Montag, 23. September 2024

Die Flüchtigkeit der Archivierung

Seit einigen Jahren macht sich ein Tool breit, das die "eierlegende Woll-Milch-Sau" sein soll. Wirklich alles rund um den Austausch wird an dieser zentralen Stelle gesammelt, verteilt, bereitgestellt, abgelegt und archiviert. Ein Traum, möchte man meinen, denn endlich ist Schluss mit der Vielzahl der Ablagestrukturen, haben alle Teilnehmer denselben Informationsstand. Alle? Natürlich nicht, denn auch hier gibt es Zugriffsrechte. Und ein leidiges Thema ist in der Praxis das Wiederfinden eines Eintrags. War es im persönlichen Chat, im Chat einer Besprechung, eines Kanals, einer Teamsitzung? Oder im Notizbuch? Vielleicht als Beitrag in einem Kanal (nur: welchem?) oder gehörte es zu einem Anruf?

Sicherheit schafft die zehnjährige Archivierung aller Einträge. Egal in welchem Tonfall, egal wie unpassend oder gar peinlich irgendeine Verlautbarung in schriftlicher, bildlicher oder auch bewegter Form: Alles wird aufgehoben. Unerbittlich speichert die Datenkrake alles was ihr zum Fraß vorgeworfen sind, kein Speicher ist zu klein, um jedwede Äußerung für ein Jahrzehnt zu bevorraten.

Das ist natürlich gleichzeitig auch die große Chance. Als Anwender kann man nichts vergessen, nichts versehentlich in den Papierkorb werfen oder irgendwelche Filter definieren, die definierte Beiträge gezielt verschieben. Im Strom der nachrückenden Chatnachrichten sind auch alte Beiträge noch vorhanden, auch nach Jahren lässt sich noch rekonstruieren, wer bis wann an welchem Meeting teilgenommen hat.

Die Flüchtigkeit der Archivierung
Doch oh weh. Zwar sind die Datenberge vorhanden, lassen sich auch ohne weiteres nachverfolgen, aber der unermüdliche Datenstrom reißt jede Information mit sich und spült sie aus dem Sichtfenster des Anwenders. Als würde ich eine Flaschenpost in den Rhein werfen und ihr eine Weile nachschauen bis sie hinter der nächsten Biegung oder Brücke verschwunden ist. Sie ist dann nicht weg, ich kann sie nur nicht mehr sehen. Und eigentlich muss man das Bild noch ergänzen, denn es ist ja nicht nur ein Fluss, in dem meine Flaschenpost dahinschwimmt, es sind mehrere, die ich nahezu zeitgleich bedienen kann.

Das Bild der Flaschenpost trifft zu, wird die Nachricht doch mal hier- mal dorthin befördert, manchmal mit Kommentar versehen und wieder in diesen oder jenen Fluss geworfen. Wo man sie dann vielleicht wiederfindet oder die Flasche durch die Strömung an Land gespült wird.

So ist die Archivierung in der Praxis also eher flüchtig, auch wenn sie technisch noch so gut funktioniert. Was im Bildschirm nach oben wegscrollt ist nicht verloren, aber für meine Arbeit aus dem Fokus. Oder wie man früher gesagt hat: "Aus den Augen, aus dem Sinn."

[Weitere Blogs:  Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]

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