Montag, 20. Oktober 2025

Hier bist du nichts Besonderes

Ein wenig fremd fühlt sich das schon an. Vor ein paar Wochen habe ich mein Abiturzeugnis bekommen, Leistungskurs Physik und eine sehr gute Abschlussnote. Wie mir geht es den anderen Studenten auch, die hier im Hörsaal versammelt sind. Alle in ihrem Fach die Besten, in der Schule die Nase vorn.

Und nun sind die ersten Wochen ins Land gegangen, der Professor pflügt ohne viel Aufhebens im ersten Semester durch den gesamten Stoff der Oberstufe und zusätzlich ein wenig mehr. Ein wenig tiefer, ein wenig vernetzter. Und natürlich in Kombination mit ein paar Nebenfächern.

Die ganzen Topschüler sind auf einmal nichts Besonderes mehr, es sind alles intelligente junge Leute, die mit der Flut neuer Inhalte und der Einstellung auf die neue Lebenssituation kämpfen. Wenige Monate liegen zwischen herausstechender Elite und ums intellektuelle Überleben ringendem Mittelmaß.

Dies ist für viele ein echter Schock. In diesem Sammelbecken gehen nicht die als erste unter, die nicht schwimmen können, sondern die, die sich das Schwimmen nicht (mehr) zutrauen. Wer stets Topnoten erzielt hat, der resigniert viel eher bei der ersten durchgefallenen Klausur als ein Kommilitone, der es gewohnt war, eher mittelmäßig zu sein.

Hier bist du nichts Besonderes
Und heute? Erlebe ich es wieder an anderen Stellen in meinem Leben. Ein gutes Gehalt ist phantastisch, nivelliert sich aber in kurzer Zeit zu einer Art Durchschnitt, wenn ich die Kollegen um mich herum betrachte. Was aus Sicht anderer Zeitgenossen beneidenswert ist, kann man im eigenen Umfeld als mittelmäßig einsortieren.

Oder das Aussehen: Junge Mädchen, die in ihrem Heimatdorf die herausstechende Schönheit waren, sind in der großen Stadt umgeben von  anderer Menschen mit Modelmaßen und Traumfiguren.

Im ersten Moment ist es Ernüchterung, vielleicht auch die Erkenntnis, dass man nicht so besonders ist, wie man bis dahin gemeint hat. Nein, man ist im Leben zunächst mal nicht konkurrenzlos unterwegs. Aber man kann durch die Ausbildung von einzelnen Qualitäten, persönlichen Spezialitäten und Setzen von Schwerpunkten doch eine Nische finden, in der man einzigartig ist. Charakter nennt man das.

Depressiv die Flinte ins Korn zu werfen, weil die anderen schlauer sind, mehr Geld bekommen oder besser aussehen: Das ist eine mögliche Lösung… aber nicht die beste. Übrigens hängen die Ergebnisse der Selbsteinschätzung auch stark von der referenzierten Vergleichsgruppe ab. Wer sein Aussehen als Rentner mit GNTM vergleicht, hat den Frust vorprogrammiert.

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Montag, 13. Oktober 2025

Ein typisches Fernsehkind

Manchmal kann man mit seiner Einschätzung ganz schön falsch liegen. Oder mit einer als sicher geglaubten Aussage weit neben dem Ziel landen. So ging es der Schulärztin, die meinen Bruder Mitte der 1960er Jahre zur Einschulung untersuchte. Ohren, Augen, körperliche und geistige Entwicklung im normalen Bereich, aber: "Ein typisches Fernsehkind."

Ein typisches Fernsehkind
Vor dem Hintergrund der damals laufenden kritischen Diskussion war dies vermutlich als Vorwurf an meine Mutter adressiert. Sie sollte ein schlechtes Gewissen bekommen und sich fragen, ob man den Fernsehkonsum schon sehen konnte. Es sollte sie erschrecken, aufrütteln, den Umgang mit dem Fernsehen neu bedenken lassen.

Allerdings lief dieser eher unspezifische Angriff ins Leere, denn wir hatten keinen Fernseher, spielten als Brüder ganz klassisch mit Bausteinen oder verkleideten uns zu Indianerspielen. Die Zeit vor einer der Flimmerkisten war auf den Besuch von Nachbarn und das gemeinsame Anschauen eines Spiels der Fußballweltmeisterschaft beschränkt. Selbst bei noch so kritischer Betrachtung würde man hieraus keine negativen Auswirkungen ableiten können.

So musste die Ärztin also ihre voreilige Meinung oder sogar gezielte Bosartigkeit zurücknehmen. Peinlich für sie, ein Triumpf für meine Mutter. Voller Freude schlachtete sie auch gegenüber allen Bekannten und Freunden diese Szene aus und rückte die Ärztin nach Leibeskräften in schlechtes Licht.

Fazit: Obacht mit Vermutungen, die man für eine Konfrontation nutzen möchte. Das sollte man schon ein wenig vorbereiten und durch Fragen oder Recherchen sicherstellen, dass man auf festem Boden steht. Hätte die Ärztin vorher die tägliche Fernsehzeit abgefragt und dann - egal ob wirklich erkennbar oder nicht - behauptet, dass sie dies in der Entwicklung des Kindes sehen könnte: Sie hätte erst mal Betroffenheit erzeugen können. Ob die ihr gegenübersitzende Mutter sich das dann detailliert erklären lässt oder nur entsetzt zur Kenntnis nimmt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

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Montag, 6. Oktober 2025

Die Welt ist so einfach

Vor einigen Jahren hatte ich nach Betrachtung eines Vorgangs im geschäftlichen Umfeld eine Idee, wie man den Ablauf besser gestalten könnte. Es lag auf der Hand, einen umständlichen Entscheidungsweg stillzulegen, ein Gremium abzuschaffen und den Workflow zu automatisieren. Technisch gesehen alles ziemlich einfach.

Ich sprach mit meinem Bereichsleiter darüber und erläuterte ihm die einzuleitenden Maßnahmen, notwendigen Änderungen und insbesondere die in Aussicht stehenden Verbesserungen. „Lieber Eckhard“, ließ er mich wissen, „die Welt ist nicht so einfach.“

Die Welt ist nicht so einfach
Das war’s. Wie ein Schulbub war ich abgefertigt worden, hatte ich das deutliche Signal erhalten, dass ich die dahinerliegende Komplexität nicht durchdrungen hatte. Meine einfache Lösung war der Weltlage nicht angemessen. Es war vielleicht weniger eine Kritik an meiner Intelligenz als an meinem Verständnis für die Gesamtsituation. Schwierige Sachen erfordern schwierige Lösungen – basta.

Ich war damals ziemlich geknickt, einerseits, weil ich meine Lösung sehr gut fand, andererseits, weil ich von einer Führungskraft deutlich kritisiert worden war. Indirekt war es ja auch der Hinweis, dass ich mich um meine operative Arbeitsebene kümmern sollte, statt mir strategische Gedanken zu machen.

Heute weiß ich, dass ich Recht hatte und mein damaliger Bereichsleiter verkehrt unterwegs war. Die Welt ist einfach, und wenn sie es mal nicht ist, dann muss man sie als Mensch eben so lange vereinfachen, bis man sie handhaben kann. Wobei in diesem Zusammenhang das Bild des Hand-habens sehr schön illustriert, das dies auf allen Ebenen gilt.

Physiker entwickeln Modelle, erklären wichtige Phänomene durch Vereinfachung. Kinder sind da noch sehr geübt, es ist geradezu ihre Kernkompetenz, sich ihre Welt und ihr Wissen durch Weglassen unwichtiger Aspekte und Beschränkung auf das Wesentliche zu erschließen. Eine Eigenschaft übrigens, die wir an anderer Stelle bei Kindern bewundern, sie ihnen aber gleichzeitig im Laufe der Schulzeit weg-erziehen.

Und doch: So ganz einfach ist es eben doch nicht. Um Situationen zu bearbeiten oder Entscheidungen im Kontext mehr oder weniger deutlicher Vereinfachungen zu treffen gibt es verschiedene Bedingungen.

Die simpelste Voraussetzung ist eine gewisse Kindlichkeit oder Einfältigkeit. Wenn man die Abhängigkeiten nicht kennt, braucht man sich darüber auch keine Gedanken zu machen.

Alternativ kann man zwar einen gewissen Überblick haben, diesen aber bewusst ignorieren; Man könnte es als mutig bezeichnen, jedenfalls aber als experimentierfreudig.

Oder man besitzt die Fähigkeit, Sachverhalte zu zerlegen, sozusagen in ihre Atome aufzuteilen und auf der Basis dieser Analyse dann den Kern zu behandeln.

Für alle drei Typen finden wir schnell prominente Beispiele um uns herum: Donald Trump, der einfach Zölle verhängt; Elon Musk mit seiner Hartnäckigkeit beim Bau von Raketen; Stephen Hawkings, der das Universum populärwissenschaftlich erklärt.

Es geht also. Lieber Burkhard, die Welt ist so einfach.

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Montag, 29. September 2025

Brauchen wir Äpfel in der Schule?

Brauchen wir Äpfel in der Schule
So wie heute aktiv und kontrovers über Smartphones und Tabletts in Kinderhänden diskutiert wird, hatten wir diese Debatte schon einmal in den 1960er Jahren zum Thema Fernsehen. Eine Fraktion war der Meinung, dass Kinder unbedingt fernsehen sollten. Das neue Bildungsangebot und der Blick in die weite Welt wurden als eklatant wichtig angesehen. Kindern diese Möglichkeiten vorzuenthalten bremste sie in der Entwicklung und würde sich negativ auf die persönliche und später berufliche Entwicklung auswirken.

Andererseits wurden auch kritische Stimmen laut, die das TV als Verblödung brandmarkten, das Flimmern als augenschädlich einstuften und die Zeit vor dem Bildschirm als verlorene Zeit im Sinne jeglicher geistiger Tätigkeit bezeichneten. Diese Kritiker wurden durch das "Bildungsfernsehen" ruhiggestellt und es wurde durch Formate gegengehalten, die Wissensvermittlung und Bildung in den Mittelpunkt stellten.

Im Grunde erleben wir eine ähnliche Situation auch heute. Verkümmern Kinder, wenn sie nicht in den sozialen Netzen mitmischen, ist der Zugang zu Plattformen nicht nur akzeptabel, sondern sogar wünschenswert und schließen wir sie von den Entwicklungen der modernen Welt aus, wenn sie nicht mit iPad und Co in der Schule hantieren dürfen?

Wie gehabt auch hier lautstarke Befürworter einerseits und skeptische Stimmen andererseits. Die Feinmotorik der Hände würde mangels Handschrift nicht trainiert, das Sozialverhalten litte und die Bereitschaft zur Aneignung von Wissen ginge zurück. Daneben auch hier die Überlegungen zu der Belastung der Augen und dem Verkümmern der haptischen Sinnesorgane.

Alles also schon mal dagewesen. Und vermutlich läuft es auch wieder darauf hinaus, dass der Trend zwar nicht aufzuhalten ist, aber mit der Zeit ein gewisses Maß findet, das in einer mittleren Nutzung liegt. Und man wird wieder mal feststellen, dass weder ein totaler Entzug noch ein ungebremster Zugang richtige Ansätze sind. Wichtiger als beim TV ist allerdings die Missbrauchswahrscheinlichkeit wesentlich höher: Die Übel der abzulehnenden Inhalte - seien sie politisch verfärbt, irreführend, gewaltverherrlichend oder ähnlich - sind hier geradezu allgegenwärtig.

Und in Kombination mit dem grundsätzlich verkehrten Eindruck über die Allwissenheit des Internets lernen die Kinder vor allem eins: Sie müssen nicht lernen. Was fatale Folgen nicht nur auf die individuelle persönliche Entwicklung, sondern auch auf die Gesellschaft hat.

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Montag, 22. September 2025

Das Ende der Ehrfurcht

Ich stehe in einer historischen Bibliothek. Ein großer Bau, darin Klassiker der Literatur aus einer Vielzahl an Ländern. Auf Papier fixierte Kultur der Generationen. Buch an Buch, nach irgendwelchen Kriterien geordnet und zum Teil nur mit einer Leiter erreichbar. Unter den Augen des gestrengen Bibliothekars.

Das Ende der Ehrfurcht
Unermessliches Gut, von Tausenden Schriftstellern aufgeschrieben, jeder in seinem eigenen Stil, einem Genre zugeteilt, mal sachlich, mal phantasievoll, mehr oder weniger emotional. Jedes Buch eine eigene Geschichte, nicht nur die in ihr erzählte, auch die des Erzählers. Und dann die Ehre, in diesem Tempel der Kultur eingestellt zu sein.

Doch nicht nur hier. Digitalisiert sind diese Bücher auch in elektronischer Form zu haben. Sie sind in Nullen und Einsen binärisiert worden, haben keine Form und keinen Geruch mehr, keine mehr oder weniger vergängliche Geschichte, keine Einzigartigkeit mit einem Eselsohr auf Seite 70. Uniform, per Mausklick kopierbar, von KI analyiserbar.

Die gesamte Bibliothek, so beeindruckend sie auch hier vor mir liegt, geht in meine Hosentasche. Ein USB-Stick kann alle Inhalte aufnehmen, mehr noch, mit seinem Freund dem Computer kann er sie zusammenfassen, vergleichen, auf Knopfdruck katalogisieren und Bewertungen hinzufügen. Weltweit und ohne Wartezeit.

Und nicht nur die Zeremonie und der Weg vom kreativen Einfall über das Skript, den Verlag und die Veröffentlichung bis zur Aufnahme in dieses Archiv sind heute ganz anders, nämlich kürzer und schneller. Zusätzlich ist auch der Einstieg viel einfacher, jeder kann seinen Computer als Schreibmaschine, seinen Internetbrowser als Einstieg in die Veröffentlichung nutzen. Keine Qualitätssicherung, kein mühsamer Weg auf die Bühne oder in die Bibliothek.

Alles ist einfacher und schneller. Und wie beim Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage resultiert aus dieser Vereinfachung eine Vervielfachung der Produktion. Manchmal habe ich den Eindruck, nahezu jeder Deutsche hat schon mal ein Buch geschrieben, ein Schreibwerk erzeugt, das vielleicht sogar gedruckt und in ein Cover gebunden wird.

Die hohe Anzahl an Neuerscheinungen führt dann letztlich dazu, dass die übersättigten Leser sich auf das konzentrieren, was alle lesen, Bestseller-Listen stehen im Mittelpunkt. Einen kulturellen Wert, der sich aufzuheben und in eine historische Bibliothek aufzunehmen lohnt, muss man wie die Nadel im Heuhaufen suchen.

Während ich noch in der Bibliothek stehe und mir diese Gedanken mache, ist die Sonne fast vollständig untergegangen, in der Dämmerung und der stilvollen Beleuchtung kommen die alten Schätze noch besser zur Geltung. Habe ich hier ein schützenswertes Gut vor mir oder ein langsam verstaubendes Relikt aus einer zu Ende gegangenen Zeit?

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Montag, 15. September 2025

Stichwort Wertschätzung

Ich war jetzt letztlich auf einem kleinen, aber sehr feinen Musikkonzert. Alles war hochwertig, die Musiker konnten mit ihren Instrumenten umgehen, die Texte waren hochwertig geschrieben, das Arrangement und die Technik vom feinsten.

Und doch konnte dieses Ensemble nur eine recht überschaubare Zahl von Zuschauern für sich gewinnen, war selbst der kleine Saal bedauernswert leer. Gemessen am Standard, der tagtäglich im Radio zu hören ist, den wir auf den Megakonzerten präsentiert bekommen und womit die Agenturen fette Gewinne machen, war dies eine herausragende Leistung. Trotzdem waren die Ränge leer, obwohl die Werbung recht deutlich auf die Veranstaltung hingewiesen hatte.

Stichwort Wertschätzung
Ein wichtiger Grund ist der Schneeball-Effekt. Wenn eine Band erst mal einen gewissen Namen hat kommen Zuschauer, die weitere Zuschauer mitbringen, was zu Buchungen in größeren Hallen und damit größerer Sichtbarkeit führt. Und eine Formation, die vor ausverkauften Stadien auftritt, muss ja gut sein, da „geht man hin“.

Und zweitens spielen dann zunehmend die gegenseitigen Empfehlungen eine Rolle. Vorgruppe der Scorpions zu sein ist als solches schon ein Ritterschlag. Im Fernsehen bei irgendwelchen Talkshows von Prominenten erwähnt zu werden ist mehr wert als ein Plakat an der Bushaltestelle von Georgsmarienhütte.

Die Empfehlung eines Formel-1-Fahrers wiegt dann mehr als die Aussage eines Musikkenners, ein hübscher und authentischer Influencer kann seine Anhänger stärker in Bewegung setzen als eine Erwähnung im Literarischen Quartett.

Wertschätzung für den Auftritt, für ein Angebot, ein Kunstprodukt bemisst sich damit bei weitem nicht nur an der eigentlichen Qualität. Es ist auch eine Frage des Preises (was nichts kostet ist auch nichts), der Knappheit (Karten schnell ausverkauft), der Konkurrenz (mein Freund leistet sich das) und der Empfehlung (wenn Lothar Matthäus das sagt).

Fazit: Man kann mit dem Strom mitschwimmen und gemeinsam mit der Mehrheit wunderbare Veranstaltungen erleben. Aber wie bei Marius Müller Westernhagen zu hören ist: „Gold find man bekanntlich im Dreck, und Straßen sind aus Dreck gebaut“. Einen Wert zu schätzen erfordert manchmal etwas mehr als nur dem Getöse der Influencer zu lauschen oder sich von Bekannten einen Floh ins Ohr setzen zu lassen. Augen und Ohren auf, Wertschätzung ist eine sehr individuelle Leistung, und zwar sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Abnehmerseite.

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Montag, 8. September 2025

Das Kölner Grundgesetz (9..11)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Das Kölner Grundgesetz 9..11

Werfen wir abschließend noch mal einen Blick hinter die lustigen Aussagen und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation. Zur Abrundung gibt es eine kurze Ableitung, die sich aus den elf Artikeln ergibt. (-> Artikel 1..4, -> Artikel 5..8)

Artikel 9: Wat soll dä Kwatsch?

Das mehr oder weniger heimliche Infragestellen von Vorgaben und der unauffällige Widerstand sind passive Element der Kölner Seele. Römer, Franzosen, Preußen oder auch Nazis: Alle waren mal in Köln und sind auch wieder verschwunden. Alles Kwatsch, der Kölner nur in ihrer Ruhe stört und durch das Einziehen des Kopfes überstanden wird.

Dinge in Frage zu stellen, nach dem Sinn von Anweisungen zu forschen und im Grunde erst mal abzulehnen, führt zu einer gewissen hartnäckig -konservativen Grundhaltung, die allerdings durch die Erkenntnis „Jede Jeck is anders“ liberal ausgelebt wird.

Nicht überraschend kommt man andererseits auch nicht voran, wenn man alles Ungewohnte leichtfertig als Kwatsch bezeichnet und alles Unbekannte in Frage stellt. Wer in einem solchen Umfeld Impulse setzen will, sieht sich erst mal in Erklärungsnot, muss begründen, welches Ziel dieser oder jener Antritt verfolgt. Neben der erwarteten Begründung ist dabei insbesondere der initial ablehnende Standpunkt ausgesprochen hinderlich.

Die grundsätzlich richtige Frage nach dem „Warum“ kippt in Artikel 9 leicht in ein Werkzeug, mit dem man sich in der Komfortzone verankern kann.

Artikel 10: Drinks de ejne met?

Nicht ohne Grund gibt es in Köln eine Vielzahl an Brauereien und Biersorten. Das Obergärige ist Teil der Kultur und wird unaufgeregt mit dem Umfeld geteilt. Dabei erfüllt es verschiedene Funktionen, sei es als Eisbrecher beim Kontaktaufbau, als anregendes Alkoholgetränk oder zur Gruppendefinition, wenn für eine Gesellschaft ein gemeinsamer „Deckel“ herhält.

Unbürokratische Einladung zu einem Glas, das Angebot ins Gespräch zu kommen und ohne große Hürde zumindest temporär Teil der Gemeinschaft zu sein, gehört kulturell zusammen. Wer in der Nähe sitzt, muss sich um Kontakt nicht unbedingt bemühen.

Dieser einfachen Form der Integration steht natürlich auch eine gewisse Unverbindlichkeit zur Seite. Ein Kölsch miteinander zu trinken bedeutet keine tiefe Freundschaft, auch wenn man sich schnell über persönliche Themen unterhält. Schnell rein kann durchaus auch schnell weiter bedeuten, ermöglicht aber auch das Knüpfen von zahlreichen Kontakten.

Vernetzung ist das Stichwort, das man im geschäftlichen Umfeld hierfür verwendet. Mit jedem mal ein Kölsch trinken, über das sprechen, was einen beruflich oder privat bewegt und vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, ist elementare Basis für den sprichwörtlichen Kölner Klüngel.

Dabei sind Seilschaften, Lobbys oder Clubs und Vereine auch anderswo absolut gängig. Nur, dass sie in Köln weniger formal sind, sondern eher allgegenwärtig. Kein Wimpel, keine Mitgliedschaft, einfach ein Thekenbruder.

Artikel 11: Do laachs de disch kapott.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Kopfschüttelnd über die Welt, die Umgebung oder auch sich selbst. Humor wird hier eingesetzt als Mittel, um das Leben leichter anzugehen, Kritik oder Konfrontation durch ein Lachen zu ersticken.

Warum sollte ich mich auflehnen, wenn ich es durch ein Lachen abtun kann. Energieschonend und so doppeldeutig, dass man mir nicht vorwerfen kann, dass ich die Untertänigkeit verweigere oder mich in die Untätigkeit zurückziehe.

Daneben ist das Lachen aber auch eine Form, sich von Dingen zu distanzieren. Wenn ich über Sachverhalte oder Mitmenschen nur lache, dann nehme ich sie nicht ernst. „Lass sie machen, darüber lache ich mich kaputt“ ist auch ein Weg, um sich erst gar nicht damit zu beschäftigen.

Ist eine Situation verfahren, dann kann ein fröhliches Lachen die Stimmung wieder entspannen. Oder auch aufheizen, wenn ich durch einen Lachanfall demonstriere, dass mir die ganze Szene lachhaft erscheint. Die Formulierung von Artikel 11 ist so zu verstehen, dass man dabei den Kopf schüttelt und eine Beschreibung anhängt (im Sinne von „stell dir vor…“), die die Kritik konkretisiert oder etwas ins Lächerliche zieht (im Sinne von „das darf doch nicht wahr sein...“).

Ableitung

Ein wichtiger Komplex der kölner Seele ergibt sich erst als Ableitung aus den elf Artikeln. Wir finden in den Aussagen „Levve un levve losse“, „Jede Jeck is anders“ und „Wemm et jefällt…“ die liberale Grundhaltung, die in der Kultur verankert ist. Dabei steckt in dem ersten Sinnspruch ein wenig des savoir vivre, das die Franzosen hinterlassen haben.

Überhaupt wird die Offenheit für Anderssein primär aus der Bequemlichkeit gespeist, sich das eigene Leben nicht stören zu lassen. Warum sollte ich etwas gegen Homosexuelle haben, wenn sie mich nicht in meiner Gestaltung stören. Und andere Religionen sind mir im Grunde ähnlich unwichtig wie das eigene „hillije Kölle“, in dem ich mit Regelmäßigkeit kritisch mit dem Bischof aneinander gerate.

Diese zentrale Unstörbarkeit der Ruhe resultiert natürlich in einer massiven Schwierigkeit, solche Menschen zu steuern. Wer Drohungen nur soweit ernst nimmt, wie er nicht dramatisch in seiner Lebensgestaltung gestört wird, der beschleunigt den Schritt nur, wenn er selbst das möchte. Zum Beispiel beim Christopher Street Day, den die Kölner sofort als Modifikation von Fastelovend verstanden und in ihr Kulturgut aufgenommen haben.

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