Montag, 29. September 2025

Brauchen wir Äpfel in der Schule?

Brauchen wir Äpfel in der Schule
So wie heute aktiv und kontrovers über Smartphones und Tabletts in Kinderhänden diskutiert wird, hatten wir diese Debatte schon einmal in den 1960er Jahren zum Thema Fernsehen. Eine Fraktion war der Meinung, dass Kinder unbedingt fernsehen sollten. Das neue Bildungsangebot und der Blick in die weite Welt wurden als eklatant wichtig angesehen. Kindern diese Möglichkeiten vorzuenthalten bremste sie in der Entwicklung und würde sich negativ auf die persönliche und später berufliche Entwicklung auswirken.

Andererseits wurden auch kritische Stimmen laut, die das TV als Verblödung brandmarkten, das Flimmern als augenschädlich einstuften und die Zeit vor dem Bildschirm als verlorene Zeit im Sinne jeglicher geistiger Tätigkeit bezeichneten. Diese Kritiker wurden durch das "Bildungsfernsehen" ruhiggestellt und es wurde durch Formate gegengehalten, die Wissensvermittlung und Bildung in den Mittelpunkt stellten.

Im Grunde erleben wir eine ähnliche Situation auch heute. Verkümmern Kinder, wenn sie nicht in den sozialen Netzen mitmischen, ist der Zugang zu Plattformen nicht nur akzeptabel, sondern sogar wünschenswert und schließen wir sie von den Entwicklungen der modernen Welt aus, wenn sie nicht mit iPad und Co in der Schule hantieren dürfen?

Wie gehabt auch hier lautstarke Befürworter einerseits und skeptische Stimmen andererseits. Die Feinmotorik der Hände würde mangels Handschrift nicht trainiert, das Sozialverhalten litte und die Bereitschaft zur Aneignung von Wissen ginge zurück. Daneben auch hier die Überlegungen zu der Belastung der Augen und dem Verkümmern der haptischen Sinnesorgane.

Alles also schon mal dagewesen. Und vermutlich läuft es auch wieder darauf hinaus, dass der Trend zwar nicht aufzuhalten ist, aber mit der Zeit ein gewisses Maß findet, das in einer mittleren Nutzung liegt. Und man wird wieder mal feststellen, dass weder ein totaler Entzug noch ein ungebremster Zugang richtige Ansätze sind. Wichtiger als beim TV ist allerdings die Missbrauchswahrscheinlichkeit wesentlich höher: Die Übel der abzulehnenden Inhalte - seien sie politisch verfärbt, irreführend, gewaltverherrlichend oder ähnlich - sind hier geradezu allgegenwärtig.

Und in Kombination mit dem grundsätzlich verkehrten Eindruck über die Allwissenheit des Internets lernen die Kinder vor allem eins: Sie müssen nicht lernen. Was fatale Folgen nicht nur auf die individuelle persönliche Entwicklung, sondern auch auf die Gesellschaft hat.

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Montag, 22. September 2025

Das Ende der Ehrfurcht

Ich stehe in einer historischen Bibliothek. Ein großer Bau, darin Klassiker der Literatur aus einer Vielzahl an Ländern. Auf Papier fixierte Kultur der Generationen. Buch an Buch, nach irgendwelchen Kriterien geordnet und zum Teil nur mit einer Leiter erreichbar. Unter den Augen des gestrengen Bibliothekars.

Das Ende der Ehrfurcht
Unermessliches Gut, von Tausenden Schriftstellern aufgeschrieben, jeder in seinem eigenen Stil, einem Genre zugeteilt, mal sachlich, mal phantasievoll, mehr oder weniger emotional. Jedes Buch eine eigene Geschichte, nicht nur die in ihr erzählte, auch die des Erzählers. Und dann die Ehre, in diesem Tempel der Kultur eingestellt zu sein.

Doch nicht nur hier. Digitalisiert sind diese Bücher auch in elektronischer Form zu haben. Sie sind in Nullen und Einsen binärisiert worden, haben keine Form und keinen Geruch mehr, keine mehr oder weniger vergängliche Geschichte, keine Einzigartigkeit mit einem Eselsohr auf Seite 70. Uniform, per Mausklick kopierbar, von KI analyiserbar.

Die gesamte Bibliothek, so beeindruckend sie auch hier vor mir liegt, geht in meine Hosentasche. Ein USB-Stick kann alle Inhalte aufnehmen, mehr noch, mit seinem Freund dem Computer kann er sie zusammenfassen, vergleichen, auf Knopfdruck katalogisieren und Bewertungen hinzufügen. Weltweit und ohne Wartezeit.

Und nicht nur die Zeremonie und der Weg vom kreativen Einfall über das Skript, den Verlag und die Veröffentlichung bis zur Aufnahme in dieses Archiv sind heute ganz anders, nämlich kürzer und schneller. Zusätzlich ist auch der Einstieg viel einfacher, jeder kann seinen Computer als Schreibmaschine, seinen Internetbrowser als Einstieg in die Veröffentlichung nutzen. Keine Qualitätssicherung, kein mühsamer Weg auf die Bühne oder in die Bibliothek.

Alles ist einfacher und schneller. Und wie beim Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage resultiert aus dieser Vereinfachung eine Vervielfachung der Produktion. Manchmal habe ich den Eindruck, nahezu jeder Deutsche hat schon mal ein Buch geschrieben, ein Schreibwerk erzeugt, das vielleicht sogar gedruckt und in ein Cover gebunden wird.

Die hohe Anzahl an Neuerscheinungen führt dann letztlich dazu, dass die übersättigten Leser sich auf das konzentrieren, was alle lesen, Bestseller-Listen stehen im Mittelpunkt. Einen kulturellen Wert, der sich aufzuheben und in eine historische Bibliothek aufzunehmen lohnt, muss man wie die Nadel im Heuhaufen suchen.

Während ich noch in der Bibliothek stehe und mir diese Gedanken mache, ist die Sonne fast vollständig untergegangen, in der Dämmerung und der stilvollen Beleuchtung kommen die alten Schätze noch besser zur Geltung. Habe ich hier ein schützenswertes Gut vor mir oder ein langsam verstaubendes Relikt aus einer zu Ende gegangenen Zeit?

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Montag, 15. September 2025

Stichwort Wertschätzung

Ich war jetzt letztlich auf einem kleinen, aber sehr feinen Musikkonzert. Alles war hochwertig, die Musiker konnten mit ihren Instrumenten umgehen, die Texte waren hochwertig geschrieben, das Arrangement und die Technik vom feinsten.

Und doch konnte dieses Ensemble nur eine recht überschaubare Zahl von Zuschauern für sich gewinnen, war selbst der kleine Saal bedauernswert leer. Gemessen am Standard, der tagtäglich im Radio zu hören ist, den wir auf den Megakonzerten präsentiert bekommen und womit die Agenturen fette Gewinne machen, war dies eine herausragende Leistung. Trotzdem waren die Ränge leer, obwohl die Werbung recht deutlich auf die Veranstaltung hingewiesen hatte.

Stichwort Wertschätzung
Ein wichtiger Grund ist der Schneeball-Effekt. Wenn eine Band erst mal einen gewissen Namen hat kommen Zuschauer, die weitere Zuschauer mitbringen, was zu Buchungen in größeren Hallen und damit größerer Sichtbarkeit führt. Und eine Formation, die vor ausverkauften Stadien auftritt, muss ja gut sein, da „geht man hin“.

Und zweitens spielen dann zunehmend die gegenseitigen Empfehlungen eine Rolle. Vorgruppe der Scorpions zu sein ist als solches schon ein Ritterschlag. Im Fernsehen bei irgendwelchen Talkshows von Prominenten erwähnt zu werden ist mehr wert als ein Plakat an der Bushaltestelle von Georgsmarienhütte.

Die Empfehlung eines Formel-1-Fahrers wiegt dann mehr als die Aussage eines Musikkenners, ein hübscher und authentischer Influencer kann seine Anhänger stärker in Bewegung setzen als eine Erwähnung im Literarischen Quartett.

Wertschätzung für den Auftritt, für ein Angebot, ein Kunstprodukt bemisst sich damit bei weitem nicht nur an der eigentlichen Qualität. Es ist auch eine Frage des Preises (was nichts kostet ist auch nichts), der Knappheit (Karten schnell ausverkauft), der Konkurrenz (mein Freund leistet sich das) und der Empfehlung (wenn Lothar Matthäus das sagt).

Fazit: Man kann mit dem Strom mitschwimmen und gemeinsam mit der Mehrheit wunderbare Veranstaltungen erleben. Aber wie bei Marius Müller Westernhagen zu hören ist: „Gold find man bekanntlich im Dreck, und Straßen sind aus Dreck gebaut“. Einen Wert zu schätzen erfordert manchmal etwas mehr als nur dem Getöse der Influencer zu lauschen oder sich von Bekannten einen Floh ins Ohr setzen zu lassen. Augen und Ohren auf, Wertschätzung ist eine sehr individuelle Leistung, und zwar sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Abnehmerseite.

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Montag, 8. September 2025

Das Kölner Grundgesetz (9..11)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Das Kölner Grundgesetz 9..11

Werfen wir abschließend noch mal einen Blick hinter die lustigen Aussagen und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation. Zur Abrundung gibt es eine kurze Ableitung, die sich aus den elf Artikeln ergibt. (-> Artikel 1..4, -> Artikel 5..8)

Artikel 9: Wat soll dä Kwatsch?

Das mehr oder weniger heimliche Infragestellen von Vorgaben und der unauffällige Widerstand sind passive Element der Kölner Seele. Römer, Franzosen, Preußen oder auch Nazis: Alle waren mal in Köln und sind auch wieder verschwunden. Alles Kwatsch, der Kölner nur in ihrer Ruhe stört und durch das Einziehen des Kopfes überstanden wird.

Dinge in Frage zu stellen, nach dem Sinn von Anweisungen zu forschen und im Grunde erst mal abzulehnen, führt zu einer gewissen hartnäckig -konservativen Grundhaltung, die allerdings durch die Erkenntnis „Jede Jeck is anders“ liberal ausgelebt wird.

Nicht überraschend kommt man andererseits auch nicht voran, wenn man alles Ungewohnte leichtfertig als Kwatsch bezeichnet und alles Unbekannte in Frage stellt. Wer in einem solchen Umfeld Impulse setzen will, sieht sich erst mal in Erklärungsnot, muss begründen, welches Ziel dieser oder jener Antritt verfolgt. Neben der erwarteten Begründung ist dabei insbesondere der initial ablehnende Standpunkt ausgesprochen hinderlich.

Die grundsätzlich richtige Frage nach dem „Warum“ kippt in Artikel 9 leicht in ein Werkzeug, mit dem man sich in der Komfortzone verankern kann.

Artikel 10: Drinks de ejne met?

Nicht ohne Grund gibt es in Köln eine Vielzahl an Brauereien und Biersorten. Das Obergärige ist Teil der Kultur und wird unaufgeregt mit dem Umfeld geteilt. Dabei erfüllt es verschiedene Funktionen, sei es als Eisbrecher beim Kontaktaufbau, als anregendes Alkoholgetränk oder zur Gruppendefinition, wenn für eine Gesellschaft ein gemeinsamer „Deckel“ herhält.

Unbürokratische Einladung zu einem Glas, das Angebot ins Gespräch zu kommen und ohne große Hürde zumindest temporär Teil der Gemeinschaft zu sein, gehört kulturell zusammen. Wer in der Nähe sitzt, muss sich um Kontakt nicht unbedingt bemühen.

Dieser einfachen Form der Integration steht natürlich auch eine gewisse Unverbindlichkeit zur Seite. Ein Kölsch miteinander zu trinken bedeutet keine tiefe Freundschaft, auch wenn man sich schnell über persönliche Themen unterhält. Schnell rein kann durchaus auch schnell weiter bedeuten, ermöglicht aber auch das Knüpfen von zahlreichen Kontakten.

Vernetzung ist das Stichwort, das man im geschäftlichen Umfeld hierfür verwendet. Mit jedem mal ein Kölsch trinken, über das sprechen, was einen beruflich oder privat bewegt und vielleicht zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, ist elementare Basis für den sprichwörtlichen Kölner Klüngel.

Dabei sind Seilschaften, Lobbys oder Clubs und Vereine auch anderswo absolut gängig. Nur, dass sie in Köln weniger formal sind, sondern eher allgegenwärtig. Kein Wimpel, keine Mitgliedschaft, einfach ein Thekenbruder.

Artikel 11: Do laachs de disch kapott.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Kopfschüttelnd über die Welt, die Umgebung oder auch sich selbst. Humor wird hier eingesetzt als Mittel, um das Leben leichter anzugehen, Kritik oder Konfrontation durch ein Lachen zu ersticken.

Warum sollte ich mich auflehnen, wenn ich es durch ein Lachen abtun kann. Energieschonend und so doppeldeutig, dass man mir nicht vorwerfen kann, dass ich die Untertänigkeit verweigere oder mich in die Untätigkeit zurückziehe.

Daneben ist das Lachen aber auch eine Form, sich von Dingen zu distanzieren. Wenn ich über Sachverhalte oder Mitmenschen nur lache, dann nehme ich sie nicht ernst. „Lass sie machen, darüber lache ich mich kaputt“ ist auch ein Weg, um sich erst gar nicht damit zu beschäftigen.

Ist eine Situation verfahren, dann kann ein fröhliches Lachen die Stimmung wieder entspannen. Oder auch aufheizen, wenn ich durch einen Lachanfall demonstriere, dass mir die ganze Szene lachhaft erscheint. Die Formulierung von Artikel 11 ist so zu verstehen, dass man dabei den Kopf schüttelt und eine Beschreibung anhängt (im Sinne von „stell dir vor…“), die die Kritik konkretisiert oder etwas ins Lächerliche zieht (im Sinne von „das darf doch nicht wahr sein...“).

Ableitung

Ein wichtiger Komplex der kölner Seele ergibt sich erst als Ableitung aus den elf Artikeln. Wir finden in den Aussagen „Levve un levve losse“, „Jede Jeck is anders“ und „Wemm et jefällt…“ die liberale Grundhaltung, die in der Kultur verankert ist. Dabei steckt in dem ersten Sinnspruch ein wenig des savoir vivre, das die Franzosen hinterlassen haben.

Überhaupt wird die Offenheit für Anderssein primär aus der Bequemlichkeit gespeist, sich das eigene Leben nicht stören zu lassen. Warum sollte ich etwas gegen Homosexuelle haben, wenn sie mich nicht in meiner Gestaltung stören. Und andere Religionen sind mir im Grunde ähnlich unwichtig wie das eigene „hillije Kölle“, in dem ich mit Regelmäßigkeit kritisch mit dem Bischof aneinander gerate.

Diese zentrale Unstörbarkeit der Ruhe resultiert natürlich in einer massiven Schwierigkeit, solche Menschen zu steuern. Wer Drohungen nur soweit ernst nimmt, wie er nicht dramatisch in seiner Lebensgestaltung gestört wird, der beschleunigt den Schritt nur, wenn er selbst das möchte. Zum Beispiel beim Christopher Street Day, den die Kölner sofort als Modifikation von Fastelovend verstanden und in ihr Kulturgut aufgenommen haben.

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Mittwoch, 3. September 2025

Das Kölner Grundgesetz (5..8)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Das Kölner Grundgesetz 5..8


Setzen wir unseren Blick hinter die lustigen Aussagen fort und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation. (-> Artikel 1..4)

Artikel 5: Et bliev nix wie et wor.

Dass die Welt sich dreht und das Wasser den Rhein herunterläuft, war den Kölnern schon vor Jahrhunderten klar. Zweifellos erfahren wir in der heutigen Zeit eine Dynamik, die wir bisher nicht erlebt haben. Grundsätzliche Veränderungen sind häufiger als eine Menschengeneration, dauernde Anpassung ist unabdingbar.

Wenn man dies im Hinterkopf hat, liegt es nahe, sich auf Veränderungen einzustellen, von vornherein Flexibilität in das Leben zu integrieren. Heutige Lösungen, aktuelles Wissen, etablierte Abläufe, alles ist im Fluss und Evolution oder gar Eruption unterworfen.

Doch andererseits scheint es dann wenig sinnvoll, sich ausführlich mit dem heutigen Stand zu beschäftigen. Morgen passt es ja ohnehin nicht mehr, gibt es dies oder jenes nicht mehr oder läuft ganz anders. Warum also Energie in Optimierung stecken, die ja nur eine begrenzte Halbwertszeit hat.

Überhaupt wird damit der Aspekt der Nachhaltigkeit in Frage gestellt. Langfristig zu denken passt nicht zur Einstellung, dass sich die Bedingungen unabsehbar ohnehin ändern. Strategie spielt eine Rolle, aber auf heutigen Daten kann man nicht aufsetzen, da sie nicht in die Zukunft übertragbar sind.

Artikel 6: Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet.

Gerade Beratungshäuser leben davon, dass sie immer wieder Trends entdecken, Neuerungen ausrufen und vehement für die Berücksichtigung dieser Themen eintreten. Wer nicht mitmacht, muss mit schlimmen Konsequenzen rechnen, beängstigende Szenarien werden wortreich ausgemalt.

Hier mit Augenmaß zu agieren ist ein Gebot der Stunde. Nicht jeder Megatrend ist wirklich so zentral, nicht jede avisierte Kundenerwartung tritt wirklich so ein. Neuerungen darf man also getrost mal in Frage stellen, die Relevanz auf sein persönliches Umfeld prüfen und im Zweifelsfall erst mal zurückhaltend agieren.

Wenn dies aber zur allgegenwärtigen Haltung wird und jede Veränderung als beängstigendes Ändern der Gewohnheit und Verlassen der Komfortzone verstanden wird, dann sind auch sinnvolle Entwicklungen von vornherein blockiert. 

Wer alles, was er nicht kennt als entbehrlich verwirft, der distanziert sich innerlich von jeder Form des Lernens. Es ist sozusagen das Gegenteil von Neugierde, Wissbegierde oder Fortschrittswillen. Und das ist natürlich bequem, denn die Beschäftigung mit Unbekanntem kostet Zeit und Energie, und birgt die Gefahr, dass man abgehängt wird.

Artikel 7: Wat wells de maache?

In den ersten Wochen eines Jurastudiums lernt man die beiden Grundfragen eines Juristen kennen. „Bin ich zuständig?“ und „Ist [die Klage] [hier] zulässig?“ Wenn ich prinzipiell der Meinung bin, dass ich Einfluss nehmen kann, dann stelle ich mir doch die Fragen, ob es meine Aufgabe ist und wie ich die Sache angehen sollte.

Entspannend weißt Artikel 7 darauf hin, dass vieles vom Schicksal beeinflusst wird, folglich ein gewisser Fatalismus angeraten ist. Mehr oder weniger schulterzuckend stellt man sich die Frage, ob Engagement angebracht ist oder man es einfach laufen lässt und als gegeben akzeptiert.

Wir begegnen also auch in diesem Artikel der kölschen Gemütlichkeit, um nicht zu sagen Lethargie, erkennen die negative Ausprägung von Gelassenheit wieder. Bevor man überhaupt in die Prüfung der Zuständigkeit und Zulässigkeit eintritt, kann man sich schon zurücklehnen und auf äußere Gewalt verweisen.

Andererseits verhindert man so auch jede Form von Übereifer. Wer sich erst mal fragt, ob es nicht unbeeinflussbares Schicksal ist, der stirbt nicht an Herzinfarkt. In der Ruhe liegt die Kraft, legt uns der Ansatz nahe.

Artikel 8: Maach et joot, ävver nit zo off.

Ansonsten eher gemütliche Menschen, gibt es bei Kölnern eben doch ein paar Aktivitäten, bei denen sie in Schwung kommen. Dazu gehört insbesondere ihre Pflege von Beziehungen. Freunde, Nachbarn, das Viertel und natürlich die Familie sind wichtig und bekommen gerne die Energie ab, die sie bei der Arbeit gespart haben.

Treffen und miteinander reden ist wichtig, aber auch allerlei Formen der körperlichen Begegnung. In diesem Artikel wird frivol auf das Liebesleben angespielt, das natürlich in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. 

Im übertragenen Sinne sind aber auch die tägliche Arbeit oder schlicht alle Vorgänge im Leben gemeint. In Abwandlung erklärt auch mancher Kölner „man kann et uch üvverdrive“ und weißt damit auf die Suche nach angemessener Qualität oder Quantität hin. Man kann des Guten auch zu viel tun, dann kippt es von positiv in kritisch.

Der Haken ist allerdings, dass schwer zu beschreiben ist, wann etwas „zu oft“ ist. Wenn man die Messlatte niedrig genug einstellt, kann man sich sein Leben sehr entspannt einrichten. Unter Hinweis auf die abgelieferte Qualität ist dann der Weg frei, sich von lästiger Wiederholung zu befreien.

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Montag, 25. August 2025

Das Kölner Grundgesetz (1..4)

Das "Kölner Grundgesetz", eigentlich das Kölsche Grundgesetz, ist keine offizielle Gesetzessammlung, sondern eine Sammlung von elf kölschen Lebensweisheiten, die eine gelassene und humorvolle Grundhaltung gegenüber dem Leben und neuen Entwicklungen ausdrücken. Es besteht aus Sprüchen auf Kölsch, die die kölsche Mentalität und Kultur widerspiegeln.

Kölner Grundgesetz 1..4

Werfen wir einen Blick hinter die lustigen Aussagen und ergründen ihren philosophischen oder psychologischen Gehalt, insbesondere aber auch die Botschaften und die verschiedenen Seiten deren Interpretation.

Artikel 1: Et es wie et es.

In der heutigen Zeit wird oft von Gelassenheit gesprochen. Der Begriff bezieht sich darauf, etwas zu akzeptieren, eine Situation als unbeeinflussbar in Kauf zu nehmen. Man lässt sie zu, weil man sie nun mal nicht ändern kann.

Als Folge steckt man seine Energie nicht in Dinge, die nicht im eigenen Verantwortungsbereich liegen oder gar auf höhere Gewalt zurückzuführen sind. Behördliche Anordnungen trägt man mit Fassung, auch auf Wetter kann man sich nur bestmöglich einstellen.

Kehrseite der Medaille ist eine gewisse Lethargie. Wenn ich alles nur über mich ergehen lasse, fehlt jeglicher Antritt, etwas in Frage zu stellen oder gar ändern zu wollen. Damit ist die Einstellung „das ist nun mal so“ ein merklicher Hemmschuh bei jedem Änderungsimpuls.

Auch der Bequemlichkeit wird damit Vorschub geleistet. Wer selbst unsinnige Vorgaben klaglos erfüllt, holt sich keine blutige Nase, Verantwortung muss man so nicht übernehmen und die Komfortzone in keinem Moment verlassen.

Artikel 2: Et kütt wie et kütt.

Neben der Erkenntnis, dass alles „irgendwie“ weitergeht, steckt auch das Verständnis dahinter, dass man nicht wirklich in die Zukunft schauen kann. Es gibt sie und auch morgen geht die Sonne auf, aber alles andere kann man nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erraten. Entsprechend kann man Enttäuschungen vermeiden, wenn man nur eine unklare Erwartung an die Zukunft hat.

Nennen wir es also mal Erwartungsmanagement, durch das wir uns auf einen realistisch beeinflussbaren Teil der zukünftigen Abläufe konzentrieren. Daneben steckt aber auch das Verständnis dahinter, dass jede Planung immer gewisse Risiken birgt. Man kann versuchen, durch geschickte Mechanismen zukünftig auftretende Pannen zu minimieren, aber am Ende ist oft doch ein anderer Weg durchlaufen worden, als man vorgesehen hat.

Treibt man Artikel 2 auf die Spitze, dann verzichtet man komplett auf jede Form der Planung. Sie scheint nicht sinnvoll, denn es kommt ja doch anders. Vorgänge einfach laufen zu lassen, Projekte sich selbst zu überlassen und überhaupt alles steuerungslos drauflos zu machen, scheint damit der richtige Weg.

Abgesehen davon, dass dieser Antritt sehr bequem und arbeitssparend ist, vermeidet er auch Verantwortung für Planung oder Fehlplanung. Was dann auch zur Folge hat, dass man nicht aus Planungsfehlern lernt. Optimierung Fehlanzeige.

Artikel 3: Et hätt noch emmer joot jejange.

Positiv in die Zukunft zu schauen ist eine gute Grundlage für optimistischen Fortschritt. Kein Platz für depressive oder auch nur skeptische Gedanken, denn am Ende wird erfahrungsgemäß doch alles zu einem guten Ende kommen.

Der Rückblick auf die bisherigen Vorgänge und die Einschätzung, dass diese gut gelaufen sind, ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Denn der Begriff „immer“ impliziert, dass früher alles gut war, dass wir auf der Basis positiver Erinnerungen Vertrauen in die zukünftigen Abläufe haben dürfen.

Andererseits entbindet uns Artikel 3 auch von steuernden Eingriffen. Warum sollte ich irgendetwas machen, aktiv werden, für eine optimale Entwicklung sorgen, wenn es ja doch wie immer gut wird. Eine gewisse Lethargie und Bequemlichkeit der Lebensführung steckt also auch in diesem Artikel. 

Und es ist tendenziell ein Gegengewicht, wenn wir über Abweichung von Gewohnheiten nachdenken. Was gestern gut war, wird auch morgen funktionieren; Wieso also bewährte Abläufe ändern oder auch nur in Frage stellen?

Schließlich ist eine gesunde Skepsis oder Sorge ein wichtiger Treiber für Unfallverhütung. Wackelige Konstruktionen, murksige Abläufe oder fragwürdige Ansätze müssen durchdacht und korrigiert und verbessert werden. Auf ein gutes Ende zu hoffen, auch wenn die Qualität mangelhaft ist, dürfte keine gute Idee sein.

Artikel 4: Wat fott es, es fott.

Ich kenne viele Menschen, die gar nicht heute leben, sondern noch in der Vergangenheit gefangen sind. Sie denken an ihre ehemalige Arbeit, an ihre Jugend, ihre verlorene Sportlichkeit oder hadern mit dem Alterungsprozess ihres Körpers. Wie wohltuend ist es da, wenn man sich klar macht, dass man zwar mit dem Schicksal hadern kann, dass man in Erinnerungen schwelgen oder vergangenen Qualitäten oder Dingen hinterhertrauern kann; Dass es aber viel konstruktiver ist, loszulassen und nach vorne zu schauen.

In abgewandelter Form begegnen wir hier Artikel 1, der eine gewisse Gelassenheit fordert und im Schwerpunkt die Akzeptanz nicht beeinflussbarer Tatbestände erwartet. Ein verlorener Gegenstand ist weg, das lässt sich nach Suchen und Fundbüro nicht mehr ändern. Der jugendlich Teint, die damalige Sportlichkeit und Attraktivität sind irgendwann nicht mehr vorhanden.

Doch gerade diese zwar grundsätzlich vergänglichen Aspekte kann man natürlich schon ein wenig beeinflussen. Regelmäßigen Sport, Körperpflege und Beschäftigung mit der äußeren Erscheinung kann man sich unter Hinweis auf den Zahn der Zeit sparen. Und auch die Überführung der Flitterwochen in eine lebenslange Partnerschaft ist nicht notwendig, denn „Honeymoon is over“.

Abnehmende Liebe, die Einkehr vom Alltag in eine Beziehung oder auch in die Arbeit sind Veränderungen, gegen die man aktiv gegenhalten kann. Was allerdings ein mühsames Geschäft ist, das sich durch den Hinweis der Vergänglichkeit vermeiden lässt. Hier kann man sich dann auf Artikel 4 berufen und nüchtern feststellen, dass es nun mal weg ist.

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Montag, 11. August 2025

Volles Programm

Die Straßen leer, der Parkplatz voll.
Mit dem Reisekoffer vom Auto zum Zug. Noch erreicht zur regulären Abfahrtszeit.
Der Zug steht bereit, aber er fährt nicht.
Personen im Gleis, wie der Triebkopfführer uns wissen lässt.
Eine Stunde auf dem harten Sitz, Ungewissheit, wann der Zug abfährt.
Der Regionalexpress fährt vor uns ab. Wir warten immer noch.
Eine Frau weiter hinten wird nervös, schimpft und telefoniert lautstark.
Der Zug fährt los, aber er endet außerplanmäßig in Höchst.
Durch die herausquellenden Menschenmassen verpasse ich den Schienenersatzverkehr.
Der Folgebus kommt verspätet.
Wir fahren hinter einem Müllfahrzeug her und verspäten uns weiter.
An der Station Flughafen muss ich mir den Weg vom Bus zum Zug suchen, überraschend weite Strecke mit Koffer.
Der Zug kommt pünktlich an, muss dann aber auf einen Anschluss warten.
Ankunft am Ziel.
*
Volles Programm
*
Die Abfahrt meiner Rückfahrt ist laut App nur wenige Minuten verspätet.
Tatsächlich dann auf dem Bahnhof alle fünf Minuten Erhöhung der Verspätungsvorhersage.
Der Zug fährt ein, noch könnte ich am Umsteigebahnhof meinen Anschluss erreichen.
Die Klimaanlage im Wagen ist ausgefallen, ich ziehe um.
Am neuen Platz setzt sich ein Pärchen dazu und zeigt sich lautstark Tiktok-Videos.
Erneuter Platzwechsel führt zu kurzer Ruhe, bis gegenüber eine vierköpfige Familie Platz nimmt.
Die Verspätung überschreitet die Umstiegszeit, Neuplanung erforderlich.
Ausweichroute in überfülltem Zug, Stehplatz mit Koffer.
Zwischenstation erreicht, Anschluss fährt verspätet von anderem Gleis ab.
Die S-Bahn hat einen geänderten Fahrplan, pendelt nur noch auf der halben Strecke.
Wieder einen Sitzplatz ergattert, mein Nachbar entdeckt im Gewühl einen Freund und unterhält sich quer durch den Wagen mit ihm.
Klimaanlage auch hier außer Betrieb, menschliche Gerüche füllen die ohnehin schlechte Luft.
Türstörung, ich muss mit Koffer zum anderen Ende des Wagens.
Ausstieg und zum Auto. Nach Mäharbeiten hat das Fahrzeug einen feinen grünen Mantel.
*
Warum schaust du so genervt, will meine Frau wissen.

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Montag, 4. August 2025

Das Internet ist für uns alle Neuland

Es war 2013, unsere damalige Bundeskanzlerin gab den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“ auf einer Pressekonferenz von sich und musste sich danach allerhand Spot gefallen lassen. Gewiss, zu diesem Zeitpunkt war die Idee eines weltweiten Datennetzes schon mehr als vier Jahrzehnte alt. Und seit immerhin zwanzig Jahren gab es in Deutschland diese Kommunikationstechnik für die breite Öffentlichkeit.

Und doch war ihre Aussage gar nicht so abwegig, wie sie von zahlreichen Journalisten dargestellt wurde. Schließlich kommt es ja nicht nur auf die Technik an, auch nicht auf ihre Verfügbarkeit, sondern vielmehr, wie weit sie sichtbar oder unsichtbar in unserem Alltag auftaucht. Oder anders formuliert, wie selbstverständlich wir sie empfinden oder in Überlegungen, Arbeitsabläufe oder Interaktionen einfließen lassen.

Für mich war das Internet auch Neuland, war ich doch mit Briefpapier, Telefonbüchern und gedruckten Katalogen groß geworden. Schnurgebundene Telefone mit Wählscheibe und von der Deutschen Bundespost zertifizierten Anschlusskabeln prägten mein Umfeld. Insofern war der Übergang von diesen Apparaten über Schnurlostelefone weiter zu Handys und schließlich zu Smartphones jeweils eine Umstellung, Umgewöhnung. Neuland eben.

Notgedrungen habe ich also immer dazulernen oder mein Wissen aktualisieren müssen. Niemand hat mich gefragt, ob ich den Wechsel mitgehen will. Vielmehr wird in der aktuellen Zeit völlig selbstverständlich nach E-Mail-Adresse und Handynummer gefragt, ein Internetzugang vorausgesetzt und der Umgang mit Apps erwartet.

Das Internet ist für uns alle Neuland
Aus dieser Innovations-Gewohnheit heraus ist auch das Eindringen von ChatGPT und Co für mich nur ein weiterer technischer Fortschritt, den ich in meinem Leben mitmachen muss. Und folglich finde ich es ganz normal, mich damit zu beschäftigen und die neuen Möglichkeiten in mein Leben, meine Überlegungen und Arbeitsabläufe zu integrieren.

Recht überrascht habe ich festgestellt, dass sich gerade junge Menschen, irreführend als „digital natives“ bezeichnet, hier deutlich schwerer tun. Zweifellos haben sie schon viel früher Kontakt mit allen Ausprägungen der Internetmöglichkeiten, nutzen Plattformen und haben Google mit der Muttermilch aufgesogen.

Aber was nicht von Anfang an da war – Beispiel ChatGPT – ist eben auch für diese jungen Personen Neuland. Dass man viele Recherchen nicht mehr mit klassischen Suchmaschinen betreibt oder bei Beratungsbedarf spontan an den öffentlichen Chatbot denkt: Das ist eine Grundhaltung, die sie sich erst mal aneignen müssen.

An genau diesem Punkt haben dann die älteren Menschen die Nase vorn, die in der Aktualisierungsbereitschaft und dem Erkunden von Neuland mehr Übung haben. Aus diesem Grund muss ich jungen Kollegen recht häufig die Frage stellen, ob sie dieses oder jenes Problem schon mal mit ChatGPT diskutiert oder sich Lösungen haben vorschlagen lassen.

Fazit: Gerade in der schnelllebigen Zeit müssen wir permanent Neuland betreten. Das gilt für alle und insofern hat es eine Verbindung zur Schule – auch dort wird im Wesentlichen Grundwissen mit langer Aktualitätsdauer vermittelt. Die eher flüchtigen Inhalte müssen wir uns den Rest unseres Lebens schon selbst aneignen.

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Montag, 28. Juli 2025

Long Covid

Die Medizin kennt die Spätfolgen der Pandemie, die wir in den Jahren nach 2020 erlebt haben. Da erholen sich Infizierte nicht mehr vollständig von der Krankheit, bleiben Schäden zurück oder tauchen erst mit erheblichem Zeitversatz auf. In Abgrenzung zu den akut beobachteten Symptomen von vorübergehendem Fieber, Entzündungsreaktionen bis hin zum Tod geht es bei Long Covid um mittel- oder langfristige Auswirkungen.

Bekanntermaßen ist auch über den Sinn von Impfungen, damit in Zusammenhang gebrachte Nebenwirkungen und Probleme ausführlich und kontrovers diskutiert worden. Auch in diesem Fall stehen die körperlichen Auswirkungen im Mittelpunkt, werden Statistiken angefertigt und ausgewertet, was mit Menschen nach den unterschiedlichen Szenarien passiert ist.

Long Covid

Weniger publik, ist aber auch die Untersuchung der gesellschaftlichen Veränderung interessant. Ähnlich der körperlichen Aspekte gab es kurzfristige Maßnahmen, die wir zum großen Teil schon wieder vergessen haben. Wer denkt noch an die Benutzung der diversen Apps, wer hat noch in jeder Jackentasche eine FFP2-Maske? Und wer hält vor der Supermarktkasse noch 1,5 m Abstand?

Doch auch hier gibt es längerfristige Veränderungen, ja sogar komplette und irreversible Auswirkungen auf den Alltag. Denken wir beispielsweise an Homeoffice, das zwar mittlerweile von einigen Arbeitgebern wieder teilweise zurückgerollt wird, aber dennoch seine Dauerfolgen in Videomeetings und mobiler Arbeitsplatzausstattung hat.

Daneben ist aber auch eine Änderung der Arbeitskultur zu beobachten. Im klassischen Büroalltag gab es natürlich auch die verlängerte Kaffeepause und einen gewissen Spielraum, sich um Arbeiten zu drücken. Aber die allgegenwärtige Unerreichbarkeit von Ansprechpartnern, die sich in der Unsichtbarkeit verschanzen oder eine Hotline vorschalten, breitet sich merklich aus.

Es hat ja keine Konsequenzen, wenn die Kunden in der Warteschlange hängen "wegen unerwartet hohem Telefonaufkommen" (das höre ich inzwischen seit mehreren Jahren bei nahezu allen Rufnummern vom Arzt bis zum biederen Handwerksbetrieb). Wir haben uns an die Anonymität des Lockdowns gewöhnt, wundern uns geradezu, wenn wir jemanden schnell und persönlich erreichen.

Angeregt durch die geänderten Möglichkeiten haben sich Bringdienste und Versanddienstleister ausgebreitet, der immobile Komfort ist in den Mittelpunkt gerückt. Aber auch die Vereinsamung nimmt zu, da viele Menschen deutlich weniger antreffbar unterwegs sind. Wer seine Schuhe bei Zalando kauft, dem kann man nicht im örtlichen Schuhgeschäft begegnen.

Überhaupt hat sich das Thema Kennenlernen deutlich in Richtung Internet und Plattformen verschoben. Egal ob Date, Freundschaft oder Hundetreff: Für alles gibt es ein geeignetes Forum, für das ich meine Wohnung nicht verlassen muss. Anonymer, sicherer und unverbindlicher scheinen die Prämissen für Kontakte zu werden.

Da passt es gut, dass Gesellschaftsspiele von Internetspielen abgelöst worden sind, man trifft sich an den Bildschirmen zum Zocken, selbst ausgewachsene Wettkämpfe werden virtuell ausgetragen. Nicht nur weit überregionale Rankings verändern das Kräftemessen, auch der Umgang mit den eigenen Emotionen beim Gewinnen oder Verlieren ist nicht mehr mit Präsenzturnieren zu vergleichen.

Und wenn es eben doch nur außerhalb der eigenen vier Wände geht, kann man einen beeindruckenden Kontrast erleben: Wöchentlich pilgern zehntausende Menschen in Fußballstadien, während die meisten anderen Sportarten um ein paar Dutzend Zuschauer buhlen. Bei körperlichen Aktivitäten sieht man eine Verschiebung von Mannschaftssportarten in Richtung Einzelsportler im Freihantelbereich der Fitnessstudios. 

Wir Deutschen, schon früher weniger auf der Straße als mediterrane Kulturen, ziehen uns noch stärker in die Häuser zurück, „trautes Heim, Glück allein“. Kommunikation und Interaktion werden am persönlichen Nutzen gemessen. Insgesamt steht das eigene Leben mit seiner Work-Life-Balance im Mittelpunkt, werden alle Aktivitäten dem eigenen Komfort oder Anspruch untergeordnet. Hat man sich zu Corona erst mal eingerichtet und an das unbeobachtete Päuschen gewöhnt, will man sich nicht mehr umstellen.

Durch den Fokus auf das Individuum leidet zunächst mal die Sozialstruktur. Aber auch die Wertschätzung für jegliches soziales Engagement geht zurück, wodurch Ehrenamt und überhaupt Vereinsarbeit erheblich geschwächt werden. Typischerweise gerät dadurch auch jegliche Rücksichtnahme in den Hintergrund, sowohl im persönlichen Umgang als auch im Sinne der Empathie für Kunden.

Diese sehen sich einer zunehmenden Digitalisierung von Abläufe ausgesetzt, Vorgänge wurden ins Internet verlagert. FAQ-Listen im Internet sollen die Ansprechpartner ersetzen, Kontaktformulare die Kundenkommunikation kanalisieren. Das Vorzeigen des Ausweises ist durch verschiedene Postident-Verfahren ersetzt worden, für jedes Konto braucht man mindestens zwei Apps auf einem Smartphone.

Spätestens an dieser Stelle registriert man, dass der Abstand zwischen technikaffinen Menschen und dem Rest der Bevölkerung immer größer wird. Internet-Zugang, Smartphone, E-Mail, Google, ChatGPT und das Management von unzähligen Passwörtern sind zu Grundvoraussetzungen des Alltags geworden. Auch wenn der Service oder die Dienstleistung sich an alle Bürger wendet, wird auf Technik-Legastheniker keine Rücksicht genommen: Banken, Versicherungen, Krankenkassen, Finanzamt, Stromlieferanten gehen wie selbstverständlich von Technikliebhabern aus.

Ein Teil dieser Trends war schon vor Corona als Ansatz vorhanden. Aber Covid-19 hat die Geschwindigkeit der Veränderungen dermaßen erhöht, dass technischen Entwicklung, Kultur, Gesellschaftsstruktur, intellektuelle und psychische Weiterentwicklung nicht mehr zusammenpassen. Und damit kann man getrost von gesellschaftlichem Long Covid sprechen, einem Phänomen, das uns noch viele Jahre begleiten wird, bis sich ein neuer Gleichgewichtszustand eingestellt hat.

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Montag, 21. Juli 2025

Social Media

Gott sei Dank bin ich hier unsichtbar. Ich bin zwar nicht anonym, vielmehr habe ich einen echten Account mit ehrlich ausgefülltem Profil. Aber ich schaue nur zu, muss noch nicht einmal Geld einwerfen für eine Peepshow, in der sich andere Menschen darstellen, schön finden, sich feiern und sich feiern lassen.

Social Media
Laut muss es sein, nicht zu perfekt, ein Kamerawackler hier, ein Störgeräusch da. Wenn es allzu fehlerarm daherkommt, ist es nicht mehr authentisch. Wir alle sind morgens auf dem Weg ins Badezimmer ein wenig zerknautscht, aber hier muss man das auch zeigen. Auf den Moment zu warten, wenn wir geduscht und mit einem Makeup aus dem Badezimmer kommen, scheint unfein.

Das alles macht nichts, denn Millionen Menschen sind Zuschauer, von wo auch immer sie den kleinen Reels und Memes folgen, sie liken oder in seltenen Fällen kommentieren. Auf dem Jahrmarkt der Selbstdarstellung darf man nicht allzu schnell heiser werden. Und sich daran messen, Lebensziel: Anzahl Follower und Klickzahlen.

Schnell muss es sein, wer nicht mit dem Dekobild, spätestens aber im Video innerhalb von drei Sekunden Interesse geweckt hat, ist schon wieder vergessen. Bummeln in einer belebten Fußgängerzone und der Versuch, hier den ganzen Tag Blickkontakte aufzubauen und Menschen kennenzulernen.

Tiefere Beschäftigung mit einem Thema ist ja auch nicht das Ziel dieser Plattformen, Oberflächlichkeit ist Programm. Dieser Nachfolger der Regenbogenpresse gewährt Einblick in andere Leben, nicht der unerreichbaren Royals und der High-Society, sondern der erreichbaren vermeintlich Gleichen.

Wie jedes System gibt es auch hier optimierende und selbstlernende Elemente. Sei es, dass der Algorithmus der Plattform die Beiträge gezielt verteilt und votet, auch die Orientierung an den erfolgreichen Veröffentlichungen führt zu einer auf den ersten Blick unbremsbaren Entwicklung dieses fröhlichen Treibens.

Und dann die Erkenntnis: Das ist alles real, die richtige Welt – Diese Personen gibt es wirklich, sie leben nicht irgendwo unerreichbar, sondern vielleicht ein paar Straßen weiter. Aber es ist nicht meine Welt, ich stehe wie im Zoo am Fenster eines Geheges und schaue dem bunten Treiben zu.

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Montag, 14. Juli 2025

Kulturzyklen

Werfen wir mal einen Blick in den Kalender oder gleich ins Geschichtsbuch. Dann stellen wir fest, dass sich Kulturen entwickeln. Das muss man ganz neutral sehen, mal geht es aufwärts und es entsteht eine "Hochkultur", dann aber auch wieder abwärts: Die Schaffenskraft lässt nach, die Riten werden vernachlässigt, am Ende steht die Auflösung. Oft kommt es wie bei einer insolventen Firma zu einer Art Ausverkauf, Nachbarkulturen dringen ein, bringen ihren Anteil ein und sorgen so für eine Erweiterung oder Anpassung.

Kulturzyklen

Man kann sich das römische Reich anschauen, das nach einer Blütezeit zerfiel, Griechenland oder auch das Morgenland, das zum Beispiel mit der Türkei einmal zu den Hochkulturen gehörte. Dieses Verständnis für Zyklen, das Entstehen wie auch das Vergehen von Kulturen, ist wichtig, wenn man sich die Situation im Deutschland des beginnenden einundzwanzigsten Jahrhunderts anschaut.

Wir blicken in den letzten hundert Jahre zurück auf Saus und Braus zurück, Phasen gewaltsamer Erweiterungsversuche, die in zwei Weltkriege mündeten. Wir schauen auch auf das German Wirtschaftswunder, historisch einzigartige Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und Wohlstand. Ein enormer und über Jahrzehnte stabiler Bedarf an Arbeitskräften, Gastarbeitern, Zugezogenen aus dem Ausland. Und natürlich die Flüchtlinge, die es in dieses friedliche Paradies zieht.

Als Zeichen der Rezession im Kulturzyklus beobachten wir Diskussionen über Einwanderung im Allgemeinen und den Versuch einer Definition von Deutschsein. Es ist schwierig zu bewerten, ob die bunte Vielfalt an Restaurants aller Nationen in diversen Städten eine Bereicherung oder eher der Anfang einer Infiltrierung sind. Wird die deutsche Sprache durch Sätze wie "Alter, was geht?" bereichert oder verstümmelt? Denn gerade Sprache ist sicher ein gemeinschaftstypisches Element, neben bestimmten Grundeinstellungen und Tugenden spielt sie eine zentrale Rolle bei der Identifikation einer Gemeinschaft und ihrer Kultur.

Welche Aspekte kann man verfolgen, um diese Zyklen einschätzen und managen zu können? Ich habe bereits die Sprache mit ihren Sprachbildern, Symbolen und Metaphern erwähnt, daneben spielt natürlich auch die Geschichte mit ihren Erfahrungen, Mythen und Meilensteinen eine Rolle. Und überhaupt die Identität, zu der Selbstbewusstsein, die Ausprägung von Patriotismus oder das Selbstwertgefühl gehören. Wenn wir noch die Einstellung wie gesellschaftliche Werte, Gesetze oder Ansichten hinzunehmen haben wir schon ein recht vollständiges Bild. Das man ergänzen kann und auch die gegenseitigen Abhängigkeiten berücksichtigen sollte.

Die Beobachtung von Veränderung ist politisch neutral, erst hieraus abgeleitete Maßnahmen können je nach Zielrichtung eine politische Farbe bekommen. Und auch hier zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass Aktivitäten zur Stabilisierung eines Zustandes einerseits nahezu immer in Mord und Totschlag enden, andererseits aber mittelfristig erfolglos sind. Veränderungen der Kultur kann man nicht aufhalten, bestenfalls kann man sie steuern. Und selbst das dürfte nur in seltenen Fällen und in begrenztem Umfang gelingen.

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Montag, 7. Juli 2025

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer

In der etwas sperrigen Wortwahl deutscher Behörden werden die Lenker von Autos auch als Kraftfahrzeugführer bezeichnet. Langsam wird mir klar, dass sie damit den Nagel besser auf den Kopf treffen, als ich bislang gedacht habe. Ist man doch als Person auf dem Fahrersitz tatsächlich so etwas wie eine Führungskraft.

Durch das Lenkrad bestimmt man die Richtung, durch die Pedalerie und Gangschalthebel hat man Einfluss auf die Geschwindigkeit. Und als gute Führungskraft kommuniziert man seine Entscheidungen mit Hilfe des Blinkers auch seinen Partnern auf der Straße.

Ich bin Kraftfahrzeug-Führer
Neuerdings ist diese Führung allerdings um eine Hierarchieebene erweitert worden. Mit einem Spurhalte-Assistent und adaptiver Geschwindigkeitsregulierung übernimmt das Auto sowohl die Lenkbewegung als auch Beschleunigungs- und Bremsvorgänge. Ich muss gar nichts machen, ein kleines Motörchen dreht für mich das Lenkrad, ein Computer schaltet sich in die Datenübermittlung zwischen meinen Füßen und dem Motor- und Verzögerungsmanagement ein und für die Wahl des richtigen Ganges sorgt traditionell die Getriebeautomatik.

Was für eine schöne Welt, die einen Vorgeschmack auf autonomes Fahren ermöglicht. Doch leider funktioniert das Ganze in der Praxis eben doch nicht so ganz zuverlässig. Mal wird ein Verkehrsschild übersehen, verliert der Spurassistent seine Orientierung, dann wieder rollt das Fahrzeug in weiser Voraussicht schon viele Kilometer vor dem Kreisverkehr nur noch aus.

All dies geschieht ohne deutliche Warnung, verschwindet nur ein grünes Symbol aus dem Display, wechselt irgendein Bälkchen seine Farbe auf rot oder die Geschwindigkeit sinkt unerwartet ab. Da heißt es aufpassen, schließlich ist man ja die Führungskraft und muss sein Middlemanagement im Griff behalten. Sich darauf zu verlassen, dass der PKW die Kurve erkennt und unter Berücksichtigung der Fahrspur verzögert und lenkt, ist keine gute Idee.

Früher war ich der Herr des Autos, Lenkung im Uhrzeigersinn hieß rechts fahren, beherzter Tritt auf das rechte Pedal sorgte für Reaktion aus dem Maschinenraum und dem Versuch, schneller zu werden. Das ist heutzutage nur noch prinzipiell so. Die Bewegung des Lenkrades wird vom Spurhalteassistenten kontrolliert und je nach seiner Einschätzung widerspenstig gegengehalten. Ebenso verweigert mir der Antrieb erst mal den Gehorsam, wenn der Tempomat der Meinung ist, dass ich an dieser Stelle nicht schneller fahren sollte.

Die Erlangung der Fahrerlaubnis – kurz Führerschein – muss dringend renoviert werden. Lernte man früher etwas zu Stotterbremsen und Anfahren am Berg, muss man heute die Orchestrierung und das Management von Assistenzsystemen beigebracht bekommen. Und überhaupt ist der Führungsanspruch zwischen Oldtimern und aktuellen Modellen so groß, dass man im Grunde zwei verschiedene Fahrzeugklassen beherrschen können muss.

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Montag, 30. Juni 2025

Weltreise für Groß und Klein

Herrliches Wetter, ich bin im Urlaub und sitze auf einem Klappstuhl unter dem Sonnenschirm. Andere Gäste genießen auch die Wärme, von Zeit zu Zeit höre ich das Plantschen im Pool und fröhliches Gekreische von spielenden Kindern.

Weltreise für Groß und Klein
Gerade krabbelt eine Ameise über den Tisch vor mir. Sie läuft recht gezielt von der einen zur anderen Seite, verschwindet in einer Ritze und taucht kurze Zeit später mit einem kleinen Holzspänchen auf dem Rücken wieder auf. Weiter geht es diagonal über den Tisch, an der Tischkante herunter und nach einem akrobatischen Akt das Tischbein entlang bis zum Boden.

Für ihr Ameisen-Dasein bereist sie die Welt, erkundet von ihrer Kolonie aus das Umfeld, sorgt für Nachschub an Baumaterial oder auch Nahrung. Es ist keine Wissbegierde, die sie antreibt, auch will sie keine fremden Kulturen kennenlernen. Work-Life-Balance und Erholung von ihrer zweifellos anstrengenden Arbeit ist ihr fremd.

Noch mal ein Blick zum Pool. Lauter Menschen fernab der Heimat, zum Teil sind sie vermutlich stundenlang geflogen, zig tausend Kilometer von ihrer normalen Wohnung entfernt. Sie nutzen die Gelegenheit für eine Pause vom Alltag, lassen sich auf Ungewohntes ein und sind neugierig auf andere Mentalitäten und Speisen.

Da ist sie wieder, meine Ameise oder vielleicht ist es auch eine andere Vertreterin ihrer Kolonie, jedenfalls saust sie wieder zu der Ritze und kehrt beladen zurück. Arbeiterinnen, die vielleicht drei Jahre auf unserer Welt sind und in dieser Zeit für die Gemeinschaft und die Königin ihr Tagwerk vollbringen.

Welt in Reichweite zu bringen, vom Laufstall des Säuglings über den Wohnort für das Grundschulkind und die nächstgelegene Stadt für die Jugendlichen. Dann Kontakt zum Ausland, sei es im Urlaub oder im beruflichen Kontext – und damit die Erweiterung der Erfahrungen und im Idealfall eine Ergänzung des Welt-Bildes.

Langsam geht die Sonne unter. Sowohl die kleinen Lebewesen als auch die Menschen um mich herum ziehen sich langsam vom Pool und seinem Umfeld zurück. Für heute haben sie genug von der Welt gesehen, vielleicht nur ein paar Meter um Umkreis, vielleicht ein paar tausend Kilometer von zu Hause entfernt.

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Montag, 23. Juni 2025

Für Elise von mir

Beim Bereisen der Welt spielt für mich die Erhaltung der Erlebnisse in Form von Fotos eine wichtige Rolle. Da werden Aufnahmen vom Hotel, der Landschaft, der Menschen und allerlei Sehenswürdigkeiten angefertigt. Dank Handycam sind selbst tausende von Fotos weder ein Speicher- noch ein Kostenproblem.

Klassisch war man im Urlaub und hat dort Ansichtskarten gekauft. Von einem Fotografen bei optimalem Wetter perfekt in Szene gesetzt, mit optimaler Perspektive geschmackvoll  arrangiert. Ähnlich gute Fotos bieten auch heute die Hotelbetreiber, die Touristikbüros und die Kulturverbände an.

Doch das sind dann die Fotos von anderen. Und der strahlend blaue Himmel mit Wattewolken ist zwar wunderschön anzusehen, deckt sich aber nicht mit dem leicht verhangenen Himmel, den ich beim Besuch dieses Ortes erlebt habe. Deshalb greife ich in die Tasche, zücke mein Smartphone und drücke auf den Auslöser. Was übrigens auch der Mann neben mir macht und die Frau etwas weiter rechts auch.

Für Elise von mir
Jedem sein Foto, es ist alles schon mal abgelichtet worden, aber nicht von mir. Selbst wenn es viel schlechter ist als vom Profi, auch wenn es unprofessioneller aufgenommen, mangels Zoomobjektiv nicht perfekt ausgerichtet ist: Es ist mein eigenes Foto, liebenswert durch seine individuelle Prägung und Unvollkommenheit.

Persönlich kenne ich diesen Effekt auch bei anderen Eigenproduktionen. Sei es das etwas wacklig gemauerte Hochbeet, das leicht übergarte Gericht, die Klaviersonate mit ein paar Fehlern. Ich bin nun mal weder Maurer noch Koch noch Pianist. Aber was zählt ist der Antritt, die Authentizität und der ernstgemeinte Versuch, mit den eigenen Möglichkeiten das Beste zu erreichen.

Und so knie ich nieder und murmele: „Liebe Elise: Für dich von mir.“ Nicht so perfekt wie Lang-Lang, aber höchst eigenartig.

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Montag, 16. Juni 2025

Das kann alles mögliche sein

War ich vor ein paar Tagen mit einem Stihl-Gerät in der Fachwerkstatt. Meine Benzin-Motorsäge läuft nicht mehr, genau genommen kann ich sie zwar mit dem Seilzug anlassen, aber nach ein paar Sekunden geht sie dann wieder aus. Verdächtigerweise füllt sich auch die Benzin-Handpumpe nicht richtig mit Kraftstoff, egal wie oft oder fest ich sie betätige. In diesem Zustand liegt die Maschine jetzt vor mir auf dem Tisch in der Reparaturannahme.

Das kann alles mögliche sein
Ich erzähle dem Mitarbeiter von meinen Problemen und frage ihn nach seiner Einschätzung, was diese Probleme auslösen könnte. "Das kann alles sein", lässt er mich wissen. Es schließt sich ein Vortrag an, in dem von Luftfilter, Benzinpumpe, Vergaser, Kolben und Zylindern, der Welle und überhaupt allerlei Lagern die Rede ist. "Und die ist ja auch Baujahr 2009. Da dürfte so einiges verschlissen sein." - "Aber es ist eine Stihl. Da gehe ich doch von einer Qualität für Profis und entsprechender Haltbarkeit aus."

Er lässt sich nicht beirren, plappert munter weiter über teure Bauteile, dass sich eine Reparatur vermutlich nicht mehr lohnt. Rät mir, die Säge als defekt bei Ebay zu verkaufen und mir hier im Laden ein neues Modell auszusuchen. Wenn ich unbedingt wollte könne er sie in die Werkstatt geben, einen Kostenvoranschlag für 35 Euro machen lassen. Ich habe die kranke Motorsäge wieder vom Ladentisch genommen, einen guten Tag gewünscht und bin nach Hause.

Nach ein bisschen Recherche im Internet und Austausch mit ChatGPT konnte ich die Reparatur für wenig Geld selbst durchführen, sie läuft wieder, kein Ersatzteilspender bei Ebay. Natürlich kann es alles sein, aber am Ende gibt es wahrscheinliche und unwahrscheinliche Fehlerursachen. Und die sollte ein Fachmann an der Stihl-Reparaturannahme schon kennen.

In vieler Hinsicht erinnerte mich die Situation an einen Reparaturversuch meines Audis in der entsprechenden Fachwerkstatt in der Nachbarstadt. Ebenfalls ein jovialer Monteur, auch dort die Diagnose "Das kann alles sein." Seinerzeit war im Winter der Lüfter ausgefallen, zur Wiederherstellung sollten der Lüftermotor, sein Steuergerät und der Temperatursensor erneuert werden. Auf meinen Einwand, dass doch nicht alle drei Dinge auf einmal den Geist aufgeben, wurde ich mit der Erkenntnis "Das sagt die Diagnosesoftware" abgefertigt.

Auch in diesem Fall war die Lösung durch eine andere Werkstatt sehr viel einfacher, ziemlich erwartungsgemäß war es nur der preiswerte Sensor. Statt der avisierten rund 700 Euro kam ich mit unter 50 Euro einschließlich Einbau davon. Für den Audi-Spezialisten ein Armutszeugnis.

Als ich meiner Frau von diesen Erlebnissen erzählte, musste sie lachen. "Denkst du, das sind Einzelfälle? Das ist doch bei Ärzten nicht anders, nur, dass du es bei denen nicht mitbekommst. Da kommt es auch nicht gerade selten vor, dass die Diagnose nicht stimmt, ein Facharzt in einer gewissen Arroganz das Problem schon verstanden hat, bevor er dich gründlich untersucht hat." Vermutlich hat sie recht mit dieser Einschätzung. An allen Ecken und Enden sind wir umgeben von Menschen, die forsch daherkommen und entweder Fachkompetenz vorgaukeln oder von denen man diese angesichts ihrer Stelle vermutet.

Doch falsch. Entweder haben sie gar nicht so viel Ahnung, wie sie behaupten; Zum Teil bewusst oder unbewusst kennen sie sich gar nicht so gut aus. Oder sie wollen ihr Wissen an dieser Stelle gar nicht einsetzen, ist es doch geschäftstüchtig, dem Kunden zum Beispiel ein neues Gerät zu verkaufen.

Was hilft da? Trau-schau-wem ist eine gute Basis, Gutgläubigkeit eine schlechte. Doch man kann sich ja nicht in allen Themen zum Fachmann machen, ein mehr oder weniger tragfähiges Halbwissen anhäufen und auf Augenhöhe mit den Spezialisten diskutieren. In manchen Fällen hilft es, eine zweite Meinung einzuholen, hier ist das Internet und seit einiger Zeit insbesondere die Nutzung von Chatbots eine große Hilfe. Auch das Umhören bei Bekannten und die Empfehlung von guten und vertrauenswürdigen Ansprechpartnern ist nützlich. Wobei am Beispiel von Stihl einige meiner Nachbarn ganz begeistert von dem Betrieb sind - vermutlich, weil sie nicht merken, dass sie ziemlich einseitig beraten wurden.

Und so endet die Geschichte wie sie angefangen hat: "Das kann alles sein."

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Montag, 9. Juni 2025

Wischen und weiter

Neben mir ein junger Mann mit seinem Handy. Er vertreibt sich die Zeit mit dem kleinen Gerät, starrt darauf und flippt mit dem Finger durch ein Nachrichtenportal. Keine Nachricht hat mehr als wenige Sekunden, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen, schon gleitet der Finger über den Bildschirm und schiebt das nächste Bild in den Mittelpunkt. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man aus dem Zugfenster schauen und in der Landschaft einzelne Bäume betrachten.

Wischen und weiter

Jetzt hebt er den Blick, und zu meiner Überraschung wischt der Finger trotzdem weiter. Er guckt gar nicht auf den Bildschirm, trotzdem werden im Sekundentakt die Artikel nach oben geschoben. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man am Meer sitzen und den Wellen zuschauen.

Er klappt die Handyhülle zu, schließt kurz die Augen, öffnet sie wieder mit leerem Blick. Es dauert keine Minute und das Handy ist wieder in Betrieb, diesmal scheint er bei Wikipedia gelandet zu sein. Von einem Artikel über Stichwörter mit Querverweisen arbeitet er sich durch die Enzyklopädie. Sind hier noch Bilder von Blumen zu sehen, sind es im nächsten Moment fremde Pflanzen und jetzt ein Flugzeug. Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als würde man von einem Klassenraum in den anderen laufen.

Das Handy wieder zu, starrer Blick auf den Boden, ohne Rührung scheint er die Zuganzeige zu betrachten. Der Hinweis auf die Zugnummer, das Laufband mit den nächsten Haltepunkten. Hier muss er nicht aktiv werden, die Anzeige wechselt auch ohne sein Zutun. Aber wie in Trance zuckt sein rechter Zeigefinger: Wischen und weiter, wischen und weiter. Ein Strom, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen und erlebte immer wieder denselben Ablauf.

Der junge Mann dreht sich zu mir, oh Gott, denke ich, gleich wird er versuchen, das reale Bild um ihn herum durch eine Wischgeste zu verändern. Aber nichts passiert. Er blickt auf mein Laptop, vielleicht ein wenig mitleidig, weil es keinen Touchscreen hat. Ja, ganz sicher ist er damit überfordert, dass sich das Bild über mehrere Sekunden hinweg nicht ändert, kein hoch- und herunterscrollen. "Wischen und weiter, wischen und weiter, wischen und weiter" höre ich ihn denken.

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Montag, 2. Juni 2025

Hurra, da sind wir uns alle einig

Ich bin ja froh, dass wir Entscheidungen in ganz vielen Fällen des Lebens erst nach ausführlicher Diskussion und anschließender Abstimmung treffen. Da hat dann jeder die Möglichkeit, nicht nur seine Meinung zum Gesamtbild beizutragen, sondern sie am Ende dann auch zu vertreten. In demokratischem Ansatz entscheidet die Anzahl der Stimmen, eine Gewichtung ist nicht vorgesehen.

Vom Ansatz her und in zahlreichen Fällen ein guter Grundgedanke, wobei allerdings zu beachten ist, dass hier als Kriterium auch die Qualität der Argumente und deren Präsentation eine Rolle spielen. 
Wer überzeugende Zahlen hat, der zieht seine Partner mit, auch wenn diese Zahlen gar nicht stimmen.

Hrra, da sind wir uns alle einig

Jedenfalls bildet sich eine Gesamtmeinung aus, die auch auf den ersten Blick gesehen optimal erscheint. Per Definitionem landet man statistisch betrachtet im hohen Bereich der Glockenkurve einer Normalverteilung. Die Ränder werden in diesem Moment vernachlässigt. Das hat aber oft fatale Folgen. Einerseits resultiert daraus eine gewisse Selbststabilisierung ("hat sich bewährt"). Andererseits können auch alle falsch liegen.

Ich kam vor einiger Zeit an einer Reihe parkender Autos vorbei, die durchgehend einen Strafzettel an der Windschutzscheibe hängen hatten. Tja, auch wenn viele dort parken, es war an dieser Stelle nicht erlaubt. Sich der Mehrheit anzuschließen oder darauf zu vertrauen, dass die anderen schon wissen, was man darf oder nicht, das kann ins Auge gehen und wie in diesem Fall eine kostenpflichtige Fehleinschätzung einleiten.

Im Zusammenhang mit der Parksituation noch halbwegs harmlos, sind wir aber auch bei beruflichen Entscheidungen, in der Politik oder im privaten Umfeld anfällig für dieses Phänomen. Was viele für Recht halten, das muss auch Recht sein. Bis zu dem ausgeprägten Verständnis, dieses selbst definierte Rechtsempfinden auch noch lautstark zu vertreten, der juristischen Schwarmintelligenz also sozusagen eine Stimme zu geben.

Beim Parken ist das Kontrollieren der Beschilderung hilfreicher als die Orientierung am Verhalten der Mitmenschen. Geradezu erschreckend oft liegt nämlich die Mehrheit falsch, sei es aus Bequemlichkeit, sei es, weil sie ein geradezu naives Rechtsverständnis ausgebildet hat, das sie sich auch gerne in hitzigen Debatten bestätigt. "Mach die Welt, wie sie dir gefällt" ist in diesem Fall aber leider kein bewusster Prozess zur Umgestaltung, sondern ein Bauchgefühl, mit dem gesteuert und entschieden wird.

Montag, 26. Mai 2025

Alles eine Frage der Definition

Als regelmäßiger Nutzer der Nahverkehrsangebote unserer Deutschen Bahn kann ich ein Lied davon singen. Züge, deren Abfahrtszeit mit der Angabe aus dem Fahrplan übereinstimmt sind Mangelware. Über die Jahre hat man sich daran gewöhnt, ein paar Minuten später empfindet man schon nicht mehr als ungewöhnlich. Denn das ist es ja auch nicht: ungewöhnlich.

Alles eine Frage der Definition
Bei nüchterner Betrachtung der letzten Wochen komme ich auf rund 50 % Pünktlichkeit. Auf meiner Strecke fallen alle zwei bis drei Tage mehrere Züge ersatzlos aus, bei Erkältungswetter oft noch mehr. Die restlichen Züge bauen durch allerlei Unwägbarkeiten insbesondere im Berufsverkehr schnell mal eine Verspätung auf, die sie schon wieder pünktlich erscheinen lassen, rücken sie dadurch doch an die Stelle des nachfolgenden Zuges.

Noch weniger erfreulich ist das Bild, wenn man mit scharfem Blick auf die Uhr schaut. Dann sind es nur noch 30 % der Verkehrsmittel, bei denen die Abfahrt mit dem Uhrzeiger übereinstimmt. Wobei man bei der Betrachtung der Pünktlichkeit auch noch die beiden Messpunkte Abfahrt und Ankunft betrachten muss. Ist ein Zug pünktlich, der zwar zur richtigen Zeit den Bahnhof verlässt, aber den Zielbahnhof erst mit Verspätung erreicht? Oweh, dann kann ich leider nur noch 20 % Pünktlichkeitsquote bescheinigen.

Doch halt! Wie kann ich das nur so negativ darstellen. Ausfallende Züge haben per Definition keine Verspätung, sie fahren schlichtweg gar nicht und fallen deshalb aus der Statistik. Und als pünktlich wird ein Fahrzeug auch dann noch eingestuft, wenn es dem Fahrplan nur 6 Minuten hinterherhinkt. So reibe ich mir verwundert die Augen, wenn ich bei meiner Customer Experience mit einer offiziellen Pünktlichkeit von 90,3 Prozent konfrontiert werde.

Tja, wenn man die Fakten nicht verändern kann, dann muss man eben die Definition anpassen.

Montag, 19. Mai 2025

Stichwort: Bürokratie

Kaum ein Begriff aus dem Alltag hat so einen schlechten Ruf wie Bürokratie. Dabei ist es im Grunde ja erst mal durchaus richtig, wenn man sich auch um den Schreibkram kümmert, Formalitäten einhält und gewisse Abfragen in standardisierter Form verteilt. Und diese Dinge verwaltet, verteilt, zu Entscheidungen führt oder schlicht darüber Buch führt. Was jedoch oft zur Diskussion gestellt wird, ist der Umfang und die Tiefe, in der diese Form der Arbeit erfolgt. Und das aus gutem Grund, denn im Sinne von „Lean“ ist Bürokratie ja nicht wertschöpfend, sondern (bestenfalls) verdeckt-notwendig. Und alle Tätigkeiten in dieser Rubrik sollen und müssen so gut es geht verringert werden.

Das kommt natürlich auch unserer inneren Bequemlichkeit entgegen. Niemand wird behaupten, dass er Spaß an der Steuererklärung hat, dass es ihm Freude bereitet, ein Zollformular auszufüllen oder in seinen Unterlagen für die Auskunftsbögen eines Kreditantrages zu recherchieren. Je weniger dieser lästigen Arbeit anfällt, desto lieber ist es einem, da sind sich alle einig. Und können sich also in guter Gesellschaft wissen, wenn sie nach Bürokratieabbau verlangen.

Doch an diesem Punkt beginnt das Dilemma. Mit der Verringerung dieser vermeintlichen Blindleistung werden ausgerechnet die Personen beauftragt, die diese Prozesse zu verantworten, sie vielleicht sogar ins Leben gerufen haben. Es würde eine gewisse Schizophrenie erfordern, wenn sie das abschaffen, was sie selbst initiiert haben oder was sich aus ihrer Sicht seit Jahren bewährt hat. Nein, dieses Formular ist in vollem Umfang notwendig, weil es Paragraph xy bedient, jene zusätzliche Abfrage in der Anlage wurde notwendig, weil das Soundso-Gesetz dies erfordert. Und der Ablauf für den Kunden lässt sich nicht ändern, denn der Datenstrom hat eine definierte Richtung, kann Genehmigung B nicht vor Begutachtung A erfolgen. Und so weiter.

Stichwort Bürokratie
Und dann wird es geboren: Das "Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz". Da sitzen intelligente Menschen zusammen, nennen sich Senat der Stadt Bremen und haben entweder aus eigenem Antritt oder auf Druck der Bürger ein gutes Ziel vor Augen. Sie wollen die Arbeit geschmeidiger gestalten. Diese Verbesserung nennen sie Effektivierung und machen daraus: ein Gesetz, also wieder irgendein Papierwerk, das Anweisungen und Regelungen enthält. Und das sich auf die Verwaltung, also im weiteren Sinne auch sie selbst, bezieht. Nun ist eine Verwaltung gemäß ihrer Definition niemals wertschöpfend, ist also bestenfalls unabdingbar notwendig, tendenziell aber Verschwendung. Es ist also zu kurz gesprungen, wenn man hier etwas effektiver gestaltet, vielmehr muss das Ziel sein, die Verwaltungsverfahren auf den Prüfstand zu stellen und möglichst ganz abzuschaffen.

Das allerdings erfordert kein Verwaltungsverfahrenseffektivierungsgesetz, sondern ein rigoroses Streichen von Verfahren. Nur Mut, was man ersatzlos streicht, braucht man nicht mehr zu optimieren, was durch schlankere Prozesse obsolet wird, erfordert keine Steigerung der Effektivität. Und Bürokratie durch die Bürokratie eines Gesetzes zu bekämpfen ist ein Ansatz, der zumindest nach außen ziemlich widersprüchlich erscheint.

Montag, 12. Mai 2025

Stichwort: Gerechtigkeit

Als Schüler haben wir so viele Dinge gelernt, die damals völlig logisch und naheliegend klangen. Wie gemein war die Abgabe des Zehnten an den Fürsten. Naja, meine Steuerabgaben heute dürften um ein Vielfaches höher liegen. Oder der Umgang mit anderen Kulturen und Religionen. Geprägt von einer geradezu unfassbaren Naivität und Armut an verschiedenen Perspektiven. Die kontrastreiche Darstellung der Guten und der Schlechten in der Weltpolitik und die nachträglich schlaue Interpretation historischer Ereignisse.

Doch das zieht sich auch in das Erwachsenenalter durch. Neulich war ich in der Stadt und sah eine Demonstration, die sich lautstark durch die Fußgängerzone schlängelte. Die Parolen waren kaum zu verstehen, doch den Plakaten nach zu urteilen ging es um Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. "Gleiches Geld für gleiche Arbeit!" konnte ich lesen. Das hörte sich spontan gut und einleuchtend an. Aber dann fragte ich mich, wie man das klarstellen, gar messen könnte.

Stichwort Gerechtigkeit

Die linke Seite, also "gleiches Geld", das ist eine gut definierbare Größe. Aber wie steht es mit der rechten Seite der Gleichung, also der "gleichen Arbeit"? Bei mehr oder weniger einfachen Arbeiten mag das noch mit Sinn zu füllen sein. Wenn die Aufgabe in der Montage von Kotflügeln besteht, kann man mitzählen, wie viele Kotflügel pro Stunde eine Arbeitskraft verarbeitet. Aber selbst hier muss man möglicherweise schon differenzieren. Nehmen wir an, eine junge Frau am Band kann nicht nur die Kotflügel anschrauben, sondern bei Bedarf auch kurzfristig die Bedienung des Fließbandes oder die Organisation des Nachschubs übernehmen. Zwar ist es nicht primär ihre Aufgabe, aber sie ist universeller einsetzbar als die anderen Kollegen.

Es ist einleuchtend, dass diese Vielseitigkeit, das Potential zur spontanen Übernahme ungeplanter Aufgaben oder eine kurze Rüstzeit beim geplanten Wechsel der Tätigkeit eine geldwerte Leistung ist. Von außen sehe ich nur die Frau, die wie alle Kolleginnen und Kollegen die Kotflügel mit den Autos verbindet, aber das vorhandene Potential sehe ich nicht. Von "Gerechtigkeit" zu sprechen ist in diesem Zusammenhang mindestens schwierig, wenn nicht sogar unmöglich.

Ergänzend liegt es nahe, dass die scheinbar verletzte Gleichheit von denen eingeklagt wird, die hiervon Vorteile haben, also weniger Potential haben, dabei aber in der Außensicht eine ähnliche Aufgabe ausführen müssen. Wer - vielleicht aufgrund irgendwelcher Regularien oder dem vermuteten Nasenfaktor - besser bezahlt wird, der wird sich nicht beschweren. Die höhere Bezahlung ist in diesem Fall vielleicht eine Motivation, eine Wertschätzung der zusätzlichen (potentiellen) Arbeit oder auch im Sinne des (Arbeits-) Marktes eine normale Reaktion.

Forderungen der Gleichheit und Gerechtigkeit gehen in Richtung Kommunismus. Inwieweit dieser Ansatz sinnvoll und tragfähig ist, sei mal in diesem Zusammenhang dahingestellt. Aber weiter zurückverfolgt kommt man dann zu der Forderung, dass auch alle Menschen gleich zu sein haben. Und das ist nun mal nicht der Fall.

Montag, 5. Mai 2025

Wie schön, das zu hören

Der Saal ist recht voll, alles gepflegte Zuhörer im mittleren Alter. Die Bühne noch leer, aber man kann schon mit gemütlichem Sessel, Barhocker, einem Mikrofon und einem aufgeklappten Konzertflügel erahnen, wie der Abend gestaltet sein wird. Ein schönes Setting, bestimmt interessante, kurzweilige und lustige Momente in den nächsten Stunden.

Die Eintrittskarte habe ich schon vor vielen Wochen gekauft, tatsächlich ist der Platz ziemlich gut und im Grunde kommt es auch mehr auf die Akustik an. In der Zeitung war ein kleiner Artikel, die Ankündigung dieses Events mit Beschreibungstext und einem kleinen Bild.

Jetzt geht es los, der Künstler betritt die Bühne, wird beklatscht und erzählt sich da vorne langsam warm. Ein kurzes Intermezzo am Flügel, ein umgedichteter Chanson und dann die nächsten Ausführungen über allerlei Themen des Alltags. Seine Anekdoten aus der Ehe sind harmlos, aber auch seine politischen Witzchen tun niemand weh. Oder vielleicht doch, zumindest, wenn man mit irgendeiner Partei sympathisiert. Auch die Gags auf Kosten von Olaf Scholz sind wenig schmeichelhaft. Aber sie sind lustig und das Publikum folgt dem Frontmann bei seinen Ausführungen.

Wie schön, das zu hören

Ach, was tut es gut, wenn mal jemand das ausspricht, was man selber denkt. Oder zum Denken vorgelegt bekommt. Oder so oft hört, dass es doch schließlich wahr sein muss. Dabei ist diese persönliche Meinungsbildung gar kein demokratischer Prozess, denn es ist im Grunde eine Einzelmeinung, der sich die Zuhörer hier anschließen. Man weiß zwar, wer es gesagt hat, aber das macht es nur scheinbar vertrauenswürdig.

Und dann kommt noch ein anderer Effekt dazu. Ich suche mir von vornherein nur die Redner aus, die in meinem Sinne argumentieren. Wer Urban Priol an den Lippen hängt, könnte sich auch für Georg Schramm Priol interessieren. Lisa Eckhart dürfte ihn nicht so ansprechen. Und da bekommt er das, was er schon immer gedacht hat, hier bestätigt aus dem Mund eines populären Referenten. Der zum einen seine persönliche Sicht der Dinge präsentiert, sich dabei andererseits aber auch vorsichtig daran orientiert, was der Veranstalter und das Publikum erwarten.

Und so wird durch diesen Feedback-Prozess eine Meinung gebildet und publiziert, die ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt, ohne auch nur ansatzweise neutral zu sein. Zumal viele Vortragende auch den einen oder anderen unpassenden Gag in Kauf nehmen, um den Unterhaltungswert zu steigern. Die Zuschauer sollen sich amüsieren und am Ende sagen können: "Wie schön, das zu hören."