Montag, 11. August 2025

Volles Programm

Die Straßen leer, der Parkplatz voll.
Mit dem Reisekoffer vom Auto zum Zug. Noch erreicht zur regulären Abfahrtszeit.
Der Zug steht bereit, aber er fährt nicht.
Personen im Gleis, wie der Triebkopfführer uns wissen lässt.
Eine Stunde auf dem harten Sitz, Ungewissheit, wann der Zug abfährt.
Der Regionalexpress fährt vor uns ab. Wir warten immer noch.
Eine Frau weiter hinten wird nervös, schimpft und telefoniert lautstark.
Der Zug fährt los, aber er endet außerplanmäßig in Höchst.
Durch die herausquellenden Menschenmassen verpasse ich den Schienenersatzverkehr.
Der Folgebus kommt verspätet.
Wir fahren hinter einem Müllfahrzeug her und verspäten uns weiter.
An der Station Flughafen muss ich mir den Weg vom Bus zum Zug suchen, überraschend weite Strecke mit Koffer.
Der Zug kommt pünktlich an, muss dann aber auf einen Anschluss warten.
Ankunft am Ziel.
*
Volles Programm
*
Die Abfahrt meiner Rückfahrt ist laut App nur wenige Minuten verspätet.
Tatsächlich dann auf dem Bahnhof alle fünf Minuten Erhöhung der Verspätungsvorhersage.
Der Zug fährt ein, noch könnte ich am Umsteigebahnhof meinen Anschluss erreichen.
Die Klimaanlage im Wagen ist ausgefallen, ich ziehe um.
Am neuen Platz setzt sich ein Pärchen dazu und zeigt sich lautstark Tiktok-Videos.
Erneuter Platzwechsel führt zu kurzer Ruhe, bis gegenüber eine vierköpfige Familie Platz nimmt.
Die Verspätung überschreitet die Umstiegszeit, Neuplanung erforderlich.
Ausweichroute in überfülltem Zug, Stehplatz mit Koffer.
Zwischenstation erreicht, Anschluss fährt verspätet von anderem Gleis ab.
Die S-Bahn hat einen geänderten Fahrplan, pendelt nur noch auf der halben Strecke.
Wieder einen Sitzplatz ergattert, mein Nachbar entdeckt im Gewühl einen Freund und unterhält sich quer durch den Wagen mit ihm.
Klimaanlage auch hier außer Betrieb, menschliche Gerüche füllen die ohnehin schlechte Luft.
Türstörung, ich muss mit Koffer zum anderen Ende des Wagens.
Ausstieg und zum Auto. Nach Mäharbeiten hat das Fahrzeug einen feinen grünen Mantel.
*
Warum schaust du so genervt, will meine Frau wissen.

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[Weitere Blogs:  Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]  

Montag, 4. August 2025

Das Internet ist für uns alle Neuland

Es war 2013, unsere damalige Bundeskanzlerin gab den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ auf einer Pressekonferenz von sich und musste sich danach allerhand Spot gefallen lassen. Gewiss, zu diesem Zeitpunkt war die Idee eines weltweiten Datennetzes schon mehr als vier Jahrzehnte alt. Und seit immerhin zwanzig Jahren gab es in Deutschland diese Kommunikationstechnik für die breite Öffentlichkeit.

Und doch war ihre Aussage gar nicht so abwegig, wie sie von zahlreichen Journalisten dargestellt wurde. Schließlich kommt es ja nicht nur auf die Technik an, auch nicht auf ihre Verfügbarkeit, sondern vielmehr, wie weit sie sichtbar oder unsichtbar in unserem Alltag auftaucht. Oder anders formuliert, wie selbstverständlich wir sie empfinden oder in Überlegungen, Arbeitsabläufe oder Interaktionen einfließen lassen.

Für mich war das Internet auch Neuland, war ich doch mit Briefpapier, Telefonbüchern und gedruckten Katalogen groß geworden. Schnurgebundene Telefone mit Wählscheibe und von der Deutschen Bundespost zertifizierten Anschlusskabeln prägten mein Umfeld. Insofern war der Übergang von diesen Apparaten über Schnurlostelefone weiter zu Handys und schließlich zu Smartphones jeweils eine Umstellung, Umgewöhnung. Neuland eben.

Notgedrungen habe ich also immer dazulernen oder mein Wissen aktualisieren müssen. Niemand hat mich gefragt, ob ich den Wechsel mitgehen will. Vielmehr wird in der aktuellen Zeit völlig selbstverständlich nach E-Mail-Adresse und Handynummer gefragt, ein Internetzugang vorausgesetzt und der Umgang mit Apps erwartet.

Das Internet ist für uns alle Neuland
Aus dieser Innovations-Gewohnheit heraus ist auch das Eindringen von ChatGPT und Co für mich nur ein weiterer technischer Fortschritt, den ich in meinem Leben mitmachen muss. Und folglich finde ich es ganz normal, mich damit zu beschäftigen und die neuen Möglichkeiten in mein Leben, meine Überlegungen und Arbeitsabläufe zu integrieren.

Recht überrascht habe ich festgestellt, dass sich gerade junge Menschen, irreführend als „digital natives“ bezeichnet, hier deutlich schwerer tun. Zweifellos haben sie schon viel früher Kontakt mit allen Ausprägungen der Internetmöglichkeiten, nutzen Plattformen und haben Google mit der Muttermilch aufgesogen.

Aber was nicht von Anfang an da war – Beispiel ChatGPT – ist eben auch für diese jungen Personen Neuland. Dass man viele Recherchen nicht mehr mit klassischen Suchmaschinen betreibt oder bei Beratungsbedarf spontan an den öffentlichen Chatbot denkt: Das ist eine Grundhaltung, die sie sich erst mal aneignen müssen.

An genau diesem Punkt haben dann die älteren Menschen die Nase vorn, die in der Aktualisierungsbereitschaft und dem Erkunden von Neuland mehr Übung haben. Aus diesem Grund muss ich jungen Kollegen recht häufig die Frage stellen, ob sie dieses oder jenes Problem schon mal mit ChatGPT diskutiert oder sich Lösungen haben vorschlagen lassen.

Fazit: Gerade in der schnelllebigen Zeit müssen wir permanent Neuland betreten. Das gilt für alle und insofern hat es eine Verbindung zur Schule – auch dort wird im Wesentlichen Grundwissen mit langer Aktualitätsdauer vermittelt. Die eher flüchtigen Inhalte müssen wir uns den Rest unseres Lebens schon selbst aneignen.

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Montag, 28. Juli 2025

Long Covid

Die Medizin kennt die Spätfolgen der Pandemie, die wir in den Jahren nach 2020 erlebt haben. Da erholen sich Infizierte nicht mehr vollständig von der Krankheit, bleiben Schäden zurück oder tauchen erst mit erheblichem Zeitversatz auf. In Abgrenzung zu den akut beobachteten Symptomen von vorübergehendem Fieber, Entzündungsreaktionen bis hin zum Tod geht es bei Long Covid um mittel- oder langfristige Auswirkungen.

Bekanntermaßen ist auch über den Sinn von Impfungen, damit in Zusammenhang gebrachte Nebenwirkungen und Probleme ausführlich und kontrovers diskutiert worden. Auch in diesem Fall stehen die körperlichen Auswirkungen im Mittelpunkt, werden Statistiken angefertigt und ausgewertet, was mit Menschen nach den unterschiedlichen Szenarien passiert ist.

Long Covid

Weniger publik, ist aber auch die Untersuchung der gesellschaftlichen Veränderung interessant. Ähnlich der körperlichen Aspekte gab es kurzfristige Maßnahmen, die wir zum großen Teil schon wieder vergessen haben. Wer denkt noch an die Benutzung der diversen Apps, wer hat noch in jeder Jackentasche eine FFP2-Maske? Und wer hält vor der Supermarktkasse noch 1,5 m Abstand?

Doch auch hier gibt es längerfristige Veränderungen, ja sogar komplette und irreversible Auswirkungen auf den Alltag. Denken wir beispielsweise an Homeoffice, das zwar mittlerweile von einigen Arbeitgebern wieder teilweise zurückgerollt wird, aber dennoch seine Dauerfolgen in Videomeetings und mobiler Arbeitsplatzausstattung hat.

Daneben ist aber auch eine Änderung der Arbeitskultur zu beobachten. Im klassischen Büroalltag gab es natürlich auch die verlängerte Kaffeepause und einen gewissen Spielraum, sich um Arbeiten zu drücken. Aber die allgegenwärtige Unerreichbarkeit von Ansprechpartnern, die sich in der Unsichtbarkeit verschanzen oder eine Hotline vorschalten, breitet sich merklich aus.

Es hat ja keine Konsequenzen, wenn die Kunden in der Warteschlange hängen "wegen unerwartet hohem Telefonaufkommen" (das höre ich inzwischen seit mehreren Jahren bei nahezu allen Rufnummern vom Arzt bis zum biederen Handwerksbetrieb). Wir haben uns an die Anonymität des Lockdowns gewöhnt, wundern uns geradezu, wenn wir jemanden schnell und persönlich erreichen.

Angeregt durch die geänderten Möglichkeiten haben sich Bringdienste und Versanddienstleister ausgebreitet, der immobile Komfort ist in den Mittelpunkt gerückt. Aber auch die Vereinsamung nimmt zu, da viele Menschen deutlich weniger antreffbar unterwegs sind. Wer seine Schuhe bei Zalando kauft, dem kann man nicht im örtlichen Schuhgeschäft begegnen.

Überhaupt hat sich das Thema Kennenlernen deutlich in Richtung Internet und Plattformen verschoben. Egal ob Date, Freundschaft oder Hundetreff: Für alles gibt es ein geeignetes Forum, für das ich meine Wohnung nicht verlassen muss. Anonymer, sicherer und unverbindlicher scheinen die Prämissen für Kontakte zu werden.

Da passt es gut, dass Gesellschaftsspiele von Internetspielen abgelöst worden sind, man trifft sich an den Bildschirmen zum Zocken, selbst ausgewachsene Wettkämpfe werden virtuell ausgetragen. Nicht nur weit überregionale Rankings verändern das Kräftemessen, auch der Umgang mit den eigenen Emotionen beim Gewinnen oder Verlieren ist nicht mehr mit Präsenzturnieren zu vergleichen.

Und wenn es eben doch nur außerhalb der eigenen vier Wände geht, kann man einen beeindruckenden Kontrast erleben: Wöchentlich pilgern zehntausende Menschen in Fußballstadien, während die meisten anderen Sportarten um ein paar Dutzend Zuschauer buhlen. Bei körperlichen Aktivitäten sieht man eine Verschiebung von Mannschaftssportarten in Richtung Einzelsportler im Freihantelbereich der Fitnessstudios. 

Wir Deutschen, schon früher weniger auf der Straße als mediterrane Kulturen, ziehen uns noch stärker in die Häuser zurück, „trautes Heim, Glück allein“. Kommunikation und Interaktion werden am persönlichen Nutzen gemessen. Insgesamt steht das eigene Leben mit seiner Work-Life-Balance im Mittelpunkt, werden alle Aktivitäten dem eigenen Komfort oder Anspruch untergeordnet. Hat man sich zu Corona erst mal eingerichtet und an das unbeobachtete Päuschen gewöhnt, will man sich nicht mehr umstellen.

Durch den Fokus auf das Individuum leidet zunächst mal die Sozialstruktur. Aber auch die Wertschätzung für jegliches soziales Engagement geht zurück, wodurch Ehrenamt und überhaupt Vereinsarbeit erheblich geschwächt werden. Typischerweise gerät dadurch auch jegliche Rücksichtnahme in den Hintergrund, sowohl im persönlichen Umgang als auch im Sinne der Empathie für Kunden.

Diese sehen sich einer zunehmenden Digitalisierung von Abläufe ausgesetzt, Vorgänge wurden ins Internet verlagert. FAQ-Listen im Internet sollen die Ansprechpartner ersetzen, Kontaktformulare die Kundenkommunikation kanalisieren. Das Vorzeigen des Ausweises ist durch verschiedene Postident-Verfahren ersetzt worden, für jedes Konto braucht man mindestens zwei Apps auf einem Smartphone.

Spätestens an dieser Stelle registriert man, dass der Abstand zwischen technikaffinen Menschen und dem Rest der Bevölkerung immer größer wird. Internet-Zugang, Smartphone, E-Mail, Google, ChatGPT und das Management von unzähligen Passwörtern sind zu Grundvoraussetzungen des Alltags geworden. Auch wenn der Service oder die Dienstleistung sich an alle Bürger wendet, wird auf Technik-Legastheniker keine Rücksicht genommen: Banken, Versicherungen, Krankenkassen, Finanzamt, Stromlieferanten gehen wie selbstverständlich von Technikliebhabern aus.

Ein Teil dieser Trends war schon vor Corona als Ansatz vorhanden. Aber Covid-19 hat die Geschwindigkeit der Veränderungen dermaßen erhöht, dass technischen Entwicklung, Kultur, Gesellschaftsstruktur, intellektuelle und psychische Weiterentwicklung nicht mehr zusammenpassen. Und damit kann man getrost von gesellschaftlichem Long Covid sprechen, einem Phänomen, das uns noch viele Jahre begleiten wird, bis sich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt hat.

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Montag, 21. Juli 2025

Social Media

Gott sei Dank bin ich hier unsichtbar. Ich bin zwar nicht anonym, vielmehr habe ich einen echten Account mit ehrlich ausgefülltem Profil. Aber ich schaue nur zu, muss noch nicht einmal Geld einwerfen für eine Peepshow, in der sich andere Menschen darstellen, schön finden, sich feiern und sich feiern lassen.

Social Media
Laut muss es sein, nicht zu perfekt, ein Kamerawackler hier, ein Störgeräusch da. Wenn es allzu fehlerarm daherkommt, ist es nicht mehr authentisch. Wir alle sind morgens auf dem Weg ins Badezimmer ein wenig zerknautscht, aber hier muss man das auch zeigen. Auf den Moment zu warten, wenn wir geduscht und mit einem Makeup aus dem Badezimmer kommen, scheint unfein.

Das alles macht nichts, denn Millionen Menschen sind Zuschauer, von wo auch immer sie den kleinen Reels und Memes folgen, sie liken oder in seltenen Fällen kommentieren. Auf dem Jahrmarkt der Selbstdarstellung darf man nicht allzu schnell heiser werden. Und sich daran messen, Lebensziel: Anzahl Follower und Klickzahlen.

Schnell muss es sein, wer nicht mit dem Dekobild, spätestens aber im Video innerhalb von drei Sekunden Interesse geweckt hat, ist schon wieder vergessen. Bummeln in einer belebten Fußgängerzone und der Versuch, hier den ganzen Tag Blickkontakte aufzubauen und Menschen kennenzulernen.

Tiefere Beschäftigung mit einem Thema ist ja auch nicht das Ziel dieser Plattformen, Oberflächlichkeit ist Programm. Dieser Nachfolger der Regenbogenpresse gewährt Einblick in andere Leben, nicht der unerreichbaren Royals und der High-Society, sondern der erreichbaren vermeintlich Gleichen.

Wie jedes System gibt es auch hier optimierende und selbstlernende Elemente. Sei es, dass der Algorithmus der Plattform die Beiträge gezielt verteilt und votet, auch die Orientierung an den erfolgreichen Veröffentlichungen führt zu einer auf den ersten Blick unbremsbaren Entwicklung dieses fröhlichen Treibens.

Und dann die Erkenntnis: Das ist alles real, die richtige Welt – Diese Personen gibt es wirklich, sie leben nicht irgendwo unerreichbar, sondern vielleicht ein paar Straßen weiter. Aber es ist nicht meine Welt, ich stehe wie im Zoo am Fenster eines Geheges und schaue dem bunten Treiben zu.

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Montag, 14. Juli 2025

Kulturzyklen

Werfen wir mal einen Blick in den Kalender oder gleich ins Geschichtsbuch. Dann stellen wir fest, dass sich Kulturen entwickeln. Das muss man ganz neutral sehen, mal geht es aufwärts und es entsteht eine "Hochkultur", dann aber auch wieder abwärts: Die Schaffenskraft lässt nach, die Riten werden vernachlässigt, am Ende steht die Auflösung. Oft kommt es wie bei einer insolventen Firma zu einer Art Ausverkauf, Nachbarkulturen dringen ein, bringen ihren Anteil ein und sorgen so für eine Erweiterung oder Anpassung.

Kulturzyklen

Man kann sich das römische Reich anschauen, das nach einer Blütezeit zerfiel, Griechenland oder auch das Morgenland, das zum Beispiel mit der Türkei einmal zu den Hochkulturen gehörte. Dieses Verständnis für Zyklen, das Entstehen wie auch das Vergehen von Kulturen, ist wichtig, wenn man sich die Situation im Deutschland des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts anschaut.

Wir blicken in den letzten hundert Jahre zurück auf Saus und Braus zurück, Phasen gewaltsamer Erweiterungsversuche, die in zwei Weltkriege mündeten. Wir schauen auch auf das German Wirtschaftswunder, historisch einzigartige Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Wohlstand. Ein enormer und über Jahrzehnte stabiler Bedarf an Arbeitskräften, Gastarbeitern, Zugezogenen aus dem Ausland. Und natürlich die Flüchtlinge, die es in dieses friedliche Paradies zieht.

Als Zeichen der Rezession im Kulturzyklus beobachten wir Diskussionen über Einwanderung im Allgemeinen und den Versuch einer Definition von Deutschsein. Es ist schwierig zu bewerten, ob die bunte Vielfalt an Restaurants aller Nationen in diversen Städten eine Bereicherung oder eher der Anfang einer Infiltrierung sind. Wird die deutsche Sprache durch Sätze wie "Alter, was geht?" bereichert oder verstümmelt? Denn gerade Sprache ist sicher ein gemeinschaftstypisches Element, neben bestimmten Grundeinstellungen und Tugenden spielt sie eine zentrale Rolle bei der Identifikation einer Gemeinschaft und ihrer Kultur.

Welche Aspekte kann man verfolgen, um diese Zyklen einschätzen und managen zu können? Ich habe bereits die Sprache mit ihren Sprachbildern, Symbolen und Metaphern erwähnt, daneben spielt natürlich auch die Geschichte mit ihren Erfahrungen, Mythen und Meilensteinen eine Rolle. Und überhaupt die Identität, zu der Selbstbewusstsein, die Ausprägung von Patriotismus oder das Selbstwertgefühl gehören. Wenn wir noch die Einstellung wie gesellschaftliche Werte, Gesetze oder Ansichten hinzunehmen haben wir schon ein recht vollständiges Bild. Das man ergänzen kann und auch die gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigen sollte.

Die Beobachtung von Veränderung ist politisch neutral, erst hieraus abgeleitete Maßnahmen können je nach Zielrichtung eine politische Farbe bekommen. Und auch hier zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass Aktivitäten zur Stabilisierung eines Zustandes einerseits nahezu immer in Mord und Totschlag enden, andererseits aber mittelfristig erfolglos sind. Veränderungen der Kultur kann man nicht aufhalten, bestenfalls kann man sie steuern. Und selbst das dürfte nur in seltenen Fällen und in begrenztem Umfang gelingen.

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Montag, 7. Juli 2025

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer

In der etwas sperrigen Wortwahl deutscher Behörden werden die Lenker von Autos auch als Kraftfahrzeugführer bezeichnet. Langsam wird mir klar, dass sie damit den Nagel besser auf den Kopf treffen, als ich bislang gedacht habe. Ist man doch als Person auf dem Fahrersitz tatsächlich so etwas wie eine Führungskraft.

Durch das Lenkrad bestimmt man die Richtung, durch die Pedalerie und Gangschalthebel hat man Einfluss auf die Geschwindigkeit. Und als gute Führungskraft kommuniziert man seine Entscheidungen mit Hilfe des Blinkers auch seinen Partnern auf der Straße.

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer
Neuerdings ist diese Führung allerdings um eine Hierarchieebene erweitert worden. Mit einem Spurhalte-Assistent und adaptiver Geschwindigkeitsregulierung übernimmt das Auto sowohl die Lenkbewegung als auch Beschleunigungs- und Bremsvorgänge. Ich muss gar nichts machen, ein kleines Motörchen dreht für mich das Lenkrad, ein Computer schaltet sich in die Datenübermittlung zwischen meinen Füßen und dem Motor- und Verzögerungsmanagement ein und für die Wahl des richtigen Ganges sorgt traditionell die Getriebeautomatik.

Was für eine schöne Welt, die einen Vorgeschmack auf autonomes Fahren ermöglicht. Doch leider funktioniert das Ganze in der Praxis eben doch nicht so ganz zuverlässig. Mal wird ein Verkehrsschild übersehen, verliert der Spurassistent seine Orientierung, dann wieder rollt das Fahrzeug in weiser Voraussicht schon viele Kilometer vor dem Kreisverkehr nur noch aus.

All dies geschieht ohne deutliche Warnung, verschwindet nur ein grünes Symbol aus dem Display, wechselt irgendein Bälkchen seine Farbe auf rot oder die Geschwindigkeit sinkt unerwartet ab. Da heißt es aufpassen, schließlich ist man ja die Führungskraft und muss sein Middlemanagement im Griff behalten. Sich darauf zu verlassen, dass der PKW die Kurve erkennt und unter Berücksichtigung der Fahrspur verzögert und lenkt, ist keine gute Idee.

Früher war ich der Herr des Autos, Lenkung im Uhrzeigersinn hieß rechts fahren, beherzter Tritt auf das rechte Pedal sorgte für Reaktion aus dem Maschinenraum und dem Versuch, schneller zu werden. Das ist heutzutage nur noch prinzipiell so. Die Bewegung des Lenkrades wird vom Spurhalteassistenten kontrolliert und je nach seiner Einschätzung widerspenstig gegengehalten. Ebenso verweigert mir der Antrieb erst mal den Gehorsam, wenn der Tempomat der Meinung ist, dass ich an dieser Stelle nicht schneller fahren sollte.

Die Erlangung der Fahrerlaubnis – kurz Führerschein – muss dringend renoviert werden. Lernte man früher etwas zu Stotterbremsen und Anfahren am Berg, muss man heute die Orchestrierung und das Management von Assistenzsystemen beigebracht bekommen. Und überhaupt ist der Führungsanspruch zwischen Oldtimern und aktuellen Modellen so groß, dass man im Grunde zwei verschiedene Fahrzeugklassen beherrschen können muss.

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Montag, 30. Juni 2025

Weltreise für Groß und Klein

Herrliches Wetter, ich bin im Urlaub und sitze auf einem Klappstuhl unter dem Sonnenschirm. Andere Gäste genießen auch die Wärme, von Zeit zu Zeit höre ich das Plantschen im Pool und fröhliches Gekreische von spielenden Kindern.

Weltreise für Groß und Klein
Gerade krabbelt eine Ameise über den Tisch vor mir. Sie läuft recht gezielt von der einen zur anderen Seite, verschwindet in einer Ritze und taucht kurze Zeit später mit einem kleinen Holzspänchen auf dem Rücken wieder auf. Weiter geht es diagonal über den Tisch, an der Tischkante herunter und nach einem akrobatischen Akt das Tischbein entlang bis zum Boden.

Für ihr Ameisen-Dasein bereist sie die Welt, erkundet von ihrer Kolonie aus das Umfeld, sorgt für Nachschub an Baumaterial oder auch Nahrung. Es ist keine Wissbegierde, die sie antreibt, auch will sie keine fremden Kulturen kennenlernen. Work-Life-Balance und Erholung von ihrer zweifellos anstrengenden Arbeit ist ihr fremd.

Noch mal ein Blick zum Pool. Lauter Menschen fernab der Heimat, zum Teil sind sie vermutlich stundenlang geflogen, zig tausend Kilometer von ihrer normalen Wohnung entfernt. Sie nutzen die Gelegenheit für eine Pause vom Alltag, lassen sich auf Ungewohntes ein und sind neugierig auf andere Mentalitäten und Speisen.

Da ist sie wieder, meine Ameise oder vielleicht ist es auch eine andere Vertreterin ihrer Kolonie, jedenfalls saust sie wieder zu der Ritze und kehrt beladen zurück. Arbeiterinnen, die vielleicht drei Jahre auf unserer Welt sind und in dieser Zeit für die Gemeinschaft und die Königin ihr Tagwerk vollbringen.

Welt in Reichweite zu bringen, vom Laufstall des Säuglings über den Wohnort für das Grundschulkind und die nächstgelegene Stadt für die Jugendlichen. Dann Kontakt zum Ausland, sei es im Urlaub oder im beruflichen Kontext – und damit die Erweiterung der Erfahrungen und im Idealfall eine Ergänzung des Welt-Bildes.

Langsam geht die Sonne unter. Sowohl die kleinen Lebewesen als auch die Menschen um mich herum ziehen sich langsam vom Pool und seinem Umfeld zurück. Für heute haben sie genug von der Welt gesehen, vielleicht nur ein paar Meter um Umkreis, vielleicht ein paar tausend Kilometer von zu Hause entfernt.

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Montag, 23. Juni 2025

Für Elise von mir

Beim Bereisen der Welt spielt für mich die Erhaltung der Erlebnisse in Form von Fotos eine wichtige Rolle. Da werden Aufnahmen vom Hotel, der Landschaft, der Menschen und allerlei Sehenswürdigkeiten angefertigt. Dank Handycam sind selbst tausende von Fotos weder ein Speicher- noch ein Kostenproblem.

Klassisch war man im Urlaub und hat dort Ansichtskarten gekauft. Von einem Fotografen bei optimalem Wetter perfekt in Szene gesetzt, mit optimaler Perspektive geschmackvoll  arrangiert. Ähnlich gute Fotos bieten auch heute die Hotelbetreiber, die Touristikbüros und die Kulturverbände an.

Doch das sind dann die Fotos von anderen. Und der strahlend blaue Himmel mit Wattewolken ist zwar wunderschön anzusehen, deckt sich aber nicht mit dem leicht verhangenen Himmel, den ich beim Besuch dieses Ortes erlebt habe. Deshalb greife ich in die Tasche, zücke mein Smartphone und drücke auf den Auslöser. Was übrigens auch der Mann neben mir macht und die Frau etwas weiter rechts auch.

Für Elise von mir
Jedem sein Foto, es ist alles schon mal abgelichtet worden, aber nicht von mir. Selbst wenn es viel schlechter ist als vom Profi, auch wenn es unprofessioneller aufgenommen, mangels Zoomobjektiv nicht perfekt ausgerichtet ist: Es ist mein eigenes Foto, liebenswert durch seine individuelle Prägung und Unvollkommenheit.

Persönlich kenne ich diesen Effekt auch bei anderen Eigenproduktionen. Sei es das etwas wacklig gemauerte Hochbeet, das leicht übergarte Gericht, die Klaviersonate mit ein paar Fehlern. Ich bin nun mal weder Maurer noch Koch noch Pianist. Aber was zählt ist der Antritt, die Authentizität und der ernstgemeinte Versuch, mit den eigenen Möglichkeiten das Beste zu erreichen.

Und so knie ich nieder und murmele: „Liebe Elise: Für dich von mir.“ Nicht so perfekt wie Lang-Lang, aber höchst eigenartig.

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Montag, 16. Juni 2025

Das kann alles mögliche sein

War ich vor ein paar Tagen mit einem Stihl-Gerät in der Fachwerkstatt. Meine Benzin-Motorsäge läuft nicht mehr, genau genommen kann ich sie zwar mit dem Seilzug anlassen, aber nach ein paar Sekunden geht sie dann wieder aus. Verdächtigerweise füllt sich auch die Benzin-Handpumpe nicht richtig mit Kraftstoff, egal wie oft oder fest ich sie betätige. In diesem Zustand liegt die Maschine jetzt vor mir auf dem Tisch in der Reparaturannahme.

Das kann alles mögliche sein
Ich erzähle dem Mitarbeiter von meinen Problemen und frage ihn nach seiner Einschätzung, was diese Probleme auslösen könnte. "Das kann alles sein", lässt er mich wissen. Es schließt sich ein Vortrag an, in dem von Luftfilter, Benzinpumpe, Vergaser, Kolben und Zylindern, der Welle und überhaupt allerlei Lagern die Rede ist. "Und die ist ja auch Baujahr 2009. Da dürfte so einiges verschlissen sein." - "Aber es ist eine Stihl. Da gehe ich doch von einer Qualität für Profis und entsprechender Haltbarkeit aus."

Er lässt sich nicht beirren, plappert munter weiter über teure Bauteile, dass sich eine Reparatur vermutlich nicht mehr lohnt. Rät mir, die Säge als defekt bei Ebay zu verkaufen und mir hier im Laden ein neues Modell auszusuchen. Wenn ich unbedingt wollte könne er sie in die Werkstatt geben, einen Kostenvoranschlag für 35 Euro machen lassen. Ich habe die kranke Motorsäge wieder vom Ladentisch genommen, einen guten Tag gewünscht und bin nach Hause.

Nach ein bisschen Recherche im Internet und Austausch mit ChatGPT konnte ich die Reparatur für wenig Geld selbst durchführen, sie läuft wieder, kein Ersatzteilspender bei Ebay. Natürlich kann es alles sein, aber am Ende gibt es wahrscheinliche und unwahrscheinliche Fehlerursachen. Und die sollte ein Fachmann an der Stihl-Reparaturannahme schon kennen.

In vieler Hinsicht erinnerte mich die Situation an einen Reparaturversuch meines Audis in der entsprechenden Fachwerkstatt in der Nachbarstadt. Ebenfalls ein jovialer Monteur, auch dort die Diagnose "Das kann alles sein." Seinerzeit war im Winter der Lüfter ausgefallen, zur Wiederherstellung sollten der Lüftermotor, sein Steuergerät und der Temperatursensor erneuert werden. Auf meinen Einwand, dass doch nicht alle drei Dinge auf einmal den Geist aufgeben, wurde ich mit der Erkenntnis "Das sagt die Diagnosesoftware" abgefertigt.

Auch in diesem Fall war die Lösung durch eine andere Werkstatt sehr viel einfacher, ziemlich erwartungsgemäß war es nur der preiswerte Sensor. Statt der avisierten rund 700 Euro kam ich mit unter 50 Euro einschließlich Einbau davon. Für den Audi-Spezialisten ein Armutszeugnis.

Als ich meiner Frau von diesen Erlebnissen erzählte, musste sie lachen. "Denkst du, das sind Einzelfälle? Das ist doch bei Ärzten nicht anders, nur, dass du es bei denen nicht mitbekommst. Da kommt es auch nicht gerade selten vor, dass die Diagnose nicht stimmt, ein Facharzt in einer gewissen Arroganz das Problem schon verstanden hat, bevor er dich gründlich untersucht hat." Vermutlich hat sie recht mit dieser Einschätzung. An allen Ecken und Enden sind wir umgeben von Menschen, die forsch daherkommen und entweder Fachkompetenz vorgaukeln oder von denen man diese angesichts ihrer Stelle vermutet.

Doch falsch. Entweder haben sie gar nicht so viel Ahnung, wie sie behaupten; Zum Teil bewusst oder unbewusst kennen sie sich gar nicht so gut aus. Oder sie wollen ihr Wissen an dieser Stelle gar nicht einsetzen, ist es doch geschäftstüchtig, dem Kunden zum Beispiel ein neues Gerät zu verkaufen.

Was hilft da? Trau-schau-wem ist eine gute Basis, Gutgläubigkeit eine schlechte. Doch man kann sich ja nicht in allen Themen zum Fachmann machen, ein mehr oder weniger tragfähiges Halbwissen anhäufen und auf Augenhöhe mit den Spezialisten diskutieren. In manchen Fällen hilft es, eine zweite Meinung einzuholen, hier ist das Internet und seit einiger Zeit insbesondere die Nutzung von Chatbots eine große Hilfe. Auch das Umhören bei Bekannten und die Empfehlung von guten und vertrauenswürdigen Ansprechpartnern ist nützlich. Wobei am Beispiel von Stihl einige meiner Nachbarn ganz begeistert von dem Betrieb sind - vermutlich, weil sie nicht merken, dass sie ziemlich einseitig beraten wurden.

Und so endet die Geschichte wie sie angefangen hat: "Das kann alles sein."

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Montag, 9. Juni 2025

Wischen und weiter

Neben mir ein junger Mann mit seinem Handy. Er vertreibt sich die Zeit mit dem kleinen Gerät, starrt darauf und flippt mit dem Finger durch ein Nachrichtenportal. Keine Nachricht hat mehr als wenige Sekunden, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, schon gleitet der Finger über den Bildschirm und schiebt das nächste Bild in den Mittelpunkt. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man aus dem Zugfenster schauen und in der Landschaft einzelne Bäume betrachten.

Wischen und weiter

Jetzt hebt er den Blick, und zu meiner Überraschung wischt der Finger trotzdem weiter. Er guckt gar nicht auf den Bildschirm, trotzdem werden im Sekundentakt die Artikel nach oben geschoben. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man am Meer sitzen und den Wellen zuschauen.

Er klappt die Handyhülle zu, schließt kurz die Augen, öffnet sie wieder mit leerem Blick. Es dauert keine Minute und das Handy ist wieder in Betrieb, diesmal scheint er bei Wikipedia gelandet zu sein. Von einem Artikel über Stichwörter mit Querverweisen arbeitet er sich durch die Enzyklopädie. Sind hier noch Bilder von Blumen zu sehen, sind es im nächsten Moment fremde Pflanzen und jetzt ein Flugzeug. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man von einem Klassenraum in den anderen laufen.

Das Handy wieder zu, starrer Blick auf den Boden, ohne Rührung scheint er die Zuganzeige zu betrachten. Der Hinweis auf die Zugnummer, das Laufband mit den nächsten Haltepunkten. Hier muss er nicht aktiv werden, die Anzeige wechselt auch ohne sein Zutun. Aber wie in Trance zuckt sein rechter Zeigefinger: Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen und erlebte immer wieder denselben Ablauf.

Der junge Mann dreht sich zu mir, oh Gott, denke ich, gleich wird er versuchen, das reale Bild um ihn herum durch eine Wischgeste zu verändern. Aber nichts passiert. Er blickt auf mein Laptop, vielleicht ein wenig mitleidig, weil es keinen Touchscreen hat. Ja, ganz sicher ist er damit überfordert, dass sich das Bild über mehrere Sekunden hinweg nicht ändert, kein hoch- und herunterscrollen. "Wischen und weiter, wischen und weiter, wischen und weiter" höre ich ihn denken.

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Montag, 2. Juni 2025

Hurra, da sind wir uns alle einig

Ich bin ja froh, dass wir Entscheidungen in ganz vielen Fällen des Lebens erst nach ausführlicher Diskussion und anschließender Abstimmung treffen. Da hat dann jeder die Möglichkeit, nicht nur seine Meinung zum Gesamtbild beizutragen, sondern sie am Ende dann auch zu vertreten. In demokratischem Ansatz entscheidet die Anzahl der Stimmen, eine Gewichtung ist nicht vorgesehen.

Vom Ansatz her und in zahlreichen Fällen ein guter Grundgedanke, wobei allerdings zu beachten ist, dass hier als Kriterium auch die Qualität der Argumente und deren Präsentation eine Rolle spielen. 
Wer überzeugende Zahlen hat, der zieht seine Partner mit, auch wenn diese Zahlen gar nicht stimmen.

Hrra, da sind wir uns alle einig

Jedenfalls bildet sich eine Gesamtmeinung aus, die auch auf den ersten Blick gesehen optimal erscheint. Per Definitionem landet man statistisch betrachtet im hohen Bereich der Glockenkurve einer Normalverteilung. Die Ränder werden in diesem Moment vernachlässigt. Das hat aber oft fatale Folgen. Einerseits resultiert daraus eine gewisse Selbststabilisierung ("hat sich bewährt"). Andererseits können auch alle falsch liegen.

Ich kam vor einiger Zeit an einer Reihe parkender Autos vorbei, die durchgehend einen Strafzettel an der Windschutzscheibe hängen hatten. Tja, auch wenn viele dort parken, es war an dieser Stelle nicht erlaubt. Sich der Mehrheit anzuschließen oder darauf zu vertrauen, dass die anderen schon wissen, was man darf oder nicht, das kann ins Auge gehen und wie in diesem Fall eine kostenpflichtige Fehleinschätzung einleiten.

Im Zusammenhang mit der Parksituation noch halbwegs harmlos, sind wir aber auch bei beruflichen Entscheidungen, in der Politik oder im privaten Umfeld anfällig für dieses Phänomen. Was viele für Recht halten, das muss auch Recht sein. Bis zu dem ausgeprägten Verständnis, dieses selbst definierte Rechtsempfinden auch noch lautstark zu vertreten, der juristischen Schwarmintelligenz also sozusagen eine Stimme zu geben.

Beim Parken ist das Kontrollieren der Beschilderung hilfreicher als die Orientierung am Verhalten der Mitmenschen. Geradezu erschreckend oft liegt nämlich die Mehrheit falsch, sei es aus Bequemlichkeit, sei es, weil sie ein geradezu naives Rechtsverständnis ausgebildet hat, das sie sich auch gerne in hitzigen Debatten bestätigt. "Mach die Welt, wie sie dir gefällt" ist in diesem Fall aber leider kein bewusster Prozess zur Umgestaltung, sondern ein Bauchgefühl, mit dem gesteuert und entschieden wird.

Montag, 26. Mai 2025

Alles eine Frage der Definition

Als regelmäßiger Nutzer der Nahverkehrsangebote unserer Deutschen Bahn kann ich ein Lied davon singen. Züge, deren Abfahrtszeit mit der Angabe aus dem Fahrplan übereinstimmt sind Mangelware. Über die Jahre hat man sich daran gewöhnt, ein paar Minuten später empfindet man schon nicht mehr als ungewöhnlich. Denn das ist es ja auch nicht: ungewöhnlich.

Alles eine Frage der Definition
Bei nüchterner Betrachtung der letzten Wochen komme ich auf rund 50 % Pünktlichkeit. Auf meiner Strecke fallen alle zwei bis drei Tage mehrere Züge ersatzlos aus, bei Erkältungswetter oft noch mehr. Die restlichen Züge bauen durch allerlei Unwägbarkeiten insbesondere im Berufsverkehr schnell mal eine Verspätung auf, die sie schon wieder pünktlich erscheinen lassen, rücken sie dadurch doch an die Stelle des nachfolgenden Zuges.

Noch weniger erfreulich ist das Bild, wenn man mit scharfem Blick auf die Uhr schaut. Dann sind es nur noch 30 % der Verkehrsmittel, bei denen die Abfahrt mit dem Uhrzeiger übereinstimmt. Wobei man bei der Betrachtung der Pünktlichkeit auch noch die beiden Messpunkte Abfahrt und Ankunft betrachten muss. Ist ein Zug pünktlich, der zwar zur richtigen Zeit den Bahnhof verlässt, aber den Zielbahnhof erst mit Verspätung erreicht? Oweh, dann kann ich leider nur noch 20 % Pünktlichkeitsquote bescheinigen.

Doch halt! Wie kann ich das nur so negativ darstellen. Ausfallende Züge haben per Definition keine Verspätung, sie fahren schlichtweg gar nicht und fallen deshalb aus der Statistik. Und als pünktlich wird ein Fahrzeug auch dann noch eingestuft, wenn es dem Fahrplan nur 6 Minuten hinterherhinkt. So reibe ich mir verwundert die Augen, wenn ich bei meiner Customer Experience mit einer offiziellen Pünktlichkeit von 90,3 Prozent konfrontiert werde.

Tja, wenn man die Fakten nicht verändern kann, dann muss man eben die Definition anpassen.

Montag, 19. Mai 2025

Stichwort: Bürokratie

Kaum ein Begriff aus dem Alltag hat so einen schlechten Ruf wie Bürokratie. Dabei ist es im Grunde ja erst mal durchaus richtig, wenn man sich auch um den Schreibkram kümmert, Formalitäten einhält und gewisse Abfragen in standardisierter Form verteilt. Und diese Dinge verwaltet, verteilt, zu Entscheidungen führt oder schlicht darüber Buch führt. Was jedoch oft zur Diskussion gestellt wird, ist der Umfang und die Tiefe, in der diese Form der Arbeit erfolgt. Und das aus gutem Grund, denn im Sinne von „Lean“ ist Bürokratie ja nicht wertschöpfend, sondern (bestenfalls) verdeckt-notwendig. Und alle Tätigkeiten in dieser Rubrik sollen und müssen so gut es geht verringert werden.

Das kommt natürlich auch unserer inneren Bequemlichkeit entgegen. Niemand wird behaupten, dass er Spaß an der Steuererklärung hat, dass es ihm Freude bereitet, ein Zollformular auszufüllen oder in seinen Unterlagen für die Auskunftsbögen eines Kreditantrages zu recherchieren. Je weniger dieser lästigen Arbeit anfällt, desto lieber ist es einem, da sind sich alle einig. Und können sich also in guter Gesellschaft wissen, wenn sie nach Bürokratieabbau verlangen.

Doch an diesem Punkt beginnt das Dilemma. Mit der Verringerung dieser vermeintlichen Blindleistung werden ausgerechnet die Personen beauftragt, die diese Prozesse zu verantworten, sie vielleicht sogar ins Leben gerufen haben. Es würde eine gewisse Schizophrenie erfordern, wenn sie das abschaffen, was sie selbst initiiert haben oder was sich aus ihrer Sicht seit Jahren bewährt hat. Nein, dieses Formular ist in vollem Umfang notwendig, weil es Paragraph xy bedient, jene zusätzliche Abfrage in der Anlage wurde notwendig, weil das Soundso-Gesetz dies erfordert. Und der Ablauf für den Kunden lässt sich nicht ändern, denn der Datenstrom hat eine definierte Richtung, kann Genehmigung B nicht vor Begutachtung A erfolgen. Und so weiter.

Stichwort Bürokratie
Und dann wird es geboren: Das "Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz". Da sitzen intelligente Menschen zusammen, nennen sich Senat der Stadt Bremen und haben entweder aus eigenem Antritt oder auf Druck der Bürger ein gutes Ziel vor Augen. Sie wollen die Arbeit geschmeidiger gestalten. Diese Verbesserung nennen sie Effektivierung und machen daraus: ein Gesetz, also wieder irgendein Papierwerk, das Anweisungen und Regelungen enthält. Und das sich auf die Verwaltung, also im weiteren Sinne auch sie selbst, bezieht. Nun ist eine Verwaltung gemäß ihrer Definition niemals wertschöpfend, ist also bestenfalls unabdingbar notwendig, tendenziell aber Verschwendung. Es ist also zu kurz gesprungen, wenn man hier etwas effektiver gestaltet, vielmehr muss das Ziel sein, die Verwaltungsverfahren auf den Prüfstand zu stellen und möglichst ganz abzuschaffen.

Das allerdings erfordert kein Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz, sondern ein rigoroses Streichen von Verfahren. Nur Mut, was man ersatzlos streicht, braucht man nicht mehr zu optimieren, was durch schlankere Prozesse obsolet wird, erfordert keine Steigerung der Effektivität. Und Bürokratie durch die Bürokratie eines Gesetzes zu bekämpfen ist ein Ansatz, der zumindest nach außen ziemlich widersprüchlich erscheint.

Montag, 12. Mai 2025

Stichwort: Gerechtigkeit

Als Schüler haben wir so viele Dinge gelernt, die damals völlig logisch und naheliegend klangen. Wie gemein war die Abgabe des Zehnten an den Fürsten. Naja, meine Steuerabgaben heute dürften um ein Vielfaches höher liegen. Oder der Umgang mit anderen Kulturen und Religionen. Geprägt von einer geradezu unfassbaren Naivität und Armut an verschiedenen Perspektiven. Die kontrastreiche Darstellung der Guten und der Schlechten in der Weltpolitik und die nachträglich schlaue Interpretation historischer Ereignisse.

Doch das zieht sich auch in das Erwachsenenalter durch. Neulich war ich in der Stadt und sah eine Demonstration, die sich lautstark durch die Fußgängerzone schlängelte. Die Parolen waren kaum zu verstehen, doch den Plakaten nach zu urteilen ging es um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. "Gleiches Geld für gleiche Arbeit!" konnte ich lesen. Das hörte sich spontan gut und einleuchtend an. Aber dann fragte ich mich, wie man das klarstellen, gar messen könnte.

Stichwort Gerechtigkeit

Die linke Seite, also "gleiches Geld", das ist eine gut definierbare Größe. Aber wie steht es mit der rechten Seite der Gleichung, also der "gleichen Arbeit"? Bei mehr oder weniger einfachen Arbeiten mag das noch mit Sinn zu füllen sein. Wenn die Aufgabe in der Montage von Kotflügeln besteht, kann man mitzählen, wie viele Kotflügel pro Stunde eine Arbeitskraft verarbeitet. Aber selbst hier muss man möglicherweise schon differenzieren. Nehmen wir an, eine junge Frau am Band kann nicht nur die Kotflügel anschrauben, sondern bei Bedarf auch kurzfristig die Bedienung des Fließbandes oder die Organisation des Nachschubs übernehmen. Zwar ist es nicht primär ihre Aufgabe, aber sie ist universeller einsetzbar als die anderen Kollegen.

Es ist einleuchtend, dass diese Vielseitigkeit, das Potential zur spontanen Übernahme ungeplanter Aufgaben oder eine kurze Rüstzeit beim geplanten Wechsel der Tätigkeit eine geldwerte Leistung ist. Von außen sehe ich nur die Frau, die wie alle Kolleginnen und Kollegen die Kotflügel mit den Autos verbindet, aber das vorhandene Potential sehe ich nicht. Von "Gerechtigkeit" zu sprechen ist in diesem Zusammenhang mindestens schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Ergänzend liegt es nahe, dass die scheinbar verletzte Gleichheit von denen eingeklagt wird, die hiervon Vorteile haben, also weniger Potential haben, dabei aber in der Außensicht eine ähnliche Aufgabe ausführen müssen. Wer - vielleicht aufgrund irgendwelcher Regularien oder dem vermuteten Nasenfaktor - besser bezahlt wird, der wird sich nicht beschweren. Die höhere Bezahlung ist in diesem Fall vielleicht eine Motivation, eine Wertschätzung der zusätzlichen (potentiellen) Arbeit oder auch im Sinne des (Arbeits-) Marktes eine normale Reaktion.

Forderungen der Gleichheit und Gerechtigkeit gehen in Richtung Kommunismus. Inwieweit dieser Ansatz sinnvoll und tragfähig ist, sei mal in diesem Zusammenhang dahingestellt. Aber weiter zurückverfolgt kommt man dann zu der Forderung, dass auch alle Menschen gleich zu sein haben. Und das ist nun mal nicht der Fall.

Montag, 5. Mai 2025

Wie schön, das zu hören

Der Saal ist recht voll, alles gepflegte Zuhörer im mittleren Alter. Die Bühne noch leer, aber man kann schon mit gemütlichem Sessel, Barhocker, einem Mikrofon und einem aufgeklappten Konzertflügel erahnen, wie der Abend gestaltet sein wird. Ein schönes Setting, bestimmt interessante, kurzweilige und lustige Momente in den nächsten Stunden.

Die Eintrittskarte habe ich schon vor vielen Wochen gekauft, tatsächlich ist der Platz ziemlich gut und im Grunde kommt es auch mehr auf die Akustik an. In der Zeitung war ein kleiner Artikel, die Ankündigung dieses Events mit Beschreibungstext und einem kleinen Bild.

Jetzt geht es los, der Künstler betritt die Bühne, wird beklatscht und erzählt sich da vorne langsam warm. Ein kurzes Intermezzo am Flügel, ein umgedichteter Chanson und dann die nächsten Ausführungen über allerlei Themen des Alltags. Seine Anekdoten aus der Ehe sind harmlos, aber auch seine politischen Witzchen tun niemand weh. Oder vielleicht doch, zumindest, wenn man mit irgendeiner Partei sympathisiert. Auch die Gags auf Kosten von Olaf Scholz sind wenig schmeichelhaft. Aber sie sind lustig und das Publikum folgt dem Frontmann bei seinen Ausführungen.

Wie schön, das zu hören

Ach, was tut es gut, wenn mal jemand das ausspricht, was man selber denkt. Oder zum Denken vorgelegt bekommt. Oder so oft hört, dass es doch schließlich wahr sein muss. Dabei ist diese persönliche Meinungsbildung gar kein demokratischer Prozess, denn es ist im Grunde eine Einzelmeinung, der sich die Zuhörer hier anschließen. Man weiß zwar, wer es gesagt hat, aber das macht es nur scheinbar vertrauenswürdig.

Und dann kommt noch ein anderer Effekt dazu. Ich suche mir von vornherein nur die Redner aus, die in meinem Sinne argumentieren. Wer Urban Priol an den Lippen hängt, könnte sich auch für Georg Schramm Priol interessieren. Lisa Eckhart dürfte ihn nicht so ansprechen. Und da bekommt er das, was er schon immer gedacht hat, hier bestätigt aus dem Mund eines populären Referenten. Der zum einen seine persönliche Sicht der Dinge präsentiert, sich dabei andererseits aber auch vorsichtig daran orientiert, was der Veranstalter und das Publikum erwarten.

Und so wird durch diesen Feedback-Prozess eine Meinung gebildet und publiziert, die ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt, ohne auch nur ansatzweise neutral zu sein. Zumal viele Vortragende auch den einen oder anderen unpassenden Gag in Kauf nehmen, um den Unterhaltungswert zu steigern. Die Zuschauer sollen sich amüsieren und am Ende sagen können: "Wie schön, das zu hören."

Montag, 28. April 2025

Das Geständnis des Dr. M.

Vor ein paar Jahren, so berichtete mir Dr. M., habe er in einem Vortrag gesessen. Ein versierter Kollege habe interessante Gedanken zu seinem Fachgebiet ausgebreitet und die Darstellungen mit Beispielen, Bildern und kleinen Filmeinblendungen sehr lebendig aufbereitet.

Trotz dieser kurzweiligen und spannenden Präsentation war seine Laune immer schlechter geworden. Das Publikum war angetan, um nicht zu sagen begeistert, klatschte immer wieder Beifall und bedachte den Referenten mit Anerkennung und Lob.

Die anschließende Diskussionsrunde, Fragen aus dem Auditorium, auch Nachfragen vom Moderator ließen keinen Zweifel an der Kompetenz und Sattelfestigkeit des Vortragenden aufkommen. Mit Abschluss des offiziellen Teils eilten zahlreiche Zuschauer nach vorne, schüttelten dem Redner die Hand und demonstrierten ihre Begeisterung für seine Gedanken.

Derweil wurde die Laune von Dr. M. immer schlimmer, geradezu miserabel. Er hielt sich an seinem Weinglas fest, sprach eher abwesend mit irgendeinem anderen Gast und ließ den Vortrag innerlich noch einmal an sich vorbeiziehen. Nein, der Inhalt war tadellos, die Formulierungen einwandfrei, keine unangemessenen Vergleiche oder wackeligen Thesen. Nein, es gab wirklich nichts auszusetzen an dem Abend, noch nicht einmal Selbstherrlichkeit oder Arroganz konnte man an irgendeiner Stelle attestieren.

Das Geständnis des Dr. M.

Und dann fiel bei ihm der Groschen. Es war gar nicht der Inhalt und im Grunde auch gar nicht der Vortragende, der seine Laune so getrübt hatte. Es war der blanke Neid. Wie gerne hätte er auf der Bühne gestanden, wäre bejubelt worden, hätte selbst kluge Gedanken präsentiert und die Zuhörer in seinen Bann gezogen. Wäre beachtet worden, hätte begeistert und ein positives Feedback zurückbekommen.

Aber all das war nicht passiert. Nicht, dass er es dem Redner missgönnt hätte. Er wäre nur gerne an seiner Stelle gewesen und hätte einen Lorbeerkranz aufgesetzt bekommen. Dieses schöne Gefühl, dass Menschen einem zuhören, zustimmen, den Überlegungen folgen und sich auf gleiche Gedanken einlassen.

Genau das erzählte mir Dr. M. bei einem Kaffee, den wir am Rande einer Schulung zu uns nahmen. Die Szene habe ihm klar gemacht, dass man sich manchmal selbst gar nicht erkenne und gelegentlich überrascht wäre, wenn man sich sozusagen selbst auf die Schliche komme. Wie leicht hätte er die Schuld auf den großen Referenten wälzen, ihn unzutreffender Weise der Hochnäsigkeit oder Arroganz geißeln können.

Seitdem frage ich mich auch manchmal, wie dieses oder jenes Gefühl in mir zustande kommt. Und stelle dabei voller Entsetzen fest, dass auch in meiner dunklen Seele das eine oder andere Mal der pure Wunsch versteckt ist, auf dem Treppchen zu stehen und mit einer Medaille vor der Brust bejubelt zu werden. Oder in irgendeiner anderen Art neidisch bin oder eigentlich gerne tauschen würde.

[Bild: Marco Verch, ccnull.de]

Montag, 14. April 2025

Woher kommen eigentlich diese lustigen Videos?

Woher kommen die lustigen Videos
Von Zeit zu Zeit kursieren in den einschlägigen Netzwerken irgendwelche verrückten Videos, bei denen ich mich frage, wie sie eigentlich zustande gekommen sind. Irgendein Zeitgenosse, der mit dem blanken Schraubenzieher in der Elektroverteilung herumstochert, die daraufhin spektakulär abfackelt. Oder wie eine süße Tarantel erst auf der Stirn sitzt und dann ganz unvermittelt ins Gesicht beißt.

Und heute: Ein Fahrgast, der lautstark seine dienstlichen Telefongespräche führt, vernehmlich lacht, mit seinem unsichtbaren Gesprächspartner Witze austauscht und auch gleich noch Börsenkurse, Wetterberichte, Sportergebnisse und Familiendetails erläutert. Es fehlt nur noch, dass er in seiner Begeisterung einem anderen Fahrgast auf dessen Bein oder Schulter schlägt.

Vielleicht ist der ganze Wagen gar nicht so hochgradig neugierig, wie es weitergeht, lauscht auch nicht voller Interesse seinen Ausführungen. Und ich kann der Frau neben ihm ansehen, wie sich die Miene immer weiter verdüstert. Gleich, da bin ich mir sicher, wird sie ihn mit ihrer Handtasche schlagen.

Jetzt wäre der Moment, mein Handy zu zücken und verdeckt mitzufilmen, wie sich die Szene weiterentwickelt. Wie die unbekümmerte Rücksichtslosigkeit zu aufgestauter Wut und schließlich bei irgendeinem Mitreisenden zu blanker Körperlichkeit ausartet. Wenn ich jetzt die Kamera aktiviere, bin ich der Held, der nachher das lebensnahe Video ins Netz stellt.

Aber ich mache es nicht, und das ist gut so, denn im Moment springt unser tönender Frohsinn auf, schnattert und lacht weiter in sein Telefon und ist in wenigen Schritten an der Tür. Im Hinaustreten hinterlässt er uns noch den Anfang einer Anekdote mit seinem Chef, aber nach den Gesichtern der Fahrgäste zu urteilen bin ich ziemlich sicher, dass niemand das Ende hören möchte.

Montag, 7. April 2025

Es geht weiter, nur anders

Eine Weisheit der Dakota-Indiana lautet: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!

Es geht weiter nur anders
Da hinten war doch immer ein Gasthaus. Eine Kneipe, in der morgens die Penner, mittags die Schöppchen und abends die Skatspieler einkehrten. Hinter der Theke noch die Treppe runter zur Kegelbahn, mal mehr, mal weniger lautstark besucht. Einmal im Monat kam aus dem Nachbarort ein Musiker, baute seine elektronische Orgel auf und spielte Evergreens zum Tanz. Für manche Bewohner der Höhepunkt im Kalender.

Heute muss man schon genau hingucken, tatsächlich gibt es noch die dreistufige Treppe zu einem kleinen Podest, Tür mit bunten Fensterchen drin und daneben ein kleiner Stahlkasten mit der Karte, heute leer mit ein paar kleinen Elektrokabeln für die ehemalige Beleuchtung. Die ausgeschenkten Biersorten, der Klare, ein paar einfache Gerichte und natürlich der Termin für die nächste Musik waren hier ausgehängt.

Auf der Fassade noch der Schatten, wo mal das Wirtshausschild hing, "Zum kühlen Grund" oder so ähnlich, ich habe es tatsächlich schon vergessen. Aber die Zeiten sind vorbei, das volle Haus, die turbulenten Tanzabende, die Thekensteher und politisch Engagierten: Sie sind weg. Ich frage mich, wo jetzt getrunken wird, wo Skat geklopppt wird, was aus den Kegelvereinen geworden ist. Ist die Geselligkeit einem "trauten Heim, Glück allein" gewichen? Und kann Social Media das tatsächlich ersetzen?

Nicht nur an dieser Stelle manifestiert sich, dass selbst in wenigen Jahrzehnten aus blühenden Landschaften eine verkümmernde Steppe werden kann. Lokale Gastronomie stirbt aus, aber sie nimmt auch gleich die restliche Nahversorgung, die Treffpunkte und die Kontaktmöglichkeiten mit in den Tod. Hier und da noch ein Sportverein, in dem die älteren Semester ihre Yoga- und Gymnastikkurse besuchen. Für die Bepflanzung des Dorfbrunnens fühlt sich niemand mehr zuständig, die Straßenreinigung musste die Gemeinde gegen Gebührenerhebung in die Hand nehmen.

Vieles, was früher von Gemeinschaften getragen wurde, was gemeinsam nicht nur geleistet, sondern auch entschieden wurde, ist nun als Dienstleistung übergeben, für den vermeintlichen Komfort scheint Geld da zu sein. So verschiebt sich das nachgefragte Produktportfolio von der Bereitstellung von Gemeinschaftserlebnissen zu der Bereitstellung von Bequemlichkeit. Wer will schon in nächtelangen Diskussionen die Verwendung der spärlichen Einnahmen und Spenden festlegen, wenn er sich für ein paar Euro aus der Verantwortung kaufen kann.

Die Kunden sind nicht ausgestorben, es wird sogar mehr Geld für Konsum ausgegeben als je zuvor. Aber das Geld fließt in andere Kanäle, die Konsumenten verlangen nach anderen Produkten. Es geht uns gut, da steht nicht mehr der monatliche Tanzabend im Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem Clubabend on demand: Ich habe jetzt Lust darauf, dann fahre ich eben mal schnell hin. Ich reise zum Besonderen, weder muss ich warten, noch gehe ich davon aus, dass das Besondere zu mir kommt.

Überhaupt wird mit dem Warten völlig anders umgegangen. Statt auf den monatlichen Einkaufsbummel in der Stadt hinzufiebern oder auch nur Einkäufe und Bedarfe zu einem Trip zu sammeln, wird das Internet bemüht, sofort bestellt, im Nu geliefert. Und an anderen Stellen kann man das Warten durch die Aufnahme von Krediten verkürzen. Niemand spart mehr auf ein neues Auto, wenn er es über eine Finanzierung direkt fahren kann. Der kleine Aufpreis ist die Umgehung der Wartezeit allemal wert.

"Geiz ist geil" war mal ein Slogan, der mächtig Furore gemacht hat. Das ist eher einem "Komfort ist geil" gewichen, oder vielleicht sogar einem "Ich bin geil". Beim Feiern seiner Einzigartigkeit, der kaum noch zählbaren Selfies und dem egozentrischen Außenauftritt ist kein Platz für Nachbarschaft, keine Zeit für Geselligkeit, kein Impetus zu sozialem Engagement. Diesen Kunden verkauft man am besten das Gefühl, den maximalen Komfort erhalten zu haben. Das steht ihnen nämlich zu.

Hier endet die Nostalgie. Es hat keinen Sinn, den alten Zeiten hinterherzutrauern, auch wird es keinen Erfolg haben, diese in irgendeiner Form wiederbeleben zu wollen. Die klassischen Kegelvereine sind tot, der traditionelle Tanzabend ein Auslaufmodell. Wer hier investiert, ist reaktionär unterwegs und darf sich nicht über Fehlschläge und Misserfolge wundern. Wie in allen anderen Sparten ist das Leben auch hier Veränderung, man muss mit der Zeit gehen, die Menschen im Sine von Kunden da abholen, wo sie sind.

Gerade haben wir uns noch Gedanken über die geänderten Bedürfnisse gemacht, auch einen Blick auf die Ströme geworfen. Was machen denn die Personen, die früher voller Begeisterung ihre Schnitzel mit Pommes an der Kegelbahn konsumiert haben? Und wird das Tanzbein noch geschwungen, nur an anderer Stelle? Oder müssen wir genauer hinschauen und die zugrundeliegenden Bedarfe verstehen, also zum Beispiel den Wunsch nach körperlichem Kontakt und unverbindlichem Kennenlernen?

Zugegeben wird es hier schwierig, denn man kann nicht einfach 1:1 umziehen. Möglicherweise teilen sich nämlich die bis dahin zu einer Gemeinschaft gehörenden Menschengruppen auf. Ein Teil hottet vielleicht am Wochenende im Club, während ein anderer zum Zumba-Kurs im Fitnessstudio wechselt. Wer sich analytisch mit dem Thema beschäftigen muss oder möchte, kann also wie bei Völkerwanderungen Grafiken erstellen und versuchen, in Kombination mit Zahlen und Befragungen die Entwicklungen mitzuverfolgen und bis zu einem gewissen Grad vorherzusehen.

Nur die alte Kneipe, die sollte man nicht mehr in Betrieb zu nehmen versuchen.

Montag, 31. März 2025

Und läuft und läuft und läuft

Und läuft und läuft und läuft

In den 1960er Jahren galten Laufleistungen von 100.000 Kilometern für ein Auto bereits als beachtlich. Der VW Käfer mit seiner robusten Technik erreichte in dieser Zeit in manchen Fällen 200.000, vereinzelt sogar 300.000 Kilometer, was damals als sensationell galt. Eine Leistung, die zu der Werbekampagne "Und läuft und läuft und läuft" führte.

Rund 60 Jahre später ist diese Leistung zwar immer noch beachtlich, aber bei weitem keine Sensation mehr. Die meisten aktuellen Autos sind ähnlich lange auf der Straße wie damals die Ausnahmefahrzeuge. Die Messlatte hängt höher, und das nicht nur bei Premiummarken, sondern flächendeckend auch bei billigen Fahrzeugen. Begleitend ist meist aufwändigere Technik im Einsatz und die Erwartung der technischen Überwachung hoch.

Diese Entwicklung beobachtet man in allen möglichen Zusammenhängen, also der Technik, der Arbeitswelt und auch bei Menschen. Vieles wird bei steigender Leistung preiswerter, der Arbeitstakt nimmt zu und die Lebenserwartung steigt. Alles läuft, selbst das, was vor ein paar Jahren noch in ruhigem Schritt gegangen ist.

Längst ist der VW Käfer abgelöst von Vierrädern, die nicht verschrottet werden, weil sie verschlissen sind, sondern weil sie nicht mehr gefallen. Und die Frage nach der Laufleistung wird heute wohl in keinem Autohaus mehr gestellt. Auch wenn an manchen Fronten das Schlagwort "Nachhaltigkeit" eine große Rolle spielt, ist die Haltbarkeit gar nicht so relevant. Was unmodern ist, wird entsorgt; Um die kurzen Zyklen zu vertuschen, wird nach Recycling verlangt und damit auch die Verantwortung für Nachhaltigkeit im Sinne einer langlebigen Nutzung abgewälzt.

Und wir Menschen? Auch hier ist die Lebenserwartung gestiegen, die Erwartung erhöht. Wer in der Partnerschaft nicht mehr gefällt wird ersetzt. Tugenden wie Treue und Verlässlichkeit sind deutlich in den Hintergrund getreten, da eine Trennung als eine Art der Modernisierung empfunden wird. Ein neuer Partner bringt frischen Schwung, den man sonst mühsam selbst erarbeiten müsste.

Nur Nostalgiker oder Oldtimer-Liebhaber kaufen heute noch einen originalen VW Käfer. Und vielleicht gibt es auch bei den Partnerschaften nur noch Idealisten, die den Passus mit der Ende-Bedingung ("bis der Tod uns scheidet") ernst nehmen.

Montag, 24. März 2025

Stichwort: Frust

Da feile ich an meinen Formulierungen, lasse mir wissenswerte Dinge durch den Kopf gehen und verknüpfe sie mit Anekdoten, persönlichen Erlebnissen und Informationen aus der Wissenschaft. Und erreiche damit eine treue Leserschaft, die ich sehr zu schätzen weiß. Ihr zu Liebe suche ich unermüdlich nach Neuigkeiten, schürfe ich im Alltag nach sprachlichem Gold und male in allerlei Farben die schönsten Sprachbilder.

All das ist wunder-voll, lesens- und liebens-wert. Wie merk-würdig fühlt es sich da an, wenn ich aus einer mehr oder weniger spontanen Laune heraus eine Bewertung über ein am Wochenende besuchtes Hotel verfasse und im Internet veröffentliche. Nichts Böses ahnend - ist das Feedback doch sehr wohlwollend - denke ich nicht weiter darüber nach, will fast sagen, habe diese spezielle  Veröffentlichung eigentlich vergessen.

Stichwort: Frust
Und dann bekomme ich Post von Google, in der ich gelobt werde, weil mein Beitrag schon mehr als 5.000 Leser erreicht hat. Von mir, dem einfachen Physiker und Poet wollen so viele Leute wissen, was ich vom Service, dem Frühstücksbuffet und dem Saunabereich halte. Mit wohlrecherchierten Aussagen und Schlussfolgerungen zu neurologischen und psychologischen Fragen erreiche ich im Durchschnitt nur ein Zehntel an Klicks.

Nicht mit nackten Körpern kann man seine Leser und Zuschauer begeistern, denn an der Front sind die Konsumenten ziemlich übersättigt. Auch Anregungen zum Nachdenken stehen nicht allzu hoch im Kurs, ist doch die weiterführende Beschäftigung mit einem Thema möglicherweise anstrengend oder löst einen unangenehmen Perspektivenwechsel mit Tendenz zum Umdenken aus. Etwas zu verkaufen, was nichts kostet, der Angst zu begegnen, selbst das Produkt zu sein und ohne Garantie eines unmittelbaren Nutzens ist ein hartes Geschäft.

Ich stehe im Wettbewerb um Leser, Abonnenten und Neugierige im Internet-Strom nahezu unermesslich vieler Texte, beim Kampf um die wenigen Sekunden Aufmerksamkeit, die der normale Konsument einem Beitrag zu spendieren bereit ist. Informationshungrige und gleichzeitig informationsüberflutete Lebewesen sind Sklaven ihres Limbischen Systems, das in Sekundenbruchteilen über Leben (Lesen) und Tod (Wegklicken) entscheidet.

Hallo, liebe Amygdala, ich bin dein Freund, lass mich an allen Türstehern vorbei in das Zentrum des Denk-Apparates vordringen und erlaube mir, in ihm ein paar spannende Denkprozesse auszulösen.

Montag, 17. März 2025

Moderne Postkutschen

Vor gar nicht so langer Zeit waren die Menschen auf ihren eigenen Körper angewiesen, wenn sie von einem Ort zu einem anderen wollten. Die zwei Beine trugen problemlos bis zum Nachbarort, zu seltenen Gelegenheiten dann auch mal zur Kirchweih in die nächste Stadt. Aber die Reichweite war sehr begrenzt und wer Probleme mit Füßen oder Beinen hatte, der musste zu Hause bleiben.

Ein Pferd oder ähnliche Möglichkeiten, diese Reichweite zu vergrößern war einigen wenigen vorbehalten. Entsprechend war die Erfindung der Kutsche ein sensationeller Schritt in Richtung Mobilität. Zwar waren auch diese Transportmittel für normale Menschen kaum bezahlbar, aber sie boten einen Quantensprung in Sachen Entfernung.

So weit, wie ein Pferdegespann an einem Tag ziehen konnte, war man jetzt mobil. Ab Einbruch der Dunkelheit musste man einen Gasthof ansteuern und dort bis zum nächsten Tag pausieren. Nicht nur die Fahrgäste, auch der Kutscher und erst recht die Pferde brauchten eine Unterbrechung der Fahrt. Gestärkt konnte es im Morgengrauen weitergehen.

Der nächste Schritt war die Einführung von Relaisstationen. Hier wartete ein ausgeruhtes Paar Pferde, vielleicht ein ausgeschlafener Kutscher, bei Bedarf auch eine intakte Kutsche. Die Reisenden mussten nur kurz auf das Umspannen warten, eventuell mussten sie umsteigen. Aber ohne ernst zu nehmende Unterbrechung ging es weiter.

Und dann gab es einen großen Schritt in der Entwicklung. Man baute Automobile, Fahrzeuge, die mit einem Kraftstoff betankt wurden. Keine erzwungene Übernachtung, kein Umsteigen, lediglich seltenes Nachfüllen von Benzin waren erforderlich. Die Reichweite nahm für damalige Verhältnisse beeindruckende Größenordnungen an. Einziges Limit war die Verfügbarkeit von Tankstellen, die Haltbarkeit des Fahrzeugs und das Durchhaltevermögen des Fahrers.

Über Jahrzehnte hinweg blieb die Weiterentwicklung an dieser Stelle stehen. Zwar wurden die Autos robuster, die Bedienung einfacher und die Dichte des Tankstellennetzes nahm zu. Aber grundsätzlich gab es keinen spektakulären Fortschritt. Doch dann kam das Elektroauto. War es anfangs ein Exot wie die damaligen Postkutschen, schuf es sich schnell einen eigenen Raum und Benutzerkreis. Stromtankstellen waren Mangelware, die Reichweite gegenüber den gewohnten Werten erschreckend gering und die Ladezeiten beachtlich.

Doch das schreckte die tapferen Pioniere nicht. Mehr Geld auszugeben für ein Produkt, das deutlichen Komfortverlust, massiv ausgedehnte Vorplanung von Reisen und eine Erhöhung der Unsicherheit bei der Reisedurchführung mit sich brachte, war kein Thema. Wie zu Zeiten der Kutschen waren nun wieder Relaisstationen (E-Ladesäulen), erzwungene Pausen oder gar Übernachtungen und schlimmstenfalls das Liegenbleiben mit leerer Batterie (erschöpften Pferden) wieder in den Alltag gerückt.

Ohne die positiven Aspekte in Frage stellen zu wollen und unter Berücksichtigung der durchaus sinnvollen Anwendungsfälle haben wir es zumindest im Sinne einer allgemeingültigen Lösung eher mit einem Rückschritt als mit einem Fortschritt zu tun. Oder wie es im Kabarett einmal hieß: "Es geht vorwärts, aber nur im Kreise".

Sonntag, 9. März 2025

Mein Sicherungskasten

In meinem Elternhaus gab es im Sicherungskasten nur drei Sicherungen, für jede Etage eine. Machte der Toaster Schwierigkeiten, ging auch das Haustürlicht nicht mehr. Ein Kurzschluss im Badezimmer sorgte für Dunkelheit in Flur und Treppenhaus. Ein wenig differenzierte Absicherung war höchstens für Sonderfälle wie den Elektroherd vorgesehen.

In neuen Häusern ist das völlig anders. Fast jede Steckdose und jede Lampe hat ihren eigenen Automaten. Brennt eine Glühbirne durch und löst die Sicherung aus, dann ist der Rest des Zimmers immer noch beleuchtet, der Fernseher läuft noch und die Steckdosen sind auch noch verwendbar. Kleinteilig wird fast jeder Verbraucher einzeln abgesichert. Abgesehen von mehr Sicherungen und Verteilerkästen erkauft man diese Differenzierung auch mit mehr Verkabelung.

Wie sieht es denn eigentlich im "eigenen" Sicherungskasten aus? Wie leicht brennt bei mir eine Sicherung durch und was fällt dann alles aus? Jeder Mensch hat eine Art Unterverteilung für wichtige Körperfunktionen, die sozusagen getrennt abgesichert sind. Wem eine Handlung missfällt, der atmet im Normalfall unverändert weiter (wenn auch vielleicht schneller oder intensiver). Aber ob der Ärger im Büro auch auf meine Freizeit durchschlägt und mir den ganzen Tag versaut, das ist nicht nur individuell unterschiedlich, sondern auch bis zu einem gewissen Grad steuerbar.

Und noch eine Parallele zum elektrischen Sicherungskasten. Gibt es nur wenige Hauptleitungen und sind diese bereits am Limit der Leistungsgrenze, dann bedarf es gar keines Kurzschlusses, um die Sicherung "herausfliegen" zu lassen. Wer bereits unter Spannung steht, der rastet viel leichter aus, als eine Person, die selbst unter einer gewissen Last noch im emotionalen Leerlauf unterwegs ist.

Es erfordert bewussten Umgang mit seiner Denkwelt, um eine Trennung einzelner Felder hinzubekommen, eine Unterverteilung für Beruf und Privatleben zu etablieren und darin wiederum einzelne Domänen gegeneinander abzugrenzen. Wenn der Chef mich ärgert, sollte ich das nicht unbedingt bei der anrufenden Kundin auslassen.

Zum Abschluss noch: Während eine elektrische Sicherung sich im Normalfall nicht von alleine wieder einschaltet, gibt es in unserem Gehirn Mechanismen, die nach mehr oder weniger kurzer Zeit für einen Reset führen. Wir haben uns beruhigt, können wieder klar denken. Doch in beiden Fällen ist es möglich, einzugreifen und den Normalzustand (nach Behebung des Auslösers!) wieder einkehren zu lassen.

Mittwoch, 5. März 2025

Asche zu Asche

Unser Leben ist eingebettet in wiederkehrende Prozesse. Wir steigen im Tagesrhythmus mit Aufgang der Sonne aus dem Bett, durchleben die Arbeitswoche mit ihren An- und Entspannungen und natürlich müssen wir uns mehr oder weniger deutlich an die Jahreszeiten anpassen.

Jetzt ist also Fastenzeit, eine Phase, in der die Menschen körperlich und geistig in einen Ausnahmezustand kommen oder kommen wollen. Von innerer Einkehr ist die Rede, aber auch Verzicht scheint eine wichtige Rolle zu spielen.

Je nach Glaubensrichtung sind rund 40 Tage dieses Ausstiegs aus dem Alltag vorgesehen, danach der gefeierte Abschluss und dann geht es weiter wie vor der Fastenzeit. Eine Art Diätprogramm mit definiertem Ende, wovon wir ja den Jojo-Effekt kennen. Nimmt ab Ostern dann wieder die Un-Achtsamkeit, vielleicht die Rücksichts-Losigkeit zu? Trinken wir dann doppelt so viel Alkohol, um den Verzicht der vergangenen Wochen zu kompensieren?

Sicher ist ein bewusster Verzicht, vielleicht auch mit einer gewissen Signalwirkung nach außen getragen, ein respektabler Antritt. Und gewiss ist es dem Körper auch egal, warum er mal einige Wochen nicht mit Alkohol oder Nikotin belastet wird, Hauptsache, das Gift bleibt draußen.

Aber wie viel wichtiger ist es, diese Umstellung dauerhaft zu betreiben, nicht nur ein paar Tage und unter Betonung der inneren Stärke und Konsequenz. Leider kommt uns an dieser Stelle ein Phänomen in die Quere, das nur durch eine von höherer Instanz aufgerufene Fastenzeit ausgehebelt werden kann: Ehrungen und Orden gibt es nur für Taten, nicht für Nicht-Taten.

Wer offiziell gelobt werden möchte, der tut dies im Idealfall genau jetzt. Asche gehört nun mal zu Asche, wenn alle irgendwas Gutes tun, dann ergibt sich ein Kollektiveffekt, den man für sich nutzen kann.

Wer dauerhaft etwas an sich tun möchte, der sollte die Fastenzeit eher dafür nutzen zu überlegen, wie er sie – gegebenenfalls in modifizierter Form – in den Alltag integriert. Das sollte dann den von Diäten bekannten Jojo-Effekt vermeiden.