Was ist es doch herrlich, wenn man seine Meinung in der gesicherten Mehrheit äußern kann. Sich lautstark über Dinge echauffiert, zu denen aktuell auch Statements von Meinungsbildnern, Influencern und Prominenten vertreten werden. Gefahrlos wichtig sein. Da sehe ich Menschen, die in bunte Ponchos gekleidet und mit Trillerpfeifen ausgestattet viel Lärm machen. Für Außenstehende ist kaum erkennbar für oder gegen was hier gerade demonstriert wird. Die Sprechchöre sind unverständlich, die Plakate nichtssagend.
Zur Ergänzung dieser lautstarken Truppe gibt es Menschen, die gezielt von Demonstration zu Demonstration reisen, einfach Spaß daran haben, in der Menge zu baden und sich für irgendein beliebiges Thema ins Getümmel zu stürzen. Nicht die Sache liegt diesen Zeitgenossen am Herzen, vielmehr ist es die Aktion, das Dabeisein, das Dagegensein.
Zwischen diesen Demo-Profis gibt es die Überzeugten, die eine Angelegenheit mit Haut und Haaren vertreten, dafür auch mal eine kleine Ordnungswidrigkeit hier und eine kleine Rangelei mit Gegnern dort in Kauf nehmen. Im weiten Feld zwischen Engagement, Überzeugung und Fanatismus sind sie sich sicher, dass jeder anders denkende einen Fehler macht und selbst eine neutrale Haltung oder Hinnehmen eine kritikwürdige Grundeinstellung sind.
In diese Sicht der Dinge kann man sich auch gut hineinsteigern, ohne Aufwand findet man in Presse oder Internet zahlreiche Aussagen, die die eigene Meinung bestätigen. Aufrührende Reportagen, plakative Behauptungen und eindrucksvolle Zahlen scheinen den eigenen Standpunkt zu unterstützen. Die kämpferischen Kumpane vertreten natürlich ebenfalls diese Ansicht, es entwickelt sich eine Gruppendynamik, die insbesondere zum Gefühl der Meinungsmehrheit führt.
Man kann geradezu Modewellen beobachten, die mit viel Getöse ein gerade aktuelles Thema nach außen tragen. Mal ist eine Startbahn der große Aufreger, mal sind es Entscheidungen zur Renten- oder Gesundheitspolitik. Und selbst gegen Demonstranten kann man demonstrieren oder sich zumindest aufregen, besonders, wenn man selbst betroffen sind. Schneeballartig vergrößert sich die Anzahl der Menschen, die aggressiv gegen Personen vorgehen, die sich auf die Straße kleben.
Dabei ist es ein schmaler Grat, der zwischen Verständnis für das Lahmlegen des Personennahverkehrs durch die Lokführer und dem Blockieren einer Bundesstraße durch organisierte Klimaaktivisten liegt. Für den an der Fortbewegung gehinderten Bürger macht es zwar keinen Unterschied, aber schnell bildet sich eine elementar wichtige Solidarität oder eben auch nicht. Während die frierenden Bahnreisenden zähneklappernd ein gewisses Verständnis für die Gewerkschaft äußert, muss man bei den Straßen-Klebern mit stockbewaffneten Gegnern rechnen, die ihrer körperlichen Überlegenheit freien Lauf lassen.
Immerhin schleicht meist im einen wie im anderen Fall eine Abordnung der Polizei wie ein Hütehund um die demonstrierende Herde. Und da ist sie, die wohlige Wärme der anderen Demonstranten, dieser Gleichklang der Gesinnung, diese selbstverstärkende Meinungskonsonanz. Fast scheint es, als ob es gar keine andere Meinung geben könnte, jedenfalls keine sinnvolle Alternative. Und umhüllt von ähnlich Gesinnten, geschützt durch einen Kokon der Ordnungshüter, kann man das zum Ausdruck bringen, wovon man aktuell überzeugt ist.
Vereinzelt und vor einem aggressiven Gericht würde nahezu jeder Teilnehmer dieser Versammlung einknicken, Rückgrat ist nicht gerade eine Voraussetzung für das Mitgrölen von Parolen. Und so kann man heute dies, morgen das behaupten oder mit Massengewalt und Lautstärke aus der Anonymität heraus forcieren. Hierbei ist durchaus wichtig zu erkennen, dass diese Gruppen im Sinne der Demokratie und Meinungsbildung unterwegs sind und die eher ruhigen Betroffenen zwar vielleicht die Mehrheit bilden, aber nicht so sichtbar sind.
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