Vor ein paar Jahren, so berichtete mir Dr. M., habe er in einem Vortrag gesessen. Ein versierter Kollege habe interessante Gedanken zu seinem Fachgebiet ausgebreitet und die Darstellungen mit Beispielen, Bildern und kleinen Filmeinblendungen sehr lebendig aufbereitet.
Trotz dieser kurzweiligen und spannenden Präsentation war seine Laune immer schlechter geworden. Das Publikum war angetan, um nicht zu sagen begeistert, klatschte immer wieder Beifall und bedachte den Referenten mit Anerkennung und Lob.
Die anschließende Diskussionsrunde, Fragen aus dem Auditorium, auch Nachfragen vom Moderator ließen keinen Zweifel an der Kompetenz und Sattelfestigkeit des Vortragenden aufkommen. Mit Abschluss des offiziellen Teils eilten zahlreiche Zuschauer nach vorne, schüttelten dem Redner die Hand und demonstrierten ihre Begeisterung für seine Gedanken.
Derweil wurde die Laune von Dr. M. immer schlimmer, geradezu miserabel. Er hielt sich an seinem Weinglas fest, sprach eher abwesend mit irgendeinem anderen Gast und ließ den Vortrag innerlich noch einmal an sich vorbeiziehen. Nein, der Inhalt war tadellos, die Formulierungen einwandfrei, keine unangemessenen Vergleiche oder wackeligen Thesen. Nein, es gab wirklich nichts auszusetzen an dem Abend, noch nicht einmal Selbstherrlichkeit oder Arroganz konnte man an irgendeiner Stelle attestieren.
Und dann fiel bei ihm der Groschen. Es war gar nicht der Inhalt und im Grunde auch gar nicht der Vortragende, der seine Laune so getrübt hatte. Es war der blanke Neid. Wie gerne hätte er auf der Bühne gestanden, wäre bejubelt worden, hätte selbst kluge Gedanken präsentiert und die Zuhörer in seinen Bann gezogen. Wäre beachtet worden, hätte begeistert und ein positives Feedback zurückbekommen.
Aber all das war nicht passiert. Nicht, dass er es dem Redner missgönnt hätte. Er wäre nur gerne an seiner Stelle gewesen und hätte einen Lorbeerkranz aufgesetzt bekommen. Dieses schöne Gefühl, dass Menschen einem zuhören, zustimmen, den Überlegungen folgen und sich auf gleiche Gedanken einlassen.
Genau das erzählte mir Dr. M. bei einem Kaffee, den wir am Rande einer Schulung zu uns nahmen. Die Szene habe ihm klar gemacht, dass man sich manchmal selbst gar nicht erkenne und gelegentlich überrascht wäre, wenn man sich sozusagen selbst auf die Schliche komme. Wie leicht hätte er die Schuld auf den großen Referenten wälzen, ihn unzutreffender Weise der Hochnäsigkeit oder Arroganz geißeln können.
Seitdem frage ich mich auch manchmal, wie dieses oder jenes Gefühl in mir zustande kommt. Und stelle dabei voller Entsetzen fest, dass auch in meiner dunklen Seele das eine oder andere Mal der pure Wunsch versteckt ist, auf dem Treppchen zu stehen und mit einer Medaille vor der Brust bejubelt zu werden. Oder in irgendeiner anderen Art neidisch bin oder eigentlich gerne tauschen würde.
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[Bild: Marco Verch, ccnull.de]