Irgendwer oder –was hat mich geritten, jedenfalls sitze ich in einem leidlich komfortablen Reisebus und lasse mich zu einem kleinen Hotel in der Nähe von Nürnberg kutschieren. Das Angebot eines lokalen Busunternehmens war einfach verlockend, eine spontane Auszeit willkommen.
Mein Blick schweift durch den Innenraum, vor mir ein paar ältere Fahrgäste, vorwiegend Paare. Und direkt hinter mir unüberhörbar angeheitert ein paar Freundinnen mit Ziel Wellness-Wochenende im Grünen. Ich drehe mich um und sehe am hinteren Busende auf der Rücksitzbank ein paar Männer mittleren Alters, Baseballkappe, gut gelaunt. Ganz vorne links der Busfahrer, daneben der Reiseleiter (vom Typ her ein wenig steif).
Wo möchte ich sitzen, also ich meine, wenn ich freie Wahl hätte? Den Kurs festlegen und halten kann nur einer, nämlich die Person am Lenkrad. Das ist schon verlockend, ich habe bezüglich der Route die Gewalt über den gesamten Bus und seine Insassen. Oder doch lieber der beifahrende Berater, sehr ruhig, aber die graue Eminenz hinsichtlich guter Routenplanung.
Vordere Mitte: Da bekommt man die Überlegungen von Fahrer und Reiseleiter mit, kann vielleicht auch hier und da seine Sicht der Dinge und Kenntnis der Strecke mit einbringen. Dahinter dann der Genuss des Einfach-nur-mitreisens. Lesezone, Gedanken sind nicht bei der Fahrt, sondern möglicherweise bei ganz anderen Themen. Um den Kurs kümmert sich ja der vordere Teil des Busses, hier ist Raum für das Abtauchen in Gedankenwelten – da stimmt die Tour-Think-Balance.
Ein paar Sitzreihen hinter mir beginnt sozusagen die Partyzone. Life is for living, hier interessiert nicht der Ausflug, auch nicht das Buch in der Hand, sondern nur das Sektchen im Glas und das prickelnde Gefühl im Bauch. Irgendwohin wird der Bus schon fahren und ebendort wird es auch irgendwie lustig sein, notfalls trinken wir uns das schön.
Und Stammplatz ganz hinten? Ein Leben lang auf der „Affenschaukel“, die anderen Menschen von hinten sehen, mitbewegt werden ohne echte Verantwortung. Begleitet von einer gewissen Unzufriedenheit, einem passiven Ertragen der Reise, kein motivierendes Ziel, kein Interesse irgendetwas die bloße Mitreise hinweg zu bewerkstelligen.
Tatsache ist natürlich, dass viele Plätze schon besetzt sind. Ich kann nicht einfach den Busfahrer ablösen, auch der Platz des Copiloten ist im Moment nicht frei. Andererseits kann ich mich mal umschauen, ein Platz weiter vorne oder etwas weiter hinten ist vielleicht noch zu haben – ich justiere mein Leben und mein Umfeld nach meinen Neigungen. Oder schaue vorher, wer beim Wechsel neben mir sitzt. Eine weniger attraktive Position kann durch eine nette Nachbarin merklich aufgewertet werden und die Nähe zur Boardküche könnte ja durchaus auch eine Rolle spielen.
Nur ganz hinten, nein, da möchte ich durchaus nicht landen. Obwohl dort zu meiner Überraschung nicht nur gescheiterte Existenzen sitzen, sondern auch abgehalfterte Führungskräfte und desillusionierte Mitfünfziger. „Freunde“, möchte ich diesen Passagieren zurufen, „wir fahren noch, sitzen alle im selben Bus und am Zielort gibt es die Möglichkeit durchzustarten – wenn ihr wollt.“
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