänge wurden ins Internet verlagert. FAQ-Listen im Internet sollen die Ansprechpartner ersetzen, Kontaktformulare die Kundenkommunikation kanalisieren. Das Vorzeigen des Ausweises ist durch verschiedene Postident-Verfahren ersetzt worden, für jedes Konto braucht man mindestens zwei Apps auf einem Smartphone.

Spätestens an dieser Stelle registriert man, dass der Abstand zwischen technikaffinen Menschen und dem Rest der Bevölkerung immer größer wird. Internet-Zugang, Smartphone, E-Mail, Google, ChatGPT und das Management von unzähligen Passwörtern sind zu Grundvoraussetzungen des Alltags geworden. Auch wenn der Service oder die Dienstleistung sich an alle Bürger wendet, wird auf Technik-Legastheniker keine Rücksicht genommen: Banken, Versicherungen, Krankenkassen, Finanzamt, Stromlieferanten gehen wie selbstverständlich von Technikliebhabern aus.

Ein Teil dieser Trends war schon vor Corona als Ansatz vorhanden. Aber Covid-19 hat die Geschwindigkeit der Veränderungen dermaßen erhöht, dass technischen Entwicklung, Kultur, Gesellschaftsstruktur, intellektuelle und psychische Weiterentwicklung nicht mehr zusammenpassen. Und damit kann man getrost von gesellschaftlichem Long Covid sprechen, einem Phänomen, das uns noch viele Jahre begleiten wird, bis sich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt hat.

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