Der Prozess der Berührung
Ich habe Sie jetzt ein wenig mit Berührungen Vertraut gemacht, die Kombinationen angesprochen, die Bewertung durch unser Gehirn und natürlich die Zweiseitigkeit, also das Berühren und Berührt-werden. Diesen Punkt möchte ich im Folgenden weiter vertiefen, weil er bei der Beschäftigung mit Berührungen eine wesentliche Rolle spielt. Angelehnt an die Resonanztheorie von Hartmut Rosa kann man davon ausgehen, dass Berührung auch eine Antwort erfährt. Wir haben das schon beim Handauflegen mit der Schulter kennengelernt.
Und diese Reaktion, diese Emotion macht etwas mit mir. Ich bin danach nicht mehr ganz der Mensch, der ich vorher war. Die Berührung hat mich innerlich bewegt, mich verändert. Das muss nicht immer so dramatisch sein, dass man sein Leben danach umstellt, aber schon die Beeinflussung der Stimmung ist eine typische Auswirkung der Berührung. Sie kann uns nachdenklich machen, fröhlich, traurig; Das hängt von dem Berührt-sein ab, aber sie kann uns nicht völlig kaltlassen.
Man spricht von Transformation und meint damit, dass eine vielleicht unbemerkt und kaum erkennbar kleine Veränderung in unserer Seele stattfindet. Dieser spannende Aspekt wird uns im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kunstwerken noch beschäftigen. Denn beim Kunstwerk steht zwischen dem Werk und dem Betrachter noch der Künstler, den wir in dieser Rolle als Initiator der Transformation sehen können.
Als kleinen Exkurs möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass der Künstler auch im Sinne eines Übersetzers Transformationsarbeit leistet. Was von seinem künstlerischen Auge aufgenommen und dann auf die Leinwand gebracht wird, ist geprägt von seinem Charakter, von unterbewussten Veränderungen, Umwandlungen und Verfremdungen. Ich denke beispielsweise an Tom Sommerlatte, ebenfalls hier aus dem Wildpark, der in seinen Kunstwerken eine bemerkenswerte Transformation leistet, die es zu entschlüsseln gilt.
Doch zurück zum Prozess, der sich an die Berührung anschließt. Ich habe schon von der Affizierung gesprochen, jenem Moment, der mit seiner Kontaktaufnahme über mindestens einen der Sinne den Vorgang startet. Dann die Reaktion als Teil eines entstehenden Dialogs, einer Re-Sonanz, das heißt einem Widerhall in uns. Drittens die Transformation als Verinnerlichung, in der aus dem zunächst flüchtigen Dialog eine manifeste Veränderung hervorgeht.
Und abschließend noch der Aspekt der Unverfügbarkeit. Sicher haben Sie sich gefragt, ob ich mit meinen komplexen Überlegungen überhaupt noch auf dem Boden der Realität bin. Ob die vielen Fremdwörter und umständlichen Erläuterungen nicht eher akademischer Natur sind und eigentlich gar nichts mit dieser Bilderausstellung oder gar mit dem Alltag zu tun haben.
Richtig ist jedenfalls, dass manchen meiner Gedanken ziemlich schwierig zu folgen ist. Gerne können Sie mich nachher noch mal ansprechen und diesen oder jenen Punkt mit mir diskutieren. Denn an genau dieser Stelle greift mein vierter Aspekt, denn man kann zwar eine Berührung erzwingen, aber weder die Resonanz noch die Transformation sind zwingend erreichbar. Vielmehr sind Sie mir als Zuhörer im ersten Moment unverfügbar.
Wer könnte in einer Stresssituation oder wenn er müde oder gelangweilt ist aktiv zuhören, mehr als höfliche Antworten geben oder gar zu einer intrinsischen Veränderung kommen? Um überhaupt mehr als einen reinen Vortrag zu halten muss ich zum einen versuchen, Sie verbal zu berühren und zum anderen müssen Sie bereit sein, sich berühren zu lassen.
Nehmen wir mal an, Sie säßen als Zuhörer in einem mehr oder weniger langweiligen Vortrag über Berührung. Der Redner gibt sich Mühe oder auch nicht, aber Ihre Gedanken schweifen ab, da ist nichts, was Sie als innerliche Berührung oder gar Transformation bezeichnen könnten. Sind Sie bitte so gut, stellen sich das möglichst intensiv vor und klatschen jetzt alle mal Beifall.
Halbherzig und vorwiegend höflich lassen Sie Ihre Hände aufeinanderprallen und genügen also klatschend der Pflicht, die eher mäßig attraktive Darbietung zu würdigen. Aber wir machen auch gleich die Gegenprobe, versetzen uns noch mal in die Szene, diesmal aber mit Begeisterung für die zahlreichen Denkanstöße, die in uns brodeln und nur darauf warten, bei einem Glas guten Weins weiter durchdacht und mit dem sympathischen Nachbarn oder der sympathischen Nachbarin diskutiert zu werden. Können Sie bitte noch mal einen geradezu euphorischen Befall spenden?
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