Dienstag, 21. April 2020

Trümmerfrauen


Ein Blick zurück auf die letzten hundert Jahre. Wir sind ein Volk der Dichter und Denker, der Hausmeister und Be-Lehrer, Führer und Verführer.
Wir sind ein Volk der Selbstbedauerer und Jammerlappen, aber wir haben auch das German Wirtschaftswunder hingelegt. Dreh- und Angelpunkt waren die Trümmerfrauen. Nachdem alles am Boden war, haben sie zäh und unermüdlich den Wiederaufbau vorangetrieben. Nicht alle waren fleißig, aber die Masse macht es und insgesamt ist ein international anerkannter Neubeginn geglückt.

Vor uns liegt kein Kriegsende, die Corona-Pandemie hat auch nicht alles zu Boden geworfen. Aber wir können uns ein Beispiel an den Trümmerfrauen nehmen. Nicht jammern und nach Staatshilfen verlangen (die gab es damals auch nicht), sondern auf einzigartige Weise in den Wiederaufbau einsteigen.
Vieles wird kaputt sein, manches war vorher schon marode, anderes eigentlich Intakte kollateral dem großen Bangen zum Opfer gefallen. Aber das feste Vertrauen in unsere grundsoliden Werte und die Fähigkeiten der Wirtschaft lassen die Vermutung zu, dass wir nicht nur ein Happy End, sondern sogar eine Steigerung gegenüber der Situation vor der Epidemie hinlegen können.

Hatten die Trümmerfrauen wirklich so viel Mut, wie manchmal behauptet wird? Oder war es Verzweiflung? Oder schlicht die Erkenntnis, dass es weitergehen muss, wenn es weitergehen soll? Ich denke, in jedem von uns sollte jetzt eine Trümmerfrau stecken.

Dienstag, 7. April 2020

Na, das geht doch


Ich glaub’s ja nicht. Da schreibt doch wirklich ein Bereichsleiter, dass er jetzt zum Spieleabend mit der Familie kommt. Bravo! Jemand, der ausspricht, was viele nur hinter vorgehaltener Hand murmeln oder nicht zugeben. Dass sie durch die gegenwärtige Situation „entschleunigt“ werden. Dass sie Zeit für den Hund haben. Mal wieder ein Buch lesen. Alte Bekannte anrufen.

Ehrlich: Mir hat die Phantasie gefehlt, dass ich mal wieder ohne Schubsen und Rammen durch den Aldi komme. Und trotzdem kaufen die Leute ein. Wo sind denn auf einmal die Menschenmengen, die vor den Kassen Schlange standen?

Die Straßen sind auf einmal leer. Jahrzehntelang haben wir gebetsmühlenartig behauptet, wir bräuchten mehr Verkehrswege, der Individualverkehr sei das Rückgrat der modernen Gesellschaft. Pustekuchen.

Ein besonderes Phänomen sind auch die leeren Wartezimmer niedergelassener Ärzte – auf einmal scheinen die Menschen gesunder zu sein. Wie schön, dass wir vielleicht anstelle des häufig kolportierten Angebotsproblems ein Nachfrageproblem haben.

„Ich sterbe an Langeweile“ – Nein, keine Bange, der Zustand geht vorbei und so schnell stirbt kein Mensch. Jetzt ist Zeit für Initiative, Phantasie und Spaß jenseits der extrinsischen Unterhaltung.

In jeder Krise steckt eine Chance – Ganz recht, liebe Therapeuten und Unternehmensberater. Was euch mit langen Sitzungen für viel Geld nicht gelingt, schafft ein klitzekleines Virus (ganz kostenlos).

Stimmt’s? Die Natur ist der beste, leider auch der erbarmungsloseste Lehrer. Man kann nicht mit ihr diskutieren, aber die Menschheit ist so alt, weil sie so anpassungsfähig ist.

In diesem Sinne: Es geht (eben) doch!

Freitag, 3. April 2020

Der Dieter Bohlen Effekt


Ein probates Mittel, um sein Leben zu steuern, ist die Orientierung an anderen Menschen. Das können Idole sein oder einfach nur Vorbilder. Grundsätzlich ist dies ein guter Weg. Die Menschheit entwickelt sich durch ihr herausragendes Lernverhalten besser als andere Tiere. Wir übernehmen zunächst viele Erfahrungen von den Eltern, danach suchen oder bekommen wir andere Lehrer.

Dummerweise kommt uns an dieser Stelle der „Dieter-Bohlen-Effekt“ in die Quere. Ich nenne das Phänomen mal so, auch wenn es bei vielen anderen erfolgreichen Zeitgenossen ebenso zu beobachten ist.

Kaum hat jemand viele Schallplatten verkauft, meint er, er könne beurteilen, was Schallplattenverkauf erfolgreich macht. Grundverkehrt. Im Grunde kann er noch nicht einmal beurteilen, warum bei ihm (!) der Schallplattenverkauf so gut funktioniert hat. Er meint nur, dass er es kann, denn er schätzt irgendwelche ihm bewussten Faktoren als die relevanten Punkte ein. Tatsächlich sieht er aber nur einen Teil.
Für den Erfolg sind nämlich nicht nur die musikalische Komposition und das Treffen des aktuellen Geschmackes entscheidend, sondern auch eine Vielzahl zum Teil unsichtbarer Faktoren. Auftreten, wohlgesonnene Bekannte, nicht ersichtliche Seilschaften, „richtige“ Einschätzung oder die Kommunikation mit den eigentlichen Entscheidungsträgern spielen meist die größere Rolle.

Folglich ist es ein Irrglaube, wenn Dieter Bohlen nun meint, er könne in einer Jury darüber entscheiden, wer musikalisches Talent besitzt und im Musikgeschäft erfolgreich ist. Er schaut aus seinen Augen und projiziert – unzulässig – seine Lebenserfahrung auf Andere. Tatsächlich stimmt hier die Selbsteinschätzung nicht und die Ernennung zum Richter ist eine Form der Anmaßung.
Das gilt natürlich auch für andere Lichtgestalten. Sie haben einen erfolgreichen Lebensweg hinter sich und geben ihre subjektiven Erfahrungen als allgemeingültige Ratschläge an Mitmenschen weiter.

(1) Das Erfolgsrezept des Einen ist nur eingeschränkt auf einen anderen übertragbar. Unscheinbare Randbedingungen spielen eine mindestens ebenso große Rolle.
(2) Was heißt hier erfolgreich? Die einzige belastbare Definition von Erfolg kommt aus der philosophischen Betrachtung und bedeutet dort die Erreichung von Glück. Kann man nach Verkauf einer gewissen Anzahl Schallplatten zwingend von Erfolg im Leben sprechen? Was ist beispielsweise mit Wegbegleitern wie Teamkollegen oder Ehepartnern?
Der Erfolg ist anerkennenswert, aber entspricht er überhaupt (und gegebenenfalls sogar bedingungslos) meinem Ziel?
(3) Elementar ist die Analyse, welches die Randbedingungen sind oder waren. Und ob man nicht vielleicht für sich eine Qualität in den Mittelpunkt stellt, die für das eigene Leben nur ein Nebenkriegs-Schauplatz ist.