Montag, 30. Januar 2023

Fernsehen und Nahsehen

Fernsehen und Nahsehen
Kaum auf der Welt können wir schon sehen und die Welt um uns mit den Augen wahrnehmen. Allerdings hapert es am Anfang noch ein wenig mit dem Schärfebereich und es dauert rund acht Monate, bis Säuglinge ähnlich schauen können wie ein Erwachsener.
Apropos Erwachsener: Der Bereich, in dem wir scharf sehen, also von Leseentfernung bis Fernsicht, nimmt im Laufe des Alters ab. Meistens leidet insbesondere die gute Sicht bei geringer Entfernung und muss durch eine Lesebrille ausgeglichen werden.

Aber nicht nur das eigentliche Sehen ist altersabhängig. Überhaupt nehmen wir unser Umfeld im Laufe des fortschreitenden Lebens unterschiedlich deutlich wahr. Was in der Nähe ist, gute Freunde, Partner und Familie, Arbeitskollegen, Wohnung und Umgebung, das ist irgendwann einfach nur noch da, wir achten kaum noch darauf, man könnte fast sagen, die Wahrnehmung in der Nähe wird zunehmend unscharf. 

Die Sehn-sucht allerdings bleibt. Dann meint man nur in einer tolleren Wohnung glücklich werden zu können, erkundet Landschaften in fremden Ländern, belustigt sich mit allerlei Drogen oder geht Affären ein. Wobei man menschlich bedingt die Qualitäten des Nahfeldes gar nicht zu schätzen weiß. Wer kennt schon die spannenden Winkel oder Sehenswürdigkeiten der umliegenden Städte, genießt die kulturelle Vielfalt der Nachbarn oder betrachtet seinen Partner als begehrenswertes Objekt für einen One-Night-Stand?

Augen auf also, der Blick schweift oft in die Ferne, obwohl es auch in der Nähe sehr betrachtenswerte Dinge gibt. Gemäß dem Sprichwort „wozu in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?“ lohnt es sich, den Fernseher mal durch den Nahseher zu ersetzen.

Montag, 23. Januar 2023

Vorne und hinten sind noch ein paar Plätze frei

Irgendwer oder –was hat mich geritten, jedenfalls sitze ich in einem leidlich komfortablen Reisebus und lasse mich zu einem kleinen Hotel in der Nähe von Nürnberg kutschieren. Das Angebot eines lokalen Busunternehmens war einfach verlockend, eine spontane Auszeit willkommen.

Mein Blick schweift durch den Innenraum, vor mir ein paar ältere Fahrgäste, vorwiegend Paare. Und direkt hinter mir unüberhörbar angeheitert ein paar Freundinnen mit Ziel Wellness-Wochenende im Grünen. Ich drehe mich um und sehe am hinteren Busende auf der Rücksitzbank ein paar Männer mittleren Alters, Baseballkappe, gut gelaunt. Ganz vorne links der Busfahrer, daneben der Reiseleiter (vom Typ her ein wenig steif).

Vorne und hinten sind noch ein paar Plätze frei
Wo möchte ich sitzen, also ich meine, wenn ich freie Wahl hätte? Den Kurs festlegen und halten kann nur einer, nämlich die Person am Lenkrad. Das ist schon verlockend, ich habe bezüglich der Route die Gewalt über den gesamten Bus und seine Insassen. Oder doch lieber der beifahrende Berater, sehr ruhig, aber die graue Eminenz hinsichtlich guter Routenplanung.
Vordere Mitte: Da bekommt man die Überlegungen von Fahrer und Reiseleiter mit, kann vielleicht auch hier und da seine Sicht der Dinge und Kenntnis der Strecke mit einbringen. Dahinter dann der  Genuss des Einfach-nur-mitreisens. Lesezone, Gedanken sind nicht bei der Fahrt, sondern möglicherweise bei ganz anderen Themen. Um den Kurs kümmert sich ja der vordere Teil des Busses, hier ist Raum für das Abtauchen in Gedankenwelten – da stimmt die Tour-Think-Balance.
Ein paar Sitzreihen hinter mir beginnt sozusagen die Partyzone. Life is for living, hier interessiert nicht der Ausflug, auch nicht das Buch in der Hand, sondern nur das Sektchen im Glas und das prickelnde Gefühl im Bauch. Irgendwohin wird der Bus schon fahren und ebendort wird es auch irgendwie lustig sein, notfalls trinken wir uns das schön.
Und Stammplatz ganz hinten? Ein Leben lang auf der „Affenschaukel“, die anderen Menschen von hinten sehen, mitbewegt werden ohne echte Verantwortung. Begleitet von einer gewissen Unzufriedenheit, einem passiven Ertragen der Reise, kein motivierendes Ziel, kein Interesse irgendetwas die bloße Mitreise hinweg zu bewerkstelligen.

Tatsache ist natürlich, dass viele Plätze schon besetzt sind. Ich kann nicht einfach den Busfahrer ablösen, auch der Platz des Copiloten ist im Moment nicht frei. Andererseits kann ich mich mal umschauen, ein Platz weiter vorne oder etwas weiter hinten ist vielleicht noch zu haben – ich justiere mein Leben und mein Umfeld nach meinen Neigungen. Oder schaue vorher, wer beim Wechsel neben mir sitzt. Eine weniger attraktive Position kann durch eine nette Nachbarin merklich aufgewertet werden und die Nähe zur Boardküche könnte ja durchaus auch eine Rolle spielen.
Nur ganz hinten, nein, da möchte ich durchaus nicht landen. Obwohl dort zu meiner Überraschung nicht nur gescheiterte Existenzen sitzen, sondern auch abgehalfterte Führungskräfte und desillusionierte Mitfünfziger. „Freunde“, möchte ich diesen Passagieren zurufen, „wir fahren noch, sitzen alle im selben Bus und am Zielort gibt es die Möglichkeit durchzustarten – wenn ihr wollt.“

Sonntag, 15. Januar 2023

Früher war alles besser - oder auch nicht (Teil 3)

Von Zeit zu Zeit steigert man sich in nostalgische Rückblicke. Da erscheint die Jugend als goldene Ära, das Studium als lockeres Studentenleben und die ersten Jahre im Beruf als spannend.

Früher war alles besser oder auch nicht Teil 3
Es gab nicht so einen Schnickschnack wie Mindestlohn. Wer ordentlich arbeitete, konnte sich schon immer von der Pike aus hochdienen, Lehrjahre waren keine Herrenjahre. Und wenn es bei Unterbezahlung blieb, dann hatte man persönlich etwas falsch gemacht.

Dieses schnarrende Geräusch, wenn der Nadeldrucker sein Werk vollbrachte. Diese sorgfältige Planung der Druckarbeit, denn in Ruhezeiten war es natürlich tabu, das Gerät zu betreiben. Das strukturierte den Tag in die Erarbeitung der Texte und in die Phasen, in denen man sie zu Papier bringen konnte – nicht einfach so drauflos wie heute.

Postschalter mit Rollladen. Briefmarken kaufen, Pakete abholen – endlich aus dem Haus kommen. Und diese herrlichen Warteschlangen, in denen man mit wildfremden Menschen ins Gespräch kam. Und mit etwas Glück konnte man sein Paket auch noch vor dem Beginn der Mittagspause des muffligen Postbeamten abgeben.

Früher gab es noch ordentliche Schutzlacke, nicht diesen geruchsarmen Kram mit Umweltplakette und Verträglichkeitssiegel. Das bisschen Ausschlag ging doch immer schnell wieder weg und ich kenne niemand, der davon wirklich Schäden abbekommen hätte.

Fast hätte ich das Einkaufserlebnis im Herrenoberbekleidungsfachgeschäft vergessen. Da saß jede Hose und wenn nicht musste man eben hineinwachsen. Anpassungen an die eigene misslungene Körperform wurden höchst widerwillig vorgenommen, man tat gut daran, den Laden nur in Konfektionsgröße zu betreten. Das war Motivation für die Arbeit am eigenen Körper.

Vorarbeit am Körper war aber auch sehr empfehlenswert, wenn man in einem Hotel nächtigen wollte. Schließlich waren die Matratzen schon von vielen Vorgängerinnen und Vorgängern genutzt worden und hatten entsprechend eine eigene Form bekommen. Der Sprungfederrahmen ächzte unüberhörbar, vielleicht wurde man so auch Fan der Kopulationsgeräusche aus dem Nebenzimmer.

Vom Hotel aus ging es auf Wanderung, bei Regen gerne im Poncho aus einer wasserdichten Folie. Ohne alberne Klimamembranen hatte man die Wahl, ob man lieber von innen oder von außen nass werden wollte. Und konnte sich auf das lauwarme Wasser unter der Etagendusche freuen.

War das nicht alles wundervoll, ach, ich bekomme ganz glänzende Augen bei diesen Gedanken. Ein paar goldene Erinnerungen, schön war sie, die Zeit damals.


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Montag, 9. Januar 2023

Früher war alles besser - oder auch nicht (Teil 2)

Von Zeit zu Zeit steigert man sich in nostalgische Rückblicke. Da erscheint die Jugend als goldene Ära, das Studium ein lockeres Studentenleben und die ersten Jahre im Beruf noch spannend.

Früher war alles besser oder auch nicht Teil 2
Produkte aus dem Ausland waren eine Seltenheit, vielleicht hatte ein Händler einen Lieferanten in Italien, zu dem er gelegentlich fuhr, um Einzelstücke im Kofferraum nach Deutschland zu importieren. Da hieß es den Kaufmann zu bestechen, mit ihm auf guten Fuß zu stehen, sonst bekam der Nachbar das begehrte Unikat. Einkaufen als Erlebnis, nicht diese einfallslosen Amazons dieser Welt, Mausklick und fertig ist die Bestellung in China oder Polen, in wenigen Tagen ins Haus geliefert.

Dagegen verblassen natürlich die erotischen Erlebnisse auf der durchgesessenen Rücksitzbank eines Ford Capri. Zweifellos war das ausgesprochen gemütlich und hatte den Charme einer Übernachtung auf dem Zeltplatz, wenn man mit Kopfschmerzen aufwacht und alle Frühaufsteher schon gute Laune verbreiten.

Übrigens hatte der Ford eine ganz eigene Straßenlage, je nach Wetterbedingungen musste man schon recht fahrtüchtig sein, um ihn zu bändigen. Diese lästigen Helferlein wie ABS und Co gab es nicht und mangels Airbag endeten nicht wenige Unfälle mit schwersten Verletzungen oder Tod. Diese natürliche Auslese fehlt uns heute, auch fahrtechnische Legastheniker können alt werden.

Romantische Erinnerungen verbinde ich auch mit Zügen. Zugegeben war der Schienenverkehr nicht ganz so aufregend wie heute, es gab weniger Züge und die waren weitgehend pünktlich. Für die Fahrt musste man zum Bahnhof an den Schalter (werktags geöffnet) und eine Fahrkarte lösen. War es weiter als in die Stadt musste der Beamte sein dickes Kursbuch herausholen und die Verbindung mit viel Aufwand ausknobeln. In vielen Fällen stellte er sogar eine gute Route zusammen, rechnete die Streckenkilometer zusammen und verkaufte dann ein Billet. Wir hätten das Angebot, die Fahrt jederzeit von zu Hause aus zu planen und zu bezahlen gar nicht gewollt.

Von kostenlosem Streaming, Audio in CD-Qualität und Konservierung auf klitzekleinen Speichersticks bin ich total überfordert. Das waren noch Zeiten, als man Musik recht teuer kaufen und die erworbene Vinylscheibe wie ein rohes Ei behandeln musste. Die Geheimwaffe war der Kassettenrekorder, eine ganze LP pro Seite mit Dolby-Rauschunterdrückung inklusive Bandsalat. Oder aus dem Radio mehr oder weniger verrauscht aufgenommen und immer unter Anspannung, ob der Moderator in die Musik hineinredet.

Im Fernsehen ging das so weiterging, neben dem Ersten und Zweiten gab es noch ein drittes Programm, ganz Glückliche mit großer Antenne auf dem Dach schauten noch ein paar weitere Sender. Alles je nach Wetter auch schon mal mit Schneeflocken im Bild auf dem kleinen Röhrenbildschirm. Kurz nach Mitternacht war Sendeschluss, entweder ging man ins Bett oder las ein Buch, aber die Glotze war tot.

Überweisungen förderten Kaligraphen. Jeder Buchstabe und jede Zahl hatte ihr eigenes Kästchen, und bitte so ausfüllen, dass der Bankangestellte (später der Automat) die Angaben auch lesen konnte. Und wer mehrere Überweisungen ausfüllen musste, der übte die Schönschrift auch gleich sorgfältig ein.

War das nicht alles wundervoll, ach, ich bekomme ganz glänzende Augen bei diesen Gedanken. Ein paar goldene Erinnerungen, schön war sie, die Zeit damals.

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