Sonntag, 12. Mai 2024

Er hat mich verlassen

Schluchzend sitzt du vor mir. Völlig fassungslos, tief erschüttert. „Er hat mich verlassen. Für eine jüngere.“ Ich höre zu, während du mir die vergangenen Jahre schilderst, die Höhen und Tiefen der Beziehung Revue passieren lässt. Nichts lässt auf Trennungsgedanken schließen, da hat sich nichts angekündigt, und jetzt das.

Sie ist jünger, wahrscheinlich will er mit dem Häschen nur ins Bett gehen, die sexuellen Reize der Jugend erleben und genießen. Das kannst du ihm natürlich nicht bieten. Nein, denke ich, natürlich nicht. Aber ist es wirklich das Bett, was die entscheidende Rolle gespielt hat? Das Alter ist eine objektive Eigenschaft, jünger ist jünger und wir brauchen uns nichts vorzumachen: Mit fortschreitendem Lebensalter kommen ein paar Fältchen dazu, lösen normal geformte Körper die makellose Erscheinung von Jugendlichen ab. Und ganz sicher gibt es auch nicht wenige Männer, die sich vorwiegend an diesen Äußerlichkeiten orientieren.

Aber daneben gibt es andere Eigenschaften, die nicht zwingend, aber doch meistens an den Alterungsprozess gebunden sind. Da ist zu allererst die Lebensfreude. Ist man als junger Mensch voller Tatendrang, die Welt ist schön und eine spannende Herausforderung, so weicht dies mit den Jahren einer mehr oder weniger ausgeprägten Lethargie. Alles schon gesehen und erlebt, und was nicht in diese Rubrik passt, das ist ohnehin unerreichbar. Taten-Drang und Lebens-Mut sind nur noch in fernen Erinnerungen vorhanden.

Dann das Neue. Nicht nur der Körper altert, auch an der Beziehung als solcher nagt der Zahn der Zeit. Was am Anfang noch aufregend war, wird nach und nach zur Routine. Selbst die ausgefallensten Aktivitäten haben nach einigen Wiederholungen ihren Reiz verloren. Überraschungen sind im Laufe der Jahre immer schwieriger, das Erleben von Exotischem immer seltener.

Begleitend nimmt auch das Engagement ab, die Beziehung spannend zu halten. Die meisten Menschen unterschätzen den Aufwand, den sie in die Erhaltung einer Beziehung stecken müssen. Sei es gemeinsame Zeit, ein gewisses Budget, aber auch viel Einfühlungsvermögen und Wertschätzung dem Partner gegenüber.

Was ein weiteres und zentrales Element jeder funktionierenden Beziehung ist. Viele Ehen gehen in die Brüche, weil die (anfängliche) Bewunderung für den Partner zum Erliegen kommt. Eine junge Frau, die den emotional eingeschlafenen Mann wieder mit den Augen der Bewunderung anschaut und ihm das Gefühl vermittelt, etwas Besonderes zu sein hat natürlich eine bessere Position als die notorisch unzufriedene Ehefrau. Das hat nur sehr bedingt etwas mit dem Alter der Person zu tun, vielmehr mit dem Alter der Beziehung.

Und schließlich noch unser menschlicher Hang zur Wahrnehmung von Bewegung. Eckhard von Hirschhausen erklärt es am Beispiel eines Frosches, der den wunderschönen See überhaupt nicht wahrnimmt, nur die schnelle Bewegung der Fliege, die er mit seiner Zunge fängt. So schläft auch unser Blick für die Partnerin oder den Partner mit der Zeit ein, all die guten und lobenswerten Eigenschaften werden zur Selbstverständlichkeit, der Alltag wird zum schwarzen Loch der Wertschätzung.

Die gute Botschaft: Fast alle der aufgeführten Auslöser für Trennungen können wir bearbeiten. Angefangen beim Invest für die Beziehung, dem aktiven Nachdenken über kleine Aufmerksamkeiten, Wertschätzung auch für die verdeckten Leistungen. Und im Mittelpunkt die Beschäftigung und das von innen heraus vermittelte Gefühl, den ganz besonderen Menschen gefunden zu haben.

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