Montag, 31. Januar 2022

Und dann war sie da

„Lass uns mal von der Sachebene zur Beziehungsebene wechseln“, sagt mein Sohn zu mir. Das sind die Momente, wenn die Kinder anfangen wie Erwachsene zu reden. Wenn sie nicht nur Rabää machen und ihren Teddy an sich drücken. Beziehungsebene also. „Ja“, sage ich, „ja, was gibt es denn von der Beziehungsebene?“ „Ich bin jetzt mit Jutta zusammen.“ 
Wie schön, denke ich, mit irgendwem ist er sicherlich zusammen. Schließlich sind ja ständig irgendwelche Mädchen zu Besuch. Welche davon mag Jutta sein, die Dunkelhaarige mit den blauen Augen oder diese temperamentvolle Kleine? „Prima“, sage ich, „gehört sie auch mit zur Clique?“
Meine Frau würde jetzt ganz andere Fragen stellen, was macht sie, wo geht sie zur Schule, was mag sie und welche Berufe haben die Eltern. Und wie alt sind die, wo wohnen sie. „Ja“, höre ich meinen Sohn sagen, „sie war mit Marc zusammen, aber der hat bei der letzten Party so lange mit Christina geknutscht bis Jutta ihm eine gescheuert hat und dann heulend im Klo verschwunden ist. Ich habe sie da rausgeholt und ich weiß auch nicht, jedenfalls haben wir dann Shots getrunken und so.“
Ich denke zurück an meine Partys. Das war auch nicht anders, irgendwo gab es einen Plattenspieler, ein paar Boxen, die einer von uns beim Vater ausgeliehen hatte, Musik so laut die Anlage es hergab. Und auf durchgesessenen Sofas in irgendwelchen Schummerecken Pärchen. „Was hört Jutta denn so an Musik?“ – „Das ist ja gerade das Coole: Sie hört auch Nickelback. Wir haben überlegt, ob wir mal zusammen auf ein Konzert gehen.“
Aha, daher weht also der Wind. Geht es um meine Einwilligung oder um die Bezahlung der Karten? Mal antesten, „Oh ja, Nickelback ist klasse. Wo spielen die denn, Mama und ich könnten ja auch mitkommen.“ Ich verkneife mir das Grinsen während mein Sohn kurz um Fassung ringt und mir dann wortreich erklärt, warum so ein Konzert gar nichts für Eltern ist. Oder für meine Generation, wie er sich ausdrückt. Wir spielen noch ein Weilchen Katz und Maus, dann entlasse ich ihn mit den Worten, dass wir ja vorher einfach schon mal Kaffeetrinken könnten.
Und dann kam Jutta. Es war weder die Dunkelhaarige noch die Kleine, sondern eine sehr ruhige Blondine mit auffallend muskulösem Oberkörper. Ein paar Stücke Kuchen später und bei einem Tee wussten meine Frau und ich Alter, Straße, Hobbies, Lieblingsessen, Sport und schulische Qualitäten der neuesten Freundin meines Sohnes. Mit gekräuselter Stirn hatte er sie nach zwei Gläsern Cola geschnappt und in Richtung Zimmer verschleppt. Vermutlich waren seine Eltern ihm voll peinlich.
Meine Frau und ich schauten uns an, grinsten und begannen ganz langsam, den Tisch abzuräumen. Meine Gedanken verloren sich in die Zeit vor meiner Ehe, noch weit davor, als die Mädchen ins Kinderzimmer kamen, wir Bücher tauschten, Karten spielten und Kissenschlachten veranstalteten – was meine Mutter immer ziemlich nervte. Besonders, wenn nach dem Toben die Bluse nicht mehr ganz richtig zugeknüpft war.
Gegen Abend hörte ich die Haustür gehen, die zwei machten einen Spaziergang. Mein Sohn kam alleine zurück, Abendessen, nicht sehr gesprächig. Das kennen wir schon, wenn mal wieder ein neuer Schwarm in sein Leben tritt. Dann sind seine Gedanken nicht in dieser Welt. Schließlich ist sie da.

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Montag, 24. Januar 2022

Sigfried, die Nibelungen und ich

Mal kurz zur Auffrischung. Sigfried ist der Held in der Nibelungensage, der einen Drachen tötet und durch das Bad in dessen Blut unverwundbar wird. Unverwundbar? Nun, nicht ganz, ein kleiner Bereich am Rücken verbleibt durch eine Unachtsamkeit beim Blutbad unbenetzt und ist damit nicht geschützt.


(1) Jeder Mensch hat eine gewisse seelische Hülle, mehr oder weniger robust gegen Angriffe von außen. Aber es gibt stets mindestens einen Punkt, der erheblich empfindlicher ist. Bei Verhandlungen kann das eine gute Möglichkeit sein, die Gegenseite in einer bestimmten Richtung zu beeinflussen. In stärkerer Ausprägung könnte man sogar sagen, dass es der Hebel für Erpressungen ist.

(2) Andererseits habe aber auch ich mindestens eine verwundbare Stelle. Einige kenne ich natürlich, weil sie mir von Mitmenschen in irgendeiner Form vor Augen geführt werden. Sind meine dicken Beine vielleicht die Quelle abwertender Kommentare, ist meine handwerkliche Ungeschicklichkeit immer wieder Anlass für Hänselei. Hier heißt es damit umzugehen, die Angriffe zu parieren und der Gegenseite möglichst nicht den einen Punkt am Rücken zuzuwenden, in den er hineinstoßen kann.

(3) Dann gibt es die eigenen Schwachstellen, die nur ich selbst kenne. Und dabei sollte es auch bleiben. Hätte Sigfried doch den Mund gehalten und niemand von seinem verwundbaren Punkt erzählt. Manche Träume und Phantasien sollte man als Gedanken für sich behalten, man muss nicht jedes Geheimnis irgendeinem Menschen preisgeben.

(4) Positiv gedacht ist die sensible Stelle aber auch eine Möglichkeit der Motivation. Leider sind viele Führungskräfte ziemlich einfallslos, wenn es um die Begeisterung der Mitarbeiter geht. Ein größerer Schreibtisch (Karriere), Gehaltserhöhung oder ein Dienstwagen sind die gängigen Instrumente, um Wertschätzung der Arbeit auszudrücken. Wie viel wirksamer und dauerhafter, aber leider auch anstrengender ist es da, den individuellen Triggerpunkt seines Mitmenschen zu finden.

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Montag, 17. Januar 2022

Vermeintlich schwache Gegner nie unterschätzen

Wer dieser Tage ins Kino geht, der kann „House of Gucci“ ansehen. Ein sehenswerter Film über den ehemaligen Familienbetrieb und die Vorgänge hinter den Kulissen bis zu dessen Niedergang.
Die Handlung mit allerlei Beziehungstragödien, zum Teil schillernden Figuren und diversen Verstrickungen ist spannend erzählt. Auch den voyeuristischen Blick auf die gehobene Gesellschaft, Abstände zwischen Arm und Reich fand ich ausgesprochen interessant.

Was mich aber in besonderem Maß gefesselt hat, wie Patrizia Reggiani durch ihren Eintritt in die Familie Gucci für Wirbel sorgte. Durch geschickte Manöver und ihre Liaison mit Maurizio Gucci entfaltet sie einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Firma.
Aber selbst das ist sicher keine besonders neue Geschichte. Der Kern aber, den ich hier herausarbeiten möchte, ist, dass Maurizio seine Patrizia unterschätzt und dafür mit seinem Leben bezahlt. Zweifelsohne hat er sie falsch eingeschätzt, glaubt sie folgenlos abservieren zu können. Schließlich nur eine Frau, die er finanziell ruhigstellen kann. Gier und Rachsucht allerdings lassen seine ehemalige Geliebte zu einer todbringenden Gefahr werden.

Und so geht es uns – Gott sei Dank nicht ganz so dramatisch – tagtäglich. Wer die Gegenseite unterschätzt, dem geht es an den Kragen. Da laufen Verhandlungen schief, da platzen sicher gewähnte Deals. Nein, nicht immer ist die andere Seite des Schreibtisches mit einem richtigen Gegner besetzt, aber in Gedanken sollte man sich darauf einrichten. Überheblichkeit oder auch nur Ignoranz gehen nahezu zwangsläufig in die Hose.

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Montag, 10. Januar 2022

Natürliche Intelligenz

Eine Kollegin, nein, sogar ein ganzes Team hatte sich zu einem mehr oder weniger relevanten Thema Gedanken gemacht. Sicher sehr engagiert und so gut sie konnten. Aber die Qualität eines Ergebnistypes ist nicht nur an den guten Willen gebunden, sondern auch an Vollständigkeit und Praxisrelevanz. Da haperte es ein wenig, in der Schule hätten sie vom Lehrer eine mittelgute Note und den Hinweis auf das Fehlen weiterer Aspekte ins Heft geschrieben bekommen.
So ist das nun mal, es gibt eben Menschen mit mehr und Menschen mit weniger Intelligenz. Aber viele Personen vergessen nach Beendigung ihrer Ausbildung – in der sie hier und da mal halbwegs ungeschöntes Feedback bekommen haben – die Grenzen ihrer Klugheit. Innere Bescheidenheit oder gar Selbstzweifel liegen ihnen fern. Dabei kommt ihnen ein Mechanismus zu Gute, den ich als Schutz vor sich selbst bezeichnen möchte. Je weniger intelligent ein Mensch ist, desto weniger liegt es ihm, seine eigenen Grenzen zu erkennen. Mit einer gewissen Halbbildung, dem positiven Feedback aufgrund ganz anderer Faktoren (wie Aussehen, Auftreten oder irgendeinem Erfolg bei anderen Themen) und genügend Selbstbegeisterung werden sie blind für die eigenen Schwächen.

So auch bei der eingangs erwähnten Kollegin. Selbst meine Bemerkung über einen zentral wichtigen, hier aber nicht betrachteten Aspekt konnte sie nicht irritieren. Auf ihrem Standpunkt der Fehlerfreiheit beharrend teilte sie mir mit, meine Überlegungen bewusst nicht berücksichtigt zu haben. Ein Irrtum, wie sich ein paar Monate später herausstellte und meinen Gedanken Recht gab. Was allerdings zu diesem Zeitpunkt dann verjährt war.

Die uns mitgegebene Intelligenz ist deutlich unterschiedlich, während unserer Schullaufbahn versuchen die Lehrer immer wieder, sie zu quantifizieren, in eine Zahl („Note“)  zu pressen. Das mag mehr oder weniger gelingen, jedenfalls ist der Zeugnisdurchschnitt eine Indikation der geistigen Fitness. Für die gut Beurteilten ebnen sich damit weitere Entwicklungsmöglichkeiten, die weniger Guten müssen ihre Fähigkeiten bestmöglich verkaufen. Im Alltag fragt ja niemand nach dem Abschlusszeugnis, da kann dann jede Arbeitskraft mit eher mäßigem Intellekt im Sinne demokratischer Gleichberechtigung in einem Spezialistenteam mitreden.

Und auch hier kommt ein Prinzip zum Tragen, dass diese Mechanismen weiter verstärkt. Durch bloße Statistik (man denke an Binomialverteilung) gibt es weniger überdurchschnittlich intelligente Zeitgenossen als normale oder gar geistig zurückgebliebene Personen. Betrachtet man also ein Team und führt sich diesen Umstand vor Augen, dann kann der optimale Weg nicht in der Berücksichtigung der Mehrheit oder guter Argumentation von Sprechern liegen, sondern ist – sicher politisch ziemlich schwierig – am vermuteten Denkpotential zu messen.


Einstein hat angeblich mal gesagt „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Harte Worte, aber aus Sicht eines außergewöhnlichen Denkers die verbitterte Zusammenfassung meines Textes.


[Siehe auch: Künstliche Intelligenz, Emotionale Intelligenz]

Montag, 3. Januar 2022

Willkommen im Jahr 2022

Der erste Arbeitstag im neuen Jahr nimmt mich in gewohnter Weise in Empfang. Nach meinem Weihnachtsurlaub erwarten mich etwas über 1000 ungelesene Nachrichten, Terminanfragen und Rückrufbitten. Es ist der Moment, in dem ich am liebsten meinen Computer wieder ausschalten und mich ins Bett legen möchte. Das ist also 2022, oh mein Gott.

Eine Szene aus einem Spanienurlaub fällt mir ein. Ich hatte eine Weile in der Sonne gelegen und wollte nun zur Abkühlung zu einer kleinen Taucherplattform weiter draußen schwimmen. Also watete ich ins Wasser, ließ mich fallen und schwamm los. Nach einer ganzen Weile war die Plattform noch nicht deutlich näher gekommen, das Ufer aber schon merklich entfernt. Ich machte weiter meine Schwimmzüge, aber allmählich wurde mir klar, dass ich mit der verbleibenden Kraft weder das eine noch das andere erreichen konnte. Panik stieg auf, die Wellen kamen mir entgegen und schienen jetzt noch höher als vorher. Weit und breit kein Bademeister, kein Beckenrand. Das schlimme war weniger die Erschöpfung als die Angst, die zu Kurzatmigkeit und zum Blockieren von konstruktiven Gedanken führte.
Eine Weile ging das so, dann kam mir das Glück zu Hilfe in Form eines kleinen Bootes, in dem gutgelaunte Urlauber saßen, denen meine dramatische Situation überhaupt nicht klar war und die mich lachend ins Trockene zogen. Ich verriet ihnen nicht, dass ich mich vor ein paar Minuten schon dem Tode geweiht gefühlt hatte, erholte mich von meinem Schock und winkte ihnen freundlich zu, nachdem sie mich an Land abgesetzt hatten.

Hier ist nicht Spanien und ich habe beim Anblick von überquellenden Postkörben auch keine Todesängste. Aber dieses Gefühl der Panik, wenn man plötzlich nur noch flach atmet, alles zu viel, die Situation geradezu ausweglos erscheint: Da gibt es schon Parallelen. Und dann heißt es Ruhe zu bewahren, ein geeignetes Konzept zu überlegen.

Ich muss ja nicht jede Nachricht lesen, was gut ist kommt wieder. Zuerst eine Stunde Terminanfragen durchschauen, je nach Inhalt auch mal ablehnen. Und alle unwichtigen oder von vornherein veralteten Mails löschen. Pause machen, Nachrichten nach Absender sortieren und priorisieren. Was ich lese sortiere ich weg, bearbeite kleine Anfragen sofort und  verschiebe aufwändigere Dinge in ein Temporärverzeichnis. Nach einer weitere Stunde eine Pause, lüften von Zimmer und Geist, es ist eine ganz schön knackige Mischung, die mein Gehirn da zu verarbeiten hat. 
Nun ein anderes Sortierkriterium wie Eingangsdatum anwenden, die neuesten Nachrichten durchschauen, oft sind ja auch in einer Nachricht ganze Mailketten zusammengestellt, so dass ich die älteren zu diesem Thema gar nicht mehr lesen muss. Ach ja, Pause jetzt, „Schwangerschaftsgymnastik“ mit Atemübung. Die letzte Stunde vor Feierabend ausklingen lassen, die bearbeiteten Vorgänge noch mal rekapitulieren und die Fortsetzung für morgen planen. 

Am Ende des ersten Tages ist zwar immer noch ein enormer Berg E-Mails ungelesen oder unbearbeitet, aber die Erfahrung lehrt, dass auch dieser Berg irgendwann abgetragen ist. Aller Grund nach den ersten Erfolgen also, sich mit etwas Schönem zu belohnen und so den Start ins neue Arbeitsjahr doch angenehm zu gestalten.

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