Montag, 27. November 2023

WWW.Zweite-Chatbot-Meinung.de

Ich werde wieder mal so richtig freundlich begrüßt, heute von Lisa, das ist die digitale Assistentin meiner Autoversicherung. Lisa fragt zwar nicht nach meinem Wohlbefinden, stellt sich aber höflich vor und bietet mir ihre Hilfe an. „Das ist doch nett“, denke ich, und erläutere ihr mein Anliegen. Erst versteht sie mich nicht, sucht in meinem Text nach Schlagworten, mit denen sie etwas anfangen kann.
Ich gehe mit ihr um wie mit einer schwerhörigen Oma, überlege schon beim Schreiben, was sie aus meinen Ausführungen herauspicken könnte. Das Wort „Tarifwechsel“ ist sicher in ihrem Wortschatz, auch „Zweitauto“ sollte ihr etwas sagen. Im Laufe unseres netten Austausches kommen wir meinem Anliegen recht nahe, sie verspricht, mir ein Angebot per E-Mail zu schicken.
Das hat ja phantastisch geklappt, gleich weiter zum nächsten Sprachroboter. Diesmal verlange ich nach einer Zusammenfassung der Erfahrungen mit einem bestimmten Rasenmäher. Der Freundliche stellt mir einen wundervoll gestalteten Text zur Verfügung, ich lese, was andere Kunden, was Testzentren, was Verbraucherzentralen zu dem Produkt verlauten lassen.

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Und an diesem Punkt kommen mir plötzlich Zweifel. Wenn ich erkältet bin, dann gehe ich zum Arzt. Er schaut mir in den Hals, misst vielleicht noch die Körpertemperatur, hört die Lunge ab. Dann rät er mir zu Inhalation und schickt mich mit einer Krankmeldung nach Hause. So ganz glücklich bin ich mit der Behandlung nicht, am nächsten Tag also zum nächsten Arzt, und siehe da: Nach der Prozedur mit Halsbesichtigung, Temperaturmessung und Lungenbelauschung empfiehlt er mir Kamillentee, Wadenwickel und Bettruhe. Wozu ich keine Lust habe und beim dritten Arzt nach Handauflegen und Auspendeln die Anwendung von Zwiebelsud, ätherischen Ölen und einem Erkältungsbad ans Herz gelegt bekomme.

Aus den Therapievorschlägen der Ärzte suche ich mir dann das Passende heraus. Das würde ich mir auch bei den Chatbots wünschen, einfach noch mal anrufen, werde mit anderen Fragen konfrontiert und schon erhalte ich für denselben Sachverhalt von einem anderen Bot einen Alternativvorschlag. Eine zweite Chatbot-Meinung eben. Oder vielleicht können sich die Chatbots mit unterschiedlichen Schwerpunkten auch untereinander austauschen und mir nach einer Art Diskussion ihr ausgehandeltes Ergebnis mitteilen.


Montag, 20. November 2023

Heute fühle ich mich nicht wohl

Schon beim Aufstehen merke ich, dass etwas nicht stimmt. Die Beine sind schwer, leichte Kopfschmerzen, meine linke Hand ist eingeschlafen. Nein, krank bin ich nicht, aber alles fällt ein wenig schwerer, auch der Morgenkaffee kann mich nicht wirklich in Schwung bringen.

Ich grüble über meinen Zustand nach, zu viel getrunken habe ich nicht, eigentlich auch genug Schlaf gehabt, soweit ich mich erinnere war die Nacht auch weitgehend ohne Störung. Trotzdem signalisiert mir der Körper, dass er heute keine großen Leistungen vollbringen will.

Das geht natürlich in unserer Arbeitswelt nicht. Ich kann mich nicht einfach wieder hinlegen, erst mal ruhen und abwarten, ob der Zustand sich nach und nach bessert. Vielmehr mache ich mich startklar, gehe ins Büro und beginne den üblichen Vormittag: Schreibtischarbeit, Besprechungstermine.

Natürlich macht mein Körper das mit, aber er lässt mich spüren, dass es ihm nicht Recht ist. Lahm und müde kämpfe ich mich von Aufgabe zu Aufgabe, missmutig erledige ich die notwendigen Tätigkeiten. Selbst das Mittagessen kann mich nicht wirklich aufmuntern.

Es hat keinen Sinn, dass ich mich dagegen stemme, mein Körper sitzt da sozusagen am längeren Hebel. Und da wir ein Team sind, komme ich ihm ein Stück entgegen und lege ein paar Minuten Mittagsschlaf ein. Nach der Uhr sind es gerade mal zwanzig Minuten mit geschlossenen Augen.

Ob er genau darauf gewartet hat oder mir mitteilen will, dass er meinen guten Willen zu schätzen weiß oder tatsächlich in der kurzen Zeit etwas in Ordnung bringen konnte: Es geht mir jetzt viel besser. Wie mit aufgetanktem Akku geht die Arbeit jetzt erheblich leichter von der Hand.

Und ich ärgere mich, weil ich diesem doch deutlichen Impuls nicht schon früher nachgekommen bin.

Montag, 13. November 2023

Da erwacht das Tier (in dir und mir)

Kathrin ist total lieb. Bei ihr habe ich noch nie erlebt, dass sie laut wurde, mit deutlichen Worten ihre Meinung geäußert oder gar aggressiv geworden wäre. Aber neulich auf dem Spielplatz, als ein fremder Mann mit seinem Hund zu nah am Sandkasten vorbei kam, da ist sie mit dem Picknickmesser auf ihn losgegangen. Ich glaube, im nächsten Moment war sie über sich selbst erschrocken.

Da ist Paul von einem anderen Kaliber. Im Alltag lebhaft und als typischer Vertriebsmensch kontaktfreudig und sehr eloquent. Er hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen, verwickelt Kunden in jeder Warteschlange in ein Gespräche und ist auch für einen Flirt immer zu haben. Aber die Rede bei der Mitgliederversammlung im Sportverein hat ihn schlaflose Nächte gekostet.

Im Moment sitze ich bei einem Vortrag über die Geschäftsentwicklung eines großen Unternehmens. Freundlich winkt der Vorsitzende ins Publikum, präsentiert gute Zahlen und sonnt sich in seinem eigenen Erfolg. Auf Fragen aus der Zuhörerschaft reagiert er mit einfühlsamen Worten. Doch plötzlich kippt die Stimmung, er wird wegen einer Entscheidung zur Strategie kritisiert. Mit groben Worten wehrt er sich und kontert mit Vorwürfen der Ignoranz und des mangelnden Verständnis.

Da erwacht das Tier in dir und mir
Drei Menschen, drei Szenen. Was immer gleich ist, dass man selbst nach vielen Jahren der Bekanntschaft nicht vor Überraschungen sicher sein kann. Meist sind es Stresssituationen, die zu einer unerwarteten oder zumindest betont heftigen Reaktion führen. Es können aber auch (bis dahin verdeckte oder unbekannte) Vorgeschichten sein. Bei der Gelegenheit denke ich an den Hund aus dem Tierheim, der ausrastet, weil ihn mein Bart an einen Peiniger aus seiner Welpenzeit erinnert.

Manchmal hilft es, wenn man sich mit dem Gegenüber beschäftigt, möglichst viel über sein bisheriges Leben und seine Erfahrungen weiß. Vielleicht ist Kathrin selbst schon einmal von einem Hund gebissen worden, Paul als Kind bei einem Vortrag ausgelacht oder der Vorsitzende bereits von seinen Kollegen in die Zange genommen worden.

Obendrein ist es manchmal sinnvoll, sich mit der Position des Mitmenschen zu beschäftigen. Eine Person ist nicht dadurch Vorstand geworden, dass er es allen Recht machen und angepasst mitlaufen wollte. Vielmehr gehören Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Härte meistens zu den Grundausstattungen. Und die kann dann mehr oder weniger unvermittelt zum Vorschein kommen.

Und selbst wenn man mit einem Kampfhund auch mal schmusen kann, darf man nie vergessen, dass er scharfe Zähne hat und diese bei Gelegenheit auch einsetzt. Nur dass wir oft nicht wissen, wann aus Sicht unseres Gegenübers die „Gelegenheit“ ist, dass das Tier in ihm erwacht. Aber wir können ganz sicher sein, dass in wirklich jedem von uns ein Tier steckt, dass ohne Vorwarnung herausbricht.

Montag, 6. November 2023

Mehr Spiegel!

Im Laufe der Jahrhunderte hat es immer wieder Figuren gegeben, die die Rolle eines Spiegels einnehmen. Seien es Personen wie Till Eulenspiegel oder auch Victor von Bülow, bekannt als Loriot. Im etwas erweiterten Sinne würde ich auch Hofnarren in diese Gruppe aufnehmen. Im Kern geht es darum, dem Umfeld etwas zu demonstrieren, was es eigentlich schon weiß oder wissen könnte. Sie haben es zwar gewusst, es war ihnen aber nicht bewusst. Nur ein Buchstabe unterschied, für unseren Kopf aber eine eklatant andere Situation.

Niemand wird behaupten, dass er bei Loriot etwas lernt, was ihm vorher unbekannt war. Aber er zieht Dinge ins Bewusstsein, die wir dann (selbst ohne merkliche Überzeichnung) als lustig empfinden. Erst im nächsten Moment kommt dann (hoffentlich) die Erkenntnis, dass eigentlich wir es sind, die da vor der Kamera stehen. In irgendeiner verborgenen Ecke unserer Seele juckt es uns vielleicht auch, die horizontale Position eines Bildes herzustellen und das nach unserem Korrekturversuch hereinbrechende Durcheinander mit den entschuldigenden Worten „Das Bild hing schief“ zu kommentieren.

Mehr Spiegel
Wir brauchen mehr Spiegel! Als gesunder Mensch hat man maximal ein Gesichtsfeld von rund 180 Grad (Halbkreis). Uns selbst können wir also ohne Hilfsmittel nur zum Teil sehen. Bei unserm Körper sind wir von Natur aus mehr oder weniger neugierig, erst recht, wenn es einen konkreten Anlass wie die Betrachtung der Frisur (von der Seite) oder das Herausfinden der Ursache des Rückenschmerzes gibt. In diesen Fällen kommen wir von uns aus zur Erkenntnis, dass nur ein Spiegel uns einen unverfälschten und direkten Blick auf den Status erlaubt.

Aber zur Einschätzung unseres Verhaltens, der eigenen Außenwirkung oder eingeschliffenen Gewohnheiten verlangen wir selten nach einem Spiegel. Recht gängig ist im beruflichen Kontext das Einfordern von Feedback, aber schon die aufmerksame Betrachtung des Umfeldes und dessen Reaktion kann wertvolle Informationen liefern. In der Bibel heißt es, dass man den Balken im eigenen Auge nicht sieht, sondern nur den Splitter im Auge des Gegenübers. Mit Spiegel wäre das nicht passiert.