Montag, 29. April 2024

Verlorenes Kind (m/w/d) mal anders

Verlorenes Kind
Abstract aus der biblischen Geschichte: Vater hat zwei Söhne. Einer tingelt in der Welt herum, verschwendet seinen Erbteil. Der andere hilft auf dem Hof, rackert sich ab und engagiert sich für die Familie. Als der Weltenbummler sich – inzwischen mittellos – wieder zu Hause blicken lässt wird er aufwändig begrüßt und seine Rückkehr gefeiert.

Botschaft der Geschichte: Auch wenn du Mist baust, kann ein großherziger Mensch dir verzeihen und dich wieder aufnehmen, wenn du Reue zeigst.

Ganz wichtiges Detail: Der Begriff der Reue. Dieser Aspekt wird oft übersehen, ist aber essentiell. Denn genau an dieser Stelle wachsen Situation und Eigeneinschätzung zusammen. Wenn ich mir im Straßenverkehr die Vorfahrt ergaunere, dann sollte ich mich zumindest bei meinem Gegenüber dafür bedanken und mir bewusst machen, dass ich gerade etwas Unrechtes getan habe. Dazu gehört auch, dass ich ein schlechtes Gewissen habe und mir vornehme, eine Wiederholung zu vermeiden.

Denn ansonsten ist der Abenteurer netto der Gewinner, hat er doch Spaß gehabt, während der andere arbeiten musste und er auch noch gefeiert wird, wenn er zurückkommt. Und das hat dann nichts mit Neid oder Eifersucht zu tun, sondern mit der Erkenntnis, dass der Fleißige am Ende der Dumme ist.

Die biblische Geschichte hat aber auch zeitlos aktuellen Alltagsbezug und hat viel mit Erwartungsmanagement zu tun. Wenn ich davon ausgehe, dass mein Sohn tot ist, dann freue ich mich, wenn er unvermittelt auftaucht. Andererseits stufe ich es über kurz oder lang als Selbstverständlichkeit ein, wenn sich eine Person zuverlässig um die Hofarbeit kümmert.

Wer sich jahrzehntelang ohne Murren zu Sondereinsätzen oder Vertretungen einplanen lässt, der muss begründen, wenn er – sozusagen ausnahmsweise – mal nicht zusätzlich einspringt. Im Kontrast wird mit großem Lob bedacht, wer sich hartnäckig gegen alle Extraleistungen wehrt und – ausnahmsweise – doch mal zur Verfügung steht.

Es heißt also aufpassen, nicht ausgenutzt zu werden. Gerade weil wir allzu oft erleben, dass die Herumtreiber und Drückeberger es schaffen, sich geschickt in Szene zu setzen und für gelegentlich geleistete Arbeit auch noch feiern zu lassen. Aber das sind dann eben keine „verlorenen Söhne“, sondern unsoziale Mitmenschen, die den Nachteil für ihr Umfeld oder ihre Kollegen bewusst und billigend in Kauf nehmen.

Montag, 22. April 2024

Alles mit "zu" ist schlecht

Alles mit zu ist schlecht
Der Kölner sagt: „Man kann et uch üvverdrieve“ (Man kann es auch übertreiben). Toller Spruch, egal, was es ist, man kann es betreiben, aber sobald es zu viel wird, kann es gefährlich werden. Ein guter Indikator ist das Wort „zu“. Viel Arbeit ist a priori nicht schlecht, aber
zu viel Arbeit macht krank. Kontrolliert durch das Leben zu gehen ist gut, aber zu kontrolliert kann beispielsweise zu Lethargie führen.

Interessant ist dabei, dass die kleine Silbe „zu“ das folgende Wort in ein Verhältnis zur Situation bringt. Man kann alt sein, das ist erst mal nicht schlimm; zu einem Problem wird das erst, wenn man (für etwas) zu alt ist. Mit 18 Jahren ist man als Mensch nicht alt, aber zu alt für einen Schnuller. Oder am Beispiel Geschwindigkeit ist ein Porsche schneller als ein VW Käfer. Aber selbst letzterer kann zu schnell für eine enge Kurve sein.

Auch sportliches Engagement, Geselligkeit, Empathie und viele weitere Felder kann man sich unter diesem Gesichtspunkt anschauen. Ist es wünschenswert, die gesamte Freizeit im Fitnessstudio zu verbringen, ist ein Leben als Dauer-Party die richtige Richtung, ist Dauer-Verstehen nicht hinderlich?

Von jedem ein bisschen, möchte man sagen, denn zu wenig ist natürlich auch wieder verkehrt. Ein wenig Kochen können, eine gewisse Geschicklichkeit oder auch emotionale Wärme sind eine unverzichtbare Basis für eine gelungene Lebensführung. Wobei man aber auch die Beschäftigung mit sich selbst und seiner Befindlichkeit übertreiben kann. Wer ständig an sich herumschraubt, der konzentriert sich auch zu sehr auf sich selbst.

In anderer Darstellung würde man es als Ausgewogenheit oder Gleichgewicht bezeichnen. Schwarz ist zu dunkel, aber weiß ist zu hell. Je nach Charakter liegt das Ideal irgendwo zwischen den lichten und gedeckten Grauabstufungen. Jedenfalls aber nicht am Rand.


Montag, 15. April 2024

Verfolgungswahn (nach dem Seminar)

Ich komme rein, Stuhlkreis, Flipchart mit rotem „Herz-lich-Will-kommen“, in der Mitte allerlei Papp-Gegenstände und Stifte. Auf den Stühlen bereits ein paar Teilnehmer, sie schauen mich an. 

Neugierig, abwartend, skeptisch, fragend. Was will er hier, ist er sympathisch, stiehlt er mir die Show, ist er gefährlich, ist er mir nützlich, kann ich mit ihm den Abend verbringen.

Der Trainer kommt auf mich zu, lächelt freundlich, hat ähnliche Fragen im Gesicht wie die Teilnehmer. Stellt sich kurz vor, drückt mir Unterlagen in die Hand, lässt mir die Platzwahl

Die Letzte kommt, belegt den noch freien Stuhl, lässt sich fallen. Der Trainer begrüßt uns, startet die Kennenlern-Runde, macht sich Notizen. Das Mittagessen nehmen wir gemeinsam um 12 Uhr.

Erste Übungseinheit, ich lerne Jörg kennen. Wir müssen irgendeine Beispielaufgabe lösen, dazu ein Kaffee um die Gedanken in Trab zu bringen. Nach dem Ausfüllen der Bögen erzählt er von seinen Kindern.

Partnerwechsel, ich vergleiche die Ergebnisse mit Jutta. Wie unterschiedlich man diese Aufgabe verstehen konnte. Und wie egal mir das ist. Jutta hakt nach und besteht auf ihrer Lösung.

Das Mittagessen endet mit einem Espresso und kurzem Spaziergang durch den Bürgerpark. Oliver und Kathrin fragen mich nach meinem Tätigkeitsfeld aus, ich erzähle ihnen von Ackerbau und Viehzucht.

Der Referent hat Folien mitgebracht, zeigt Grafiken und erläutert bunte Kurven. Die Teilnehmer nicken andächtig und stellen sehr kluge Fragen. Mich interessiert die Fußnote auf Seite 8.

Zweite Lerneinheit, diesmal mit Christoph, Jens und Paul. Die Gruppe diskutiert lebhaft die Erkenntnisse der Folien und wendet sie auf die Übungsaufgabe an. Ich mache staunend mit.

Zusammenkunft zum Feedback. Ja, ist denn der Tag schon zu Ende? Die Blätter werden auf dem Boden verteilt, das war aber auch anstrengend heute und vor dem Abendessen noch duschen.

Die Küche hat sich ins Zeug gelegt, es gibt einen separaten Tisch für uns. Wir sitzen vor unserem Getränk, versichern uns der Wichtigkeit des Themas und warten auf die Vorspeise.

Nach dem Essen kommt Jutta noch mal zu mir. Sie hat es sich überlegt und will die Aufgabe von vorhin noch mal mit mir diskutieren. Ich lehne höflich aber bestimmt ab.

Langsam leert sich der Essenstisch, die Teilnehmer ziehen zur Bar. Ich ziehe es vor, das Zimmer aufzusuchen. Vorsichtig schaue ich mich um, ob ich von irgendwem verfolgt werde.

Verfolgungswahn nach dem Seminar



[Weitere Blogs:

 Interdisziplinäre Gedanken,

 Feingeistiges]

Montag, 8. April 2024

Ich fühle mich wie im Kindergarten

Stimmt! An manchen Tagen kommt es mir vor, als ob ich es mit kleinen Kindern zu tun hätte, die von Erziehern bearbeitet werden. Darin stecken gleich mehrere bemerkenswerte Aspekte. Erwachsene sind keine Kinder und möchten sich weder so fühlen noch mit dem entsprechenden Gefälle in der Beziehungsebene behandelt werden. Andererseits steckt in jedem von uns ein Erzieher, wir müssen geradezu zwangsweise unserem Umfeld mitteilen, dass es etwas falsch gemacht hat und oder wir es besser machen würden.

Aber ich wundere mich schon, wenn ich im Erwachsenen-Alltag Muster wiederentdecke, die ich bei meiner Tochter in der Kindergartenzeit oder in der Grundschule erlebt habe. Da hing dann auf der Jungen-Toilette ein Zettel „Nach dem Pipi-Machen bitte abspülen - es riecht sonst nicht sehr gut“. Irgendwie süß, dieser Antritt, die Kinder zum Betätigen des Spülknopfes zu bewegen. Aber auch völlig aussichtslos. Hat ein Kind es verinnerlicht, kommen dutzende Kinder nach, die entweder den Zettel nicht lesen, ihn nicht verstehen oder sich nicht angesprochen fühlen. Am Ende jedenfalls stinken alle Toiletten nach Urin.

Man kann das jetzt durch das Thema Kaffeetassen ersetzen, die sich in Bürogebäuden ungespült in der Küche sammeln. Ein mehr oder weniger freundlicher Hinweis, jeder möge doch sein Geschirr nach Gebrauch sauber machen läuft erfahrungsgemäß ins Leere. Da kann man sich aufregen, die Zettel größer machen und die Drohungen deutlicher formulieren. Auch das Ansprechen einzelner Kollegen, die man bei der illegalen Kaffeetassen-Deponierung erwischt hat ist denkbar. Aber am Ende ist das nur eine vorübergehende oder punktuelle Verbesserung, wie auf der Knabentoilette wird sich immer noch einer daneben benehmen.

Was also tun? Wer sich darüber aufregt, der verschleißt seine Nerven ohne sein Ziel zu erreichen. Oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln des Zwangs und der Kontrolle. Also die Menschen - seien es Kinder oder ungezogene Erwachsene - so nehmen wie sie nun mal leider sind. Einmal pro Woche mit dem Hochdruckreiniger durch die Toilette und es ist Schluss mit dem Gestank. Abends wöchentlich durch die Kaffeeküchen und die verwaisten Kaffeetassen in die Spülmaschine räumen (lassen).

Schluss mit dem Stress, den wir uns selber machen - das Leben ist leicht, wenn man nicht jede ungeliebte Situation entgegen der Vernunft mit aller Gewalt zu ändern versucht.