Montag, 27. Januar 2025

Die Macht der Gewöhnung

Es liegt in der der menschlichen Natur, dass man sich an alles gewöhnt. An Gutes, an Schlechtes, sowohl körperlich als auch seelisch. Was wir heute noch als Luxus wahrnehmen, vielleicht sogar explizit zu erreichen versuchen, ist morgen schon unser persönlicher Standard. Die Freude über eine Gehaltserhöhung nimmt nach kurzer Zeit ab, aber auch mit Einschnitten können wir irgendwann umgehen, weil wir uns mit den neuen Umständen arrangiert haben.

Daneben haben wir noch einen anderen Mechanismus, der kaum steuerbar unser Seelenleben beeinflusst. Die Empfindsamkeit wird stets der aktuellen Situation angepasst. Wer Angst um Leib und Leben hat, der hat keine schlaflosen Nächte wegen einer schiefgelaufenen Präsentation. Und wer von außen betrachtet ein sorgenfreies Leben führen könnte, der regt sich über den misslungenen Heckenschnitt des Nachbarn auf. Oder wie Otto Waalkes es formuliert hat: "Ein Freund von mir dachte, der ärmste Mensch der Welt zu sein, weil ihm sein Rasierpinsel ins Klo gefallen ist."

Macht der Gewöhnung

Wo wir hinschauen, alle haben Sorgen, Ängste und Nöte. Und das auf sehr unterschiedlichem Niveau, wenn man versucht, es bestmöglich objektiv zu bewerten. Doch für den Einzelnen ist die jeweils vorgetragene Not real und sehr präsent. Über irgendwas lässt sich immer mit gekrumpelter Stirn grübeln, irgendwas macht Angst und stellt sich in unserer Psyche ganz vorne auf die Bühne.

Nun hilft es nichts, sich das nur klarzumachen, sich einzureden, dass es anderen noch schlechter geht und so weiter. Nein, so leicht lässt sich dieser Depressionen fördernde Gedanke nicht vertreiben. Man muss es sich eher wie eine Bühne vorstellen, auf der ein Darsteller steht oder auch nicht. Im Prunkgewandt oder in Bettlerklamotten. Der das Rampenlicht nutzt, sich in Szene zu setzen, aller Aufmerksamkeit gewiss. Was würde man als Regisseur machen, wenn es einem zu trüb wäre? Nur von der Bühne werfen geht nicht, das Publikum möchte ja etwas sehen. Kleidung austauschen ist ein möglicher Schritt, aber am Ende brauchen wir einen anderen Schauspieler, ein anderes Bühnenbild, ein anderes Drehbuch.

Ein Drehbuch nämlich, in dem der missratene Schnitt der Hecke durch die Herausforderung einer Neuanpflanzung relativiert wird. Mehr schaffen also, denn auch Bequemlichkeiten in der Arbeitswelt unterliegen einem Gewöhnungseffekt. War früher ein Tag Homeoffice ein mühsam auszuhandelndes Zugeständnis des Arbeitgebers, ist heute schon die Erwartung einer Zwei-Tage-Präsenz eine Aufforderung zum Arbeitskampf. Was wir einmal haben, wollen wir nicht mehr hergeben, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Es ist schlichtweg unmöglich, jegliche Gewöhnung zu vermeiden. Und das wäre ja noch nicht einmal wünschenswert, denn wir sollten uns mit den unvermeidlichen Missständen nur im notwendigen Umfang beschäftigen. Auch Dinge, die unseren All-Tag ausmachen, dürfen im Rauschen der Gewöhnung untergehen. Wie man den Schalthebel eines Autos bedient, darf ja nun wirklich bis ins Unterbewusstsein abtauchen.

Aber der Rest, also die Lebenslage, unsere mehr oder weniger gesamtheitliche Zufriedenheit mit Körper, Gesundheit, Lebensumständen und Freude: Dieser Rest verdient Beachtung. Und wer merkt, dass ihm der Rasierpinsel nicht nur ins Klo gefallen ist, sondern daraus eine Tragödie zu entstehen beginnt, der ist gut beraten, sich Herausforderungen zu stellen, die ihn in Anspruch nehmen, seinen Geist oder Körper fordern und aus dem Schaffen von Neuem eine innere Zufriedenheit entstehen lassen.

Sonntag, 19. Januar 2025

In Lohn und Brot

Manchmal denken wir einfach zu simpel, erfassen nicht die Komplexität oder übersehen einfach nur Zusammenhänge. Oder die berühmte Kehrseite der Medaille. Beim Einstieg in die S-Bahn fiel mir auf, dass der Wagen ein wenig Farbe verloren hatte. Wo bislang ein strahlendes rot mit weißen Streifen zu sehen war, gab es jetzt ein mattes rot, durch dass die darunterliegende Lackschicht hindurchschimmerte. Bei genauerer Betrachtung war hier mächtig geschrubbt worden und dem war der ehemals stolze Decklack zum Opfer gefallen.

In Lohn und Brot

Wer macht denn sowas, fragte ich mich spontan und schon ergab sich die Antwort. Natürlich hatten Mitarbeiter der DB diesen Schaden verursacht, mit schwerem Gerät, aggressiven Chemikalien und scharfen Reinigungsapparaten für diesen traurigen Anblick gesorgt. Ganz offensichtlich war hier in einer konzertierten Aktion das ehemals einwandfreie Bild merklich ramponiert worden.

Doch halt! Das war natürlich nur ein Teil der Story. Bevor die Reinigungskräfte aktiv werden mussten war ein anderer Trupp schon am Werk gewesen. Über Nacht hatte die S-Bahn ihre Farbe von rot-weiß zu schwarz-bunt verändert. Einige Sprühflaschen mit hochdeckendem Inhalt waren von flinken Händen auf den Wagon entleert worden. Ob nun schöner, dekorativer oder einfach nur anders: Jedenfalls nicht mehr im Sinne der ursprünglichen Farbgebung.

So war der Reinigungstrupp zwar der Verursacher der Oberflächenbeschädigung, aber nicht der Auslöser. Und wurde dafür auch noch bezahlt. Und zwar von den Fahrgästen, die natürlich über eine hierfür notwendige Berücksichtigung in der Fahrpreisgestaltung auch die Reinigung und Wiederherstellung der Außenhülle mit bezahlen müssen.

Selbstverständlich freuen wir uns, dass wir wieder ein paar Personen in Pelerinen mit Hochdruckreinigern und dicken Handschuhen in Lohn und Brot gebracht haben. Und für diese etwas unfreiwillige Dienstleistung zur Kasse gebeten werden. Wobei ich mich im Sinne von "Lean" frage, ob es sich hierbei um eine Wertschöpfung (nachher ist der Wagen sauber), um eine verdeckte Leistung (es trägt nicht zum Transport der Fahrgäste bei, ist aber unvermeidlich) oder um Verschwendung (überflüssige Leistung) handelt.

Festzuhalten jedenfalls, dass die Farbsprüher nicht nur die S-Bahn-Wagen umgestalten, sondern auch indirekt in die Preispolitik eingreifen, welche dann am Ende ziemlich viele Menschen betrifft. Kleiner Auslöser, große Wirkung auch hier.

Sonntag, 12. Januar 2025

Was gut ist, kommt wieder (oder auch nicht)

Die Gesellschaft ist in Bewegung. In besonderem Maße erleben wir die Veränderung im Bereich der Kommunikation. In wenigen Jahren sind jahrzehnte- oder gar jahrhundertealte Wege geändert worden. Asynchrone Kommunikation mit Briefpost ist völlig aus der Mode gekommen, stattdessen sind wir von Messenger-Diensten umgeben. Texte, Sprachnachrichten, Bilder, Videos fliegen in Echtzeit um den Globus, werden gelesen, überlesen, geteilt.

Von (persönlichem) mündlichem Austausch sind wir zum fernmündlichen Gespräch übergegangen. Doch auch das Telefon hat sich vom stationären Gerät zu einem allgegenwärtigen Gegenstand gemausert. Wir sprechen bei allen Gelegenheiten, an allen Orten, zu jeder Zeit miteinander.

Begleitend erleben wir eine Verschiebung des Umgangs mit diesen Angeboten. Die ein oder zwei Briefe, die ich als Jugendlicher pro Woche empfangen habe, sind zu durchschnittlich zwölf Sendungen geworden, die täglich in meinem Briefkasten landen. Dazu begleitende E-Mails, Nachrichten und Anrufe. Die Erreichbarkeit hat sich zunächst erhöht – das Nachsenden von Briefen ist bei E-Mails nicht notwendig; Anrufe lassen sich umleiten oder auch „unterwegs“ empfangen. Aber mittlerweile geht die Erreichbarkeit in ein Herauspicken über und entwickelt sich sogar weiter zu einer Art Blockadehaltung.

Es ist kaum noch möglich, allen Input zu verarbeiten, man braucht nicht Urlaub von der Arbeit, sondern von der Informationsflut. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein Bekannter ist, einen Post auf WhatsApp unkommentiert lassen oder auf das Anschauen eines lustigen Videos verzichten. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man nichts verpasst, ja manchmal sich sogar besser fühlt – wie nach einer Fastenkur.

Doch oweh, was in der freien Zeit des Tages ein wenig Entspannung und Erholung bringt, lässt sich auch auf die Arbeitswelt anwenden. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein wichtiger Kunde ist, eine E-Mail ignorieren oder darauf spekulieren, dass es ein anderer macht. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man keine negativen Konsequenzen zu gewärtigen hat, einfach nur geruhsamer arbeiten kann – wie ein kleiner Urlaub.

Die allgegenwärtige Überlastung – mal real vorhanden, oft aber auch nur als willkommene Ausrede – in Verbindung mit dem Fachkräftemangel führt zu einem Rückgang der Bearbeitungsqualität auf ein historisches Tief. Kaum eine „Hotline“, bei der ich zeitnah einen kompetenten Ansprechpartner am Hörer habe, selten eine E-Mail, die ich ohne Erinnerung oder Nachfrage beantwortet bekomme.

Die Einstellung der Gegenseite, dass ich etwas will und insofern so eine Art Bittsteller bin. Was die Juristen im ersten Semester lernen (Ist das zulässig? Bin ich zuständig? Gibt es Fristen?), scheint mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.

Doch was den einen entlastet macht dem anderen das Leben umso schwerer. Was ist eigentlich aus meinem Antrag geworden, habe ich die angeforderten Zahlen schon erhalten und wo bleibt eigentlich der avisierte Rückruf? Alles muss ich mir merken, weil ich mich nicht im Entferntesten darauf verlassen kann, das ein Ablauf ohne zu stocken durchläuft. Was bis vor einigen Jahren halbwegs zuverlässig funktioniert hat, ist heute nur noch in Ausnahmefällen stabil.

Früher hat man vielleicht gesagt „Was gut ist kommt wieder“ – heute kann man sagen: „Auch wenn es gut ist, muss ich ihm hinterherlaufen“.

Montag, 6. Januar 2025

Helene Fischer

 Das war sie also, die diesjährige Helene-Fischer-Show. Seit dem Jahr 2011 (mit Corona-Pause) kann man diese Frau mit einer aufwändigen Show im Fernsehen sehen. Die Anzahl der Zuschauer variiert, dieses Jahr wurden je nach befragter Quelle zwischen 2,41 und 3,61 Millionen Menschen vor den Bildschirmen gezählt.

Das waren schon mal mehr, zu goldenen Zeiten folgten 6,56 Millionen ihrer Show. Und dieser Rückgang der Zuschauerzahlen hat natürlich Konsequenzen. Heute noch ein Loblied auf die vielseitige Künstlerin, sind es jetzt Schmähbotschaften, garstige Kommentare und sogar Hassbotschaften, die von Kritikern und Fans losgelassen werden.

Der Begriff Quoten-Tief ist da noch harmlos, Formulierungen wie „sie ruiniert echt jeden Song“ trifft bei einer Sängerin schon mächtig ins Herz. Herumzumäkeln an der Organisation, die immerhin neben der Hauptakteurin noch 21 weitere Gäste vor die Kamera gelotst hat – das ist schon ein starkes Stück.

Helene Fischer (Dall-e)
Ob nun Helene Fischer, ein anderer Bühnenstar oder von mir aus ein prominenter Sportler: Sie alle müssen damit leben, dass sie scharfer, ja geradezu garstiger Kritik ausgesetzt sind. Ein kleiner Lokalredakteur, der an guten Tagen vielleicht ein paar Tausend Leser erreicht, kann sich hier mit spitzer Feder darüber auslassen, wie ein Mensch, der Millionen hinter sich versammelt, angeblich versagt hat.

Was treibt Menschen dazu, so hart und eigentlich überheblich über andere zu urteilen und dieses Urteil in die Welt zu posaunen? Ist es die Möglichkeit, aus der Deckung der Presse- oder Meinungsfreiheit heraus alle Hemmungen und die Beherrschung ausschalten zu dürfen? An dieser verqueren Stelle Macht zu haben, sich an der Verletzung des Kritisierten zu weiden und die Lacher auf seiner Seite zu wissen.

Wie eine Herde Raubtiere fallen ansonsten eher unauffällige Bürger über die waidwunden Promis her. Endlich mal Kritiker sein, die eigene Meinung im Rampenlicht der Gleichgesinnten feiern lassen und damit als weitgehend unbedeutendes Mitglied der Gesellschaft einer Person gegen das Bein treten zu können, die in der Welt der Reichen und Schönen lebt, auf die man insgeheim neidisch ist.

In jedem von uns steckt so ein neidisches kleines Wesen, das sich mehr oder weniger unbemerkt ein Urteil über alles anmaßt. Und genauso hat jeder von uns eine öffentlich Seite, die mehr oder weniger unbemerkt Kritik abbekommt, einfach weil wir auf einer kleinen Bühne (des Lebens) stehen.

[Bildquelle: Dall-e]