Montag, 15. August 2022

Tschüss Horst

Vor ein paar Tagen ist ein Arbeitskollege in den Ruhestand gegangen. Er hat die Altersgrenze erreicht und wird nun nicht mehr für das Unternehmen tätig. Horst war und ist ein Sympathieträger, obendrein fachkundig und ausgesprochen fleißig. Ein hervorragender Mitarbeiter also, der nun nicht mehr zur Verfügung steht.

Bei der Verabschiedung konnte ich mich überzeugen, dass er nicht nur geistig, sondern auch körperlich noch in einem tollen Zustand ist – kurz gesagt: eigentlich zu jung für die Rente. Und das ist nicht nur mein Eindruck, er selbst erzählt begeistert von der Zukunft, von den Aktivitäten, denen er jetzt endlich die Zeit widmen kann, die ihm dafür bisher gefehlt hat. Nein, lässt er mich wissen, er wolle sich nicht zur Ruhe setzen, er peile den Aufbau eines eigenen Betreuungsangebotes für Kinder an, was durch Corona komplett zum Erliegen gekommen war.

So geht er also in eine neue Lebensphase über. Er ist dann wieder tätig, weiß aber jetzt nach Jahrzehnten Erfahrung, was er gut kann und die Organisation seines Tages ist deutlich weniger fremdbestimmt. Diese Veränderung erlebe ich bei vielen Menschen, die ihre reguläre Arbeit beenden, dann aber zügig zu einer anderen Form der Beschäftigung übergehen. Mal ist es ein beachtliches gemeinnütziges Engagement, mal die aktive Besetzung einer politischen Funktion.

Was diese Menschen verbindet ist der nach wie vor vorhandene Tatendrang. Vielleicht sogar noch ausgeprägter als in den letzten Jahren, in denen sie in ihrer Berufstätigkeit nicht mehr die ursprüngliche Erfüllung gefunden haben. Und sie sind weder körperlich verbraucht noch seelisch abgehalftert.

Ist denn, so frage ich mich, unser klassisches Rentenmodell heute überhaupt noch zeitgemäß? Sollte man nicht gerade für rüstige ältere Mitmenschen die ganz normale Arbeit fortsetzen, nur unter anderen Rahmenbedingungen? Zweifellos erbringen sie mit ihrer zum Teil ehrenamtlichen Leistung einen messbaren Teil des Bruttoinlandsproduktes, sind dank ihrer Erfahrung ein wichtiger Faktor in der Begleitung von Betrieb und Fortschritt. Wobei gerade im Fortschritt großes Potential liegt, wenn man ihre Erfahrung direkt mit Nachwuchskräften zusammenbringt, die mit den neuesten Techniken groß geworden sind und eine moderne Ausbildung hinter sich haben.

Ein merklicher Teil der Deutschen hat beim Ausscheiden aus dem Berufsleben keine Lust mehr, viele Jahre ähnlicher Tätigkeit und Schwierigkeiten bei der Gestaltung der eigenen Aufgaben haben das Engagement auf ein Minimum reduziert. Ein wenig Abstand, ein paar Monate der Erholung und dann kommt die Frage: War’s das? Und die Antwort: Nein, da geht noch was.

Hier müssen wir ansetzen, die neu aufkeimende Motivation 2.0 erkennen, fördern, gezielt nutzen. Man könnte sich vorstellen, dass nach einem Jahr ein Schreiben ins Haus flattert mit dem Angebot, in Teilzeit wieder einzusteigen. Denkbar auch Kooperationen zwischen Unternehmen, bei denen eine Jobrotation nach Renteneintritt systematisch organisiert, ein Werben um diese wertvollen Ressourcen und ein altersgerechtes Onboarding angeboten werden.

Sehr deutlich konzentrieren sich Personalabteilungen auf die Rekrutierung von Nachwuchskräften, auf dem Markt auch Rentner als Zielgruppe zu verstehen hat sich noch nicht herumgesprochen. Und dabei sollte nicht abschrecken, dass dieser Antritt leider auch durch Politik und die übliche Finanzsteuerung konterkariert wird.

[Andere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges]

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