So richtig gestrandet bin ich nicht. Vielmehr sitze ich zum Umstieg von der U5 in die S2 in der B-Ebene der Konstablerwache in Frankfurt. Für die Fahrgäste, die partout sitzen möchten, sind hier ein paar Stahlrohrsitze aufgestellt, wenn man seine Jacke darauf legt zieht es nicht so von unten und der Sitz wird ein wenig gepolstert.
Ich sitze also hier, beobachte die Tafel mit der elektronischen Zugauskunft und verfolge die einfahrenden S-Bahnen zu den verschiedenen Zielbahnhöfen. Um mich herum eine bunte Mischung an Menschen. Da sind zwei arabisch aussehende Pärchen knapp älter als jugendlich, verstreut stehen ein paar Schulmädchen mit coolen Taschen, vertieft in ihre Handys. Eine ältere Frau mit Einkaufstüten, eine noch ältere Frau mit Rollator und allerlei Habseligkeiten in einem Einkaufsrolli.
Gerade kommt auch noch ein Junge vorbei, riesige Sonnenbrille, Rucksack, Schildmütze. Und dann natürlich ein Mann ohne festen Wohnsitz, früher hätte man Penner gesagt, denke ich, und warte darauf, dass er bettelnd auf mich zukommt. Einen Augenblick später schleppt er sich zu dem arabischen Paar rechts von mir; um eine Spende zu bitten soll in diesem Kulturkreis ja bei Bedürftigkeit üblich sein, er kann mit einem Geldstück in den hingehaltenen Kaffeebecher rechnen. Aber das Paar ist miteinander beschäftigt oder tut zumindest so, jedenfalls ignorieren sie den Bettler, der nach kurzer Wartezeit abdreht und Kurs zu mir nimmt.
Einen Moment steht er vor mir, hält mir seinen Becher hin, murmelt irgendetwas und versucht sein Recht auf Mitleid auch pekuniär einzuklagen. Im Hintergrund sehe ich schon seinen Kameraden warten, er hat das Araberpaar direkt übersprungen und liegt nun auf der Lauer, ob ich ein geeignetes Opfer bin. Wenige Sekunden später sind beide verschwunden, vielleicht liegt es daran, dass ein paar Sicherheitskräfte auftauchen. Sie schauen auf die Rollator-Frau, inspizieren den Mülleimer und vertiefen sich dann wieder in eine Diskussion über Fußball.
Aus der einfahrenden S-Bahn quillt wieder ein neuer Schwung Leute heraus. Eine Frau mit üppigem Busen dazwischen, sie steuert ohne Umweg den Sitzplatz neben mir an und lässt sich darauf fallen dass die Bank wackelt. Ein aufdringliches Parfüm dringt mir in die Nase und auch die jetzt ein wenig weggezogene Oberbekleidung mit Blick auf ihre enorme Oberweite kann mich nicht mit der verlorenen Platzfreiheit versöhnen. Hoffentlich spricht sie mich nicht auch noch an, aber so weit kommt es nicht, denn wider Erwarten taucht einer ihrer Bekannten auf, wirft sich genauso krachend wie sie auf den Sitz und begrüßt sie in einer mir nicht bekannten kehligen Sprache.
Noch etwa fünf Minuten sind zu überbrücken, ich werfe noch mal einen Blick auf die Zugauskunft, nehme noch wahr, dass die Schulmädchen mittlerweile verschwunden sind und auch die Frau mit den Einkaufstüten nicht mehr zu sehen ist. Vier Jungs kommen die Treppe herunter, pubertär laut und erst mal die Lage checkend. Offensichtlich sind sie auf Fun aus, der süßliche Geruch um sie herum lässt den Konsum von Joints vermuten. Enttäuscht stellen sie fest, dass hier nichts los ist, ohne Tussis macht es keinen Sinn sich zu produzieren.
Aber jetzt kommt doch Bewegung in die Szene. Von links kommt eine weitere Gruppe von Jungs, sie haben uniform schwarze Shirts an und sehen nicht besonders freundlich aus. Ich habe den Eindruck, dass ich zwischen den Fronten zweier Gangs bin, räume meinen Rucksack zusammen und mache mich auf den Weg zum Bahnsteig. Hinter mir höre ich lauter werdende Geräusche, verbales Säbelrasseln und Geschrei.
Weiter hinten am Bahnsteig doch noch die Frau mit den Einkaufstüten, nur die Sicherheitstypen sind nirgends zu sehen. Wahrscheinlich könnten sie gegen diese Horde auch gar nichts ausrichten. Zu meinem Glück höre ich jetzt das Quietschen einer herannahenden S-Bahn. Es ist zwar noch nicht meine Linie, aber ich kann eine Station mitfahren und dort dann auf meine Bahn warten. Nur weg hier.
Es scheint noch anderen Fahrgästen so zu gehen, denn ein ganzer Strom an Menschen stürmt auf die Bahn los, oder wollen die alle nach Bad Homburg? Der Zug ist voll, durch die schließenden Türen sehe ich, wie die Jugendlichen aufeinander losgehen, auch wenn sie nicht bewaffnet scheinen bin ich froh, dass ich flüchten konnte. So kann der Feierabend doch noch ohne Blessuren starten.
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