Mittwoch, 26. Mai 2021

Die IT kommt in die Pubertät

Da ist jetzt allenthalben von Digitalisierung die Rede. Was für ein herrlicher Begriff, erst Recht, wenn man ihn mit Transformation kombiniert. Das hört sich an, als ob wir alle umgeformt würden, eine andere Spannung abgäben oder sich die Stromstärke veränderte. Ist aber nicht so. Stattdessen gerät die technische Welt sozusagen in die Pubertät.

Wir stellen althergebrachte Strukturen in Frage. Wir wehren uns gegen Hierarchien. Wollen ausprobieren. Als IT endlich mitsprechen und ernst genommen werden. Die Fürsorge nervt und wir suchen neue Wege. Digitalisierung findet so wenig in Serverräumen statt wie Erwachsenwerden im Wohnzimmer der Eltern. Es ist eher die Reaktion auf einen Verlauf, den wir nicht beeinflussen können. Wir betrachten uns selbst: Huch, da wird aus dem Business-Enabler ein vollwertiges Familienmitglied. Ein Mitgestalter, der sich auch mal das Wort nimmt und sich nicht mehr alles - heimlich murrend - sagen lässt.

Vor einiger Zeit haben wir uns noch auf den Boden geworfen und gequengelt, heute sitzen wir im Gremium und wollen mitreden. Auf Augenhöhe. Und damit wird auch klar, wo Digitalisierung ansetzt: In der Einstellung, dem Mindsetting, den Gruppen und Teams. Mehr Agilität bedeutet mehr Spielraum, Loslassen muss durch gesteigerte Selbststeuerung ersetzt werden. Liebe Eltern, das kennen wir doch, oder? Und wir kennen auch die (zeitliche) Lücke, bis das Verlangen nach Freiraum durch funktionierende Selbsteinschätzung kompensiert wird.

Auch die Hobbys ändern sich. Haben Jugendliche früher an Mofas geschraubt, spielen sie heute mit ihrem Smartphone und streamen jetzt Videos, wenn sie seinerzeit Musik aus dem Radio aufgenommen haben. IT-Nerds von heute justieren nicht mehr an Serverparametern, sie engagieren sich in Innovation Labs, gehen auf Hackathons und suchen dort nach neuen Wegen.

Was ist wohl das Pendant zu Drogen, für die Jugendliche in der Pubertät besonders anfällig sind? Müssen wir in der IT über Schutz sprechen, vor wem oder was und in welcher Form? Wie reif sind wir für Eigenerfahrungen und den verantwortungsvollen Umgang mit den neuen Möglichkeiten? Wer ist Dr. Sommer, der uns behutsam aufklärt? Und wer nimmt dem technischen Bereich die Führerscheinprüfung ab, damit wir im Miteinander kein Risikofaktor werden?

Eins jedenfalls ist sicher: Egal, wie stark wir uns nach alten Zeiten sehnen, die kommen nicht zurück. Mehr noch: Die Veränderungen werden schneller und schneller. Genau das ist die Entwicklung, die uns das (Arbeits-)Leben immer schwerer macht. Immer häufiger müssen wir eingespielte Abläufe verändern und das kollidiert mit der Tatsache, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Trost: Viele Jahre nach der Pubertät sind wir unseren Eltern ähnlicher, als wir es in den wilden Zeiten für möglich gehalten hätten. Nur eben älter und erfahrener. Auch und gerade als IT.

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