Montag, 5. Mai 2025

Wie schön, das zu hören

Der Saal ist recht voll, alles gepflegte Zuhörer im mittleren Alter. Die Bühne noch leer, aber man kann schon mit gemütlichem Sessel, Barhocker, einem Mikrofon und einem aufgeklappten Konzertflügel erahnen, wie der Abend gestaltet sein wird. Ein schönes Setting, bestimmt interessante, kurzweilige und lustige Momente in den nächsten Stunden.

Die Eintrittskarte habe ich schon vor vielen Wochen gekauft, tatsächlich ist der Platz ziemlich gut und im Grunde kommt es auch mehr auf die Akustik an. In der Zeitung war ein kleiner Artikel, die Ankündigung dieses Events mit Beschreibungstext und einem kleinen Bild.

Jetzt geht es los, der Künstler betritt die Bühne, wird beklatscht und erzählt sich da vorne langsam warm. Ein kurzes Intermezzo am Flügel, ein umgedichteter Chanson und dann die nächsten Ausführungen über allerlei Themen des Alltags. Seine Anekdoten aus der Ehe sind harmlos, aber auch seine politischen Witzchen tun niemand weh. Oder vielleicht doch, zumindest, wenn man mit irgendeiner Partei sympathisiert. Auch die Gags auf Kosten von Olaf Scholz sind wenig schmeichelhaft. Aber sie sind lustig und das Publikum folgt dem Frontmann bei seinen Ausführungen.

Wie schön, das zu hören

Ach, was tut es gut, wenn mal jemand das ausspricht, was man selber denkt. Oder zum Denken vorgelegt bekommt. Oder so oft hört, dass es doch schließlich wahr sein muss. Dabei ist diese persönliche Meinungsbildung gar kein demokratischer Prozess, denn es ist im Grunde eine Einzelmeinung, der sich die Zuhörer hier anschließen. Man weiß zwar, wer es gesagt hat, aber das macht es nur scheinbar vertrauenswürdig.

Und dann kommt noch ein anderer Effekt dazu. Ich suche mir von vornherein nur die Redner aus, die in meinem Sinne argumentieren. Wer Urban Priol an den Lippen hängt, könnte sich auch für Georg Schramm Priol interessieren. Lisa Eckhart dürfte ihn nicht so ansprechen. Und da bekommt er das, was er schon immer gedacht hat, hier bestätigt aus dem Mund eines populären Referenten. Der zum einen seine persönliche Sicht der Dinge präsentiert, sich dabei andererseits aber auch vorsichtig daran orientiert, was der Veranstalter und das Publikum erwarten.

Und so wird durch diesen Feedback-Prozess eine Meinung gebildet und publiziert, die ein Gemeinschaftsgefühl vermittelt, ohne auch nur ansatzweise neutral zu sein. Zumal viele Vortragende auch den einen oder anderen unpassenden Gag in Kauf nehmen, um den Unterhaltungswert zu steigern. Die Zuschauer sollen sich amüsieren und am Ende sagen können: "Wie schön, das zu hören."

Montag, 28. April 2025

Das Geständnis des Dr. M.

Vor ein paar Jahren, so berichtete mir Dr. M., habe er in einem Vortrag gesessen. Ein versierter Kollege habe interessante Gedanken zu seinem Fachgebiet ausgebreitet und die Darstellungen mit Beispielen, Bildern und kleinen Filmeinblendungen sehr lebendig aufbereitet.

Trotz dieser kurzweiligen und spannenden Präsentation war seine Laune immer schlechter geworden. Das Publikum war angetan, um nicht zu sagen begeistert, klatschte immer wieder Beifall und bedachte den Referenten mit Anerkennung und Lob.

Die anschließende Diskussionsrunde, Fragen aus dem Auditorium, auch Nachfragen vom Moderator ließen keinen Zweifel an der Kompetenz und Sattelfestigkeit des Vortragenden aufkommen. Mit Abschluss des offiziellen Teils eilten zahlreiche Zuschauer nach vorne, schüttelten dem Redner die Hand und demonstrierten ihre Begeisterung für seine Gedanken.

Derweil wurde die Laune von Dr. M. immer schlimmer, geradezu miserabel. Er hielt sich an seinem Weinglas fest, sprach eher abwesend mit irgendeinem anderen Gast und ließ den Vortrag innerlich noch einmal an sich vorbeiziehen. Nein, der Inhalt war tadellos, die Formulierungen einwandfrei, keine unangemessenen Vergleiche oder wackeligen Thesen. Nein, es gab wirklich nichts auszusetzen an dem Abend, noch nicht einmal Selbstherrlichkeit oder Arroganz konnte man an irgendeiner Stelle attestieren.

Das Geständnis des Dr. M.

Und dann fiel bei ihm der Groschen. Es war gar nicht der Inhalt und im Grunde auch gar nicht der Vortragende, der seine Laune so getrübt hatte. Es war der blanke Neid. Wie gerne hätte er auf der Bühne gestanden, wäre bejubelt worden, hätte selbst kluge Gedanken präsentiert und die Zuhörer in seinen Bann gezogen. Wäre beachtet worden, hätte begeistert und ein positives Feedback zurückbekommen.

Aber all das war nicht passiert. Nicht, dass er es dem Redner missgönnt hätte. Er wäre nur gerne an seiner Stelle gewesen und hätte einen Lorbeerkranz aufgesetzt bekommen. Dieses schöne Gefühl, dass Menschen einem zuhören, zustimmen, den Überlegungen folgen und sich auf gleiche Gedanken einlassen.

Genau das erzählte mir Dr. M. bei einem Kaffee, den wir am Rande einer Schulung zu uns nahmen. Die Szene habe ihm klar gemacht, dass man sich manchmal selbst gar nicht erkenne und gelegentlich überrascht wäre, wenn man sich sozusagen selbst auf die Schliche komme. Wie leicht hätte er die Schuld auf den großen Referenten wälzen, ihn unzutreffender Weise der Hochnäsigkeit oder Arroganz geißeln können.

Seitdem frage ich mich auch manchmal, wie dieses oder jenes Gefühl in mir zustande kommt. Und stelle dabei voller Entsetzen fest, dass auch in meiner dunklen Seele das eine oder andere Mal der pure Wunsch versteckt ist, auf dem Treppchen zu stehen und mit einer Medaille vor der Brust bejubelt zu werden. Oder in irgendeiner anderen Art neidisch bin oder eigentlich gerne tauschen würde.

[Bild: Marco Verch, ccnull.de]

Montag, 14. April 2025

Woher kommen eigentlich diese lustigen Videos?

Woher kommen die lustigen Videos
Von Zeit zu Zeit kursieren in den einschlägigen Netzwerken irgendwelche verrückten Videos, bei denen ich mich frage, wie sie eigentlich zustande gekommen sind. Irgendein Zeitgenosse, der mit dem blanken Schraubenzieher in der Elektroverteilung herumstochert, die daraufhin spektakulär abfackelt. Oder wie eine süße Tarantel erst auf der Stirn sitzt und dann ganz unvermittelt ins Gesicht beißt.

Und heute: Ein Fahrgast, der lautstark seine dienstlichen Telefongespräche führt, vernehmlich lacht, mit seinem unsichtbaren Gesprächspartner Witze austauscht und auch gleich noch Börsenkurse, Wetterberichte, Sportergebnisse und Familiendetails erläutert. Es fehlt nur noch, dass er in seiner Begeisterung einem anderen Fahrgast auf dessen Bein oder Schulter schlägt.

Vielleicht ist der ganze Wagen gar nicht so hochgradig neugierig, wie es weitergeht, lauscht auch nicht voller Interesse seinen Ausführungen. Und ich kann der Frau neben ihm ansehen, wie sich die Miene immer weiter verdüstert. Gleich, da bin ich mir sicher, wird sie ihn mit ihrer Handtasche schlagen.

Jetzt wäre der Moment, mein Handy zu zücken und verdeckt mitzufilmen, wie sich die Szene weiterentwickelt. Wie die unbekümmerte Rücksichtslosigkeit zu aufgestauter Wut und schließlich bei irgendeinem Mitreisenden zu blanker Körperlichkeit ausartet. Wenn ich jetzt die Kamera aktiviere, bin ich der Held, der nachher das lebensnahe Video ins Netz stellt.

Aber ich mache es nicht, und das ist gut so, denn im Moment springt unser tönender Frohsinn auf, schnattert und lacht weiter in sein Telefon und ist in wenigen Schritten an der Tür. Im Hinaustreten hinterlässt er uns noch den Anfang einer Anekdote mit seinem Chef, aber nach den Gesichtern der Fahrgäste zu urteilen bin ich ziemlich sicher, dass niemand das Ende hören möchte.

Montag, 7. April 2025

Es geht weiter, nur anders

Eine Weisheit der Dakota-Indiana lautet: Wenn Du entdeckst, dass Du ein totes Pferd reitest, steig ab!

Es geht weiter nur anders
Da hinten war doch immer ein Gasthaus. Eine Kneipe, in der morgens die Penner, mittags die Schöppchen und abends die Skatspieler einkehrten. Hinter der Theke noch die Treppe runter zur Kegelbahn, mal mehr, mal weniger lautstark besucht. Einmal im Monat kam aus dem Nachbarort ein Musiker, baute seine elektronische Orgel auf und spielte Evergreens zum Tanz. Für manche Bewohner der Höhepunkt im Kalender.

Heute muss man schon genau hingucken, tatsächlich gibt es noch die dreistufige Treppe zu einem kleinen Podest, Tür mit bunten Fensterchen drin und daneben ein kleiner Stahlkasten mit der Karte, heute leer mit ein paar kleinen Elektrokabeln für die ehemalige Beleuchtung. Die ausgeschenkten Biersorten, der Klare, ein paar einfache Gerichte und natürlich der Termin für die nächste Musik waren hier ausgehängt.

Auf der Fassade noch der Schatten, wo mal das Wirtshausschild hing, "Zum kühlen Grund" oder so ähnlich, ich habe es tatsächlich schon vergessen. Aber die Zeiten sind vorbei, das volle Haus, die turbulenten Tanzabende, die Thekensteher und politisch Engagierten: Sie sind weg. Ich frage mich, wo jetzt getrunken wird, wo Skat geklopppt wird, was aus den Kegelvereinen geworden ist. Ist die Geselligkeit einem "trauten Heim, Glück allein" gewichen? Und kann Social Media das tatsächlich ersetzen?

Nicht nur an dieser Stelle manifestiert sich, dass selbst in wenigen Jahrzehnten aus blühenden Landschaften eine verkümmernde Steppe werden kann. Lokale Gastronomie stirbt aus, aber sie nimmt auch gleich die restliche Nahversorgung, die Treffpunkte und die Kontaktmöglichkeiten mit in den Tod. Hier und da noch ein Sportverein, in dem die älteren Semester ihre Yoga- und Gymnastikkurse besuchen. Für die Bepflanzung des Dorfbrunnens fühlt sich niemand mehr zuständig, die Straßenreinigung musste die Gemeinde gegen Gebührenerhebung in die Hand nehmen.

Vieles, was früher von Gemeinschaften getragen wurde, was gemeinsam nicht nur geleistet, sondern auch entschieden wurde, ist nun als Dienstleistung übergeben, für den vermeintlichen Komfort scheint Geld da zu sein. So verschiebt sich das nachgefragte Produktportfolio von der Bereitstellung von Gemeinschaftserlebnissen zu der Bereitstellung von Bequemlichkeit. Wer will schon in nächtelangen Diskussionen die Verwendung der spärlichen Einnahmen und Spenden festlegen, wenn er sich für ein paar Euro aus der Verantwortung kaufen kann.

Die Kunden sind nicht ausgestorben, es wird sogar mehr Geld für Konsum ausgegeben als je zuvor. Aber das Geld fließt in andere Kanäle, die Konsumenten verlangen nach anderen Produkten. Es geht uns gut, da steht nicht mehr der monatliche Tanzabend im Mittelpunkt, sondern die Frage nach dem Clubabend on demand: Ich habe jetzt Lust darauf, dann fahre ich eben mal schnell hin. Ich reise zum Besonderen, weder muss ich warten, noch gehe ich davon aus, dass das Besondere zu mir kommt.

Überhaupt wird mit dem Warten völlig anders umgegangen. Statt auf den monatlichen Einkaufsbummel in der Stadt hinzufiebern oder auch nur Einkäufe und Bedarfe zu einem Trip zu sammeln, wird das Internet bemüht, sofort bestellt, im Nu geliefert. Und an anderen Stellen kann man das Warten durch die Aufnahme von Krediten verkürzen. Niemand spart mehr auf ein neues Auto, wenn er es über eine Finanzierung direkt fahren kann. Der kleine Aufpreis ist die Umgehung der Wartezeit allemal wert.

"Geiz ist geil" war mal ein Slogan, der mächtig Furore gemacht hat. Das ist eher einem "Komfort ist geil" gewichen, oder vielleicht sogar einem "Ich bin geil". Beim Feiern seiner Einzigartigkeit, der kaum noch zählbaren Selfies und dem egozentrischen Außenauftritt ist kein Platz für Nachbarschaft, keine Zeit für Geselligkeit, kein Impetus zu sozialem Engagement. Diesen Kunden verkauft man am besten das Gefühl, den maximalen Komfort erhalten zu haben. Das steht ihnen nämlich zu.

Hier endet die Nostalgie. Es hat keinen Sinn, den alten Zeiten hinterherzutrauern, auch wird es keinen Erfolg haben, diese in irgendeiner Form wiederbeleben zu wollen. Die klassischen Kegelvereine sind tot, der traditionelle Tanzabend ein Auslaufmodell. Wer hier investiert, ist reaktionär unterwegs und darf sich nicht über Fehlschläge und Misserfolge wundern. Wie in allen anderen Sparten ist das Leben auch hier Veränderung, man muss mit der Zeit gehen, die Menschen im Sine von Kunden da abholen, wo sie sind.

Gerade haben wir uns noch Gedanken über die geänderten Bedürfnisse gemacht, auch einen Blick auf die Ströme geworfen. Was machen denn die Personen, die früher voller Begeisterung ihre Schnitzel mit Pommes an der Kegelbahn konsumiert haben? Und wird das Tanzbein noch geschwungen, nur an anderer Stelle? Oder müssen wir genauer hinschauen und die zugrundeliegenden Bedarfe verstehen, also zum Beispiel den Wunsch nach körperlichem Kontakt und unverbindlichem Kennenlernen?

Zugegeben wird es hier schwierig, denn man kann nicht einfach 1:1 umziehen. Möglicherweise teilen sich nämlich die bis dahin zu einer Gemeinschaft gehörenden Menschengruppen auf. Ein Teil hottet vielleicht am Wochenende im Club, während ein anderer zum Zumba-Kurs im Fitnessstudio wechselt. Wer sich analytisch mit dem Thema beschäftigen muss oder möchte, kann also wie bei Völkerwanderungen Grafiken erstellen und versuchen, in Kombination mit Zahlen und Befragungen die Entwicklungen mitzuverfolgen und bis zu einem gewissen Grad vorherzusehen.

Nur die alte Kneipe, die sollte man nicht mehr in Betrieb zu nehmen versuchen.

Montag, 31. März 2025

Und läuft und läuft und läuft

Und läuft und läuft und läuft

In den 1960er Jahren galten Laufleistungen von 100.000 Kilometern für ein Auto bereits als beachtlich. Der VW Käfer mit seiner robusten Technik erreichte in dieser Zeit in manchen Fällen 200.000, vereinzelt sogar 300.000 Kilometer, was damals als sensationell galt. Eine Leistung, die zu der Werbekampagne "Und läuft und läuft und läuft" führte.

Rund 60 Jahre später ist diese Leistung zwar immer noch beachtlich, aber bei weitem keine Sensation mehr. Die meisten aktuellen Autos sind ähnlich lange auf der Straße wie damals die Ausnahmefahrzeuge. Die Messlatte hängt höher, und das nicht nur bei Premiummarken, sondern flächendeckend auch bei billigen Fahrzeugen. Begleitend ist meist aufwändigere Technik im Einsatz und die Erwartung der technischen Überwachung hoch.

Diese Entwicklung beobachtet man in allen möglichen Zusammenhängen, also der Technik, der Arbeitswelt und auch bei Menschen. Vieles wird bei steigender Leistung preiswerter, der Arbeitstakt nimmt zu und die Lebenserwartung steigt. Alles läuft, selbst das, was vor ein paar Jahren noch in ruhigem Schritt gegangen ist.

Längst ist der VW Käfer abgelöst von Vierrädern, die nicht verschrottet werden, weil sie verschlissen sind, sondern weil sie nicht mehr gefallen. Und die Frage nach der Laufleistung wird heute wohl in keinem Autohaus mehr gestellt. Auch wenn an manchen Fronten das Schlagwort "Nachhaltigkeit" eine große Rolle spielt, ist die Haltbarkeit gar nicht so relevant. Was unmodern ist, wird entsorgt; Um die kurzen Zyklen zu vertuschen, wird nach Recycling verlangt und damit auch die Verantwortung für Nachhaltigkeit im Sinne einer langlebigen Nutzung abgewälzt.

Und wir Menschen? Auch hier ist die Lebenserwartung gestiegen, die Erwartung erhöht. Wer in der Partnerschaft nicht mehr gefällt wird ersetzt. Tugenden wie Treue und Verlässlichkeit sind deutlich in den Hintergrund getreten, da eine Trennung als eine Art der Modernisierung empfunden wird. Ein neuer Partner bringt frischen Schwung, den man sonst mühsam selbst erarbeiten müsste.

Nur Nostalgiker oder Oldtimer-Liebhaber kaufen heute noch einen originalen VW Käfer. Und vielleicht gibt es auch bei den Partnerschaften nur noch Idealisten, die den Passus mit der Ende-Bedingung ("bis der Tod uns scheidet") ernst nehmen.

Montag, 24. März 2025

Stichwort: Frust

Da feile ich an meinen Formulierungen, lasse mir wissenswerte Dinge durch den Kopf gehen und verknüpfe sie mit Anekdoten, persönlichen Erlebnissen und Informationen aus der Wissenschaft. Und erreiche damit eine treue Leserschaft, die ich sehr zu schätzen weiß. Ihr zu Liebe suche ich unermüdlich nach Neuigkeiten, schürfe ich im Alltag nach sprachlichem Gold und male in allerlei Farben die schönsten Sprachbilder.

All das ist wunder-voll, lesens- und liebens-wert. Wie merk-würdig fühlt es sich da an, wenn ich aus einer mehr oder weniger spontanen Laune heraus eine Bewertung über ein am Wochenende besuchtes Hotel verfasse und im Internet veröffentliche. Nichts Böses ahnend - ist das Feedback doch sehr wohlwollend - denke ich nicht weiter darüber nach, will fast sagen, habe diese spezielle  Veröffentlichung eigentlich vergessen.

Stichwort: Frust
Und dann bekomme ich Post von Google, in der ich gelobt werde, weil mein Beitrag schon mehr als 5.000 Leser erreicht hat. Von mir, dem einfachen Physiker und Poet wollen so viele Leute wissen, was ich vom Service, dem Frühstücksbuffet und dem Saunabereich halte. Mit wohlrecherchierten Aussagen und Schlussfolgerungen zu neurologischen und psychologischen Fragen erreiche ich im Durchschnitt nur ein Zehntel an Klicks.

Nicht mit nackten Körpern kann man seine Leser und Zuschauer begeistern, denn an der Front sind die Konsumenten ziemlich übersättigt. Auch Anregungen zum Nachdenken stehen nicht allzu hoch im Kurs, ist doch die weiterführende Beschäftigung mit einem Thema möglicherweise anstrengend oder löst einen unangenehmen Perspektivenwechsel mit Tendenz zum Umdenken aus. Etwas zu verkaufen, was nichts kostet, der Angst zu begegnen, selbst das Produkt zu sein und ohne Garantie eines unmittelbaren Nutzens ist ein hartes Geschäft.

Ich stehe im Wettbewerb um Leser, Abonnenten und Neugierige im Internet-Strom nahezu unermesslich vieler Texte, beim Kampf um die wenigen Sekunden Aufmerksamkeit, die der normale Konsument einem Beitrag zu spendieren bereit ist. Informationshungrige und gleichzeitig informationsüberflutete Lebewesen sind Sklaven ihres Limbischen Systems, das in Sekundenbruchteilen über Leben (Lesen) und Tod (Wegklicken) entscheidet.

Hallo, liebe Amygdala, ich bin dein Freund, lass mich an allen Türstehern vorbei in das Zentrum des Denk-Apparates vordringen und erlaube mir, in ihm ein paar spannende Denkprozesse auszulösen.

Montag, 17. März 2025

Moderne Postkutschen

Vor gar nicht so langer Zeit waren die Menschen auf ihren eigenen Körper angewiesen, wenn sie von einem Ort zu einem anderen wollten. Die zwei Beine trugen problemlos bis zum Nachbarort, zu seltenen Gelegenheiten dann auch mal zur Kirchweih in die nächste Stadt. Aber die Reichweite war sehr begrenzt und wer Probleme mit Füßen oder Beinen hatte, der musste zu Hause bleiben.

Ein Pferd oder ähnliche Möglichkeiten, diese Reichweite zu vergrößern war einigen wenigen vorbehalten. Entsprechend war die Erfindung der Kutsche ein sensationeller Schritt in Richtung Mobilität. Zwar waren auch diese Transportmittel für normale Menschen kaum bezahlbar, aber sie boten einen Quantensprung in Sachen Entfernung.

So weit, wie ein Pferdegespann an einem Tag ziehen konnte, war man jetzt mobil. Ab Einbruch der Dunkelheit musste man einen Gasthof ansteuern und dort bis zum nächsten Tag pausieren. Nicht nur die Fahrgäste, auch der Kutscher und erst recht die Pferde brauchten eine Unterbrechung der Fahrt. Gestärkt konnte es im Morgengrauen weitergehen.

Der nächste Schritt war die Einführung von Relaisstationen. Hier wartete ein ausgeruhtes Paar Pferde, vielleicht ein ausgeschlafener Kutscher, bei Bedarf auch eine intakte Kutsche. Die Reisenden mussten nur kurz auf das Umspannen warten, eventuell mussten sie umsteigen. Aber ohne ernst zu nehmende Unterbrechung ging es weiter.

Und dann gab es einen großen Schritt in der Entwicklung. Man baute Automobile, Fahrzeuge, die mit einem Kraftstoff betankt wurden. Keine erzwungene Übernachtung, kein Umsteigen, lediglich seltenes Nachfüllen von Benzin waren erforderlich. Die Reichweite nahm für damalige Verhältnisse beeindruckende Größenordnungen an. Einziges Limit war die Verfügbarkeit von Tankstellen, die Haltbarkeit des Fahrzeugs und das Durchhaltevermögen des Fahrers.

Über Jahrzehnte hinweg blieb die Weiterentwicklung an dieser Stelle stehen. Zwar wurden die Autos robuster, die Bedienung einfacher und die Dichte des Tankstellennetzes nahm zu. Aber grundsätzlich gab es keinen spektakulären Fortschritt. Doch dann kam das Elektroauto. War es anfangs ein Exot wie die damaligen Postkutschen, schuf es sich schnell einen eigenen Raum und Benutzerkreis. Stromtankstellen waren Mangelware, die Reichweite gegenüber den gewohnten Werten erschreckend gering und die Ladezeiten beachtlich.

Doch das schreckte die tapferen Pioniere nicht. Mehr Geld auszugeben für ein Produkt, das deutlichen Komfortverlust, massiv ausgedehnte Vorplanung von Reisen und eine Erhöhung der Unsicherheit bei der Reisedurchführung mit sich brachte, war kein Thema. Wie zu Zeiten der Kutschen waren nun wieder Relaisstationen (E-Ladesäulen), erzwungene Pausen oder gar Übernachtungen und schlimmstenfalls das Liegenbleiben mit leerer Batterie (erschöpften Pferden) wieder in den Alltag gerückt.

Ohne die positiven Aspekte in Frage stellen zu wollen und unter Berücksichtigung der durchaus sinnvollen Anwendungsfälle haben wir es zumindest im Sinne einer allgemeingültigen Lösung eher mit einem Rückschritt als mit einem Fortschritt zu tun. Oder wie es im Kabarett einmal hieß: "Es geht vorwärts, aber nur im Kreise".

Sonntag, 9. März 2025

Mein Sicherungskasten

In meinem Elternhaus gab es im Sicherungskasten nur drei Sicherungen, für jede Etage eine. Machte der Toaster Schwierigkeiten, ging auch das Haustürlicht nicht mehr. Ein Kurzschluss im Badezimmer sorgte für Dunkelheit in Flur und Treppenhaus. Ein wenig differenzierte Absicherung war höchstens für Sonderfälle wie den Elektroherd vorgesehen.

In neuen Häusern ist das völlig anders. Fast jede Steckdose und jede Lampe hat ihren eigenen Automaten. Brennt eine Glühbirne durch und löst die Sicherung aus, dann ist der Rest des Zimmers immer noch beleuchtet, der Fernseher läuft noch und die Steckdosen sind auch noch verwendbar. Kleinteilig wird fast jeder Verbraucher einzeln abgesichert. Abgesehen von mehr Sicherungen und Verteilerkästen erkauft man diese Differenzierung auch mit mehr Verkabelung.

Wie sieht es denn eigentlich im "eigenen" Sicherungskasten aus? Wie leicht brennt bei mir eine Sicherung durch und was fällt dann alles aus? Jeder Mensch hat eine Art Unterverteilung für wichtige Körperfunktionen, die sozusagen getrennt abgesichert sind. Wem eine Handlung missfällt, der atmet im Normalfall unverändert weiter (wenn auch vielleicht schneller oder intensiver). Aber ob der Ärger im Büro auch auf meine Freizeit durchschlägt und mir den ganzen Tag versaut, das ist nicht nur individuell unterschiedlich, sondern auch bis zu einem gewissen Grad steuerbar.

Und noch eine Parallele zum elektrischen Sicherungskasten. Gibt es nur wenige Hauptleitungen und sind diese bereits am Limit der Leistungsgrenze, dann bedarf es gar keines Kurzschlusses, um die Sicherung "herausfliegen" zu lassen. Wer bereits unter Spannung steht, der rastet viel leichter aus, als eine Person, die selbst unter einer gewissen Last noch im emotionalen Leerlauf unterwegs ist.

Es erfordert bewussten Umgang mit seiner Denkwelt, um eine Trennung einzelner Felder hinzubekommen, eine Unterverteilung für Beruf und Privatleben zu etablieren und darin wiederum einzelne Domänen gegeneinander abzugrenzen. Wenn der Chef mich ärgert, sollte ich das nicht unbedingt bei der anrufenden Kundin auslassen.

Zum Abschluss noch: Während eine elektrische Sicherung sich im Normalfall nicht von alleine wieder einschaltet, gibt es in unserem Gehirn Mechanismen, die nach mehr oder weniger kurzer Zeit für einen Reset führen. Wir haben uns beruhigt, können wieder klar denken. Doch in beiden Fällen ist es möglich, einzugreifen und den Normalzustand (nach Behebung des Auslösers!) wieder einkehren zu lassen.

Mittwoch, 5. März 2025

Asche zu Asche

Unser Leben ist eingebettet in wiederkehrende Prozesse. Wir steigen im Tagesrhythmus mit Aufgang der Sonne aus dem Bett, durchleben die Arbeitswoche mit ihren An- und Entspannungen und natürlich müssen wir uns mehr oder weniger deutlich an die Jahreszeiten anpassen.

Jetzt ist also Fastenzeit, eine Phase, in der die Menschen körperlich und geistig in einen Ausnahmezustand kommen oder kommen wollen. Von innerer Einkehr ist die Rede, aber auch Verzicht scheint eine wichtige Rolle zu spielen.

Je nach Glaubensrichtung sind rund 40 Tage dieses Ausstiegs aus dem Alltag vorgesehen, danach der gefeierte Abschluss und dann geht es weiter wie vor der Fastenzeit. Eine Art Diätprogramm mit definiertem Ende, wovon wir ja den Jojo-Effekt kennen. Nimmt ab Ostern dann wieder die Un-Achtsamkeit, vielleicht die Rücksichts-Losigkeit zu? Trinken wir dann doppelt so viel Alkohol, um den Verzicht der vergangenen Wochen zu kompensieren?

Sicher ist ein bewusster Verzicht, vielleicht auch mit einer gewissen Signalwirkung nach außen getragen, ein respektabler Antritt. Und gewiss ist es dem Körper auch egal, warum er mal einige Wochen nicht mit Alkohol oder Nikotin belastet wird, Hauptsache, das Gift bleibt draußen.

Aber wie viel wichtiger ist es, diese Umstellung dauerhaft zu betreiben, nicht nur ein paar Tage und unter Betonung der inneren Stärke und Konsequenz. Leider kommt uns an dieser Stelle ein Phänomen in die Quere, das nur durch eine von höherer Instanz aufgerufene Fastenzeit ausgehebelt werden kann: Ehrungen und Orden gibt es nur für Taten, nicht für Nicht-Taten.

Wer offiziell gelobt werden möchte, der tut dies im Idealfall genau jetzt. Asche gehört nun mal zu Asche, wenn alle irgendwas Gutes tun, dann ergibt sich ein Kollektiveffekt, den man für sich nutzen kann.

Wer dauerhaft etwas an sich tun möchte, der sollte die Fastenzeit eher dafür nutzen zu überlegen, wie er sie – gegebenenfalls in modifizierter Form – in den Alltag integriert. Das sollte dann den von Diäten bekannten Jojo-Effekt vermeiden.

Sonntag, 23. Februar 2025

Schau mich mal an!

Immer wenn ich durch den Hauptbahnhof eile, fällt mir auf, wie viele Fahrgäste nach oben, unten, seitlich gucken. Nur nicht nach vorne. Sicher, wenn ich im Voraneilen die Bahnsteiginformationen lesen muss, nach dem Seitenausgang Ausschau halte oder ins Gespräch mit einem Anderen vertieft bin: Dann ist das schon nachvollziehbar. Aber in vielen Fällen steckt eine andere Intuition dahinter.

Schau mich mal an
Rumms, läuft ein Passant gegen mich, der bis gerade auf den Boden geschaut hat. Wütend sieht er mich an "Können Sie nicht ausweichen?" faucht er. Naja, zu so einer Kollision gehören zwei Parteien, warum hätte ich ausweichen müssen? Ganz einfach: Weil er mich ja nicht gesehen hat, konnte er ja nicht, denn schließlich war sein Blick auf den Boden gerichtet. Da ich nun wiederum den Bereich vor mir registriert habe, wäre es logischerweise an mir gewesen beiseite zu treten.

Was auf den ersten Blick zwingend konsequent erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als trügerisch. Wenn mein Gegenüber vorsätzlich nach unten gesehen hat, um seinen geradlinigen Weg zu erzwingen, dann sieht die Sache anders aus. Man kann ihm ja nicht vorwerfen, dass er mich absichtlich gerempelt hat, wohl aber, dass er absichtlich weggeschaut und damit mich zum Ausweichen gezwungen hat.

Auch mit Träumern kann man leicht zusammenstoßen. Früher hätte man sie als Hans-Guck-in-die-Luft bezeichnet, heute sind diese Menschen in die Betrachtung ihres Handys vertieft. Mehr oder weniger wichtige Inhalte wollen angeschaut oder mitverfolgt werden. Das scheint auch keinen Aufschub zu dulden oder auf die Fortbewegung in weniger belebten Umgebungen warten zu können.

Unabhängig vom Auslöser und der Intention bin aber am Ende ich der Gelackmeierte. Da meine Sinne wach sind, ich keine hochpriore Kommunikation führen muss und auch nicht in eine andere Richtung schaue, darf man von mir erwarten, dass ich den Weg freimache. Immer wieder, auch beim Passanten dahinter und überhaupt gegenüber dem gesamten Menschenstrom, der sich mir entgegenwälzt.

Bin ich erst mal ausgewichen, werde ich zunehmend zur Flipperkugel zwischen den hin- und herlaufenden Personen. Fast möchte ich den Gesichtsausdruck des Gegenverkehrs so interpretieren, dass ich begründen muss, warum das bisherige Ausweichen nun auf einmal nicht mehr stattfindet. Meinem Vordermann bist du ausgewichen, warum springst du mir nicht auch aus dem Weg?

Die Schwarmintelligenz führt dazu, dass sich ein geeigneter Lösungsansatz herumspricht, Schule macht und mit der Zeit zu einem Kulturgut entwickelt. Egal, ob ich es eilig habe oder nicht, einfach zu Boden schauen und voranstürmen. In Abwandlung des Spieles in meiner Jugendzeit („Wer bremst verliert“) kann man hier sagen: Wer aufschaut, muss mit Gegenverkehr und Kollision rechnen.

Montag, 17. Februar 2025

Stichwort: Stolz

Stichwort: Stolz
Ich bin schon stolz, ein Deutscher zu sein. Ich wurde hier geboren, meine Eltern leben in einer Gegend, die man von Grenzen umgeben als "Deutschland" bezeichnet, und ich habe mein bisheriges Leben im Wesentlichen auch hier verbracht. Das ist sicher eine tolle Leistung. Wie auch mein Aussehen, auf das ich auch sehr stolz bin, denn von Geburt an bin ich gerade gewachsen, habe ein freundliches Gesicht, einen wohlgeformten Körper und weitgehend glatte Haut. Gewiss auch dies eine Leistung, die anerkennenswert ist.

Ironie? Ja, natürlich! Was sich durch Zufall ergeben hat oder mir durch irgendwelche Mechanismen wie Erbgut in die Wiege gelegt worden ist, das ist ja weder von mir beeinflusst worden noch habe ich irgendwas dazu beigetragen. Ich habe es einfach so empfangen, habe vielleicht "Glück gehabt". Dieses Glück kann ich durchaus genießen, mich an den Tatsachen wie Geburtsland oder Körperbau erfreuen. Aber mit welcher Begründung dürfte ich darauf stolz sein?

Ein Blick auf Kinder. Wenn sie auf die Welt kommen, können sie nicht viel mehr als atmen, strampeln und verdauen. Aber über mehr oder weniger komplexe Mechanismen eignen sie sich im Laufe der Entwicklung allerlei Fähigkeiten an. Sie lernen zu kommunizieren, können sich nach einiger Zeit auf zwei Beinen fortbewegen und später dann in Gemeinschaften einbringen. Das sind Fertigkeiten, die sie sich zum Teil recht mühsam und in einem aufwändigen Feedback-Prozess selbst erarbeitet haben. Worauf sie stolz sind: "Schau mal, Papa, ich kann schon ..."

Ein Kind ist zunächst auch gar nicht stolz auf sein Vaterland, sein Aussehen oder irgendwelche anderen zufälligen Fakten. Was zählt, ist die eigene Leistung, das selbst Erreichte und das daraus resultierende Feedback. Und genau das müssen wir uns auch als Erwachsene erhalten. Wer sich nur umschaut und erwartet, dass andere Individuen oder eine Gesellschaft etwas voranbringt, der hat kein Recht, auf diese Fremdleistung stolz zu sein. Wenn Politiker im Wahlkampf also ein Land versprechen, auf das man "wieder stolz sein kann", dann wird den Wählern die Verantwortung für das Erreichen dieses Zieles abgenommen. Vielmehr wird eine unrealistische Konsumentenhaltung propagiert, in der viele Bürger sich wohl fühlen und am Ende das Versprochene einklagen.

Bringt unser Land (in seinen in gewissem Sinne zufällig und historisch gewachsenen Grenzen) nicht die Performance, auf die wir stolz sein können, dann liegt es nicht an einem Mangel bei der arbeitenden Bevölkerung, sondern an den Politikern. So zumindest die Sicht der Wähler, die dem Slogan gefolgt sind. Und natürlich wollen sie ihren Stolz nicht mit denen teilen, die zufälligerweise in einem anderen Land zur Welt gekommen sind. Wenn ich mir ein tolles Auto gekauft habe, will ich ja auch nicht, dass mein Nachbar stolz darauf ist.

Um ein wirtschaftlich erfolgreiches Land zu haben, müssen wir auf die Lieferanten schauen. Und das sind nicht die Politiker, sondern die Bürger, nämlich jeder einzelne von ihnen. Der Slogan müsste also eher heißen: "Schafft ein Land, auf das wir stolz sein können - wir helfen euch dabei."

Montag, 10. Februar 2025

Sprich mit mir!

Sprich mit mir
Bildlich gesprochen ist nach den Erkenntnissen der Gehirnforschung auch unser Gehirn so eine Art Partner. Mit dem man sich gut verstehen oder auch mal zoffen kann. Jedenfalls verdient es aber Beachtung, Wertschätzung und tatsächlich auch so etwas wie aktives Feedback. Man kann sich ganz gut vorstellen, wie ein (menschlicher) Partner sich fühlt, wenn wir ihn mit unserem Anspruch ständig überfordern, mehr oder weniger ignorieren und erst recht nicht loben.

Ganz falsch ist das und gilt auch für unseren Denkapparat. Immer ein wenig fordern, über Dinge nachzudenken, macht ihm im Prinzip Spaß. Das ist aber gleichzeitig auch eine Leistung, die nach und nach degenerieren kann. Wer wenig Engagement in Reflektion und tiefere Denkprozesse legt, der braucht sich nicht zu wundern, dass diese Fähigkeit im Laufe der Zeit zurückgebaut wird. Wie bei einem untrainierten Sportler fällt es dann immer schwerer, etwas komplexere Überlegungen anzustellen. Und um im Bild zu bleiben sitzt man dann lieber auf dem Sofa, als ins Fitnessstudio zu gehen und seinen Körper wieder zu trainieren – aufwändigeres Denken wird immer mühsamer.

Aber nicht nur das Training ist ein wichtiger Aspekt, auch das Feedback darf nicht zu kurz kommen. Sich über einen gut gelungenen Gedanken, eine erfolgreiche Schlussfolgerung, zu freuen oder auch über ein Detail, an das man sich noch erinnert: Alles das sind Momente, in denen wir (heimlich) unserem Gehirn eine positive Rückmeldung geben sollten.

Wie wichtig dieses Feedback ist, können gerade Sporttrainer immer wieder berichten. Bevor man die Übung wechselt, sollte man sie grundsätzlich richtig gemacht haben. Zum Beispiel eine Tanzfolge korrekt nachtanzen. Wenn man mit zu vielen (bewussten) Fehlern aufhört, weiß das Gehirn nämlich nicht, was es sich merken soll. Am Ende bleibt von der ganzen Tanzfolge nur ein „irgendwas war nicht richtig“ hängen.

Nur Mut: Man muss nicht laut vor sich hinsprechend wie ein Telefonierer mit unsichtbarem Headset durch die Gegend laufen. Aber innerlich mal ein Lob auszusprechen tut nicht zuletzt dem Hormonhaushalt im Kopf sehr gut. Einfach mal zum Gehirn sagen: „Schatz, wir müssen mal darüber reden.“

Montag, 3. Februar 2025

Türsteher (vor dem Gehirn)

Türsteher (vor dem Gehirn)
Breitschultrig steht er am Eingang vom Club, jede Person aus der Warteschlange wird sorgfältig angeschaut. Attraktive Frauen winkt er ohne weitere Diskussion durch, bei den Männern ist er wesentlich pingeliger. Passt der Typ in die Disko, sieht er nach Krawall aus, stimmt über den Abend gemittelt die Mischung.

Dieser Türsteher hat seine eigene Vorstellung von den erwünschten Gästen, aber die hat er natürlich im Wesentlichen vom Inhaber erklärt bekommen. Soll das Publikum jung oder alt sein, schick oder lässig, aus der gemäßigten Ecke oder eher voller Energie. Reine Vorgabe des Chefs, die hier an der Eingangstür operationalisiert wird.

So etwa kann man sich aber auch das Gehirn vorstellen. Da stehen Lerninhalte Schlange, wollen in die Denk- oder Lernwelt aufgenommen werden. Und treffen direkt am Eingang auf einen Teil unseres Gehirns, das die merk-würdigen Dinge vorfiltert. Mit was müssen wir uns beschäftigen, was interessiert uns, was ist eine willkommene Ergänzung. Oder was ist unerwünscht, soll gar nicht gespeichert werden und darf entsprechend ignoriert werden.

„Dazu habe ich keine Lust“ ist ein Satz, den unser Gehirn-Türsteher sagt. Er verwickelt die Lehrenden in Diskussionen nach der Sinnhaftigkeit oder der Motivation für die Aneignung einer Fertigkeit. Manche Themen sind begehrt und werden sofort akzeptiert, andere zurückhaltend oder ablehnend behandelt.

Schnell wird der Ruf nach einer Begründung laut, man will verstehen, warum man etwas erlernen oder verinnerlichen soll. Um im Bild mit der Disko zu bleiben überreden wir unsere Mitmenschen, dass sie unserem Türsteher erläutern, warum er sie hereinlassen soll. Dabei ist es unser eigener Türsteher, und es ist unsere ureigene Aufgabe, ihn zu instruieren. Das sollte man sich nicht aus der Hand nehmen lassen.

Montag, 27. Januar 2025

Die Macht der Gewöhnung

Es liegt in der der menschlichen Natur, dass man sich an alles gewöhnt. An Gutes, an Schlechtes, sowohl körperlich als auch seelisch. Was wir heute noch als Luxus wahrnehmen, vielleicht sogar explizit zu erreichen versuchen, ist morgen schon unser persönlicher Standard. Die Freude über eine Gehaltserhöhung nimmt nach kurzer Zeit ab, aber auch mit Einschnitten können wir irgendwann umgehen, weil wir uns mit den neuen Umständen arrangiert haben.

Daneben haben wir noch einen anderen Mechanismus, der kaum steuerbar unser Seelenleben beeinflusst. Die Empfindsamkeit wird stets der aktuellen Situation angepasst. Wer Angst um Leib und Leben hat, der hat keine schlaflosen Nächte wegen einer schiefgelaufenen Präsentation. Und wer von außen betrachtet ein sorgenfreies Leben führen könnte, der regt sich über den misslungenen Heckenschnitt des Nachbarn auf. Oder wie Otto Waalkes es formuliert hat: "Ein Freund von mir dachte, der ärmste Mensch der Welt zu sein, weil ihm sein Rasierpinsel ins Klo gefallen ist."

Macht der Gewöhnung

Wo wir hinschauen, alle haben Sorgen, Ängste und Nöte. Und das auf sehr unterschiedlichem Niveau, wenn man versucht, es bestmöglich objektiv zu bewerten. Doch für den Einzelnen ist die jeweils vorgetragene Not real und sehr präsent. Über irgendwas lässt sich immer mit gekrumpelter Stirn grübeln, irgendwas macht Angst und stellt sich in unserer Psyche ganz vorne auf die Bühne.

Nun hilft es nichts, sich das nur klarzumachen, sich einzureden, dass es anderen noch schlechter geht und so weiter. Nein, so leicht lässt sich dieser Depressionen fördernde Gedanke nicht vertreiben. Man muss es sich eher wie eine Bühne vorstellen, auf der ein Darsteller steht oder auch nicht. Im Prunkgewandt oder in Bettlerklamotten. Der das Rampenlicht nutzt, sich in Szene zu setzen, aller Aufmerksamkeit gewiss. Was würde man als Regisseur machen, wenn es einem zu trüb wäre? Nur von der Bühne werfen geht nicht, das Publikum möchte ja etwas sehen. Kleidung austauschen ist ein möglicher Schritt, aber am Ende brauchen wir einen anderen Schauspieler, ein anderes Bühnenbild, ein anderes Drehbuch.

Ein Drehbuch nämlich, in dem der missratene Schnitt der Hecke durch die Herausforderung einer Neuanpflanzung relativiert wird. Mehr schaffen also, denn auch Bequemlichkeiten in der Arbeitswelt unterliegen einem Gewöhnungseffekt. War früher ein Tag Homeoffice ein mühsam auszuhandelndes Zugeständnis des Arbeitgebers, ist heute schon die Erwartung einer Zwei-Tage-Präsenz eine Aufforderung zum Arbeitskampf. Was wir einmal haben, wollen wir nicht mehr hergeben, weil wir uns daran gewöhnt haben.

Es ist schlichtweg unmöglich, jegliche Gewöhnung zu vermeiden. Und das wäre ja noch nicht einmal wünschenswert, denn wir sollten uns mit den unvermeidlichen Missständen nur im notwendigen Umfang beschäftigen. Auch Dinge, die unseren All-Tag ausmachen, dürfen im Rauschen der Gewöhnung untergehen. Wie man den Schalthebel eines Autos bedient, darf ja nun wirklich bis ins Unterbewusstsein abtauchen.

Aber der Rest, also die Lebenslage, unsere mehr oder weniger gesamtheitliche Zufriedenheit mit Körper, Gesundheit, Lebensumständen und Freude: Dieser Rest verdient Beachtung. Und wer merkt, dass ihm der Rasierpinsel nicht nur ins Klo gefallen ist, sondern daraus eine Tragödie zu entstehen beginnt, der ist gut beraten, sich Herausforderungen zu stellen, die ihn in Anspruch nehmen, seinen Geist oder Körper fordern und aus dem Schaffen von Neuem eine innere Zufriedenheit entstehen lassen.

Sonntag, 19. Januar 2025

In Lohn und Brot

Manchmal denken wir einfach zu simpel, erfassen nicht die Komplexität oder übersehen einfach nur Zusammenhänge. Oder die berühmte Kehrseite der Medaille. Beim Einstieg in die S-Bahn fiel mir auf, dass der Wagen ein wenig Farbe verloren hatte. Wo bislang ein strahlendes rot mit weißen Streifen zu sehen war, gab es jetzt ein mattes rot, durch dass die darunterliegende Lackschicht hindurchschimmerte. Bei genauerer Betrachtung war hier mächtig geschrubbt worden und dem war der ehemals stolze Decklack zum Opfer gefallen.

In Lohn und Brot

Wer macht denn sowas, fragte ich mich spontan und schon ergab sich die Antwort. Natürlich hatten Mitarbeiter der DB diesen Schaden verursacht, mit schwerem Gerät, aggressiven Chemikalien und scharfen Reinigungsapparaten für diesen traurigen Anblick gesorgt. Ganz offensichtlich war hier in einer konzertierten Aktion das ehemals einwandfreie Bild merklich ramponiert worden.

Doch halt! Das war natürlich nur ein Teil der Story. Bevor die Reinigungskräfte aktiv werden mussten war ein anderer Trupp schon am Werk gewesen. Über Nacht hatte die S-Bahn ihre Farbe von rot-weiß zu schwarz-bunt verändert. Einige Sprühflaschen mit hochdeckendem Inhalt waren von flinken Händen auf den Wagon entleert worden. Ob nun schöner, dekorativer oder einfach nur anders: Jedenfalls nicht mehr im Sinne der ursprünglichen Farbgebung.

So war der Reinigungstrupp zwar der Verursacher der Oberflächenbeschädigung, aber nicht der Auslöser. Und wurde dafür auch noch bezahlt. Und zwar von den Fahrgästen, die natürlich über eine hierfür notwendige Berücksichtigung in der Fahrpreisgestaltung auch die Reinigung und Wiederherstellung der Außenhülle mit bezahlen müssen.

Selbstverständlich freuen wir uns, dass wir wieder ein paar Personen in Pelerinen mit Hochdruckreinigern und dicken Handschuhen in Lohn und Brot gebracht haben. Und für diese etwas unfreiwillige Dienstleistung zur Kasse gebeten werden. Wobei ich mich im Sinne von "Lean" frage, ob es sich hierbei um eine Wertschöpfung (nachher ist der Wagen sauber), um eine verdeckte Leistung (es trägt nicht zum Transport der Fahrgäste bei, ist aber unvermeidlich) oder um Verschwendung (überflüssige Leistung) handelt.

Festzuhalten jedenfalls, dass die Farbsprüher nicht nur die S-Bahn-Wagen umgestalten, sondern auch indirekt in die Preispolitik eingreifen, welche dann am Ende ziemlich viele Menschen betrifft. Kleiner Auslöser, große Wirkung auch hier.

Sonntag, 12. Januar 2025

Was gut ist, kommt wieder (oder auch nicht)

Die Gesellschaft ist in Bewegung. In besonderem Maße erleben wir die Veränderung im Bereich der Kommunikation. In wenigen Jahren sind jahrzehnte- oder gar jahrhundertealte Wege geändert worden. Asynchrone Kommunikation mit Briefpost ist völlig aus der Mode gekommen, stattdessen sind wir von Messenger-Diensten umgeben. Texte, Sprachnachrichten, Bilder, Videos fliegen in Echtzeit um den Globus, werden gelesen, überlesen, geteilt.

Von (persönlichem) mündlichem Austausch sind wir zum fernmündlichen Gespräch übergegangen. Doch auch das Telefon hat sich vom stationären Gerät zu einem allgegenwärtigen Gegenstand gemausert. Wir sprechen bei allen Gelegenheiten, an allen Orten, zu jeder Zeit miteinander.

Begleitend erleben wir eine Verschiebung des Umgangs mit diesen Angeboten. Die ein oder zwei Briefe, die ich als Jugendlicher pro Woche empfangen habe, sind zu durchschnittlich zwölf Sendungen geworden, die täglich in meinem Briefkasten landen. Dazu begleitende E-Mails, Nachrichten und Anrufe. Die Erreichbarkeit hat sich zunächst erhöht – das Nachsenden von Briefen ist bei E-Mails nicht notwendig; Anrufe lassen sich umleiten oder auch „unterwegs“ empfangen. Aber mittlerweile geht die Erreichbarkeit in ein Herauspicken über und entwickelt sich sogar weiter zu einer Art Blockadehaltung.

Es ist kaum noch möglich, allen Input zu verarbeiten, man braucht nicht Urlaub von der Arbeit, sondern von der Informationsflut. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein Bekannter ist, einen Post auf WhatsApp unkommentiert lassen oder auf das Anschauen eines lustigen Videos verzichten. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man nichts verpasst, ja manchmal sich sogar besser fühlt – wie nach einer Fastenkur.

Doch oweh, was in der freien Zeit des Tages ein wenig Entspannung und Erholung bringt, lässt sich auch auf die Arbeitswelt anwenden. Einfach mal nicht ans Telefon gehen, auch wenn es ein wichtiger Kunde ist, eine E-Mail ignorieren oder darauf spekulieren, dass es ein anderer macht. Und dabei zu lernen, dass es nichts macht, dass man keine negativen Konsequenzen zu gewärtigen hat, einfach nur geruhsamer arbeiten kann – wie ein kleiner Urlaub.

Die allgegenwärtige Überlastung – mal real vorhanden, oft aber auch nur als willkommene Ausrede – in Verbindung mit dem Fachkräftemangel führt zu einem Rückgang der Bearbeitungsqualität auf ein historisches Tief. Kaum eine „Hotline“, bei der ich zeitnah einen kompetenten Ansprechpartner am Hörer habe, selten eine E-Mail, die ich ohne Erinnerung oder Nachfrage beantwortet bekomme.

Die Einstellung der Gegenseite, dass ich etwas will und insofern so eine Art Bittsteller bin. Was die Juristen im ersten Semester lernen (Ist das zulässig? Bin ich zuständig? Gibt es Fristen?), scheint mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen.

Doch was den einen entlastet macht dem anderen das Leben umso schwerer. Was ist eigentlich aus meinem Antrag geworden, habe ich die angeforderten Zahlen schon erhalten und wo bleibt eigentlich der avisierte Rückruf? Alles muss ich mir merken, weil ich mich nicht im Entferntesten darauf verlassen kann, das ein Ablauf ohne zu stocken durchläuft. Was bis vor einigen Jahren halbwegs zuverlässig funktioniert hat, ist heute nur noch in Ausnahmefällen stabil.

Früher hat man vielleicht gesagt „Was gut ist kommt wieder“ – heute kann man sagen: „Auch wenn es gut ist, muss ich ihm hinterherlaufen“.

Montag, 6. Januar 2025

Helene Fischer

 Das war sie also, die diesjährige Helene-Fischer-Show. Seit dem Jahr 2011 (mit Corona-Pause) kann man diese Frau mit einer aufwändigen Show im Fernsehen sehen. Die Anzahl der Zuschauer variiert, dieses Jahr wurden je nach befragter Quelle zwischen 2,41 und 3,61 Millionen Menschen vor den Bildschirmen gezählt.

Das waren schon mal mehr, zu goldenen Zeiten folgten 6,56 Millionen ihrer Show. Und dieser Rückgang der Zuschauerzahlen hat natürlich Konsequenzen. Heute noch ein Loblied auf die vielseitige Künstlerin, sind es jetzt Schmähbotschaften, garstige Kommentare und sogar Hassbotschaften, die von Kritikern und Fans losgelassen werden.

Der Begriff Quoten-Tief ist da noch harmlos, Formulierungen wie „sie ruiniert echt jeden Song“ trifft bei einer Sängerin schon mächtig ins Herz. Herumzumäkeln an der Organisation, die immerhin neben der Hauptakteurin noch 21 weitere Gäste vor die Kamera gelotst hat – das ist schon ein starkes Stück.

Helene Fischer (Dall-e)
Ob nun Helene Fischer, ein anderer Bühnenstar oder von mir aus ein prominenter Sportler: Sie alle müssen damit leben, dass sie scharfer, ja geradezu garstiger Kritik ausgesetzt sind. Ein kleiner Lokalredakteur, der an guten Tagen vielleicht ein paar Tausend Leser erreicht, kann sich hier mit spitzer Feder darüber auslassen, wie ein Mensch, der Millionen hinter sich versammelt, angeblich versagt hat.

Was treibt Menschen dazu, so hart und eigentlich überheblich über andere zu urteilen und dieses Urteil in die Welt zu posaunen? Ist es die Möglichkeit, aus der Deckung der Presse- oder Meinungsfreiheit heraus alle Hemmungen und die Beherrschung ausschalten zu dürfen? An dieser verqueren Stelle Macht zu haben, sich an der Verletzung des Kritisierten zu weiden und die Lacher auf seiner Seite zu wissen.

Wie eine Herde Raubtiere fallen ansonsten eher unauffällige Bürger über die waidwunden Promis her. Endlich mal Kritiker sein, die eigene Meinung im Rampenlicht der Gleichgesinnten feiern lassen und damit als weitgehend unbedeutendes Mitglied der Gesellschaft einer Person gegen das Bein treten zu können, die in der Welt der Reichen und Schönen lebt, auf die man insgeheim neidisch ist.

In jedem von uns steckt so ein neidisches kleines Wesen, das sich mehr oder weniger unbemerkt ein Urteil über alles anmaßt. Und genauso hat jeder von uns eine öffentlich Seite, die mehr oder weniger unbemerkt Kritik abbekommt, einfach weil wir auf einer kleinen Bühne (des Lebens) stehen.

[Bildquelle: Dall-e]