Beim ersten Ton des Weckers springe ich aus dem Bett. So
eine Art vorsenile Bettflucht. Dann laufe ich rüber ins Bad, versuche dem
kalten Brausestrahl zu entgehen und umrunde mit der Zahnbürste die
empfindlichen Zahnhälse. Auf dem Weg zum Bahnhof weiche ich dem Gegenverkehr
aus, überquere nach der Bahnfahrt die große Kreuzung vor dem Bürogebäude und
meistere mit elegantem Schwung das Drehkreuz am Empfang.
Bevor ich den Aufzug erreiche fliehe ich vor dem
morgendlichen Geschwätz einer Kollegin in einen anderen Lift. Aussteigend
entgehe ich mit knapper Not den neugierigen Fragen eines Bekannten und rette
mich schließlich an meinen Schreibtisch. Zum Mittagessen beantrage ich Asyl bei
den bereits verabredeten Kameraden, gemeinsam schließen wir uns dem
Menschenstrom zur Kantine an.
Der Nachmittag zieht sich endlos dahin, aber mit Hilfe
meines Abteilungsleiters gelingt es mir, Bedenken gegen neue Prozesse im Team
zu zerstreuen.
Nach bangem Warten auf einen unangenehmen Anruf verlasse ich
zum Dienstende meinen Arbeitsplatz, stürze voller Sorge vor heranziehendem
Regen zur S-Bahn, um mich schließlich zu Hause auf das Sofa fallen zu lassen,
Ziel erreicht.
Sind wir nicht alle Flüchtlinge? Ja. Nein.
Wie klein sind unsere Fluchten im Alltag, wie unwichtig ist
die Sorge um den trockenen Anzug gemessen an tausenden von Kilometern durch
unbekanntes Land aus Todesangst vor den Schergen im Bürgerkrieg.
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