Die Gesellschaft ist in Bewegung. In besonderem Maße erleben wir die Veränderung im Bereich der Kommunikation. In wenigen Jahren sind jahrzehnte- oder gar jahrhundertealte Wege geändert worden. Asynchrone Kommunikation mit Briefpost ist völlig aus der Mode gekommen, stattdessen sind wir von Messenger-Diensten umgeben. Texte, Sprachnachrichten, Bilder, Videos fliegen in Echtzeit um den Globus, werden gelesen, überlesen, geteilt.
Von (persönlichem) mündlichem Austausch sind wir zum fernmündlichen Gespräch übergegangen. Doch auch das Telefon hat sich vom stationären Gerät zu einem allgegenwärtigen Gegenstand gemausert. Wir sprechen bei allen Gelegenheiten, an allen Orten, zu jeder Zeit miteinander.
Begleitend erleben wir eine Verschiebung des Umgangs mit diesen Angeboten. Die ein oder zwei Briefe, die ich als Jugendlicher pro Woche empfangen habe, sind zu durchschnittlich zwölf Sendungen geworden, die täglich in meinem Briefkasten landen. Dazu begleitende E-Mails, Nachrichten und Anrufe. Die Erreichbarkeit hat sich zunächst erhöht – das Nachsenden von Briefen ist bei E-Mails nicht notwendig; Anrufe lassen sich umleiten oder auch „unterwegs“ empfangen. Aber mittlerweile geht die Erreichbarkeit in ein Herauspicken über und entwickelt sich sogar weiter zu einer Art Blockadehaltung.
Es ist kaum noch möglich, allen Input zu verarbeiten, man braucht nicht Urlaub von der Arbeit, sondern von der Informationsflut. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein Bekannter ist, einen Post auf WhatsApp unkommentiert lassen oder auf das Anschauen eines lustigen Videos verzichten. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man nichts verpasst, ja manchmal sich sogar besser fühlt – wie nach einer Fastenkur.
Doch oweh, was in der freien Zeit des Tages ein wenig Entspannung und Erholung bringt, lässt sich auch auf die Arbeitswelt anwenden. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein wichtiger Kunde ist, eine E-Mail ignorieren oder darauf spekulieren, dass es ein anderer macht. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man keine negativen Konsequenzen zu gewärtigen hat, einfach nur geruhsamer arbeiten kann – wie ein kleiner Urlaub.
Die allgegenwärtige Überlastung – mal real vorhanden, oft aber auch nur als willkommene Ausrede – in Verbindung mit dem Fachkräftemangel führt zu einem Rückgang der Bearbeitungsqualität auf ein historisches Tief. Kaum eine „Hotline“, bei der ich zeitnah einen kompetenten Ansprechpartner am Hörer habe, selten eine E-Mail, die ich ohne Erinnerung oder Nachfrage beantwortet bekomme.
Die Einstellung der Gegenseite, dass ich etwas will und insofern so eine Art Bittsteller bin. Was die Juristen im ersten Semester lernen (Ist das zulässig? Bin ich zuständig? Gibt es Fristen?), scheint mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.
Doch was den einen entlastet macht dem anderen das Leben umso schwerer. Was ist eigentlich aus meinem Antrag geworden, habe ich die angeforderten Zahlen schon erhalten und wo bleibt eigentlich der avisierte Rückruf? Alles muss ich mir merken, weil ich mich nicht im Entferntesten darauf verlassen kann, das ein Ablauf ohne zu stocken durchläuft. Was bis vor einigen Jahren halbwegs zuverlässig funktioniert hat, ist heute nur noch in Ausnahmefällen stabil.
Früher hat man vielleicht gesagt „Was gut ist kommt wieder“ – heute kann man sagen: „Auch wenn es gut ist, muss ich ihm hinterherlaufen“.
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