Montag, 27. Mai 2024

Was bei Missbrauch passiert

Was bei Missbrauch passiert
Ich stehe am Ausgang der Regionalbahn, da fällt mein Blick auf ein Schild neben dem Notbremshebel. "Missbrauch strafbar", lese ich. Wenn ich also den Hebel ohne triftigen Grund ziehe, kann es zu einer Strafe kommen. Natürlich nur, wenn sie mich erwischen, denn hier wird ja nicht auf den Missbrauchenden referenziert, sondern auf den Vorgang. Irgendwie ist es zu einem Missbrauch gekommen, das ist potentiell strafbar.

Ab englischer Sprache wird der Ton schärfer. "Misuse will be punished" heißt ja, dass auf den Missbrauch jedenfalls eine Strafe folgt. Ohne Bedingung und nicht nur grundsätzlich denkbar (strafbar), sondern als klare Ankündigung eines zukünftigen Übels, also einer Drohung. Ich stutze, denn auch die Franzosen ("Tout abus sera puni") und die Italiener ("Ogni abus verra punito") schließen sich dieser scharfen Formulierung an.

Ist das ein kultureller Unterschied, sind wir Deutschen an dieser Stelle milder und versuchen uns von vornherein vor dem Verdacht des Polizeistaates zu verwahren? Oder drücken wir uns darum klare Worte zu finden? Oder ist einfach nur die Übersetzung misslungen und es hätte "Misuse punishable", "L' abus est punissable" bzw. "L' abuso e punibile" heißen müssen? Glauben wir gar, dass wir mit Ausländern anders reden, sie härter anfassen müssen?

Noch während ich über die Sprachauswahl nachdenke, mich frage, warum nicht wie bei einer Ikea-Anleitung weitere zwei Dutzend Sprachen angesprochen werden, hält der Zug am Bahnsteig an (ohne strafbewehrte Betätigung der Notbremse), die Tür öffnet sich und ich steige gedankenverloren aus.

Montag, 20. Mai 2024

Der Geist in uns (Pfingsten 2024)

Als kleines Kind schien mir alles eine Seele zu haben. Der Teddy war nicht einfach ein Stoffprodukt, er kuschelte mit mir, hörte mir zu, tröstete mich. Genauso konnten manche Spielzeuge auch traurig sein, weil ich sie in die Kiste steckte und mich nicht mit ihnen beschäftigte. Ein Geist schien ihnen innezuwohnen, ein Geist, der meine Gedanken und Gefühle bewegte.

Der Geist in uns - Pfingsten 2024

Christen kennen eine besondere Ausprägung ihres Glaubens auch als Geist. Von der Sachebene und von der objektiv nachprüfbaren Seite abweichend wird man von Gedanken beseelt, von einem Geist besessen und so neben der körperlich erfahrbaren Ebene auch emotional und psychisch berührt.

Diese Ganzheitlichkeit ist nicht an das Christentum oder andere Konfessionen gekoppelt. Vielmehr zeigt sie, dass wir in unserer Komplexität doch immer eine Einheit sind. Körper und Geist kann man nicht trennen, das bestätigen auch Atheisten. Und während die sachliche Betrachtung für viele Planungen, Entscheidungen und Entwicklungen eine zentrale Rolle spielen, darf man auch den Geist nicht vernachlässigen.

Wer nur für die Bezahlung arbeitet, dem fehlt der „Spirit“, wie man dann manchmal sagt. Ja, genau, ein „Geist“ führt zu einer Geisteshaltung, zu einer Grundeinstellung und damit zu der Basis für Handlungen oder auch die persönliche Zufriedenheit mit einer Situation oder Lebensrichtung. Ob die Arbeit im Garten ein entspannender Spaß oder eine lästige Pflicht ist, hängt entscheidend von der Grundhaltung ab. Von unserem Geist.

Insofern ist also Pfingsten ein guter Anlass, über das Zusammenspiel von Lebewesen oder Dingen mit der Seele nachzudenken. Wer sein Leben steuern möchte, der muss nicht unbedingt über Ziele nachdenken. Viel wichtiger ist die Beschäftigung mit dem „Mindset“, unserer Grundeinstellung oder schlicht dem Geist, der in uns steckt oder stecken soll.

Sonntag, 12. Mai 2024

Er hat mich verlassen

Schluchzend sitzt du vor mir. Völlig fassungslos, tief erschüttert. „Er hat mich verlassen. Für eine jüngere.“ Ich höre zu, während du mir die vergangenen Jahre schilderst, die Höhen und Tiefen der Beziehung Revue passieren lässt. Nichts lässt auf Trennungsgedanken schließen, da hat sich nichts angekündigt, und jetzt das.

Sie ist jünger, wahrscheinlich will er mit dem Häschen nur ins Bett gehen, die sexuellen Reize der Jugend erleben und genießen. Das kannst du ihm natürlich nicht bieten. Nein, denke ich, natürlich nicht. Aber ist es wirklich das Bett, was die entscheidende Rolle gespielt hat? Das Alter ist eine objektive Eigenschaft, jünger ist jünger und wir brauchen uns nichts vorzumachen: Mit fortschreitendem Lebensalter kommen ein paar Fältchen dazu, lösen normal geformte Körper die makellose Erscheinung von Jugendlichen ab. Und ganz sicher gibt es auch nicht wenige Männer, die sich vorwiegend an diesen Äußerlichkeiten orientieren.

Aber daneben gibt es andere Eigenschaften, die nicht zwingend, aber doch meistens an den Alterungsprozess gebunden sind. Da ist zu allererst die Lebensfreude. Ist man als junger Mensch voller Tatendrang, die Welt ist schön und eine spannende Herausforderung, so weicht dies mit den Jahren einer mehr oder weniger ausgeprägten Lethargie. Alles schon gesehen und erlebt, und was nicht in diese Rubrik passt, das ist ohnehin unerreichbar. Taten-Drang und Lebens-Mut sind nur noch in fernen Erinnerungen vorhanden.

Dann das Neue. Nicht nur der Körper altert, auch an der Beziehung als solcher nagt der Zahn der Zeit. Was am Anfang noch aufregend war, wird nach und nach zur Routine. Selbst die ausgefallensten Aktivitäten haben nach einigen Wiederholungen ihren Reiz verloren. Überraschungen sind im Laufe der Jahre immer schwieriger, das Erleben von Exotischem immer seltener.

Begleitend nimmt auch das Engagement ab, die Beziehung spannend zu halten. Die meisten Menschen unterschätzen den Aufwand, den sie in die Erhaltung einer Beziehung stecken müssen. Sei es gemeinsame Zeit, ein gewisses Budget, aber auch viel Einfühlungsvermögen und Wertschätzung dem Partner gegenüber.

Was ein weiteres und zentrales Element jeder funktionierenden Beziehung ist. Viele Ehen gehen in die Brüche, weil die (anfängliche) Bewunderung für den Partner zum Erliegen kommt. Eine junge Frau, die den emotional eingeschlafenen Mann wieder mit den Augen der Bewunderung anschaut und ihm das Gefühl vermittelt, etwas Besonderes zu sein hat natürlich eine bessere Position als die notorisch unzufriedene Ehefrau. Das hat nur sehr bedingt etwas mit dem Alter der Person zu tun, vielmehr mit dem Alter der Beziehung.

Und schließlich noch unser menschlicher Hang zur Wahrnehmung von Bewegung. Eckhard von Hirschhausen erklärt es am Beispiel eines Frosches, der den wunderschönen See überhaupt nicht wahrnimmt, nur die schnelle Bewegung der Fliege, die er mit seiner Zunge fängt. So schläft auch unser Blick für die Partnerin oder den Partner mit der Zeit ein, all die guten und lobenswerten Eigenschaften werden zur Selbstverständlichkeit, der Alltag wird zum schwarzen Loch der Wertschätzung.

Die gute Botschaft: Fast alle der aufgeführten Auslöser für Trennungen können wir bearbeiten. Angefangen beim Invest für die Beziehung, dem aktiven Nachdenken über kleine Aufmerksamkeiten, Wertschätzung auch für die verdeckten Leistungen. Und im Mittelpunkt die Beschäftigung und das von innen heraus vermittelte Gefühl, den ganz besonderen Menschen gefunden zu haben.

Montag, 6. Mai 2024

Das ist doch selbstverständlich

Ach, sagt meine Frau zu mir, vor den Osterferien sind die Müllers doch da und können das Haus versorgen. Alles wie gewohnt, naja, ohne Kinder sind die ja auch wenig gebunden und können hier und da mal einspringen. Das ist keine feste Verabredung, aber so eine Art ungeschriebenes Gesetz. Wer nicht nachweisen kann, dass er keine Zeit hat oder nicht fest verpflichtet ist, der muss bei den anderen helfen. Das ist doch selbstverständlich.

Ist es nicht. Da gibt es zwar die weit verbreitete Erwartung, dass man sich gegenseitig hilft. Und da wird mehr oder weniger explizit schon eine Begründung erwartet, wenn man seine eigenen Vorstellungen hat oder gar die Hilfe ohne akzeptierte Entschuldigung verweigert. Einfach nur nein sagen geht nicht, wer nicht nachweislich mitten im stressigen Arbeitsleben steckt oder von Kindern, Pflege der Eltern oder sozialen Verpflichtungen in Atem gehalten wird muss helfen.

Das ist doch selbstverständlich

Dieser soziale Druck oder die weitverbreitete Erwartung an die Menschen steht denen gegenüber, die sich von vornherein bitten lassen und nur unter Zwang mithelfen. Dieses Phänomen kennt jeder, der in Vereinen und Gesellschaften Arbeit auf mehrere Schultern verteilen möchte. Da melden sich immer dieselben Freiwilligen, die im Laufe der Zeit immer selbstverständlicher eingeplant werden. Ausnahmsweise Aussetzer bei der gewohnten Beistellleistung müssen sie absurder weise viel besser begründen als die notorischen Drückeberger.

Schlimmer noch: Ihre Arbeit, ihre Zeit und ihre Zuverlässigkeit werden gar nicht mehr wertgeschätzt. Dass sie bis in die Nacht noch beim Aufräumen helfen und am nächsten Morgen schon wieder zum Abtransport mit dem Anhänger auftauchen ist nicht wirklich der Rede wert. So wie man an anderer Stelle die negativen Eigenschaften von Freunden ausblendet („Das meint er nicht böse, Du kennst ihn doch…“), so werden auch die positiven Eigenschaften nicht thematisiert. Was im einen wie im anderen Fall schade ist, weil wir Menschen – so oder so – auf Feedback angewiesen sind.