Montag, 26. September 2022

Die Lust am Umweg

Irgendwo auf dem Weg vor mir wird laut Verkehrsfunk ein Stau angekündigt. Bis zu seinem Ende ist noch ein ganzes Stück zu fahren, aber schon jetzt beginnt die Planung der Umfahrung. Sollte man nicht lieber jetzt schon auf die Landstraße ausweichen, wer weiß, ob der Stau inzwischen länger geworden ist. Ein Blick auf das Navi macht klar, dass Stand aktueller Datenlage der Verbleib auf der Autobahn der zeitlich kürzere Fahrweg ist. Dennoch kommen mir Zweifel, wie schnell kann sich der Stillstand verlängern, nein, der sicherere weil planbarere Weg ist über die Landstraße.

Lust am Umweg
Was natürlich falsch ist. Im Gegensatz zu mir kennt das Navi die Länge der Ausweichroute und kann anhand seiner Daten gut abschätzen, wie lange ich durch das Mäandern der Straße und den Aufenthalten vor Ampeln aufgehalten werde. Allein: Ich stehe nicht hilflos in einer Warteschlange, abgesehen von Kreuzungen und Ampeln bin ich die ganze Zeit in Bewegung. Und allein dies führt zu einem Gefühl des besseren Vorankommens.

Operative Geschäftigkeit führt zum Irrglauben, dass wir zügiger ans Ziel kommen als auf kurzer Strecke vorübergehend anhalten und warten zu müssen. Eigentlich egal, sagen wir uns und selbst wenn wir in Übereinstimmung mit der Vorhersage des Navigationsgerätes durch die Landstraßenfahrt später ankommen als mal kurz im Stau zu stehen sind wir immer noch überzeugt, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Wie an so vielen Stellen, ist uns auch hier unser Denkapparat wenig nützlich gewesen. Gaukelt er uns mit allerlei vorgeschobenen Argumenten vor, alles richtig gemacht zu haben. Was letztlich dazu führt, dass wir auch bei der nächsten Gelegenheit wieder frühzeitig auf die Landstraße ausweichen und die längere Strecke billigend in Kauf nehmen.

[Weitere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 19. September 2022

Ein Modell ist ein Modell ist ein Modell

Im Laufe der Jahre habe ich ein Vielzahl von Seminaren besucht und an vielen Schulungen zur Entwicklung von Softskills teilgenommen. Das ist ein Segen, so hatte ich Gelegenheit, eine ganze Reihe verschiedener Typologien kennenzulernen. Oft ergab sich auch eine Nachbetrachtung, vertiefte Recherche in OCEAN, Belbin, Insights Discovery und Astrologie, um nur mal ein paar der Ansätze zu erwähnen.

Modell im Blog By Dr.-G. Eckhard Gleitsmann
Jedes dieser Modelle hat seine Berechtigung, erklärt es doch gewisse Phänomene in ausgewählten Systemen. Gemäß Definition ist ein Modell ein vereinfachtes Abbild der Wirklichkeit, und dient dazu, die Anzahl betrachteter Parameter auf ein handhabbares Maß zu reduzieren. Der Vereinfachung zu Liebe wird auf Details verzichtet und man konzentriert sich im Wesentlichen auf die Anwendbarkeit bei der Mehrzahl der Fälle.

Diese immanente Eigenschaft von Modellen führt dazu, dass eher exotische (nicht „normale“) Systeme nicht richtig beschrieben werden. In der Physik kann die Vernachlässigung von Potenzen höherer Ordnung auftretendes Schwingungsverhalten kaschieren, was fatale Folgen haben kann. Andererseits ist die Vorstellung von elektrischem Strom als fließendes Wasser sehr anschaulich und selbst in recht aufwändigen Aufbauten eine gute Visualisierung.

Ob nun im konkreten Fall hilfreich oder im Gegenteil irreführend – jedes Modell hat eben seine Grenzen, kann manche Phänomene in gewissen Systemen vorstellbar machen oder sogar erklären; für andere Phänomene oder Anwendung in ungeeigneten Fällen ist es aber unbrauchbar. Das alleine ist noch keine bahnbrechende Erkenntnis, wäre da nicht der weitverbreitete Antritt der Lehrer, eben diese Modellgrenzen zu ignorieren.

Von ihrem Modell überzeugt – warum auch immer – wenden sie es mit Gewalt auch in Fällen an, die bei sorgfältigem Studium der Prämisse ausgeschlossen werden sollten. Und erhalten natürlich auch dafür (falsche) Ergebnisse, die sie mit dem Brustton der Überzeugung vertreten.

Arbeit mit Modellen ist unvermeidlich, aber äußerste Vorsicht ist gerade auch bei Typologien und Persönlichkeitsmodellen geboten. Aus eigener Erfahrung kann ich alle mir bekannten Modelle in drei Gruppen einteilen. Da sind zum einen die, die auf mich schlichtweg nicht oder nur mit Zugeständnissen anwendbar sind. Zweitens die Kategorisierungen, die mehr oder weniger passen, aber nur einen zu kleinen Ausschnitt meiner Persönlichkeit erfassen und damit der Komplexität nicht gerecht werden. Und drittens dann die für mich geeigneten, die vielleicht sogar über ihre eigene Modellgrenze hinweg Einsichten verschaffen.

Wobei die Zuordnung in diese drei Gruppen ganz individuell ist. Entsprechend gibt es kein besonders gutes oder schlechtes Modell oder gar eines, dass ich jedem empfehlen könnte. Damit bin ich wieder am Anfang dieser Gedanken, es ist leider unvermeidbar, dass man (sofern es einen interessiert) eine Vielzahl von Modellen kennenlernt, sich selbst ein Bild über die Nützlichkeit macht und sie als Kür für den konkreten Anwendungsfall geschickt miteinander kombiniert.


Montag, 12. September 2022

Tradition ist ein unpassendes Argument

Irgendwie finde ich es drollig, wenn meine Altersgenossen sich Gedanken machen, wie sie die jungen Erwachsenen „abholen“ können. Da kramen sie aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz Begriffe hervor, die für Jugendliche entweder unbekannt sind oder mittlerweile eine andere Bedeutung haben. Dieser Antritt ist ein wenig deplatziert, aber so richtig unpassend wird es beim Verweis auf Tradition.

Tradition hat etwas mit Erhaltung von Werten zu tun, da geht es um die Wiederholung von Riten oder Beibehaltung von Gewohntem. Und genau das ist das Gegenteil von Pubertät. In dieser aufwühlenden Lebensphase geht es darum, Neues zu schaffen, sich gegen die etablierten Abläufe aufzulehnen, einen eigenen und vermeintlich besseren Weg zu gehen. Die Kinder wollen Alternativen erfahren, es anders machen als ihre Vorfahren und sind so betrachtet die leibhaftige Opposition.

Diese Zielgruppe mit dem Verweis auf Althergebrachtes zufrieden zu stellen, die positiven Erfahrungen der Vergangenheit („Vertrauen“) in den Mittelpunkt zu rücken ist damit ganz offensichtlich der falsche Ansatz. Bestärkung in ihrer selbstverordneten Revolution, äußerlich entrüstetes Begleiten des Aufbegehrens und zähneknirschende Akzeptanz der modernen Anforderungen passen da viel eher.

Selbstredend würde Mitgefühl oder allzu leichtes Eingehen auf die Änderungen zu Misstrauen führen: Es ist Teil des Systems, dass Ältere die Jüngeren nicht verstehen können. Der Widerstand gegen die Änderungen muss also für alle Beteiligten erfahrbar sein. Was aber auch inhaltlich seine Berechtigung hat, denn natürlich ist es in der Sache weder sinnvoll, die Evolution durch eine Revolution zu ersetzen, noch jegliche Evolution zu unterbinden.

Montag, 5. September 2022

Schwupps wird aus Holschuld Bringschuld

Ganz harmlos liegt da eine nette E-Mail in meinem Postfach. Privatpost lese ich immer gerne, da erfahre ich von guten Freunden wie es ihnen geht, was sie gerade machen oder planen. Oder sie fragen nach Rat, geben mir Tipps, verraten kleine Geheimnisse.

So auch in diesem Fall ein nettes Lebenszeichen, freundliche Worte über zig Zeilen hinweg. Fast lasse ich mich einlullen, doch dann am Ende des Briefes der Pferdefuß: „Halt mich bitte auf dem Laufenden“. Was zunächst unscheinbar klingt ist ein Auftrag, mehr noch, hier wird aus einer Holschuld („Ich rufe dich nächste Woche mal an und frage, wie es weitergegangen ist“) eine Bringschuld. Die man in diesem Fall noch nicht mal abweisen kann, kommt sie doch in der Verkleidung des wohlmeinenden Interesses daher.

Doch wie auch immer man es verpackt, plötzlich habe ich eine Aufgabe mehr, muss vielleicht sogar explizit einen Merker setzen, um mir den Vorwurf des Vergessens zu ersparen. Und so kommt zum Meistern der eigentlichen Situation noch ein weiteres Todo dazu.

Im beruflichen Umfeld sind wir es ja gewohnt, die Vorgesetzten wollen über Entwicklungen informiert gehalten werden, gelegentlich ist es Teil der Führung, je nach Gegebenheit auch in Form von formalen Statusmeldungen oder Reports. Eigentlich sollte man im Privatleben ohne solche Instrumente miteinander umgehen, aber heimlich wird einem hier wie da eine Aufgabe untergeschoben.