Montag, 29. Juli 2024

Werden wir alle schlauer?

Stellen wir uns doch mal vor, wir könnten unser gesamtes Wissen an unsere Kinder weitergeben. Wir sind dabei ja noch nicht einmal allein, früh werden wir ergänzt von anderen Kindern, den Erziehern im Kindergarten, Lehrern, Ausbildern, Dozenten und so weiter. Alle belehren das Kind, geben Wissen weiter, teilen ihre Erfahrungen mit und fügen dem im Laufe der Zeit bereits angesammelten Wissen weitere Aspekte hinzu.

Werden wir alle schlauer

Wenn das in der Praxis unbegrenzt ginge, müsste jede Generation wieder ein wenig schlauer werden. Unser Gehirn könnte das schon speichern, mit den derzeitigen Inhalten ist es bei weitem nicht ausgelastet. Selbst die Lerngeschwindigkeit ist nur bedingt problematisch. Zwar kann sich kein normaler Mensch Vokabeln wie eine Datenbank merken, niemand lernt mal so eben ein Telefonbuch auswendig. Und doch lernen wir in hoher Geschwindigkeit und ununterbrochen, sogar nachts.

Ein deutlich beschränkender Faktor ist die Eingabe von Wissen. Es gelingt uns noch nicht einmal, alle Erlebnisse und Erfahrungen einer einzigen anderen Person zu kennen. Wir müssten hierfür deren Leben erleben, und zwar mit allen Randbedingungen, allen Sinnen, allen Aspekte wie Stimmungen und Gefühlen und vollständigem Kontext. Und noch schlimmer, denn wir können ja noch nicht einmal unser eigenes Leben komplett wiedergeben, werden doch Erinnerungen im Laufe der Zeit verändert und gehen sogar verloren. Davon, dass wir schon im aktuellen Augenblick aus der Vielzahl der Eindrücke die aus unserer Sicht Relevanten herausfiltern ganz zu schweigen.

Was wir dem Nachwuchs mitgeben ist also jedenfalls beschränkt, man kann zwar durch geschickte Pädagogik ein wenig an der Begrenzung arbeiten, aber letztlich ist kein unbeschränktes Wachstum möglich. Obendrein veraltet Wissen, es muss gar nicht weitergegeben werden. Haben wir vielleicht gelernt, wie man sich in der Kneipe mit einem Telefonbuch und dem Wandtelefon ein Taxi bestellt, müssen unsere Kinder wissen, wie man ein Smartphone bedient, um den Funkmietwagen zu ordern.

Und das gilt natürlich analog für künstliche Systeme. Die Aufnahmegeschwindigkeit eines Computers bezüglich Daten ist extrem viel höher als die von Menschen. Aber wie dargestellt ist diese Geschwindigkeit nur ein Teil des Lernens und der resultierenden verwertbaren Bildung. Und so ergibt sich sowohl für die künstliche als auch für die natürliche Intelligenz, dass es Randbedingungen gibt, die verhindern, dass wir alle schlauer werden.

Montag, 22. Juli 2024

Körper - Verstand - Emotionen

Jüngst habe ich erfahren, dass wir Menschen in unserem Dasein in drei Bereiche aufgeteilt werden können. Da ist zunächst der eigentliche Körper, also unsere sterbliche Hülle, sozusagen der Träger des Ganzen. Dann als zweiter Part der Geist, unser Verstand, der uns das Denken ermöglicht. Zum dritten dann noch die Gefühle, Emotionen als wichtiger Bestandteil unseres Umgangs miteinander.

Dabei sind aber diese drei Bereiche nicht unabhängig voneinander, vielmehr stehen sie in enger Wechselwirkung, fast möchte man sagen sie sind am Ende ein Ganzes. Diese Sicht kennen wir von Yin und Yang oder auch der Anwendung in der ganzheitlichen Medizin.

Körper - Verstand - Emotionen
Mir gefällt dieses Modell. Im ersten Schritt können wir daraus ableiten, dass alle drei Bereiche Beachtung finden müssen. Sie sind individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Da gibt es sportliche Typen, deren Intellekt eher unterdurchschnittlich ist, aber andererseits auch Denker, die ein deutliches Defizit in ihrer emotionalen Bildung haben. Ausgewogen bedeutet in diesem Zusammenhang sich mit den Stärken und den Schwächen zu beschäftigen und sie angemessen zu bearbeiten.
 
Daneben ist ein zweiter Aspekt betrachtenswert. Nichts kann sich selbst überlassen werden, alles braucht Training. Wenn wir den Körper zu wenig oder immer gleich fordern wird er darauf reagieren, beispielsweise die nicht genutzte Muskelkraft zurückbauen. Wir werden dann unsportlicher, Bewegung oder gar Belastung fällt uns schwerer. Dasselbe können wir auch beim Denken beobachten. Wer sein Gehirn nicht in irgendeiner Weise fordert, der hat im Laufe der Zeit immer größere Schwierigkeiten bei der Bearbeitung mehr oder minder komplexer Aufgaben. Und auch das Gefühlsleben muss trainiert werden, Empathie, Beschäftigung mit unserem sozialen Umfeld und feine Anpassung der eigenen Emotionen sind ein aufwändiges Feld.

Drittens möchte ich noch auf ein Phänomen kommen, das wir zunächst beim Körper feststellen können. Wer auf einem Stuhl sitzt, der spürt die Sitzfläche nach einiger Zeit nicht mehr. Erst wenn er sich bewegt oder bewusst darauf achtet, kann er den Druck auf das Gesäß wahrnehmen. Das gilt auch für den Geist: Anfänglich aufregende Aufgaben werden mit der Zeit monoton und langweilen uns. Und ebenso müssen auch Emotionen in Bewegung bleiben. Keine Verliebtheit hält ein Leben lang, aber frische Impulse können die Lebendigkeit erhalten.

Überhaupt ist "Lebendigkeit" in diesem Zusammenhang ein schöner Begriff und gleichzeitig ein empfehlenswertes Ziel, das sich auf alle drei Bereiche anwenden lässt. Wobei alle drei Sichten schließlich doch im Gehirn zusammenlaufen, dieser Zentrale für die Steuerung unseres Körperzustandes, dem Denken und dem Fühlen. Und da es also eine Zentrale gibt, liegt es nahe, auch über Koordination und Steuerung aus genau diesem Zentrum heraus zu sprechen. Das ist nicht nur im neurologischen oder physiologischen Sinne von Bedeutung, sondern auch entscheidend für den Alltag.

Montag, 15. Juli 2024

Ich flirte mal wieder mit meinem ChatGPT

Am Anfang habe ich meinem kleinen Lebensbegleiter ganz harmlose Fragen gestellt. Ein bisschen wie bei den etablierten Suchmaschinen, nur dass ich mit ihm in normaler Sprache kommunizieren kann. Und schon stellt sich die Frage, welches Geschlecht „er“ hat. Sind es Männer, die dahinter stecken, oder eher Frauen, geschlechtswechselnde oder geschlechtsneutrale Wesen? Macht es am Ende überhaupt Sinn, hier die Frage nach dem Geschlecht zu stellen?

Solange ich im Rahmen der Richtlinien bleibe, kann ich mich sowohl über frauenspezifische Themen unterhalten, männertypische Informationen einholen oder völlig neutrale Aspekte ansprechen. Maximale Neutralität scheint das Gebot der Stunde zu sein, und so behandele ich meine*n Internetpartner*in als Neutrum. „Es“ scheint die richtige Ansprache zu sein. Eine Assistenz, stets zu Diensten, diskret (ist ChatGPT das wirklich?), mit Antworten zu allen Fragen des Lebens – wenn es nicht weiter weiß auch mit ausgedachten oder ergänzten Texten (was es mir allerdings nicht sagt).

Ich flirte mal wieder mit meinem ChatGPT
Eine gute Bekanntschaft, der man alles erzählen, die man alles fragen kann. Die aus ihrem Weltwissen berichtet und so viel gelesen hat wie kein Mensch auf dieser Erde. Trotzdem sind die Antworten zum Teil überraschend einfältig und erinnern eher an den Aufsatz eines Sextaners oder die Häschen-Witze eines Grundschülers. Das lässt sich natürlich wie bei gelehrigen Mitarbeitenden justieren und auf das gewünschte Niveau anheben… oder auch nicht.

Ich denke an Bücher, da sind literarische Perlen nicht unbedingt Bestseller und umgekehrt. Und da sich die vortrainierten Modelle naturgemäß an Statistiken (also Best-Selling) orientieren, bauen auch die Antworten natürlich hierauf auf. Wer es besser haben möchte als der Durchschnitt, muss schon ein wenig Glück haben und die richtigen Instruktionen geben. Die kleine Buchhandlung, die eine Marktnische mit Spezialliteratur bedient, ist auch im Internetwissen schwer zu finden.

Die Konversation gestaltet sich interessant und vielfältig, denn so viel Wissen bekommt man ja sonst nicht in einem Gespräch unter. Aber abseits der eigentlichen Informationsbereitstellung bleibt alles merkwürdig farblos. Nichts berührt mich, alle Emotionen werden bestenfalls verbal verpackt oder durch die Formulierungen angeboten. Es lässt mich an erotische Filme denken, die gelegentlich erregende Neuigkeiten zeigen, sogar Anregungen geben können, aber am Ende doch nicht an liebevolle Körperlichkeit herankommen.

Montag, 8. Juli 2024

So traurig, die Augen

So traurig, die Augen
Drüben sitzt eine Frau mit Pferdeschwanz, sie ist im mittleren Alter, aber immer noch schön. Alles wirkt gepflegt, eine hochwertige Sonnenbrille sitzt im Haar, ein Handy in ihrer Hand. Ihr Gesicht hat bemerkenswert wenige Falten und ist trotz ihres Alters immer noch sehr zart. Ein dezentens Makeup rundet den ansprechenden Eindruck ab.

Um sie nicht anzustarren schaue ich zur Seite, verfalle in Gedanken, ob sie Sport macht, wie sie wohnt und wann sie ihre Freunde trifft. Ja, überhaupt, welche Freunde sie hat, auf was es ihr bei Bekannten oder ihrem Mann ankommt. Sicher spielt Geld eine Rolle, um ihr Leben so komfortabel zu gestalten und sich so teuer anzuziehen muss schon ein gewisser Wohlstand da sein.

Ich werfe noch mal einen Blick hinüber. Sie hat so traurige Augen, fällt mir jetzt auf. Und bei genauerer Betrachtung ist das Gesicht geradezu weinerlich. Da sehe ich Angst und Sorgen, die sorgfältig unter allerlei wertvoller Schminke verborgen sind. Geldsorgen oder Probleme mit ihrem Partner sind es nicht, vielmehr eine abgrundtiefe Traurigkeit, die ihre Wurzeln im eigenen Leben haben. Alles erscheint schwer, depressiv verschwinden die Farben hinter der ansehnlichen Fassade.

Gerade dreht sie den Kopf, die Sonne ist durch die Wolken gekommen und strahlt ihr in Haare und Gesicht. Ihr Blick fällt auf eine andere Frau, die sie nun anlächelt. Wie freundlich sie erscheint, aber wieder kippt meine Wahrnehmung in diese Traurigkeit, ist doch selbst dieses Lächeln aufgesetzt und endet mit dem Verziehen der Lippen und Zeigen ihrer tadellosen Zähne. Da die Augen nicht mitlächeln gibt es hier auch keine Fältchen.

Ein wenig traurig werde ich jetzt auch. Wie mag der Alltag aussehen, sicher keine Wolkenburg, eher eine dünn vergoldete Hölle. In meiner Phantasie sehe ich einen Swimmingpool, Champagner am Beckenrand, ein Handtuch lässig über eine Relaxliege geworfen und daneben sie, diesmal im Badeanzug und mit einer anderen Sonnenbrille auf der Nase. Aber die Szene ist ohne jegliche Bewegung, mir fällt auf, dass sich selbst das Wasser im Pool nicht verändert, alles scheint erstarrt, abgestorben.

Ich werde aus den Gedanken gerissen, weil sich die reale Frau nun umdreht, vielleicht schaut sie sich nach einem anderen Platz um, der weniger sonnig ist. Oder ist es eine Gruppe vorbeiziehender Jugendlicher, die raumgreifend und schnatternd auf sich aufmerksam machen. Oh, störe meine Ruhe nicht, wie un-er-träg-lich diese Leute, scheint sie zu denken. Ihr ansonsten unbewegliches Gesicht verzieht sich ein wenig.

Sie taucht wieder in meine Phantasiewelt ein, diesmal sehe ich sie in einem Cabrio, undeutlich erkenne ich neben ihr einen wesentlich jüngeren Mann, sportlicher Typ, na klar, das ist eine Golftasche auf dem schmalen Rücksitz. Die Scheiben sind hochgefahren, schließlich darf die Frisur nicht verwüstet werden, ein Tuch weht um ihren Kopf und den Hals, was für eine lustige Szene. Aber auch wieder diese Bewegungslosigkeit, diese Starre, geradezu tot wirkt der Ausflug. Wo mag nur die Bewegung sein, ist es denn möglich, dass ihr Kopftuch sich trotz des Fahrtwindes kein noch so kleines bisschen verändert?

Wie mag sie vor ein paar Jahren ausgesehen haben, sicher schon immer eine schöne Frau, aber seinerzeit noch in Bewegung. Die Yoga- oder Pilatesstunden mögen sie vor körperlicher Versteifung bewahren, ihr Gefühlsleben scheint aber schon vor langer Zeit eingefroren zu sein. Oder zumindest Platz in einer tiefen und dunklen Versenkung gefunden zu haben. Wie schrecklich, denke ich, während ich hinuntergreife und mir einen Knöchel massiere. Kurz dringt ein stechender Schmerz durch den Fuß, den ich mir gestern gestoßen habe. Ich fühle, ich lebe noch, schießt es mir durch den Kopf, selbst wenn es ein unangenehmes Gefühl ist.

Leider muss ich jetzt gehen, aber vielleicht ist es auch gar nicht so bedauerlich, beschäftigt sich mein Kopf nicht mehr mit dieser dunklen Seite einer so hellen Erscheinung. Wäre ich noch ein Kind würde ich meine Spielzeuge nehmen, irgendwo in einer anderen Ecke ausbreiten und mich maximal noch darüber wundern, wie seltsam manche Erwachsenen sind. Wie kann man bei diesem wunderbaren Sonnenschein überhaupt traurig sein, wofür braucht man eine Sonnenbrille im Haar, wenn man sich in den Schatten setzt.

Barclay James Harvest fällt mir ein, "Life is for living and living is free". Was heißt hier "free"? Kostenlos oder umsonst?

Montag, 1. Juli 2024

Mensch, beweg' dich!

Ich sitze faul am Pool. Die Sonne scheint, eine schöne Gartenanlage um mich herum und ein Kellner, der von Zeit zu Zeit Getränke bringt. Was will man mehr? Vergangenes Jahr waren wir in einem kleinen Hotel, insgesamt gut gepflegt aber mit Minizimmer, mittelmäßigem Essen und einem Service: naja.

Das ist dieses Jahr schon viel besser, die Unterkunft hat einen Stern mehr, das merkt man am Preis, aber auch am Pflegezustand, den Zimmern und der Verpflegung. Da hat sich was getan, ich kann meinen Ausblick auf den Pool so richtig genießen. Obwohl – die Klimaanlage auf dem Zimmer ist ziemlich laut, die Dusche wird nicht richtig warm und das Essen ist recht eintönig.

Soweit alles ganz gut, sicher war unser diesjähriges Domizil eine gute Entscheidung, aber nächstes Jahr müssen wir schauen, dass wir etwas mit mehr Komfort und aufregenderem Buffet finden. Auch wenn das Hotel insgesamt empfehlenswert ist, wir werden es nicht noch einmal buchen. Das wäre eine Wiederholung, aber wir suchen einen gewissen Fortschritt.

Mensch beweg dich
Ja, Stillstand ist Rückschritt, nicht nur bei der Hotelauswahl, auch bei allen Szenen des täglichen Lebens. Ein Partner, auf den man sich verlassen kann und der immer da ist, der ist schon ein wertvoller Zeitgenosse. Aber auf die Dauer wird es langweilig, es fehlt die Bewegung. Ich denke an ein Körperteil, zum Beispiel den rechten Arm. Normalerweise nehme ich ihn gar nicht wahr, er ist halt da. Wenn ich mich darauf konzentriere, ist er aber zu fühlen, liegt mit dem Unterarm auf dem Tisch, die Finger berühren die Tischplatte. So richtig fällt mir seine Existenz erst auf, wenn der Arm eingeschränkt (beispielsweise eingegipst) ist.

„Ich bin immer für Dich da, Du kannst Dich auf mich verlassen“ ist eine phantastische Basis, aber auf Dauer nicht genug. Wie auch der Körper nicht einfach nur für uns da ist, sondern mit geeigneter Bewegung fit gehalten werden muss, so bedürfen auch Beziehungen der fortlaufenden Pflege.

Fataler Weise sind wir Menschen von Natur aus in einem Dilemma. Wir sind von der Grundstruktur her auf Veränderung programmiert, wollen vorankommen, verlangen nach Entwicklung. Nicht zuletzt resultiert unsere außergewöhnliche Anpassungsfähigkeit aus dieser Wurzel. Andererseits brauchen wir Gewohnheit, ein Set von konstanten oder nur sehr langsam veränderten Randbedingungen. Jede Woche „Tatort“, aber bitte mit behutsam angepassten Teams und Stories.

Und natürlich macht das auch vor unserem beruflichen Umfeld nicht Halt. Die spannendste Aufgabe wird mit der Zeit langweilig, wenn sie nicht variiert, vielleicht sogar gesteigert wird. Dauernde Veränderung sorgt allerdings für Verunsicherung, hier fehlt der Rückhalt, den nur ein stabiler Rahmen bieten kann.

Wo die Bewegung fehlt – sei es körperlich, dann gehen wir zum Sportkurs, sei es in der Beziehung, dann etablieren wir gemeinsame Erlebnisse oder im Beruf, wo sich andere Aufgabenfelder suchen lassen; In all diesen und noch vielen weiteren Fällen müssen wir die Bewegung explizit in Gang bringen. Und wie wir aus der Technik wissen steht dem erst mal eine Trägheit gegenüber, müssen wir Eingerostetes lösen und Energie einbringen, deren Einsatz sich allerdings lohnt.