Freitag, 29. Dezember 2023

Durchgang frei für 2024

Durchgang frei für 2024
Da direkt vor mir ist die Personenschleuse. Ich stehe noch im Jahr 2023, ein paar Schritte noch, dann gehen die beiden Türchen auf und ich kann hinübertreten in das Jahr 2024. Viel Technik, wenig Magic. Soll ich mich beim Passieren hinter der Schranke noch mal umdrehen oder einfach mit festem Blick nach vorne weitermarschieren?

Silvester ist jedes Jahr wieder ein großes Geschehen. Mit ein wenig Wehmut blicken wir zurück auf die vergangenen Monate, haben vielleicht in den letzten Stunden auch allerlei Fernsehbeiträge mit Zusammenfassungen der Ereignisse gesehen. Und dann begrüßen wir das neue Jahr mit Feuerwerk und Sekt - gute Vorsätze, fromme Wünsche und Katerstimmung am Morgen darauf eingeschlossen.

Was wir zu Silvester selbstverständlich finden, ist im Alltag oft nicht so gegenwärtig. Durchleben wir nicht fortlaufend irgendwelche Umstellungen, Durchgänge und Wechsel? Im Grunde ist die zeitliche Lage der großen Feierorgie am Ende des Dezembers willkürlich gewählt, genauso könnten wir an irgendeinem anderen Tag des Jahres zurückblicken und nach vorne schauen. Tun wir aber nicht. Das kollektive Gejauchze hat seinen festen Platz im Kalender, die eingangs erwähnte Schleuse steht ja auch jeden Tag an derselben Stelle.

Und an dieser Schleuse drehen wir uns auch nicht jeden Tag um, denken in Wehmut an unseren geliebten Arbeitsplatz und schauen voller Unsicherheit, aber mit frohem Mut, auf den herannahenden Feierabend. Wir treten einfach hindurch und setzen unseren Weg fort.

In diesem Sinne „Prost“ und „guten Rutsch“!

Montag, 25. Dezember 2023

Life-work-balance nach Weihnachten

Heute Morgen hat der Wecker nicht geklingelt. Als ich aufwachte bekam ich kurz einen Schreck, dann fragte ich mich, ob Wochenende ist oder ob ich verschlafen hätte. Nein, nichts davon, auch kein Urlaubstag, wohl aber Feiertag. Beruhigt ließ ich mich wieder in die Kissen fallen. Jetzt merkte ich auch, dass ich noch müde war, dazu ein leichter Kopfschmerz vom Alkohol gestern Abend.

Langsam fällt mir alles wieder ein. Es ist erster Weihnachtsfeiertag, gestern war Heiligabend, wir haben festlich gegessen, Champagner getrunken und Geschenke ausgepackt. Ein schöner Abend, ruhig und harmonisch neben dem Christbaum. Heute geht es weiter, die Besuche der Verwandten stehen an, Kaffeetrinken, Abendessen, eine einzige Schlemmerei, aber auch eine willkommene Gelegenheit, sich mal wieder zu treffen.

Die Aussicht auf den heranbrechenden Tag mit seinen absehbar interessanten Gesprächen und dem leckeren Essen treibt mir trotz Müdigkeit und Kater ein Lächeln ins Gesicht. Mit dieser Grundhaltung werde ich auch Cousin Patrick mit seiner Angeberei und Tante Rosana mit ihrer Wehleidigkeit überstehen. „Das Leben ist schön, carpe diem“, denke ich.

Life work balance nach Weihnachten
Ich könnte es mir leisten, mich noch mal herumzudrehen und eine halbe Stunde zu schlafen, aber jetzt ist statt des Körpers die Tatkraft in mir erwacht und ich nutze den inneren Schwung, lasse die Beine aus dem Bett gleiten und wackle mit dem Restalkohol im Blut zum Badezimmer.

Montag also, aber der typische Montagseffekt fehlt. Die sehnsüchtige Erinnerung an den Sonntag, der deprimierende Gedanke, dass das nächste Wochenende noch fünf Tage in der Zukunft liegt. Im Grunde könnte ich den genießerischen Rückblick, den verheißungsvollen Ausblick und die Freude über die Möglichkeit, einen neuen Tag für mich zu erobern auch im Alltag ausleben. Das gelingt mir leider selten, ist doch die Arbeitswelt oft eher ernüchternd, hat keine interessanten Gespräche oder besonders leckeres Essen im Programm. Obwohl: Eine Mischung aus lästigen Rosanas und Patricks einerseits und Austausch von Neuigkeiten mit lieben Kollegen andererseits gibt es dort auch. Und zu einem gewissen Grad kann ich auch das Mischungsverhältnis einstellen. 

Sicher ist nicht jeder Arbeitstag wie erster Weihnachtsfeiertag, aber den Tag zu nutzen und den Augenblick zu genießen kann ich zumindest ein wenig vom Life zum Work übertragen. Ich werde übermorgen mal probieren, ob das in der Praxis bei mir funktioniert.

Montag, 18. Dezember 2023

Ich mache mir so meine Gedanken

Es ist gar nicht so einfach, dem Gehirn mal eine Ruhepause zu verordnen. Anders als manchmal behauptet wird, ist es nur eingeschränkt fähig zum Multitasking, im Sinne von Nachdenklichkeit jedenfalls überhaupt nicht. Andererseits möchte es sich aber auch stets und in der jeweils adäquaten Geschwindigkeit mit einem Thema befassen.

Nehmen wir mal einen Vortrag. Ich sitze irgendwo zwischen den Zuhörern, der Redner führt etwas langatmig durch seine Präsentation. Mein Denkapparat ist unterfordert, von Zeit zu Zeit mal einen Schnipsel aufzufangen reicht völlig. Die Folge: Meine Gedanken schweifen ab, ich schaue aus dem Fenster und sehe den Eichhörnchen zu.

Das passiert aber auch, wenn es zu schnell geht und ich nicht folgen kann. Eine Weile versuche ich noch hinterherzukommen, dann gebe ich (eventuell unbewusst) auf und in die entstehende Lücke drängt sich irgendein anderes Thema. Das kann dann auch wieder inspiriert werden durch einen Blick aus dem Fenster und Eichhörnchen.

Bei anderer Gelegenheit sitze ich nicht in einem Vortrag, sondern an meinem Schreibtisch, arbeite bestimmte Vorgänge ab und muss dabei aufpassen, die richtigen Daten in das zugeordnete System zu übertragen. Mein Gehirn ist beschäftigt, keine Möglichkeit abzuschweifen. Kaum ist diese Aufgabe erledigt oder klingelt auch nur das Telefon: Zack, wieder eine potentielle Lücke, die mein Gehirn sofort erkennt und nur darauf lauert, sich mit neuen Inhalten zu beschäftigen.

Besonders ausgeprägt ist das Phänomen bei Entspannung. Wenn die Arbeit getan ist, die Heimfahrt mit Zugfahrtänderungen oder die Autofahrt durch den Stadtverkehr erledigt ist, dann sind wieder Denk-Ressourcen frei. Ich sitze da, mein Puls kommt zur Ruhe und das Hin-und-her der Anstöße hat ein Ende. Zum ersten Mal am Tag kann ich für mich entscheiden, über was ich nachdenken möchte. Nichts und niemand jagt mich, es gibt höchstens zeitliche Vorgaben, weil irgendwann Zeit für das Abendessen ist.

Und diese Chance, die darf ich nicht ungenutzt verpassen. Ja, wenn ich jetzt noch die Hände an den Kopf lege, dann kann ich meine Gedanken geradezu fühlen. Das Pochen der Schläfen, die warmen Wangen sind erfahrbarer Ausdruck der inneren Aktivität. Ich grüble darüber, welches Thema mich heute besonders bewegt, was es wert ist, diese kostbare Lebenszeit zu besetzen.

Narzissten weiden sich an der eigenen äußeren Erscheinung, und genauso kann man sich an den inneren Vorgängen, der eigenen Gedankenwelt erfreuen. Und erkennen, dass man diese beeinflussen kann, einerseits im Sinne von „die Gedanken sind frei“, andererseits aber auch im Sinne der Notwendigkeit eines Gedankenmanagements. Solange ich nur so vor mich hindenke, kann ich nicht erwarten, dass etwas Zielgerichtetes herauskommt. Das ist es beim Denken nicht anders als bei der täglichen Arbeit oder der persönlichen Entwicklung.

Montag, 11. Dezember 2023

Speed-Dating in der New Work

Gut gelaunt laufe ich am Empfang vorbei, direkt auf den Aufzug zu, Knopf gedrückt: Der Arbeitstag kann kommen, ich bin voller Tatendrang und habe eine lange Liste mit Arbeit im Kopf. Aufwärts, der Zieletage entgegen und es stört mich kaum, dass der Lift zwischendurch immer wieder anhält, Kollegen aufnimmt und in anderen Stockwerken wieder entlässt.

Mit wenigen langen Schritten bin ich in der Home Base meiner New Work, betrete also das Großraumbüro, in dem mein Locker untergebracht ist. Schließfach auf, Headset herausgenommen und zusammen mit dem Laptop aus meiner Aktentasche halte ich auf den nächsten freien Arbeitsplatz zu. Hier gilt Free Seating, man sucht sich einfach einen Schreibtisch und steckt seinen tragbaren Computer an.

Mir gegenüber sitzt ein junger Kollege, wir kennen uns noch nicht, ich stelle mich kurz vor und erfahre, dass Stefan vierundvierzig Jahre alt ist, zwei Kinder hat und hier im Controlling arbeitet. Mein Computer ist inzwischen hochgefahren, aber der Bildschirm will sich nicht mit ihm verbinden. Ja, erfahre ich von Stefan, das Problem hatte ein anderer Kollege gestern auch, da ist wohl was kaputt.

Wir wechseln noch ein paar Worte, wünschen uns einen schönen Tag und ich ziehe weiter zu einem Schreibtisch weiter hinten, der noch nicht belegt ist. Diesmal ist Stefanie meine Schreibtischnachbarin, arbeitet im Kreditbereich, wie ich von ihr höre, nur heute mal hier im Office, normalerweise arbeitet sie wegen der kranken Mutter von zu Hause aus. Sie macht einen netten Eindruck, ich erzähle ihr, dass ich mir vor dem Einstieg in die Arbeit schnell noch einen Kaffee holen will und ob ich ihr einen mitbringen soll.

Mit den zwei Kaffee komme ich von der Maschine zurück, stelle danach aber voller Enttäuschung fest, dass zwar der Bildschirm funktioniert, aber keine Datenverbindung aufgebaut wird. Auch nach dem Neustarten diverser Programme kann ich noch keine Mails abrufen, Stefanie ist zwar nett, kann mir aber nicht weiterhelfen, auch wenn sie mir allerlei gute Ratschläge gibt.

Ich packe wieder Headset und Laptop, wir nicken uns noch mal freundlich zu und dann stehe ich auch schon auf dem Flur. Ein Blick auf die Uhr, langsam wird es Zeit, dass ich an die Arbeit komme, die erste Sitzung ist in zwanzig Minuten. Also den Gang hinunter, in eine andere Parzelle. Ein recht kleines Büro, aber ein einziger freier Platz reicht ja für mich. Und tatsächlich, drüben am Fenster ist ein Schreibtisch unbelegt, ich hätte ihn fast übersehen, weil mein potentielles Gegenüber seinen Clean Desk auf Stehhöhe ausgefahren hat.

Hans-Peter erklärt mir ungefragt, dass er im Vertrieb für unsere Kundenprodukte arbeitet und was zuerst wie ein Ohrwärmer aussah entpuppt sich als sein Kopfhörer, der sich in seinem vollen Haar verborgen hatte. Gerade als er ansetzt, mir seine Produktwelt zu erklären, geht er ohne Luft zu holen in ein Telefongespräch über, meldet sich mit Namen und ich werde für ihn unsichtbar. Wenn er den Rest des Tages so lebhaft weitertelefoniert, kann ich keinen klaren Gedanken fassen, lieber mal woanders hinsetzen.

Fünfzehn Minuten noch, jetzt aber schnell und endlich scheine ich Glück zu haben. Im nächsten Raum sehe ich diese Hübsche aus der Kantine und ihr gegenüber ist sogar noch ein Platz frei. Guter Dinge nehme ich Anlauf und will gerade das Verbindungskabel in den Cube stecken, als sie mir ohne mich anzuschauen zuraunt, der Schreibtisch sei schon besetzt. Irgendein Martin hat dort seinen persönlichen Stammplatz eingerichtet und wird innerhalb der nächsten Minuten auftauchen.

Speed-Dating in der New Work
Irgendwas zwischen enttäuscht und verärgert schaue ich mich um und sehe eine ältere Kollegin, die mich freundlich zu sich heran winkt. Sie sieht aus wie der Mit-mir-kannst-du-Pferde-stehlen-Typ. Und tatsächlich errät sie treffsicher, in welcher Lage ich mich befinde. Ohne meine Erklärung abzuwarten versichert sie mir, dass der Tisch hier in Ordnung sei, alle Komponenten funktionierten und sie mir bei Bedarf auch weiterhelfen könne.

Was für eine Freude, fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben und sie hatte nicht zu viel versprochen, Netzwerkverbindung, Monitor, Headset, alles tut seinen Dienst. Naja, genaugenommen musste meine Kollegin noch ein wenig bei der Verkabelung nachbessern, aber für sie sei das kein Problem. Schließlich arbeite sie im IT-Bereich, wie sie mir schmunzelnd erläutert.

Und so endet das Speed-Dating mit einer Verabredung zum gemeinsamen Mittagessen und mit dem Beginn eines wunderschönen Arbeitstages. Und wenn er noch nicht zu Ende ist, dann arbeite ich noch immer gegenüber von Beate.

Montag, 4. Dezember 2023

Fortschritt im Kreis

In den frühen 70er Jahren – ich war im Vorschulalter – pflegte meine Mutter täglich einkaufen zu gehen. Meist hatte sie ihr Fahrrad dabei, auf dem Gepäckträger hinten war der Flechtkorb eingeklemmt, mit Wachstuch ausgeschlagen. Supermärkte waren noch unüblich, es ging zu den verschiedenen Einzelhändlern, zu mehreren Bauernhöfen oder je nach Wochentag zum Markt. Am Ende der Runde war der Korb gefüllt, Lauch streckte seinen Kopf über den Rand, ein paar Äpfel weiter unten und ein Salatkopf thronte ganz oben.

Fortschritt im Kreis
Einige Jahre später wurde der Korb durch Plastiktüten abgelöst, viel bequemer und flexibler war das und ermöglichte die einfache Erweiterung der Transportmöglichkeiten. Auch Supermärkte mit Produkten aus der Ferne kamen in Mode, Südfrüchte gab es nicht mehr nur als Exotikum im Feinkostladen. Zahlreiche Hausfrauen stellten ihr Fahrrad in die Garage und hatten ein kleines Auto, mit dem sie ohne Schlepperei einkaufen konnten.

Riesige Supermärkte mit Schlaraffenland-artigem Sortiment lösten die Tante-Emma-Läden ab. Die gigantischen Parkplätze davor realisierten den Traum einer automobilen Republik, alles unter einem Dach, alles in ein Auto, alles von Tür zu Tür. Da mochte man Hausfrau / Hausmann / Hausdiverses sein.

Doch herrje, die Steigerung über Customer Experience und Internet-Bestellung zu einem orgiastischen Erlebnis wollte sich nicht so recht einstellen. Denn ausgerechnet in diesen Boom und die unbremsbar scheinenden Entwicklungen grätschten lange Zeit unbeachtete Aspekte herein. Unvermittelt nahmen die Themen Nachhaltigkeit, ökologischer Fußabdruck und Regionalität an Bedeutung zu.

Der Biohof vor Ort erlebte eine Renaissance und die Plastiktüten mussten dem Korb weichen, mit dem man auf den aufstrebenden Erzeugermarkt marschierte. E-Bike statt Auto, Regionalität statt Globalisierung. Und da frage ich mich, wann wir nach all dem Fortschritt wieder in den 70er Jahren angekommen sind. Fortschritt im Kreis sozusagen.