Da war ja vorhin ganz schön was los. Eine neue Minute war angebrochen, die erste einer neuen Stunde, die zu einem neuen Tag gehörte. Obendrein eine neue Woche in einem neuen Monat des neuen Jahres. Alles neu.
Raketen steigen auf, Böller knallen, der Sekt fließt in Strömen. Wildfremde Personen liegen sich in den Armen, wünschen sich Gesundheit und Frieden und feiern den Jahreswechsel. Ich stehe mittendrin, lasse die Partylaune auf mich wirken und freue mich mit den gutgelaunten Menschen.
Ein wenig abseits des ekstatischen Treibens entdecke ich ein paar Leute, die eher verhalten um nicht zu sagen zurückgezogen im Kreis hocken. Bei näherer Betrachtung scheinen sie zu meditieren, alles wirkt hier absurd langsam abzulaufen, jede Bewegung sehr bedacht und ruhig ausgeführt. Dabei unterhalten sie sich leise miteinander, kaum zu verstehen durch den Lärm der tanzenden und böllernden Menschenmenge.
Ich werfe noch mal einen Blick an den Himmel, wie schön die Silvesterraketen hochschießen, funkeln und dann wie nicht dagewesen unsichtbar werden. Diese Schönheit, diese Vergänglichkeit faszinieren und irritieren mich zugleich. Schlendernd nähere ich mich der kleinen Meditationsgruppe, die mich zunächst überhaupt nicht wahrnimmt, mich dann aber in ihren Kreis bittet.
Den Jahreswechsel nicht als große Party, sondern als Metamorphose, vielleicht als Wandlung einer Raupe zum Schmetterling zu verstehen sei ihr Antritt. Das vergangene Jahr, eigentlich die gesamten Jahre bislang als Vergangenheit anzunehmen und als Lebenserfahrung abzulegen. Dies gebe ihnen die Kraft und die Freiheit, sich ganz auf die Gegenwart zu konzentrieren und die Zukunft zu planen.
Ein schönes Bild, erkläre ich der Runde, für mich ist der Jahreswechsel das Betreten eines neuen Raumes, der noch recht schummrig beleuchtet ist. Hinter mir liegt ein Zimmer mit geschmückten Elementen, sehenswerten Bildern an den Wänden, aber auch Flecken auf dem Boden und zerbrochenen Gegenständen in den Vitrinen. Im neuen Raum angekommen schaue ich mich ein letztes Mal um, nehme alte Zimmer mit allen Sinnen in mich auf und schließe dann leise die Tür hinter mir.
Ja, höre ich eine Stimme unter der Kapuze einer dickgefütterten Jacke, wir akzeptieren, dass wir Raupen waren, aber wir schauen sie uns nicht mehr an. Vielmehr erfreuen wir uns an dem Entfalten der Flügel eines wunderschönen Schmetterlings. Mit einem Mal wird der Aktionsradius viel größer, wir erleben das Jahr im Flug und können die Welt von ihren zahlreichen Seiten sehen.
Wie von weiter Ferne höre ich die Party, das dumpfe Knallen von Böllern und das Zischen der startenden Raketen. Ich frage mich, ob da lauter Raupen ihr Feuerwerk zünden, ob sie die Schmetterlinge nicht verscheuchen und ob sich überhaupt alle Raupen zu Schmetterlingen verwandeln.
Gerade will ich mich mit meinen neu gewonnenen Gesprächspartnern über diese Fragen unterhalten, als ich feststelle, dass sie weg sind. Oder gar nicht da waren, ich weiß es nicht.
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