Montag, 29. August 2022

Jugend ist ein nachwachsender Rohstoff


An manchen Tagen habe ich den Eindruck, die Welt steht still, dann wieder scheint sie sich wie wild zu drehen und alles fliegt nur so dahin. Tatsächlich ist die Zeit im physikalischen Sinn eine Dimension, allerdings ganz anders als die Raumdimensionen. Sie hat im menschlichen Sinn eine strenge Vorzugsrichtung, vergeht unaufhaltsam und wir pflegen sie in die Bereiche Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu strukturieren.

Unser Leben ist ein kurzer Abschnitt auf dieser Achse, jeder Mensch erlebt die Zeit zwischen Geburt und Tod als persönliche Erfahrung. Jeder Gedanke an bereits Erlebtes orientiert sich an der Vergangenheit, jeder Versuch die nächste Lebensphase zu planen ist mit Zukunftsüberlegungen gekoppelt.

Alternativ kann man die Zeit aber auch anders wahrnehmen. Man wählt einen gewissen Ort und beobachtet von dort die Veränderung. Ich stelle ich mir vor, ich befände mich in meinem alten Klassenzimmer; vor und auch nach mir haben viele Kinder und Jugendliche dort auf den Stühlen gesessen. Wenn der Raum erzählen könnte, wüsste er so manche Geschichte zu berichten. Die Schülerinnen und Schüler strömen über die Jahre an ihm vorbei. Jugend, so würde er sich vielleicht ausdrücken, ist ein nachwachsender Rohstoff.

Mir gefällt dieser Gedanke, stellt er doch beruhigend heraus, dass die Jugend von heute die Mid-Ager von morgen sind. Und dass ich akzeptieren muss, dass ich diese Lebensphase längst hinter mir gelassen habe. Ein Festhalten an (damaligen) Ritualen, das jugendliche Lebensumfeld und die seinerzeitigen Vorlieben ist irgendwann nicht mehr adäquat. Mit der Zeit verändern sich die Ansprüche, verschieben sich die Werteskalen.

Daneben führt einem das unerbittliche Weiterschreiten auch die Vergänglichkeit vor Augen. Schönheit lässt sich nicht wirklich konservieren, bestenfalls kann man den äußeren Alterungsprozess ein wenig verlangsamen. Und auch hier erzwingt der Zeitverlauf, dass wir uns mit den unumgänglichen Veränderungen arrangieren, zeitlose Qualitäten spielen eine zunehmend wichtigere Rolle. Während unser Körper altert, können Eigenschaften wie Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit bis ins hohe Alter erhalten bleiben.

Neben dem Körper sind aber auch die Psyche und der Geist von der Alterung betroffen. Ich denke nicht nur an Alterskrankheiten, auch die nicht-pathologischen Veränderungen müssen wir als gegeben erkennen und akzeptieren. Vergleichbar unserer Hülle lässt sich vielleicht der Altersstarrsinn ein wenig aufhalten und die Weltoffenheit und Neugierde im Gegenzug konservieren. Aber an die jugendliche Wendigkeit und Lernfähigkeit können wir irgendwann nicht mehr anknüpfen.

Kein Grund zur Sorge. Während Liebreiz in Charisma übergehen kann, ist die Weiterentwicklung von Schulwissen zu Erfahrungsschätzen eine durchaus reizvolle Perspektive.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 22. August 2022

Ein Hoch auf Corona

Mal ganz ehrlich: Wir können doch wirklich froh sein, dass es Corona gibt. Oder gab. (Wer weiß das schon?) In den Geschichtsbüchern der Zukunft wird die Pandemie als herausragendes und weltweites Ereignis notiert sein, auf Augenhöhe mit der industriellen Revolution. Natürlich, die Opferzahlen werden dann aufgeführt sein, die politischen Diskussionen vielleicht auch erwähnt, aber im Mittelpunkt die revolutionären Veränderungen, die durch dieses Virus hervorgerufen wurden. Branchen, die vorher schon kränkelten sind untergegangen. Alles, was online zu machen ist, hat einen beispiellosen Aufschwung erlebt. Preise für alltägliche Dienstleistungen sind explodiert, die bis dato gebeutelte Logistikbranche war plötzlich der strahlende Gewinner. Endlich konnten die realen Preise am Markt durchgesetzt werden, eine großzügige Marge ließ den Schmerz der vergangenen Jahre und Jahrzehnte vergessen.

Aber nicht nur Märkte änderten sich. Auch die Erbringung von Arbeitsleistung und deren Einbettung in das Leben erhielten eine neue Facette. Homeoffice wurde gesellschaftsfähig, mobile Arbeit an vielen Stellen integraler Bestandteil der Arbeitsverhältnisse. Was sich sowohl auf die Ausstattung, die Wohnungen als auch auf das Controlling der Mitarbeiter und deren Leistung auswirkte. Zumindest in den Industriestaaten war nichts mehr wie es vorher war.

Bemerkenswert aber nicht nur die Sprunghaftigkeit der Änderungen, sondern auch die Beschleunigung von Trends und Tendenzen, die vorher eigentlich schon absehbar waren. Geschäfte, die ihre Präsenz im Internet nur zögerlich entwickelt hatten, mussten nun die für die nächsten Jahre geplante Umstellung in wenigen Monaten vorantreiben. Die Veränderung von Lieferketten und die immer wieder ausfallenden Zulieferungen erzwangen die Neubewertung von just-in-time und Risikomanagement im Bereich Lagerhaltung.

Überhaupt bekamen wir einen neuen Blick auf das Thema Globalisierung. Was bislang als große Chance eingestuft wurde, war nun auf einmal eine Bedrohung. Die Renaissance der Selbstversorgung war ebenso Pandemie-getrieben wie die Wertschätzung bis dahin als selbstverständlich wahrgenommener Güter und Dienstleistungen.

Es gibt – so möchte man verallgemeinernd festhalten – auch bei der an und für sich eher negativen Epidemie eine recht ausgeprägte (gute) Seite der Medaille.

Montag, 15. August 2022

Tschüss Horst

Vor ein paar Tagen ist ein Arbeitskollege in den Ruhestand gegangen. Er hat die Altersgrenze erreicht und wird nun nicht mehr für das Unternehmen tätig. Horst war und ist ein Sympathieträger, obendrein fachkundig und ausgesprochen fleißig. Ein hervorragender Mitarbeiter also, der nun nicht mehr zur Verfügung steht.

Bei der Verabschiedung konnte ich mich überzeugen, dass er nicht nur geistig, sondern auch körperlich noch in einem tollen Zustand ist – kurz gesagt: eigentlich zu jung für die Rente. Und das ist nicht nur mein Eindruck, er selbst erzählt begeistert von der Zukunft, von den Aktivitäten, denen er jetzt endlich die Zeit widmen kann, die ihm dafür bisher gefehlt hat. Nein, lässt er mich wissen, er wolle sich nicht zur Ruhe setzen, er peile den Aufbau eines eigenen Betreuungsangebotes für Kinder an, was durch Corona komplett zum Erliegen gekommen war.

So geht er also in eine neue Lebensphase über. Er ist dann wieder tätig, weiß aber jetzt nach Jahrzehnten Erfahrung, was er gut kann und die Organisation seines Tages ist deutlich weniger fremdbestimmt. Diese Veränderung erlebe ich bei vielen Menschen, die ihre reguläre Arbeit beenden, dann aber zügig zu einer anderen Form der Beschäftigung übergehen. Mal ist es ein beachtliches gemeinnütziges Engagement, mal die aktive Besetzung einer politischen Funktion.

Was diese Menschen verbindet ist der nach wie vor vorhandene Tatendrang. Vielleicht sogar noch ausgeprägter als in den letzten Jahren, in denen sie in ihrer Berufstätigkeit nicht mehr die ursprüngliche Erfüllung gefunden haben. Und sie sind weder körperlich verbraucht noch seelisch abgehalftert.

Ist denn, so frage ich mich, unser klassisches Rentenmodell heute überhaupt noch zeitgemäß? Sollte man nicht gerade für rüstige ältere Mitmenschen die ganz normale Arbeit fortsetzen, nur unter anderen Rahmenbedingungen? Zweifellos erbringen sie mit ihrer zum Teil ehrenamtlichen Leistung einen messbaren Teil des Bruttoinlandsproduktes, sind dank ihrer Erfahrung ein wichtiger Faktor in der Begleitung von Betrieb und Fortschritt. Wobei gerade im Fortschritt großes Potential liegt, wenn man ihre Erfahrung direkt mit Nachwuchskräften zusammenbringt, die mit den neuesten Techniken groß geworden sind und eine moderne Ausbildung hinter sich haben.

Ein merklicher Teil der Deutschen hat beim Ausscheiden aus dem Berufsleben keine Lust mehr, viele Jahre ähnlicher Tätigkeit und Schwierigkeiten bei der Gestaltung der eigenen Aufgaben haben das Engagement auf ein Minimum reduziert. Ein wenig Abstand, ein paar Monate der Erholung und dann kommt die Frage: War’s das? Und die Antwort: Nein, da geht noch was.

Hier müssen wir ansetzen, die neu aufkeimende Motivation 2.0 erkennen, fördern, gezielt nutzen. Man könnte sich vorstellen, dass nach einem Jahr ein Schreiben ins Haus flattert mit dem Angebot, in Teilzeit wieder einzusteigen. Denkbar auch Kooperationen zwischen Unternehmen, bei denen eine Jobrotation nach Renteneintritt systematisch organisiert, ein Werben um diese wertvollen Ressourcen und ein altersgerechtes Onboarding angeboten werden.

Sehr deutlich konzentrieren sich Personalabteilungen auf die Rekrutierung von Nachwuchskräften, auf dem Markt auch Rentner als Zielgruppe zu verstehen hat sich noch nicht herumgesprochen. Und dabei sollte nicht abschrecken, dass dieser Antritt leider auch durch Politik und die übliche Finanzsteuerung konterkariert wird.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

Montag, 8. August 2022

Keine so gute Idee

„Atomkraft – nein Danke“ kam als Slogan auf, als ich gerade mal neun Jahre alt war. Die lächelnde rote Sonne stand nicht nur für die Ablehnung der zivilen Nutzung von Atomenergie; Nein, sie war Symbol für ein Umdenken, das wir heute vielleicht mit dem Begriff Nachhaltigkeit belegen würden. Natürlich wurde ich von den Strömungen mitgerissen, hörte die Argumente und begann, mich mit den dahinter liegenden Sachen zu befassen. Was mich bis in mein Studium der Physik verfolgte und die Notwendigkeit der Distanzierung von umfänglicher Nutzung dieser Technologie immer deutlicher werden ließ.

Unzählige Demonstrationen, Regierungswechsel und viele Jahre gingen ins Land, bis die raue Ablehnung sich in vertragliche Änderungen und den so genannten Atomausstieg manifestierte. Endlich – so schien es – hatte die Vernunft über eine massive Lobby gesiegt. Und begleitet wurde diese Entwicklung durch den Aufbau anderer Ansätze zur Energiegewinnung. Windkraftwerke erlebten einen Boom, hier und da wurden auch Wasser- oder Gezeitenkraftwerke gebaut. Nicht zu vergessen der Ausbau von Photovoltaik, als Park hier und für Privathäuser da.

Doch wie bei allen Veränderungen gab es unverzüglich Gegenbewegungen. Die Endlagerung von Atommüll wird als nur derzeit noch ungelöstes Problem deklariert. Die Windkraftwerke belasten unverhältnismäßig die Landschaft und Flächen mit Photovoltaik vernichten Ackerfläche. Ob diese Argumente stimmen und wie man sie gegeneinander abwiegen muss, das beschäftigt zahlreiche Gutachter und nicht wenige Gerichtshöfe in Deutschland.

Das zähe Ringen der verschiedenen Interessensgruppen und der große Aufwand, der zum Herbeiführen einer Entscheidung getroffen wird, führt zu langwierigen und selten endgültigen Entscheidungen. Es sei denn – wie jüngst geschehen – es kommen neue Entscheidungsfaktoren ins Spiel. Die bisher erzielten Standpunkte und Festlegungen weichen nun plötzlich einer als pragmatisch bezeichneten neuen Ausrichtung.

Die Nachteile der verschiedenen Formen der Energiegewinnung haben sich nicht geändert; doch bei gleichbleibendem Bedarf ist plötzlich Gas als eine bislang als sicher eingeschätzte Energiequelle ausfallgefährdet. Und was liegt da näher als die bisherige Konstellation weiter zu betreiben und den Ausstieg einfach aufzuschieben. Menschlich verständliche Sicht, es ist ja bislang gutgegangen (mal abgesehen von Tschernobyl).

Kurzfristig akzeptabel, aber es fehlt der deutliche Wille, in für uns nun mal ausgesprochen wichtige Forschungsfelder zu investieren. Erdwärme, Wasserstoffgewinnung, Energiespeicherung und –transport sowie eine Vielzahl weiterer Schwerpunkte werden in sträflicher Form vernachlässigt.

Montag, 1. August 2022

Hallo Kollege, danke schön

Wie die Zeit vergeht – mehr als 50 Jahre vor der heutigen Zeit versuchte der Deutsche Verkehrssicherheitsrat uns auf respektvolle und defensive Verhalten im Straßenverkehr einzustimmen: „Hallo Partner, danke schön“. Weg vom Platz-da-jetzt-komme-ich, mit zunehmender Anzahl der Kraftfahrzeuge schien ein Umdenken dringend notwendig. Aus heutiger Sicht wirkt der Slogan ein wenig altbacken und ich würde mich auch nicht als Partner aller anderen Verkehrsteilnehmer sehen wollen.

Doch der Aufruf zum defensiven Fahrstil ist auch heute noch aktuell. Egal, wie manche Fahrzeugführer das sehen, die Pferdestärken ihres Vehikels oder die Höhe des Dachfirstes ihres SUVs sind keine Argumente; Und gewöhnliche Autos sind auch nicht als Waffe zu verstehen.

Einen Schritt weitergedacht geht es neben der zurückhaltenden Grundeinstellung auch um vorausschauende Planung der Fortbewegung. Ich brauche keine Glaskugel, um zu vermuten, dass der flotte PKW auf der rechten Spur gleich den langsamen LKW vor ihm überholt und dazu auf meine Spur wechselt. Wenn ich dann nicht extra beschleunige, sondern vielmehr den Fuß vom Gas nehme, gar bremsbereit bin, dann ist das für alle Beteiligten entspannend und energieschonend.

Kür ist dann ein Fahrstil, der Fehler der anderen Verkehrsteilnehmer einkalkuliert, nennen wir es mal fehlertolerant. Selbst wenn mein Vordermann unvermittelt bremst, der entgegenkommende Fahrer sich in seinem Überholvorgang verkalkuliert hat, die Kurve enger ist als gedacht und plötzlich ein Reh auf der Fahrbahn steht. Niemand ohne hellseherische Fähigkeiten kann all dies stets unfallfrei parieren, aber die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls deutlich verringern, die Folgen erheblich reduzieren und dieses peinliche Schulterzucken „Wie hätte ich das wissen sollen?“ vermeiden.

Und die Moral von der Geschichte: Gilt nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch im zwischenmenschlichen Umgang und im Teamwork.