Mittwoch, 17. März 2021

Ich habe kein Bauchgefühl

Manchmal prasseln ja die Anfragen auf mich ein. An den unterschiedlichsten Stellen ist es notwendig, eine Entscheidung zu treffen. Das mache ich – wie vermutlich die meisten Mitmenschen auch – mal sehr bedacht, mal eher spontan.

Bei den durchdachten Entscheidungen spiele ich gelegentlich so etwas wie Schach in meinem Kopf, was-wäre-wenn-Szenarien werden durchdekliniert, die Vor- und Nachteile benannt und vielleicht sogar tabellarisch aufgeführt.

Bei den weniger technisch behandelten Reaktionen geht es weniger bedacht, oft erheblich schneller, deshalb aber nicht zwingend schlechter zu Werke. Was ist geschehen? Ich habe „aus dem Gefühl heraus“ eine Wahl getroffen, nach „Bauchgefühl“ entschieden. Habe ich das wirklich?

Ich behaupte mal recht provokativ, dass ich gar kein Bauchgefühl habe (und meines Erachtens auch kein anderer Mensch). In Wirklichkeit hat mein Gehirn in höchster Geschwindigkeit das gemacht, was es so richtig gut kann. Es hat nach Mustern gesucht, mit alten Vorgängen verglichen und mir bestmöglich daraus eine (unbewusste) Analogie-Entscheidung bereitgestellt. Das klappt nicht gerade überraschend bei manchen Menschen besser, bei anderen schlechter. Die Qualität hängt nämlich von recht vielen Faktoren ab.

Zuallererst ist die Anzahl der Erfahrungen von Bedeutung. Je mehr ich erlebt habe, desto besser kann die Ähnlichkeitserkennung meines Gehirns funktionieren. Sozusagen begleitend spielt dabei die mit dem jeweiligen Erlebnis verbundene Beschäftigung eine Rolle. Nur, was mich so interessiert hat, dass mein Gedächtnis es für speicherungswürdig erachtet, hat eine Chance, später in diesem Gedächtnispool vorhanden zu sein. Ebenfalls begleitend mein grundsätzliches (bewusstes, aber hier noch wichtiger: unterbewusstes) Erinnerungsvermögen.

Dann aber auch die Intelligenz in ihrer wahren Bedeutung. Nur wenn ich in der Lage bin, weiteste Analogien zu nutzen und Entscheidungen aus möglicherweise völlig unterschiedlichen Gebieten zu verwerten, habe ich einen so umfassenden Blick auf die Situation, dass eine bestmögliche Wahl zu Stande kommen kann.

Ich betone noch einmal ausdrücklich, dass dieser Prozess vollständig unterbewusst abläuft und sich auch der bei weitem größte Teil der zur Entscheidung beitragenden Vorgänge überhaupt nicht mehr explizit aufrufen lässt. Das ist der simple Grund, warum auch bemerkenswert treffsichere Lichtfiguren wie Warren Buffett zu Recht behaupten, die meisten Entscheidungen „aus dem Bauch“ heraus getroffen zu haben.

Zum Schluss noch eine Anregung zum (ich nenne es mal) Re-Engineering. Habe ich vermeintlich eine Bauchentscheidung getroffen, kann ich danach (!) hingehen und versuchen herauszubekommen, welche Fakten, Erfahrungen, Erlebnisse, Analogien zu Grunde gelegen haben könnten. Das kann bis in die Bodenplatte meines Charakters (z. B. Glaubensgrundsätze) oder zeitlich zurück bis in meine Kindheit führen. Aber jedenfalls meist spannend.

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