Mittwoch, 5. März 2025

Asche zu Asche

Unser Leben ist eingebettet in wiederkehrende Prozesse. Wir steigen im Tagesrhythmus mit Aufgang der Sonne aus dem Bett, durchleben die Arbeitswoche mit ihren An- und Entspannungen und natürlich müssen wir uns mehr oder weniger deutlich an die Jahreszeiten anpassen.

Jetzt ist also Fastenzeit, eine Phase, in der die Menschen körperlich und geistig in einen Ausnahmezustand kommen oder kommen wollen. Von innerer Einkehr ist die Rede, aber auch Verzicht scheint eine wichtige Rolle zu spielen.

Je nach Glaubensrichtung sind rund 40 Tage dieses Ausstiegs aus dem Alltag vorgesehen, danach der gefeierte Abschluss und dann geht es weiter wie vor der Fastenzeit. Eine Art Diätprogramm mit definiertem Ende, wovon wir ja den Jojo-Effekt kennen. Nimmt ab Ostern dann wieder die Un-Achtsamkeit, vielleicht die Rücksichts-Losigkeit zu? Trinken wir dann doppelt so viel Alkohol, um den Verzicht der vergangenen Wochen zu kompensieren?

Sicher ist ein bewusster Verzicht, vielleicht auch mit einer gewissen Signalwirkung nach außen getragen, ein respektabler Antritt. Und gewiss ist es dem Körper auch egal, warum er mal einige Wochen nicht mit Alkohol oder Nikotin belastet wird, Hauptsache, das Gift bleibt draußen.

Aber wie viel wichtiger ist es, diese Umstellung dauerhaft zu betreiben, nicht nur ein paar Tage und unter Betonung der inneren Stärke und Konsequenz. Leider kommt uns an dieser Stelle ein Phänomen in die Quere, das nur durch eine von höherer Instanz aufgerufene Fastenzeit ausgehebelt werden kann: Ehrungen und Orden gibt es nur für Taten, nicht für Nicht-Taten.

Wer offiziell gelobt werden möchte, der tut dies im Idealfall genau jetzt. Asche gehört nun mal zu Asche, wenn alle irgendwas Gutes tun, dann ergibt sich ein Kollektiveffekt, den man für sich nutzen kann.

Wer dauerhaft etwas an sich tun möchte, der sollte die Fastenzeit eher dafür nutzen zu überlegen, wie er sie – gegebenenfalls in modifizierter Form – in den Alltag integriert. Das sollte dann den von Diäten bekannten Jojo-Effekt vermeiden.

Sonntag, 23. Februar 2025

Schau mich mal an!

Immer wenn ich durch den Hauptbahnhof eile, fällt mir auf, wie viele Fahrgäste nach oben, unten, seitlich gucken. Nur nicht nach vorne. Sicher, wenn ich im Voraneilen die Bahnsteiginformationen lesen muss, nach dem Seitenausgang Ausschau halte oder ins Gespräch mit einem Anderen vertieft bin: Dann ist das schon nachvollziehbar. Aber in vielen Fällen steckt eine andere Intuition dahinter.

Schau mich mal an
Rumms, läuft ein Passant gegen mich, der bis gerade auf den Boden geschaut hat. Wütend sieht er mich an "Können Sie nicht ausweichen?" faucht er. Naja, zu so einer Kollision gehören zwei Parteien, warum hätte ich ausweichen müssen? Ganz einfach: Weil er mich ja nicht gesehen hat, konnte er ja nicht, denn schließlich war sein Blick auf den Boden gerichtet. Da ich nun wiederum den Bereich vor mir registriert habe, wäre es logischerweise an mir gewesen beiseite zu treten.

Was auf den ersten Blick zwingend konsequent erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als trügerisch. Wenn mein Gegenüber vorsätzlich nach unten gesehen hat, um seinen geradlinigen Weg zu erzwingen, dann sieht die Sache anders aus. Man kann ihm ja nicht vorwerfen, dass er mich absichtlich gerempelt hat, wohl aber, dass er absichtlich weggeschaut und damit mich zum Ausweichen gezwungen hat.

Auch mit Träumern kann man leicht zusammenstoßen. Früher hätte man sie als Hans-Guck-in-die-Luft bezeichnet, heute sind diese Menschen in die Betrachtung ihres Handys vertieft. Mehr oder weniger wichtige Inhalte wollen angeschaut oder mitverfolgt werden. Das scheint auch keinen Aufschub zu dulden oder auf die Fortbewegung in weniger belebten Umgebungen warten zu können.

Unabhängig vom Auslöser und der Intention bin aber am Ende ich der Gelackmeierte. Da meine Sinne wach sind, ich keine hochpriore Kommunikation führen muss und auch nicht in eine andere Richtung schaue, darf man von mir erwarten, dass ich den Weg freimache. Immer wieder, auch beim Passanten dahinter und überhaupt gegenüber dem gesamten Menschenstrom, der sich mir entgegenwälzt.

Bin ich erst mal ausgewichen, werde ich zunehmend zur Flipperkugel zwischen den hin- und herlaufenden Personen. Fast möchte ich den Gesichtsausdruck des Gegenverkehrs so interpretieren, dass ich begründen muss, warum das bisherige Ausweichen nun auf einmal nicht mehr stattfindet. Meinem Vordermann bist du ausgewichen, warum springst du mir nicht auch aus dem Weg?

Die Schwarmintelligenz führt dazu, dass sich ein geeigneter Lösungsansatz herumspricht, Schule macht und mit der Zeit zu einem Kulturgut entwickelt. Egal, ob ich es eilig habe oder nicht, einfach zu Boden schauen und voranstürmen. In Abwandlung des Spieles in meiner Jugendzeit („Wer bremst verliert“) kann man hier sagen: Wer aufschaut, muss mit Gegenverkehr und Kollision rechnen.

Montag, 17. Februar 2025

Stichwort: Stolz

Stichwort: Stolz
Ich bin schon stolz, ein Deutscher zu sein. Ich wurde hier geboren, meine Eltern leben in einer Gegend, die man von Grenzen umgeben als "Deutschland" bezeichnet, und ich habe mein bisheriges Leben im Wesentlichen auch hier verbracht. Das ist sicher eine tolle Leistung. Wie auch mein Aussehen, auf das ich auch sehr stolz bin, denn von Geburt an bin ich gerade gewachsen, habe ein freundliches Gesicht, einen wohlgeformten Körper und weitgehend glatte Haut. Gewiss auch dies eine Leistung, die anerkennenswert ist.

Ironie? Ja, natürlich! Was sich durch Zufall ergeben hat oder mir durch irgendwelche Mechanismen wie Erbgut in die Wiege gelegt worden ist, das ist ja weder von mir beeinflusst worden noch habe ich irgendwas dazu beigetragen. Ich habe es einfach so empfangen, habe vielleicht "Glück gehabt". Dieses Glück kann ich durchaus genießen, mich an den Tatsachen wie Geburtsland oder Körperbau erfreuen. Aber mit welcher Begründung dürfte ich darauf stolz sein?

Ein Blick auf Kinder. Wenn sie auf die Welt kommen, können sie nicht viel mehr als atmen, strampeln und verdauen. Aber über mehr oder weniger komplexe Mechanismen eignen sie sich im Laufe der Entwicklung allerlei Fähigkeiten an. Sie lernen zu kommunizieren, können sich nach einiger Zeit auf zwei Beinen fortbewegen und später dann in Gemeinschaften einbringen. Das sind Fertigkeiten, die sie sich zum Teil recht mühsam und in einem aufwändigen Feedback-Prozess selbst erarbeitet haben. Worauf sie stolz sind: "Schau mal, Papa, ich kann schon ..."

Ein Kind ist zunächst auch gar nicht stolz auf sein Vaterland, sein Aussehen oder irgendwelche anderen zufälligen Fakten. Was zählt, ist die eigene Leistung, das selbst Erreichte und das daraus resultierende Feedback. Und genau das müssen wir uns auch als Erwachsene erhalten. Wer sich nur umschaut und erwartet, dass andere Individuen oder eine Gesellschaft etwas voranbringt, der hat kein Recht, auf diese Fremdleistung stolz zu sein. Wenn Politiker im Wahlkampf also ein Land versprechen, auf das man "wieder stolz sein kann", dann wird den Wählern die Verantwortung für das Erreichen dieses Zieles abgenommen. Vielmehr wird eine unrealistische Konsumentenhaltung propagiert, in der viele Bürger sich wohl fühlen und am Ende das Versprochene einklagen.

Bringt unser Land (in seinen in gewissem Sinne zufällig und historisch gewachsenen Grenzen) nicht die Performance, auf die wir stolz sein können, dann liegt es nicht an einem Mangel bei der arbeitenden Bevölkerung, sondern an den Politikern. So zumindest die Sicht der Wähler, die dem Slogan gefolgt sind. Und natürlich wollen sie ihren Stolz nicht mit denen teilen, die zufälligerweise in einem anderen Land zur Welt gekommen sind. Wenn ich mir ein tolles Auto gekauft habe, will ich ja auch nicht, dass mein Nachbar stolz darauf ist.

Um ein wirtschaftlich erfolgreiches Land zu haben, müssen wir auf die Lieferanten schauen. Und das sind nicht die Politiker, sondern die Bürger, nämlich jeder einzelne von ihnen. Der Slogan müsste also eher heißen: "Schafft ein Land, auf das wir stolz sein können - wir helfen euch dabei."

Montag, 10. Februar 2025

Sprich mit mir!

Sprich mit mir
Bildlich gesprochen ist nach den Erkenntnissen der Gehirnforschung auch unser Gehirn so eine Art Partner. Mit dem man sich gut verstehen oder auch mal zoffen kann. Jedenfalls verdient es aber Beachtung, Wertschätzung und tatsächlich auch so etwas wie aktives Feedback. Man kann sich ganz gut vorstellen, wie ein (menschlicher) Partner sich fühlt, wenn wir ihn mit unserem Anspruch ständig überfordern, mehr oder weniger ignorieren und erst recht nicht loben.

Ganz falsch ist das und gilt auch für unseren Denkapparat. Immer ein wenig fordern, über Dinge nachzudenken, macht ihm im Prinzip Spaß. Das ist aber gleichzeitig auch eine Leistung, die nach und nach degenerieren kann. Wer wenig Engagement in Reflektion und tiefere Denkprozesse legt, der braucht sich nicht zu wundern, dass diese Fähigkeit im Laufe der Zeit zurückgebaut wird. Wie bei einem untrainierten Sportler fällt es dann immer schwerer, etwas komplexere Überlegungen anzustellen. Und um im Bild zu bleiben sitzt man dann lieber auf dem Sofa, als ins Fitnessstudio zu gehen und seinen Körper wieder zu trainieren – aufwändigeres Denken wird immer mühsamer.

Aber nicht nur das Training ist ein wichtiger Aspekt, auch das Feedback darf nicht zu kurz kommen. Sich über einen gut gelungenen Gedanken, eine erfolgreiche Schlussfolgerung, zu freuen oder auch über ein Detail, an das man sich noch erinnert: Alles das sind Momente, in denen wir (heimlich) unserem Gehirn eine positive Rückmeldung geben sollten.

Wie wichtig dieses Feedback ist, können gerade Sporttrainer immer wieder berichten. Bevor man die Übung wechselt, sollte man sie grundsätzlich richtig gemacht haben. Zum Beispiel eine Tanzfolge korrekt nachtanzen. Wenn man mit zu vielen (bewussten) Fehlern aufhört, weiß das Gehirn nämlich nicht, was es sich merken soll. Am Ende bleibt von der ganzen Tanzfolge nur ein „irgendwas war nicht richtig“ hängen.

Nur Mut: Man muss nicht laut vor sich hinsprechend wie ein Telefonierer mit unsichtbarem Headset durch die Gegend laufen. Aber innerlich mal ein Lob auszusprechen tut nicht zuletzt dem Hormonhaushalt im Kopf sehr gut. Einfach mal zum Gehirn sagen: „Schatz, wir müssen mal darüber reden.“

Montag, 3. Februar 2025

Türsteher (vor dem Gehirn)

Türsteher (vor dem Gehirn)
Breitschultrig steht er am Eingang vom Club, jede Person aus der Warteschlange wird sorgfältig angeschaut. Attraktive Frauen winkt er ohne weitere Diskussion durch, bei den Männern ist er wesentlich pingeliger. Passt der Typ in die Disko, sieht er nach Krawall aus, stimmt über den Abend gemittelt die Mischung.

Dieser Türsteher hat seine eigene Vorstellung von den erwünschten Gästen, aber die hat er natürlich im Wesentlichen vom Inhaber erklärt bekommen. Soll das Publikum jung oder alt sein, schick oder lässig, aus der gemäßigten Ecke oder eher voller Energie. Reine Vorgabe des Chefs, die hier an der Eingangstür operationalisiert wird.

So etwa kann man sich aber auch das Gehirn vorstellen. Da stehen Lerninhalte Schlange, wollen in die Denk- oder Lernwelt aufgenommen werden. Und treffen direkt am Eingang auf einen Teil unseres Gehirns, das die merk-würdigen Dinge vorfiltert. Mit was müssen wir uns beschäftigen, was interessiert uns, was ist eine willkommene Ergänzung. Oder was ist unerwünscht, soll gar nicht gespeichert werden und darf entsprechend ignoriert werden.

„Dazu habe ich keine Lust“ ist ein Satz, den unser Gehirn-Türsteher sagt. Er verwickelt die Lehrenden in Diskussionen nach der Sinnhaftigkeit oder der Motivation für die Aneignung einer Fertigkeit. Manche Themen sind begehrt und werden sofort akzeptiert, andere zurückhaltend oder ablehnend behandelt.

Schnell wird der Ruf nach einer Begründung laut, man will verstehen, warum man etwas erlernen oder verinnerlichen soll. Um im Bild mit der Disko zu bleiben überreden wir unsere Mitmenschen, dass sie unserem Türsteher erläutern, warum er sie hereinlassen soll. Dabei ist es unser eigener Türsteher, und es ist unsere ureigene Aufgabe, ihn zu instruieren. Das sollte man sich nicht aus der Hand nehmen lassen.

Montag, 27. Januar 2025

Die Macht der Gewöhnung

Es liegt in der der menschlichen Natur, dass man sich an alles gewöhnt. An Gutes, an Schlechtes, sowohl körperlich als auch seelisch. Was wir heute noch als Luxus wahrnehmen, vielleicht sogar explizit zu erreichen versuchen, ist morgen schon unser persönlicher Standard. Die Freude über eine Gehaltserhöhung nimmt nach kurzer Zeit ab, aber auch mit Einschnitten können wir irgendwann umgehen, weil wir uns mit den neuen Umständen arrangiert haben.

Daneben haben wir noch einen anderen Mechanismus, der kaum steuerbar unser Seelenleben beeinflusst. Die Empfindsamkeit wird stets der aktuellen Situation angepasst. Wer Angst um Leib und Leben hat, der hat keine schlaflosen Nächte wegen einer schiefgelaufenen Präsentation. Und wer von außen betrachtet ein sorgenfreies Leben führen könnte, der regt sich über den misslungenen Heckenschnitt des Nachbarn auf. Oder wie Otto Waalkes es formuliert hat: "Ein Freund von mir dachte, der ärmste Mensch der Welt zu sein, weil ihm sein Rasierpinsel ins Klo gefallen ist."

Macht der Gewöhnung

Wo wir hinschauen, alle haben Sorgen, Ängste und Nöte. Und das auf sehr unterschiedlichem Niveau, wenn man versucht, es bestmöglich objektiv zu bewerten. Doch für den Einzelnen ist die jeweils vorgetragene Not real und sehr präsent. Über irgendwas lässt sich immer mit gekrumpelter Stirn grübeln, irgendwas macht Angst und stellt sich in unserer Psyche ganz vorne auf die Bühne.

Nun hilft es nichts, sich das nur klarzumachen, sich einzureden, dass es anderen noch schlechter geht und so weiter. Nein, so leicht lässt sich dieser Depressionen fördernde Gedanke nicht vertreiben. Man muss es sich eher wie eine Bühne vorstellen, auf der ein Darsteller steht oder auch nicht. Im Prunkgewandt oder in Bettlerklamotten. Der das Rampenlicht nutzt, sich in Szene zu setzen, aller Aufmerksamkeit gewiss. Was würde man als Regisseur machen, wenn es einem zu trüb wäre? Nur von der Bühne werfen geht nicht, das Publikum möchte ja etwas sehen. Kleidung austauschen ist ein möglicher Schritt, aber am Ende brauchen wir einen anderen Schauspieler, ein anderes Bühnenbild, ein anderes Drehbuch.

Ein Drehbuch nämlich, in dem der missratene Schnitt der Hecke durch die Herausforderung einer Neuanpflanzung relativiert wird. Mehr schaffen also, denn auch Bequemlichkeiten in der Arbeitswelt unterliegen einem Gewöhnungseffekt. War früher ein Tag Homeoffice ein mühsam auszuhandelndes Zugeständnis des Arbeitgebers, ist heute schon die Erwartung einer Zwei-Tage-Präsenz eine Aufforderung zum Arbeitskampf. Was wir einmal haben, wollen wir nicht mehr hergeben, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Es ist schlichtweg unmöglich, jegliche Gewöhnung zu vermeiden. Und das wäre ja noch nicht einmal wünschenswert, denn wir sollten uns mit den unvermeidlichen Missständen nur im notwendigen Umfang beschäftigen. Auch Dinge, die unseren All-Tag ausmachen, dürfen im Rauschen der Gewöhnung untergehen. Wie man den Schalthebel eines Autos bedient, darf ja nun wirklich bis ins Unterbewusstsein abtauchen.

Aber der Rest, also die Lebenslage, unsere mehr oder weniger gesamtheitliche Zufriedenheit mit Körper, Gesundheit, Lebensumständen und Freude: Dieser Rest verdient Beachtung. Und wer merkt, dass ihm der Rasierpinsel nicht nur ins Klo gefallen ist, sondern daraus eine Tragödie zu entstehen beginnt, der ist gut beraten, sich Herausforderungen zu stellen, die ihn in Anspruch nehmen, seinen Geist oder Körper fordern und aus dem Schaffen von Neuem eine innere Zufriedenheit entstehen lassen.

Sonntag, 19. Januar 2025

In Lohn und Brot

Manchmal denken wir einfach zu simpel, erfassen nicht die Komplexität oder übersehen einfach nur Zusammenhänge. Oder die berühmte Kehrseite der Medaille. Beim Einstieg in die S-Bahn fiel mir auf, dass der Wagen ein wenig Farbe verloren hatte. Wo bislang ein strahlendes rot mit weißen Streifen zu sehen war, gab es jetzt ein mattes rot, durch dass die darunterliegende Lackschicht hindurchschimmerte. Bei genauerer Betrachtung war hier mächtig geschrubbt worden und dem war der ehemals stolze Decklack zum Opfer gefallen.

In Lohn und Brot

Wer macht denn sowas, fragte ich mich spontan und schon ergab sich die Antwort. Natürlich hatten Mitarbeiter der DB diesen Schaden verursacht, mit schwerem Gerät, aggressiven Chemikalien und scharfen Reinigungsapparaten für diesen traurigen Anblick gesorgt. Ganz offensichtlich war hier in einer konzertierten Aktion das ehemals einwandfreie Bild merklich ramponiert worden.

Doch halt! Das war natürlich nur ein Teil der Story. Bevor die Reinigungskräfte aktiv werden mussten war ein anderer Trupp schon am Werk gewesen. Über Nacht hatte die S-Bahn ihre Farbe von rot-weiß zu schwarz-bunt verändert. Einige Sprühflaschen mit hochdeckendem Inhalt waren von flinken Händen auf den Wagon entleert worden. Ob nun schöner, dekorativer oder einfach nur anders: Jedenfalls nicht mehr im Sinne der ursprünglichen Farbgebung.

So war der Reinigungstrupp zwar der Verursacher der Oberflächenbeschädigung, aber nicht der Auslöser. Und wurde dafür auch noch bezahlt. Und zwar von den Fahrgästen, die natürlich über eine hierfür notwendige Berücksichtigung in der Fahrpreisgestaltung auch die Reinigung und Wiederherstellung der Außenhülle mit bezahlen müssen.

Selbstverständlich freuen wir uns, dass wir wieder ein paar Personen in Pelerinen mit Hochdruckreinigern und dicken Handschuhen in Lohn und Brot gebracht haben. Und für diese etwas unfreiwillige Dienstleistung zur Kasse gebeten werden. Wobei ich mich im Sinne von "Lean" frage, ob es sich hierbei um eine Wertschöpfung (nachher ist der Wagen sauber), um eine verdeckte Leistung (es trägt nicht zum Transport der Fahrgäste bei, ist aber unvermeidlich) oder um Verschwendung (überflüssige Leistung) handelt.

Festzuhalten jedenfalls, dass die Farbsprüher nicht nur die S-Bahn-Wagen umgestalten, sondern auch indirekt in die Preispolitik eingreifen, welche dann am Ende ziemlich viele Menschen betrifft. Kleiner Auslöser, große Wirkung auch hier.