„Hast Du Onkel Helmut gesehen?“, will meine Mutter von
meinem Vater wissen, „der ist ja mit Tante Helga ganz schön agil über die
Tanzfläche geschwebt.“ – „Ja, für sein Alter ist der noch ganz schön rüstig,
ist Tante Helga nicht über zehn Jahre jünger als er?“ Ich höre dem Gespräch
weiter zu, es geht um den Geburtstag, den wir am vergangenen Wochenende besucht
haben und bei dem einige der älteren Gäste eifrig getanzt haben. Für mich als
Kind waren nahezu alle Gäste alt, andererseits fand ich es eher normal, sich
bei Musik auch zu bewegen und konnte keinen Zusammenhang mit dem Alter sehen.
Agilität und Rüstigkeit waren für mich mehr oder weniger
abstrakte Eigenschaften, Beweglichkeit und Leichtigkeit beim Laufen und
Springen mir bekannte konkrete Ausprägungen. Es vergingen Jahre und Jahrzehnte,
in denen diese Begriffe immer seltener verwendet wurden, fast meinte ich, sie
wären ausgestorben. In meinem Lexikon der
untergegangenen Wörter wurden sie zwar noch nicht aufgeführt, aber im
Alltag schienen sie nicht mehr in Verwendung.
Es kam auch nicht in der Öffentlichkeit an, als in den 1980er Jahren erste Entwicklungsprojekte ein neues Vorgehensmodell namens Agilität einsetzten. Selbst die zunächst zaghaften Versuche, den Grundgedanken auf Software-Entwicklung anzuwenden fand in den 1990er Jahren erst mal kein Interesse. Doch vor wenigen Jahren wurde es plötzlich lebhaft, man versprach sich Einsparungen, die Unternehmensberater bekamen strahlende Augen und eine Ära der Agilität wurde eingeläutet.
Etablierte Verfahren werden jetzt abwertend also rüstig, wenn nicht mehr auf dem neuesten Stand sogar als rostig bezeichnet. Und diesen Verfahren werden Kuren verordnet, die sie beweglich machen sollen. Überhaupt ist die vielbeschworene Wendigkeit ein hoch gelobtes Kriterium. Selbst stabile und fehlertolerante Abläufe kommen auf den Prüfstand, weil die Konsumenten möglicherweise kurzfristige Anpassungen erwarten könnten.
Also, liebe Freunde, egal welchen Alters: Wer nicht altmodisch sein will krempelt sein Leben um, denn Agilität betrifft uns alle, in allen Lebenslagen, in allen Belangen. Nicht nur die Arbeitswelt, nein auch der Freundeskreis wird ab jetzt dem Agilen Manifest unterworfen. Und nicht zu vergessen das Liebesleben, denn wer mag schon sein Leben lang wasserfallartig Vorspiel, Liebesakt, Höhepunkt und den Cocktail-danach genießen?
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