Die Formen der Berührung
Guten Tag, meine Damen und Herren. Wir haben uns heute ein universelles, aber auch schwieriges Thema vorgenommen. Ich möchte versuchen, es von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Und Sie dabei mit einbinden, um es zu einer Erfahrung für verschiedene Sinne zu machen.
Im ersten Moment denke ich als Physiker bei Berührung an das Aufeinandertreffen zweier Körper, Sie erinnern sich bestimmt an den Unterricht in der Schule und wie wir da Kugeln auf dem Tisch hin- und hergerollt haben.
Wer von Ihnen hatte einen guten Physiklehrer? Gegenprobe: Wer hatte einen schlechten Physikunterricht? – Das habe ich mir gedacht. Aber egal wie langweilig und wenig begeisternd der Unterricht war, es ging um ganz elementar einfach mechanische Vorgänge, und dazu gehört eben auch der elastische Stoß. Halten wir an dieser Stelle auf jeden Fall mal fest, dass für eine Berührung mindestens zwei Objekte notwendig sind… ich werde nachher noch einmal darauf zurückkommen.
Warum eigentlich nachher. Wir wollen das jetzt direkt mal ausprobieren. Bitte nehmen Sie ihre rechte Hand mal hoch, etwa auf Brusthöhe. Und jetzt umfassen Sie mit der linken Hand das rechte Handgelenk. Sie merken jetzt, wie die eine Hand die andere berührt, genau genommen berührt die linke Hand die rechte, während die rechte berührt wird.
Sie können sich bewusst auf die rechte Hand konzentrieren und einmal fühlen, wie es sich anfühlt, wenn die Hand berührt wird. Und umgekehrt mal in die linke Hand hineinfühlen, die eine andere Hand berührt. Wir haben also einerseits eine Berührung, eine Gegenseitigkeit und andererseits die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit gezielt auf die Berührung oder das Berührt-werden zu lenken.
Sie können die Hände wieder herunternehmen, denn wir wollen uns einem anderen Aspekt widmen. Konzentrieren Sie sich bitte mal auf ihr Gesäß. Gerade haben Sie es noch nicht wahrgenommen, aber jetzt wo ich es anspreche fühlen Sie den Sitz unter sich. Es kommt schon seit einiger Zeit zu einer Berührung, die wir aber schon kurz nach dem Hinsetzen gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Das Gefühl ist sozusagen eingeschlafen, und das passiert praktisch nach jeder noch so heftigen Berührung.
Und wo wir gerade bei heftigen Berührungen sind: Auch Schläge sind eine Art Berührung. Keine angenehmen, aber auch hier erleben wir eine Form des Aufeinandertreffens, des Berührens und Berührt-werdens. Wussten Sie, dass etwa jeder sechste Mann und jede siebte Frau sich schon einmal beim Sex spielerisch hat peitschen lassen?
Womit wir beim nächsten wichtigen Punkt angelangt sind. Ausgehend von einer rein mechanischen Handlung, dem elastischen Stoß auf dem Experimentiertisch im Physikunterricht sind wir nun schon recht tief bei der emotionalen Komponente angekommen. Es gibt Berührungen, die wir angenehm, möglicherweise sogar lustvoll finden. Und solche, die wir unangenehm oder sogar verängstigend einstufen. Das gilt für Berührungen im Allgemeinen und ist mehr oder weniger trivial: Sowohl zur Belohnung – Streicheln - als auch zur Bestrafung – Prügel - werden verschiedene Berührungen eingesetzt.
Andererseits kann ein und dieselbe Berührung auch positiv oder negativ behaftet sein. Wenn mir mein Nachbar seine Hand auf den Arm legt kann ich mich peinlich berührt fühlen oder vielleicht heimlich den Wunsch nach mehr Berührung entwickeln. Der rein haptische Eindruck wird von unserem Gehirn in ein ist-schön oder ist-nicht-schön kategorisiert. Es hat, und das möchte ich betonen, nichts mehr mit der eigentlichen Berührung zu tun.
Können wir das bitte alle mal ausprobieren. Legen Sie bitte mal paarweise eine Hand auf die Schulter eines Nebenmannes oder Nebenfrau. Wer seine Hand auflegt fühlt eine Schulter, vielleicht muskulös, vielleicht zart, groß oder klein, schmal oder breit. Und wer umgekehrt eine Hand auf seiner Schulter liegen hat, der nimmt eine mehr oder weniger große Handfläche, Finger, warm oder kalt, und ein gewisses Gewicht wahr. Ob das Berühren oder auch das Berührt-werden ein willkommenes oder ein eher unangenehmes Erlebnis ist, ist natürlich sehr individuell und hängt davon ab, was in unseren Gedanken vor sich geht.
Überhaupt spielt unser Gehirn eine wichtige Rolle beim Management unserer Empfindungen von Berührungen. Denn es hat es mit einer beeindruckend großen Zahl von Reizen zu tun, die alle bewertet, vielleicht aber auch ignoriert werden müssen. Zu der Vielfalt mechanischer Berührungen kommen nämlich noch die anderen Sinne hinzu. Auch der zarte Hauch eines Parfums kann mich in den Bann ziehen, mich berühren. Oder eine Musik der ich lausche, meine Augen schließe und nachher völlig aufgewühlt bin.
Augen, Ohren, Mund, Nase: Diese Sinnesorgane ergänzen unseren Tastsinn. Und oft kommt das eine zum anderen, wird erst in der Kombination das Erlebnis daraus, das wir in Erinnerung behalten. Die hämmernden Bässe auf dem Rockkonzert beispielsweise sind ein Zusammenspiel aus Hören und Fühlen. Oder sicher erinnern Sie sich an ein besonders leckeres Getränk, das aber nach der Rückkehr aus dem Urlaub in Deutschland ganz anders schmeckt. Die besondere Berührung bestand nicht nur aus einem isolierten Eindruck, den wir vielleicht wiederholen können, sondern aus einer Kombination, einem Kontext.
[Teil 2: "Der Prozess der Berührung"]
[Teil 3: "Die Berührung in der Kunst"]
[Weitere Blogs: Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]
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