Frisch ans Werk, denke ich, wenn ich morgens den Computer starte. Ein paar Minuten, dann hat er seine Bootsequenz hinter sich, die Sicherheitseinstellungen verinnerlicht und öffnet automatisch die tagesüblichen Programme.
Erster zaghafter Blick auf den Posteingang in Outlook, naja, seit gestern Abend sind nicht allzu viele neue Nachrichten eingetroffen. Zwei zur Kenntnis, dann die erste E-Mail mit Handlungsbedarf. Ich beginne den Text zu lesen, doch nach den ersten zwei Zeilen ist Schluss, weil das Telefon klingelt. Ich nehme ab und lasse mir vom Kollegen einen Sachverhalt darstellen, den er gerade bearbeitet.
Aufgelegt. Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, im Posteingang. Mittlerweile sind mehrere neue E-Mails hinzugekommen, ich schaue durch, ob eine dringende Sache dabei ist. Bei einer der Nachrichten ist das nicht aus dem Betreff erkennbar, ich öffne sie und lese den Text, so ganz klar wird die Botschaft immer noch nicht, ich muss auch noch den Anhang öffnen. Während Powerpoint startet poppt unten rechts ein Hinweisfenster auf, eine Kollegin schickt mir eine Chat-Nachricht. Um was geht es bei ihr? Ich schaue mir die Kurznachricht an, sie teilt mit, dass sie jetzt Tests durchführen will und ob die Testumgebung zur Verfügung steht.
Ich rufe die Monitoringkonsole für den Testserver auf, er ist betriebsbereit. Aber sicherheitshalber will ich den Server noch mal über die Bedienoberfläche aufrufen, also den Browser starten und – ähm, wie war noch mal die URL? Eine Minute später habe ich die Liste mit den Servern herausgesucht und kopiere die Adresse der Testmaschine. Erneut poppt das Hinweisfenster auf, die Kollegin fragt nach, ob ich ihre Nachricht gelesen hätte. Und sofort danach meldet sich ebenfalls über Teams ein Kollege aus dem Betrieb mit dem Hinweis, dass das Datenbankupdate um eine Woche verschoben wird. Das darf ich nicht vergessen, also erst mal Wechsel zu Outlook und dort den Kalendereintrag ändern.
Was hatte ich zuletzt gemacht, wo soll ich fortsetzen? Erst mal der Kollegin wegen dem Testsystem antworten, dass ich dran bin? Oder erst schauen, ob das Testsystem erreichbar ist und ihr direkt Erfolg melden? Warum ist eigentlich Powerpoint geöffnet, ach ja, wegen der Präsentation von der unklar formulierten E-Mail. Besser mal kurz einen Blick auf den Posteingang, ob jetzt etwas Dringendes eingetroffen ist. Habe ich eigentlich schon die Rückrufliste vom Telefon kontrolliert? Und wie lange habe ich noch bis zur ersten Sitzung?
Der Kopf beginnt zu rauchen. Erst mal einen Schluck Wasser, Blick aus dem Fenster und Gedanken sammeln, gaaanz ruhig! Ich atme tief durch und beschließe, nach dem Testserver zu schauen. Genau, das war zunächst daran gescheitert, weil ich die URL nachschauen musste, ist die noch in der Zwischenablage? Aus der länglichen Liste geöffneter Programme suche ich den Browser heraus, klicke mit der Maus in die Adresszeile und, ja, jetzt hätte ich beinahe die Bearbeitung fortgesetzt, wenn nicht das Telefon klingelte. Blick auf das Display, nein, das kann warten, ich habe im Moment zu viele angefangene Vorgänge, aber ich muss dran denken, nachher zurückzurufen.
Die erste Sitzung naht. Aber meine Test-Freundin hat noch keine Antwort erhalten, das muss ich unbedingt noch vor dem Meeting erledigen, sie wartet ja auf ein Signal von mir. Trotz tapferer Versuche schaffe ich es nicht mehr vor Beginn der Konferenz sowohl den Check durchzuführen als auch eine Nachricht an die Kollegin zu schreiben. Während die ersten Sätze ausgetauscht werden und die Agenda vorgestellt wird bin ich auf dem anderen Bildschirm und rufe endlich das Frontend des Testsystems auf. Eine Meldung, weil mein Passwort falsch ist, wie war das noch in der Testumgebung, gab es da nicht ein Standardpasswort oder wo könnte ich es mir notiert haben? Bevor ich es herausbekomme fällt mein Name, kann ich bitte einen Status zu Punkt vier berichten. Ich bin wieder ganz in der Sitzung, aber verdammt, wo sind die anderen gerade und wie war denn noch mal der Stand.
Ich komme mir vor wie ein Alleinerziehender, immer mit schlechtem Gewissen. Mal gegenüber dem Beruf, mal gegenüber dem Kind. Oder ist es wie Sex mit einem Dutzend Frauen und immer nur bis kurz vor dem Höhepunkt und jede quengelt, weil sie sich vernachlässigt fühlt.
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