Montag, 29. Mai 2023

Pfingsten – lasse den Geist zu mir kommen

Ich sitze auf dem Balkon mit Blick auf den Garten, Dämmerung, gesättigt vom Abendessen und ein Glas alkoholischen Getränkes in der Hand. Mein Geist kommt zur Ruhe, die Gedanken sammeln sich zu einem Fackelzug durch die Berge und Täler meiner Denkwelt. Mit ruhigem Schritt gehe ich voran, habe mich vorhin an die Spitze des Zuges begeben.

Noch mal ein kleiner Schluck, sehr tief atme ich ein, halte einen Moment die Luft an und pumpe nun den gesamten Atem langsam und bewusst wieder zurück in den lauwarmen Frühling. Es ist Pfingstmontag und in Gedenken an die Ereignisse vor vielen Jahrhunderten frage ich mich nach dem Geist, der seinerzeit herabgekommen ist. Dieser Geist möge doch bitte auch zu mir kommen, was verbirgt sich dahinter: Vielleicht eine Art Gespenst, vor dem ich Angst haben sollte oder ist doch eher eine (Geistes-)Haltung gemeint, eine Einstellung, die ich mir zu eigen machen kann und soll? Zumal es ja auch nicht irgendein Geist ist, nein, es ist der Geist Gottes.

Ganz ehrfürchtig halte ich inne. Dieses große Wort, in dieser oder abgewandelter Form Menschen rund um unseren Globus bekannt, meist mit Personen, Figuren und Bildern verknüpft. Ein weiterer Schluck, denn mein Geist (also meine Gedanken) braucht noch einmal Nahrung, sich mit diesen Zusammenhängen zu beschäftigen. Jetzt erscheint es mir doch ziemlich klar, dass ich einen Grundgedanken verstehen soll, be-herzigen soll.

Mittlerweile ist die Dämmerung einer nächtlichen Dunkelheit gewichen. Der Geist des Weines hat mich fest in seine Arme genommen, mit freundlichem Zwinkern reicht er mir die Hand, eine Art Bergführer, der mir bei der Wanderung mit meinen Gedanken zur Seite steht. Auch er ein Geist, diesmal im Sinne von Essenz, dem Wesentlichen und Charakteristischen. Wenn ich es so interpretiere ist der Geist Gottes also die auf den Punkt gebrachte Botschaft. Nur: Welche ist es, wie soll ich sie unter all den vorgeschobenen Bildern, den falschen Auslegungen und zeremoniellen Verbrämungen finden?

Pfingsten - lasse den Geist zu mir kommen
Noch vor dem nächsten Nippen am Glas klingelt mein Telefon, ein Freund ruft an, gerade ist er aus seinem Garten zurückgekommen, in dem er den ganzen Tag Sommerblumen gesetzt hat. Ach, denke ich, was er alles schafft, wie schön er mit seinen Händen die kleine Parzelle gestaltet und sowohl den Pflanzen als auch sich selbst zur Freude macht. Und weiter denke ich daran, dass auch die Leistung von Kain und Abel laut Überlieferung gegen den göttlichen Auftrag gemessen wurde, und egal ob es damals um Ackerbau und Viehzucht ging, zentraler Punkt war und ist das gebrachte Opfer. Ist es da nicht naheliegend, dass es das Erschaffen und die Pflege sind, die Gottes Geist entsprechen.

Und so endet der Abend mit ein paar aufmunternden Worten zu meinem Freund, ich wünsche ihm, dass er morgen keinen allzu heftigen Muskelkater von der Gartenarbeit hat und verspreche, dass ich mir sein Machwerk in den nächsten Tagen anschauen komme.

Montag, 22. Mai 2023

Que sera sera

In ihren tief philosophischen Filmen sang Doris Day die Hymne aller Menschen, die fatalistisch in den Tag hinein leben: Que sera sera (Was sein wird, wird sein.) Nun ist das vielleicht kein Freibrief, alles einfach nur lethargisch hinzunehmen, steuer- und ziellos durch das Leben zu irren. Aber es ist schon ein wenig Wahrheit darin, wie selbst nüchterne Charaktere wie Mathematiker oder Physiker bestätigen.

Que sera sera
Unser Lebensweg ist nämlich gar nicht einfach. Er ist auch nicht einfach kompliziert, nein, im Sinne des Cynefin-Modells ist er komplex. Es gibt unendlich viele große und kleine Einflussfaktoren, die wir zum Teil steuern, zum allergrößten Teil aber nur erdulden können. Mein Geburtsort, die familiäre Situation, meine geistige und körperliche Grundausstattung, gesellschaftliche und politische Rahmenbedingungen – all das ist mehr oder weniger fix vorgegeben. Im besten Fall kann ich je nach Umfeld Einfluss auf meine Ausbildung, Entwicklung, meinen Freundeskreis, Partnerin nehmen. Aber egal ob ich das tue oder nicht: ich werde mitgerissen, selbst wenn ich alleine auf einer einsamen Insel lebe.

Que sera also. Irgendwas passiert, was auch immer. In die Zukunft kann man entsprechend nicht schauen, weil sie im Sinne komplexer Systeme höchstens in recht groben Zügen absehbar ist. Und so ist man im philosophischen Sinne optimal aufgestellt, wenn man nicht nur ehrgeizig ein einziges Ziel verfolgt: Risikostreuung der Lebensplanung kann bei Planänderungen helfen. Nur auf eine Firma, eine Berufstätigkeit, eine Person oder einen Ort zu setzen ist zumindest latent gefährlich.

Und es gibt noch eine weitere Konsequenz, die sich aus que sera sera ergibt. Man ist gut beraten, die schönen Momente im Leben, wenn es gut läuft und die Tage einfach gut sind, genau diese Momente zu genießen. Und andererseits die Hoffnung nicht aufzugeben, wenn das Leben schwer ist, Schicksalsschläge, Gegenwind, Verrat und Betrug. Denn der nächste Tag bringt – so oder so – neue Bedingungen mit sich und ist so einzigartig wie jedes Individuum auf diesem Planeten.


Montag, 15. Mai 2023

Mein täglicher Coitus Interruptus

Frisch ans Werk, denke ich, wenn ich morgens den Computer starte. Ein paar Minuten, dann hat er seine Bootsequenz hinter sich, die Sicherheitseinstellungen verinnerlicht und öffnet automatisch die tagesüblichen Programme.

Erster zaghafter Blick auf den Posteingang in Outlook, naja, seit gestern Abend sind nicht allzu viele neue Nachrichten eingetroffen. Zwei zur Kenntnis, dann die erste E-Mail mit Handlungsbedarf. Ich beginne den Text zu lesen, doch nach den ersten zwei Zeilen ist Schluss, weil das Telefon klingelt. Ich nehme ab und lasse mir vom Kollegen einen Sachverhalt darstellen, den er gerade bearbeitet.

Aufgelegt. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, im Posteingang. Mittlerweile sind mehrere neue E-Mails hinzugekommen, ich schaue durch, ob eine dringende Sache dabei ist. Bei einer der Nachrichten ist das nicht aus dem Betreff erkennbar, ich öffne sie und lese den Text, so ganz klar wird die Botschaft immer noch nicht, ich muss auch noch den Anhang öffnen. Während Powerpoint startet poppt unten rechts ein Hinweisfenster auf, eine Kollegin schickt mir eine Chat-Nachricht. Um was geht es bei ihr? Ich schaue mir die Kurznachricht an, sie teilt mit, dass sie jetzt Tests durchführen will und ob die Testumgebung zur Verfügung steht.

Ich rufe die Monitoringkonsole für den Testserver auf, er ist betriebsbereit. Aber sicherheitshalber will ich den Server noch mal über die Bedienoberfläche aufrufen, also den Browser starten und – ähm, wie war noch mal die URL? Eine Minute später habe ich die Liste mit den Servern herausgesucht und kopiere die Adresse der Testmaschine. Erneut poppt das Hinweisfenster auf, die Kollegin fragt nach, ob ich ihre Nachricht gelesen hätte. Und sofort danach meldet sich ebenfalls über Teams ein Kollege aus dem Betrieb mit dem Hinweis, dass das Datenbankupdate um eine Woche verschoben wird. Das darf ich nicht vergessen, also erst mal Wechsel zu Outlook und dort den Kalendereintrag ändern.

Was hatte ich zuletzt gemacht, wo soll ich fortsetzen? Erst mal der Kollegin wegen dem Testsystem antworten, dass ich dran bin? Oder erst schauen, ob das Testsystem erreichbar ist und ihr direkt Erfolg melden? Warum ist eigentlich Powerpoint geöffnet, ach ja, wegen der Präsentation von der unklar formulierten E-Mail. Besser mal kurz einen Blick auf den Posteingang, ob jetzt etwas Dringendes eingetroffen ist. Habe ich eigentlich schon die Rückrufliste vom Telefon kontrolliert? Und wie lange habe ich noch bis zur ersten Sitzung?

Täglicher Coitus Interruptus
Der Kopf beginnt zu rauchen. Erst mal einen Schluck Wasser, Blick aus dem Fenster und Gedanken sammeln, gaaanz ruhig! Ich atme tief durch und beschließe, nach dem Testserver zu schauen. Genau, das war zunächst daran gescheitert, weil ich die URL nachschauen musste, ist die noch in der Zwischenablage? Aus der länglichen Liste geöffneter Programme suche ich den Browser heraus, klicke mit der Maus in die Adresszeile und, ja, jetzt hätte ich beinahe die Bearbeitung fortgesetzt, wenn nicht das Telefon klingelte. Blick auf das Display, nein, das kann warten, ich habe im Moment zu viele angefangene Vorgänge, aber ich muss dran denken, nachher zurückzurufen.

Die erste Sitzung naht. Aber meine Test-Freundin hat noch keine Antwort erhalten, das muss ich unbedingt noch vor dem Meeting erledigen, sie wartet ja auf ein Signal von mir. Trotz tapferer Versuche schaffe ich es nicht mehr vor Beginn der Konferenz sowohl den Check durchzuführen als auch eine Nachricht an die Kollegin zu schreiben. Während die ersten Sätze ausgetauscht werden und die Agenda vorgestellt wird bin ich auf dem anderen Bildschirm und rufe endlich das Frontend des Testsystems auf. Eine Meldung, weil mein Passwort falsch ist, wie war das noch in der Testumgebung, gab es da nicht ein Standardpasswort oder wo könnte ich es mir notiert haben? Bevor ich es herausbekomme fällt mein Name, kann ich bitte einen Status zu Punkt vier berichten. Ich bin wieder ganz in der Sitzung, aber verdammt, wo sind die anderen gerade und wie war denn noch mal der Stand.

Ich komme mir vor wie ein Alleinerziehender, immer mit schlechtem Gewissen. Mal gegenüber dem Beruf, mal gegenüber dem Kind. Oder ist es wie Sex mit einem Dutzend Frauen und immer nur bis kurz vor dem Höhepunkt und jede quengelt, weil sie sich vernachlässigt fühlt.


Montag, 8. Mai 2023

Hey Mr. DJ Play My Song

Hey Mr. Dj Play my Song

Endlich mal wieder im Club und so richtig abhotten. Was für ein Samstag, was für ein Rausch der Sinne, was für ein Cocktail aus Musik und Bewegung. Diese Enge auf der Tanzfläche, diese simultanen Bewegungen zu einem Takt, anonymes und doch vertrautes Einschwingen.

Und das alles wie von einer fremden Macht gesteuert und vorgegeben vom Diskjockey, dem Herrn der Beschallung. Sein Gefühl für unsere Stimmung, für die geeigneten Titel nimmt uns mit auf unserer Reise durch den Abend. Trifft er die Erwartung, dann ist es voll auf der Fläche, Hände recken sich in die Luft, Hüften kreisen, Füße stampfen. Liegt er daneben ist mal für einen Titel Durchhalten oder Trägheit angesagt, aber wenn es länger nicht passt, dann leert sich der Tanzbereich.

Die Augen noch geschlossen, wogend unter den dröhnenden Beats denke ich kurz an die letzte Woche, oder ist es die kommende? Jedenfalls frage ich mich, ob es da auch einen DJ gibt, eine Führungskraft, die mich mitnimmt, bei der ich voller Begeisterung mittanze. Gelingt es, dann merkt man die Anstrengung der Bewegung gar nicht, stellt am Ende des Abends überrascht fest, dass man nassgeschwitzt ist. Andernfalls wird es mühsam, der Takt oder sagen wir die Herausforderungen der beruflichen Tätigkeit werden zur Last.

Oh, denke ich: „Mister DJ play my song“. Dieses Wechselspiel zwischen Drücken der richtigen Knöpfe am Mischpult und Gleichklang der Reaktion auf der Tanzfläche. Timing ist wichtig, wann sind am Abend welche Songs gefragt, aber auch Empathie für das Publikum: Wie ist gerade die Stimmung, was heizt an, was kühlt ab.

Oh, denke ich: Das rette ich mir in meine neue Arbeitswoche.

[Weitere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges] 

Montag, 1. Mai 2023

Wer glaubt denn sowas?

Auch wenn ich noch so viele Cookies ablehne, den Cache leere und im Browser zum privaten Surfen wechsle: Allerlei Werbung und unaufgeforderte Artikel werden mir rechts und links der gewünschten Inhalte angezeigt. Das ist ja grundsätzlich nicht weiter schlimm, ich ignoriere die bunten Bildchen und abstrusen Schlagzeilen einfach.

Wer glaubt denn sowas

Doch halt, manchmal rutschen meine Augen dann doch auf die Werbebotschaften. Und da lese ich von Hörgeräten, die selbst Experten zum Staunen bringen und Haarwuchsmitteln, die bislang nur in China für wundersame Wiederbelebung der Pracht gesorgt haben. „Ach herrje“, denke ich dann, „wer glaubt denn sowas?“ Aber erstens, doch, es gibt nicht so wenig Menschen, die weiterlesen und die Behauptungen für bare Münze halten. Und zweitens, ein wenig von dem für mich unglaubwürdigen Teil bleibt vielleicht doch hängen. Wie war das noch mal mit dem Haarwuchsmittel? Kündigt sich hier vielleicht doch eine neue Entdeckung an, die meine Glatze zur Matte machen könnte?

Herzlich willkommen im weitläufigen Reich der informativen Grauzone. Im besten Fall gibt es irgendwelche Fakten, die noch halbwegs seriös nachgeschaut werden können. Die werden aber aus dem Zusammenhang gerissen, wodurch die Prämisse für ihre Richtigkeit verloren geht. Im nächsten Schritt werden diese zwangsweise verallgemeinerten Aussagen veröffentlicht, im Idealfall mit einem klingenden Namen oder einem Botschafter mit großer Anzahl Follower. Alternativ taucht die Behauptung im Sinne „habe ich gehört“ irgendwo auf und verbreitet sich dann unter dem Siegel der Verschwiegenheit viral.

Wobei der Begriff viral doch sonst meist im Sinne von Ansteckung und Krankheit verwendet wird. Viren also etwas negatives, was man abzuwehren hat. Nur hier nicht, bereitwillig leite ich das lustige Bild mit der sagen wir mal wenig substantiierten Botschaft weiter. Und nun steht inzwischen mein Name darunter, den ich unbedacht für diese Aussage als Qualitätssiegel hergegeben habe.

Da ist es also passiert: Für den Leser ist überhaupt nicht mehr zu erkennen, ob es sich um eine hanebüchene Konstruktion handelt oder die Sache Hand und Fuß hat. Und jetzt wird die Frage „Ja, wer glaubt denn sowas?“ plötzlich sehr schwierig zu beantworten.