Montag, 18. November 2024

Das bin ja gar nicht ich

 Nach der Sportrunde stehe ich unter der Dusche, lasse vom Wasser das Shampoo herunterspülen und freue mich über die langsam einsetzende Entspannung. Handtuchumhüllt gehe ich in die Umkleide, trockne mich ab und stehe vor dem Spiegel über dem Frisiertisch. Upps, denke ich, das bin ja ich, der da im Spiegel zu sehen ist.

Ich betrachte meine Figur, schaue mir mein Gesicht an. Naja, der Jüngste bin ich nicht mehr, aber insgesamt noch ganz gut erhalten. Da kommt mir eine Fee in den Sinn, drei Wünsche habe ich frei, würde ich einen davon in meine äußere Erscheinung investieren? Die Beine könnten ja etwas länger sein, die Arme kräftiger, der Bauch flacher und im Gesicht weniger Falten. Aber warum nur halbweit springen, ich möchte direkt aussehen wie ein Model. Eine richtig hübsche Frau, nach der sich die Männer umschauen.

Das bin ja gar nicht ich
Während ich mich weiter abtrockne male ich mir aus, wie ich wohl aussehen könnte. Heidi Klum fällt mir ein mit ihren Topmodels. Jugendliche Figur, tolle Proportionen, lange Haare, wohlgeformt am ganzen Körper. Das scheint ein erstrebenswertes Aussehen zu sein, ja, denke ich, so könnte es mir gefallen.

Aber dann fällt mir ein, dass dann alles anders ist. Als Frau wäre die Rolle der Partnersuche getauscht, die gaffenden Blicke der Männer würden mir mit der Zeit auf die Nerven fallen. Die Frage, ob mich jemand wegen meines Charakters oder wegen meiner Figur kennenlernen möchte stände permanent im Raum. Und mit Sicherheit wäre ich wieder unzufrieden, dann vielleicht, weil mir der Busen zu klein, die Hüften zu breit oder die Schultern zu schmal wären.

Doch am schlimmsten wäre die Tatsache, dass ich nicht mehr ich selbst wäre. Aus meiner Haut zu schlüpfen ist ja nicht nur eine Korrektur des Aussehens, es hätte automatisch und zwingend auch Auswirkungen auf meine Mitmenschen, meine Erfahrungen, mein Umfeld. Alles, was ich in den bisherigen Jahrzehnten meines Lebens für mich bewertet und in meine Lebensführung und alle Entscheidungen und alles Verhalten überführt habe, müsste ich neu gestalten. Ich wäre einfach nicht mehr ich.

Ich schlüpfe in mein Hemd, es spannt beim Anziehen ein wenig über dem Bauch, rutscht dann aber doch herunter und passt jetzt auch ganz gut an den Schultern. Okay, ich könnte das Hanteltraining intensivieren, einen Bauch-Beine-Po-Kurst besuchen und die Form so ein wenig anpassen. Aber den ganz großen Umschwung und ein ganz neuer Mensch – diesen Gedanken finde ich jetzt eher gruselig.

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