Montag, 30. Dezember 2024

Und dann kam Microsoft Teams

Sobald zwei Menschen oder mehr zusammen sind - erst recht bei größeren Ansammlungen - ist es schwierig, sie auf denselben Wissensstand zu bringen. Zunächst ist grundsätzlich unmöglich, sich in gleicher Tiefe auszutauschen, da wir Individuen sind und über unterschiedliche Erfahrungen, unterschiedliches Grundwissen und verschiedene Intelligenz verfügen. Aber selbst die gleichmäßige Verteilung von Informationen ist ein bislang ungelöstes Problemfeld. Wer muss was wissen, wer darf etwas wissen, wer darf etwas nicht wissen. "Need-to-know" nennen das die Datenschützer und meinen, sie hätten die Schwierigkeiten damit gelöst.

Aber so einfach ist das nicht. Die für die Arbeit notwendige Informationsmenge variiert nämlich erheblich. Ob ein Sachbearbeiter nur gemäß Vorgaben agiert oder bei seinen Fällen auch zusätzliche Details berücksichtigt, ist neben seinem Charakter auch eine Frage des Spielraumes. Niemand wird in Frage stellen, dass eine Unterversorgung an Daten die Qualität verschlechtert, auf der Basis mangelhafter Informationen ist keine valide Entscheidung zu treffen.

Aber auch das Gegenteil, also die Überversorgung verringert die Qualität. Das kann daran liegen, dass die Informationen nicht konsistent sind, sich also unterscheiden oder gar widersprechen. Es kann aber auch die schiere Quantität sein, aus der nach individuellen Relevanzkriterien der entscheidende Teil herauskristallisiert werden muss. Im Datalake zu fischen ist je nach Größe des Sees und Ausführung der Angel ein mühsames und aufwandsintensives Unterfangen.

Und dann kam Microsoft Teams


Und jetzt kommt Microsoft Teams. Ein Tool, in dem alle Informationen drin sind, alle Dateien, Zeichnungen, Termine, Telefonnummern und Chatnachrichten. Kein Datalake, aber ein Data-Planschbecken. Fröhlich springen die Fortschrittsbegeisterten hinein, hier und da spritzen Fontänen von Wissen hervor, man findet irgendeine Information und kann sich auf dieser Basis weiterhangeln. Ein Zusammenhang ist grundsätzlich herzustellen, eine Struktur scheint sich auf den ersten Blick ausbilden zu können.

Aber was wäre ein kleiner Datensee ohne Wellengang? Bei Ergänzung eines Stroms im Kanal wird der Beitrag vom ursprünglichen auf das aktuelle Datum verschoben, das visuelle Gedächtnis damit erfolgreich ausgehebelt. Und da zu jedem Gespräch ein neuer Chat aufgemacht wird, ist nicht nur die Anzahl der abgelegten Dateien zu überblicken, sondern auch in Erinnerung zu behalten, in welchem Zusammenhang wer was geschrieben haben könnte. 

Haben sich viele Büroarbeiter vor einiger Zeit noch über die Flut an E-Mails beschwert, erinnern sie sich jetzt wehmütig an die Zeiten, als dies der einzige und zudem recht gut strukturierbare Eingangskanal war. Etwa so, als ob man sich ehedem über die verlorene Schwimmnudel im Nichtschwimmerbecken ereifert hat, um nun festzustellen, dass man im Schwimmerbecken den Boden unter den Füßen verloren hat.

Montag, 23. Dezember 2024

Weihnachten 2024 in Zahlen

An den sieben größten Flughäfen in Deutschland werden für die Weihnachtstage 5.222.000 Fluggäste erwartet.
Die beliebtesten Ziele sind Kanaren, Türkei und Ägypten. Für diese Flugreisen geben die Deutschen über 5,2 Milliarden EUR aus und verbrauchen über 1 Milliarde Liter Kerosin.
Dazu kommen die Autofahrer: Mehr als die Hälfte (43 Millionen) Einwohner fahren zur Familie oder zu Freunden und legen dazu rund 17,6 Milliarden Kilometer zurück, wofür sie in Summe rund 1 Milliarde Liter Kraftstoff verbrauchen. 

Über 500.000 Menschen erleben das Weihnachtsfest in Unterkünften für Obdachlose, die Dunkelziffer der nicht registrierten Personen, die auf der Straße leben ist unbekannt. Etwas über 43.000 Personen verbringen die Weihnachtstage im Gefängnis.

In der Vorweihnachtszeit werden etwa 150 Millionen Schokoladen-Weihnachtsmänner verzehrt. Rund 30 % der Familien freuen sich auf Würstchen mit Kartoffelsalat, 11,8 % machen Fondue oder Raclette und weitere 5 % legen den Schwerpunkt auf vegetarische oder vegane Speisen. 
Am ersten oder zweiten Weihnachtstag landen etwa 12 Millionen Gänse gegart auf den Tischen.
Der Absatz von Wein und Sekt steigt in der Weihnachtszeit um etwa 30 %. 

Unter rund 25 Millionen Weihnachtsbäumen liegen Geschenke für 35 Milliarden Euro. Rund 20 bis 25 % des gesamten Jahresumsatzes im Einzelhandel entfällt auf das Weihnachtsgeschäft (November und Dezember). Insgesamt wurden in Deutschland während der Weihnachtszeit etwa 715 Millionen Sendungen transportiert.

Etwa 7 Millionen Kinder unter 12 Jahren freuen sich auf die Bescherung, überschattet von einer emotional aufgeladenen Zeit, in der etwa ein Viertel der Erwachsenen streiten, insbesondere über die Organisation der Weihnachtstage (34 %) und Beziehungsproblemen (25 %).

Im Durchschnitt arbeiten 19 % der Angestellten auch um Weihnachten herum, im Gastgewerbe bleibt rund ein Drittel im Dienst. Allerdings bleibt die Hälfte der Berufstätigen für Kollegen und Vorgesetzte erreichbar.

Montag, 16. Dezember 2024

Let there be smile

Vor einigen Wochen war ich in einer Veranstaltung, in der man besser nicht in der ersten Reihe sitzt. Unweigerlich wird man in die Show mit einbezogen, „der Herr hier vorne, wie heißen Sie, ach, Eckhard, ja kommen Sie doch mal auf die Bühne“. Und kann dann unter allgemeinem Applaus die Bespaßung des Publikums ergänzen. Mehr oder weniger peinlich.

Aber es war anders. Zwar hatte ich mit meiner Frau naiverweise tatsächlich einen Randplatz in der zweiten Reihe gebucht. Und tatsächlich wurden wir – im Nachhinein vielleicht wenig überraschend – auf die Bühne gebeten. Doch wurden wir dort einfühlsam und freundlich in Empfang genommen. Keine Peinlichkeit, eine charmante Teilnahme an der Performance.

So ging es den ganzen Abend weiter. Welche Zuschauer auch in die Show einbezogen wurden, alle bekamen ein authentisch wirkendes Kompliment zu hören, wurden mit fühlbarem Lächeln begrüßt, begleitet und verabschiedet. Selbst kleine Pannen und Ungeschicklichkeiten der Laiendarsteller führten zu positiven Äußerungen.

Über dem ganzen Umgang schien ein Lächeln zu liegen. Es war weniger die fröhliche Grundstimmung, mit der ich am Ende der Veranstaltung den Saal verließ. Es war auch nicht die schöne Erinnerung, die am nächsten Tag ein Thema am Frühstückstisch war. Es war der Eindruck, dass es dem Conférencier gelungen war, jeden aber auch jeden Satz mit einem positiven Grundton zu versehen.

Eine große Leistung, wie ich bei dem in den nächsten Tagen durchgeführten Selbstexperiment feststellen musste. Nein, es fiel mir gar nicht leicht, jedem Satz ein aufmunterndes, wertschätzendes oder sonstwie motivierendes Wort mitzugeben. Überall einfließen zu lassen, dass in der Aktion meines Mitmenschen, in seinen Äußerungen oder seinem Verhalten zumindest ein positiver Kern sein müsste.

Das hat ja nichts damit zu tun, dass man alles richtig findet. Auch nicht damit, dass man kritiklos Verfehlungen aufnimmt. Aber mit dem Grundgedanken „von den hundert Vokabeln sind nur zehn richtig, aber das ist doch ein guter Anfang und mit Energie schaffst du die restlichen neunzig auch noch“ lässt man sein Gegenüber doch eher lächeln als mit einer barschen Konfrontation seiner Minderleistung.

Und genau in dem Sinne mache ich mich auf und sage mir „von den dreiundzwanzig Sätzen, die ich heute geschrieben habe, sind zwar nur zehn wirklich positiv, aber das ist doch ein guter Anfang und mit Energie optimiere ich die restlichen dreizehn auch noch.“

Montag, 9. Dezember 2024

Der Segen eines schlechten Gedächtnis

Segen eines schlechten Gedächtnis
Im Gegensatz zu Computern neigen Menschen dazu, Dinge zu vergessen. Da hat man sich Wissen angeeignet, vielleicht eine Szene gemerkt oder einen Mitmenschen kennengelernt. Und ein paar Tage später ist es dann wieder weg. Wie hieß das Teil noch mal, was hatte die Frau auf der Party an und welchen Namen hatte der Mann, mit dem ich mich im Zug unterhalten habe?

Das ist dann recht lästig, man kann so lange grübeln wie man will, der Name taucht nicht mehr aus dem See des Vergessens auf. Spätestens bei der nächsten Begegnung muss man das kleinlaut zugeben oder versteckt versuchen, die Wissenslücke wieder zu füllen.

Ein positiver Aspekt ist aber das Vergessen von unangenehmen Erlebnissen, sei es in Form von Verdrängung oder in Form von Verarbeitung. Da vergoldet sich die Erinnerung an die Schulzeit, weil die Hänseleien der Mitschüler und die Dispute mit den Lehrern ausgeblendet werden. Erst recht ein Segen ist das Vergessen nach Kriegserlebnissen oder anderen traumatischen Erfahrungen.

Aber selbst das "kleine Vergessen" hat seine guten Seiten. Wenn ich mir meine Geschichten nicht gut merken kann, sind auch Lügen nicht meine Königsdisziplin. Wem ich welche Version der Story erzählt habe und wer welche Details kennt, muss ich mir merken können, sonst ist mein Phantasiegebäude auf Sand gebaut.

Eine sehr unschöne Eigenschaft ist es auch, nachtragend zu sein. Was aber von vornherein nur geht, wenn man sich bestimmte Dinge längerfristig merken kann. Damit ich meinem Mitmenschen sein Fehlverhalten von vor vielen Jahren auftischen kann, muss ich mich daran erinnern können, muss die Erinnerung so gegenwärtig sein, dass ich sie spontan abrufen kann.

Wie fast alle Funktionen des Gehirns kann man aber auch das Behalten oder Vergessen ein wenig beeinflussen. Wer sich Dinge nun mal gut merken kann, muss ja deswegen nicht automatisch nachtragend sein. Hier kann man einen Riegel vorschieben und im Sinne von „Vergeben und Vergessen“ das eine mit dem anderen koppeln.

Und so lange Vergesslichkeit noch nicht pathologisch ist, kann man durch Auffrischung, Nutzung des erworbenen Wissens oder Beschäftigung mit einem Thema viel mehr Informationen greifbar halten. So funktioniert bei vielen bewunderten Mitmenschen deren vermeintliches Elefanten-Gedächtnis. Sie verknüpfen Informationen, durchdenken sie und sprechen mit anderen darüber.

Zentral jedenfalls, sich nicht über das eigene schlechte Gedächtnis zu grämen. Ein ständig kritisiertes Gehirn ist (unbemerkt) auch frustriert und merkt sich immer weniger. Oder ist enttäuscht, weil es uns mit seinem Vergessen etwas Gutes (im Sinne Verarbeitung) liefern wollte.

Gedächtnisforscher machen den Hippocampus dafür verantwortlich und sprechen bei Blackout tatsächlich von einer Art Verweigerungshaltung dieser Hirnregion. Es scheint nur auf den ersten Blick abwegig, sich auch mit seinem Gehirn zu beschäftigen, seine Leistung zu beobachten und an gewissen Stellen zu sich zu sagen: „Ein Segen, das mit dem schlechten Gedächtnis.“

Montag, 2. Dezember 2024

Whack A Mole

Da gab es auf dem Jahrmarkt doch diese Kästen, aus denen Köpfe zufällig nach oben schnellten. Man hatte einen Hammer in der Hand und musste ganz schnell reagieren und die auftauchenden Köpfe treffen. Was nicht ganz einfach war, da sie sofort wieder verschwunden waren. Spielerisch sollten es Maulwürfe sein, die mal eben aus dem Boden auftauchten und die man im Augenblick des Erscheinens abklatschen musste. Aufmerksamkeit war gefragt und Reaktionsgeschwindigkeit.

Die moderne Form dieses Spiels funktioniert so, dass in der linken unteren Ecke des Computerbildschirms ein Hinweisfenster erscheint. Hat man sich gerade noch auf eine Exceltabelle in der Bildmitte konzentriert oder ein Dokument links gelesen, muss der Blick jetzt ganz schnell zum dem Popup wandern. Doch schon ist es weg, wie ein Maulwurf wieder in der Taskleiste verschwunden.

Was war das eben? Der Hinweis auf eine E-Mail? Ein Blick in den Posteingang: Fehlanzeige. Oder war es die andere Mailbox? Nein, da ist auch kein neues Schreiben eingelaufen. Also, dann muss es Microsoft Teams sein, aber handelt es sich um eine Chatnachricht, einen neuen Beitrag in einem der vielen Kanäle oder eine Erwähnung? Grübeln hilft nichts, der Maulwurf ist verschwunden, fast könnte man sich jetzt etwas frustriert wieder der unterbrochenen Arbeit widmen, käme da nicht schon wieder ein neuer Maulwurf. Diesmal habe ich ihn gesehen, es war der Hinweis auf eine Aktualisierung, die konnte man ja gar nicht in den Kollaborationskanälen sehen.

Wie gerne stände ich jetzt auf dem Jahrmarkt, je nach Jahreszeit ein Bier oder einen Glühwein im Bauch und einen Hammer in der Hand, um dem auftauchenden Maulwurf zwar nicht mit steigender Geschwindigkeit aber mit zunehmend aggressiver Grundhaltung einen kräftigen Hieb zu verpassen. Stattdessen streichle ich liebevoll meine Maus und verschiebe die Computer-gestützte Maulwurfjagd auf die Mittagspause.

Sonntag, 24. November 2024

Schlammdumm

Im Jahr 1878 musste in den USA eine Bahnschwelle ausgetauscht werden, weil bei der Vorbereitung ein Loch zu wenig gebohrt worden war. War das in (a) Michigan, (b) North Dakota oder (c) Kalifornien? Eine schwierige Frage, und man kann die Spätwirkung auf den aktuellen Regierungswechsel kaum erahnen. Ein Fall, bei dem Schwarmintelligenz gefordert ist. Mit Sicherheit hat irgendwo auf der Welt jemand einen Großvater, der sich daran erinnert einen Freund gekannt zu haben, der von dessen Urahnen genau diese Geschichte erzählt hat.

Die Story ist im ersten Schritt bekannt, aber die Frage nach dem Ort ist noch ungeklärt. Wo haben die damals ihre Siedlung gehabt? Haben sie nebenbei auch von Zitrusfrüchten berichtet? Es könnte Kalifornien gewesen sein. Oder doch eher von fortwährenden Unruhen? Dann käme eher North Dakota in Frage. Spielten Seen eine Rolle in den historischen Erzählungen? Das würde auf Michigan hindeuten.

Schlammdumm
Kein Zweifel, die simple Eingangsfrage kann eine Einzelperson normalerweise nicht beantworten. Sie ist nur durch Schwarmintelligenz zu lösen. Doch will man das überhaupt? Wen interessiert die Antwort, war sie jemals von Relevanz, ist sie es heute oder wird sie es absehbar irgendwann mal sein?

Sicher, für die Teilnahme an Quizshows im Fernsehen mag es von Belang sein, sich auch mit dem Bohren von Bahnschwellen in den USA des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts auszukennen. Und da geht es je nach Sendung um ziemlich viel Geld.

Aber in anderen Wechselfällen des Lebens ist dieses Wissen nicht erheblich. Es kann also da bleiben, wo es ist: Im tiefen Tümpel der historischen Ereignisse, der zum einen in seinen morastigen Untiefen Überraschungen versteckt hält. Der aber zum anderen alles zu Schlamm zersetzt, was vom aktuellen Informationssystem nicht zeitnah verwertet wird.

So mutiert die Vorstellung von Schwarmklug über Schwarmdumm zu Schlammdumm.

Montag, 18. November 2024

Das bin ja gar nicht ich

 Nach der Sportrunde stehe ich unter der Dusche, lasse vom Wasser das Shampoo herunterspülen und freue mich über die langsam einsetzende Entspannung. Handtuchumhüllt gehe ich in die Umkleide, trockne mich ab und stehe vor dem Spiegel über dem Frisiertisch. Upps, denke ich, das bin ja ich, der da im Spiegel zu sehen ist.

Ich betrachte meine Figur, schaue mir mein Gesicht an. Naja, der Jüngste bin ich nicht mehr, aber insgesamt noch ganz gut erhalten. Da kommt mir eine Fee in den Sinn, drei Wünsche habe ich frei, würde ich einen davon in meine äußere Erscheinung investieren? Die Beine könnten ja etwas länger sein, die Arme kräftiger, der Bauch flacher und im Gesicht weniger Falten. Aber warum nur halbweit springen, ich möchte direkt aussehen wie ein Model. Eine richtig hübsche Frau, nach der sich die Männer umschauen.

Das bin ja gar nicht ich
Während ich mich weiter abtrockne male ich mir aus, wie ich wohl aussehen könnte. Heidi Klum fällt mir ein mit ihren Topmodels. Jugendliche Figur, tolle Proportionen, lange Haare, wohlgeformt am ganzen Körper. Das scheint ein erstrebenswertes Aussehen zu sein, ja, denke ich, so könnte es mir gefallen.

Aber dann fällt mir ein, dass dann alles anders ist. Als Frau wäre die Rolle der Partnersuche getauscht, die gaffenden Blicke der Männer würden mir mit der Zeit auf die Nerven fallen. Die Frage, ob mich jemand wegen meines Charakters oder wegen meiner Figur kennenlernen möchte stände permanent im Raum. Und mit Sicherheit wäre ich wieder unzufrieden, dann vielleicht, weil mir der Busen zu klein, die Hüften zu breit oder die Schultern zu schmal wären.

Doch am schlimmsten wäre die Tatsache, dass ich nicht mehr ich selbst wäre. Aus meiner Haut zu schlüpfen ist ja nicht nur eine Korrektur des Aussehens, es hätte automatisch und zwingend auch Auswirkungen auf meine Mitmenschen, meine Erfahrungen, mein Umfeld. Alles, was ich in den bisherigen Jahrzehnten meines Lebens für mich bewertet und in meine Lebensführung und alle Entscheidungen und alles Verhalten überführt habe, müsste ich neu gestalten. Ich wäre einfach nicht mehr ich.

Ich schlüpfe in mein Hemd, es spannt beim Anziehen ein wenig über dem Bauch, rutscht dann aber doch herunter und passt jetzt auch ganz gut an den Schultern. Okay, ich könnte das Hanteltraining intensivieren, einen Bauch-Beine-Po-Kurst besuchen und die Form so ein wenig anpassen. Aber den ganz großen Umschwung und ein ganz neuer Mensch – diesen Gedanken finde ich jetzt eher gruselig.

Sonntag, 10. November 2024

Das Ende des Glückes

In der Physik unterteilt man die Forschungsgebiete in Betrachtung einzelner Teilchen (Kernphysik: einzelne Atome), deren Wechselwirkung miteinander (Atomphysik und Festkörperphysik) und das Verhalten großer Teilchenzahlen (Thermodynamik). Diese Gebiete sind zwar durch bestimmte Aspekte miteinander verbunden und verwenden zum Teil ähnliche mathematische Grundlagen. Aber die Fragestellungen und deren Beantwortung sind deutlich unterschiedlich.

Es gibt Phänomene, die man schon bei einzelnen Teilchen beobachten kann, zum Beispiel Geschwindigkeit und Impuls. Aber spätestens die Anziehungskraft ist etwas, das erst bei mindestens zwei Teilchen auftritt. Und so etwas wie Druck wird man sinnvoll erst bei größeren Ansammlungen definieren können.

Das werden dann auch die Sozialwissenschaftler bestätigen. Ein einzelner Mensch kann Angst kennen, aber Neid oder Missgunst gibt es erst bei mindestens zwei Personen. Und kollektives Verhalten wie Krieg bildet sich erst bei größeren Menschenmengen sichtbar aus.

Ob nun Physik oder Sozialwissenschaften: Die Basis für den Wechsel von einem zu mehreren beobachteten Objekten liegt im Vergleich. Ein Atom ist größer als ein anderes, ein Mensch reicher als der andere. Oder irgendwelche anderen Eigenschaften, die man mehr oder weniger gut messen kann.

Das Ende des Glückes
An dieser Stelle kommt dann auch die Bewertung ins Spiel. Wenn ein Atom acht Protonen in seinem Kern hat bezeichnet man es als Sauerstoff, wir können auch sagen, dass Stickstoff sieben Protonen hat, aber ist das eine besser als das andere? Ist Sauerstoff wichtiger, weiter verbreitet, nützlicher? Das kommt auf die chemischen Verbindungen an.

Und hier steckt auch die Analogie zum Alltag. Ich bin wohlhabend, Milliarden anderer Menschen sind ärmer, aber viele Millionen sind auch reicher. Das kann ich durch simplen Vergleich der Besitzverhältnisse feststellen, bis zu diesem Punkt als reines Verhältnis von Zahlen. Wie ich dieses Verhältnis interpretiere, ist dann meine Sache.

Jeder Vergleich ist der Keim zur Unzufriedenheit. Es gibt immer irgendwas, das besser zu sein scheint. Und auf einmal kann ich gar nicht mehr genießen, dass es bei mir gut ist, sondern stelle enttäuscht fest, dass es bei anderen besser ist. Wer glücklich sein und bleiben will, der sollte Vergleiche mit seiner Umgebung meiden und nur seinen eigenen Maßstab anlegen.

Montag, 4. November 2024

18 til i die

18 til i die
Noch im jugendlichen Schwung konnte ich mir gar nicht vorstellen, mal älter zu werden. Die Welt war schön, keine drückende Verantwortung für was auch immer, ich war ungebunden und neugierig. Und vor allen Dingen war alles easy, einschließlich Bewegung und Sport. Da lag das Motto „18 til i die“ (inspiriert von Brian Adams) nahe.

Es dauerte ein paar Jahre, bis ich die Kehrseite dieser Medaille kennenlernte oder sagen wir besser: sie richtig wahrnahm. Denn in den Augen meiner Mitmenschen war ich ein Küken, ernst genommen zu werden war bei manchen Gelegenheiten einfach nicht drin.

In mir entbrannte ein Widerstreit. Jung bleiben oder gediegen wirken? Letztlich bekam ich dann aber doch beide so widersprüchlichen Seiten unter einen Hut. Mit einer gewissen altersbeförderten Seriosität in einem Körper, der auch gerne mal auf einem Bein auf den Bürgerstein hüpft.

Aber selbst wenn das nach außen nicht immer so klappte, und sei es, weil meine Sprungkraft ein wenig nachließ, lag der Schwerpunkt immer darin, gedanklich jung und so wenig voreingenommen wie möglich zu bleiben. Der altersbedingten Starrheit beherzt mit Spritzigkeit entgegentreten.

Dieses jugendliche Staunen über ferne Länder, fremde Kulturen, unbekannte Mentalität und überhaupt neue Erkenntnisse kann ohne weiteres Teil des Lebens bleiben. Das Gegenteil ist ein kenn-ich-schon, abgebrüht, nichts berührt mehr. Der „Kick“ muss immer heftiger werden, damit ich ihn überhaupt noch wahrnehme.

Wie aufregend ich ein Erlebnis finde, ist einerseits eine Frage der Intensität, aber auch der inneren Sensibilität. Die zehnte Reise in ein grundsätzlich fremdes Land, zum Beispiel Japan, ist auch nach vielen Wiederholungen immer noch ein scharfer Kontrast zum täglichen Leben in Deutschland. Die Empfindung der Abweichungen wird aber immer geringer, man stumpft ab. Doch jede der Reisen ist individuell, und seien es auch nur Kleinigkeiten, die sie von den vorhergehenden Aufenthalten unterscheiden.

Die Kunstfertigkeit scheint darin zu bestehen, sich auch mit 80 noch zu einem Gänseblümchen herunterzubeugen und ihm zuzuflüstern: „Wie schön du bist, was für ein Wunder der Natur.“ Und diese jugendlich-frische Art bis zum Tod zu erhalten.

Montag, 28. Oktober 2024

Grenzen der Empathie

In meinem Waschbecken sitzt eine kleine schwarze Stubenfliege. Ich habe nicht viele Exemplare von diesen kleinen Insekten in meinem Badezimmer und so bin ich mir sicher, dass sie auch gestern schon hier herumgeflogen ist. Jetzt sitzt sie also auf dem weißen Porzellan, um sie herum einige Wassertropfen von meinem Zähneputzen. Das scheint sie nicht zu stören, mehr noch, sie lässt sich überhaupt nicht davon irritieren, selbst in der Nähe aufschlagende Tröpfchen setzen sie nicht in Bewegung.

Eine einfache Erklärung wäre, dass sie die Tropfen einfach nicht gesehen, nicht registriert hat. Aber das kann nicht sein, denn sie sind ganz in der Nähe und wären von den Facettenaugen sicher erfasst worden. Vielmehr glaube ich, dass sie müde ist, nach den letzten Tagen ohne Nahrung erschöpft, geradezu lethargisch ist. Wie mag es ihr gehen, frage ich mich, fühlt sie sich eingesperrt oder einsam, kennt sie so etwas wie Hunger oder Langeweile?

Biologen haben herausgefunden, dass ganz viele Tiere ein Gefühlsleben haben, nicht nur Hunde und Katzen, die wir täglich erleben und deren Reaktionen wir als Freude, Angst, Unsicherheit interpretieren. Auch eine Fliege wird also in vielleicht aus menschlicher Sicht begrenztem Umfang Emotionen empfinden. Genau weiß ich das nicht, ich kann mich überhaupt nicht hineinversetzen, nur versuchen, meine eigene Erfahrungswelt auf sie zu übertragen. Und so lange ich da im Dunkeln tappe ist natürlich Empathie nur sehr eingeschränkt möglich.

Ich entscheide mich dafür, sie aus dem aus meiner Sicht untypischen Lebensraum meines Badezimmers zu befreien, fasse sie vorsichtig an den Flügeln an und bringe sie zum geöffneten Fenster. Schon schwirrt sie los und ich schaue hinterher, mit Sicherheit ist sie jetzt wieder in ihrem Element, aber ob sie sich jetzt besser fühlt kann ich nicht beurteilen.

Natürlich ist das Hineinversetzen in eine Stubenfliege ein wenig schwierig, aber selbst mit viel einfachereren Transfers sind wir meist überfordert. Speziell bei unseren Mitmenschen nutzen wir Signale wie Gestik und Mimik, verbinden sie mit den uns bekannten Informationen und natürlich spielt auch die Körpersprache eine wichtige Rolle. Wenn wir diese zum Teil recht unscheinbaren Beobachtungen miteinander verknüpfen ist die Basis für Empathie schon mal gelegt.

Aber dann kommt die Stubenfliege. Die kann ich zwar beobachten, ihre ungewöhnlich schwache Reaktion lässt bestimmte Vermutungen zu ihrem Zustand zu. Doch das Hineinversetzen scheitert an unserer Verschiedenheit. Jeder Versuch, sich ihrer Sicht zu nähern endet in Mutmaßungen oder Hypothesen. Je unterschiedlicher wir in Persönlichkeit, Charakter oder kultureller Prägung sind, desto schwieriger wird es, mit seinem Mitmenschen zu fühlen, erfolgreich empathisch zu sein.

Am Ende zeigt sich also, dass Empathie sich aus verschiedenen Strängen nährt. Da ist einmal die reine Beobachtung auch feiner Signale, dann aber auch deren Kombination, ein erster Wurf des Hineinversetzens mit der Option, diese Interpretation zu korrigieren und schließlich der Abgleich mit äußeren Faktoren.

Oft empfinden wir einen Menschen als empathisch, weil er geduldig zuhört, Verständnis signalisiert und uns so ein gutes Gefühl vermittelt. Dazu ist es gar nicht notwendig, dass er sich wirklich mit uns identifiziert oder in unsere Haut schlüpft. Es reicht das Signal, dass wir auf der Gefühlsebene einer Meinung sind. Analog wie man über Fakten diskutiert und mehr oder weniger messbare Zahlen miteinander vergleichen kann, so geht es hier um den Abgleich von Gefühlsregungen.

Und das hat – wie das Beispiel mit der Fliege zeigt – seine Grenzen.

Montag, 21. Oktober 2024

Nützliche Erfindungen

Nützliche Erfindungen
Jeden Morgen hole ich eine kleine Einwegflasche mit Kaffee aus dem Kühlschrank und nehme einen Schluck von dem gekühlten Koffeingetränk. Zwischen Zähneputzen und eigentlichem Frühstück sozusagen der Schluck, der mich in der Aufwachphase begleitet. Nun gibt es seit einiger Zeit Verschlüsse, die fest mit der Flasche verbunden sind. Sehr praktisch aus Sicht der Initiatoren dieser Änderung - vermutlich aus Gründen der Mülltrennung oder eben auch nicht-Trennung.

Aber für mich als Konsument eine ärgerliche und lästige Neuerung. Denn gerade bei meinem Kaffeegetränk bleibt immer ein kleiner Rest Flüssigkeit an der Unterseite des Deckels, und wenn ich dann die Flasche zum Trinken ansetze, tropft der Kaffee auf meine Brust. Die Kleidung ist damit erst mal versaut. 

Es erinnert mich an die Einführung von Recyclingpapier vor ein paar Jahrzehnten. Den Vorgaben der Ökologen und Verfechtern des Recyclings folgend durfte nur noch Papier verwendet werden, das bereits ein Leben hinter sich hatte. Grundsätzlich gut auch dieser Ansatz, aber in der Praxis hatten wir dann graue Blätter, welche Probleme beim Beschreiben mit Tinte machten, Kopierer und Drucker zustaubten und einen leicht gammeligen Geruch verbreiteten.

Es ist schwierig einzuschätzen, wie viele gutgemeinte aber misslungene Veränderungen uns erspart bleiben. Erfindungen, bei denen irgendjemand vor Produktivsetzung über den Tellerrand hinaus geblickt oder in die Zukunft gedacht hat. Am konkreten Beispiel bleibt die Hoffnung, dass hoffentlich auch die unpraktischen Deckelverbindungen demnächst wieder verschwinden.

Montag, 14. Oktober 2024

Loslassen: Ein Leben ohne Uhr und Terminkalender

Zugegeben: Ich hätte es mir nicht vorstellen können, dass es ein Leben ohne Uhr und ohne Terminkalender geben könnte. Aber man muss das einfach mal mutig ausprobieren. Natürlich in geschützter Umgebung, zum Beispiel im Urlaub oder noch mutiger an einem Arbeitstag, an dem keine hochwichtigen Besprechungen anstehen. Denn genau dann ist die Gelegenheit, auf alle Kalendereinträge zu verzichten und nur ganz selten auf die Uhr zu schauen. Das geht am ersten Tag gar nicht so richtig gut.

Aber ab dem zweiten Tag hat man zunehmend ein gewisses Gefühl für Zeitdauern und in Kombination mit bewusst wahrgenommenen Uhrzeiten kann man ziemlich genau die aktuelle Uhrzeit einschätzen.

Man sieht aus dem Fenster, schaut nach dem Sonnenstand und schätzt die Tageszeit ein. In Kombination mit den üblichen Zeitdauern kann man ziemlich genau die aktuelle Uhrzeit schätzen. Beim Pausenbeginn war es 12:30 Uhr, typische Zeit für Mittagessen sind 30 Minuten, aber heute habe ich erst noch Getränke holen müssen (plus 5 Minuten), so dass es jetzt 13:05 Uhr sein müsste.

Und in dem Zusammenhang verliert auch der Terminkalender seine Bedeutung. Wenn ich morgens durch die Tagesplanung schaue, dann kann ich meinen Tag gedanklich schon mal ein wenig strukturieren. Was will oder muss ich bis zur Mittagspause erledigen, was ist am Nachmittag dran und welche Punkte sollen den Tagesablauf abschließen. Zu jedem der Themen mache ich mir schon bei der morgendlichen Vorschau ein paar Gedanken, beschäftige mich damit. Wenn dann die Anfangszeit erreicht ist, kann ich auf diese Vorarbeit zurückgreifen. Die vermeintlich morgens vertane Zeit hole ich im Sinne einer guten Vorbereitung und in diesem Moment verkürzte Rüstzeit wieder heraus.
Loslassen Ein Leben ohne Uhr und Terminkalender
Ohne Zweifel können durch diesen Ansatz auch mal falsche Uhrzeiten oder Probleme in der Themenabarbeitung eintreten. Aber zum einen handelt es sich um einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess, der beispielsweise das Korrigieren von typischen Aufwänden und hierfür zu veranschlagender Zeit vorsieht. Und zum anderen führt er uns zurück zu dem Arbeitstempo, das wir persönlich leisten können. Eine Übertaktung ist per constructionem ausgeschlossen, gehe ich doch gemäß meiner Planung gut vorbereitet und konzentriert durch die Termine.

Man kann nun einwenden, man wäre mit einer Vorabplanung unflexibel und kann diesen Antritt in der Praxis gar nicht umsetzen. Nun ja, die mentale Vorbereitung des Arbeitstages bildet tatsächlich ein Gerüst, das man nicht beliebig umbauen kann. Aber es schafft auch die Sicherheit, dass die geplanten Dinge in der selbstdefinierten Qualität geliefert werden können.

Und wir brauchen nur an die Eisenbahn zu denken, die nach liegengebliebenen Zügen oder sonstigen Störungen im Betriebsablauf schnellstmöglich wieder in den regulären Fahrplan zurückkehrt. Wobei die Züge nur bis zur zugelassenen Geschwindigkeit etwas schneller fahren dürfen.

Es gilt also zu akzeptieren, dass es "Störungen im Betriebsablauf" gibt. Dass unerwartete Aufgaben dazukommen, wegfallen, sich Aufwände unerwartet verändern. Aber am Ende ein Zurückschwenken zu der Planung (die die "Fahrgäste" von uns erwarten).

Montag, 7. Oktober 2024

Vertrauen

Im privaten, aber gerade auch im beruflichen Umfeld höre ich immer wieder, wie wichtig doch Vertrauen ist. Vertrauen… hm. Also, ich denke da immer an Kaa (das ist die Schlange in „Das Dschungelbuch“), wenn sie singt: „Hör auf mich, glaube mir, Augen zu, vertraue mir!“ und dabei nichts Gutes im Schilde führt.

Denn in Abwandlung des alten Sprichwortes gilt: Vertrauen ist gut, Naivität ist schlecht. Zumindest hat die Forderung von Vertrauen einen Hauch von Plattitüde oder gar der Aufforderung zur Blauäugigkeit.

Vertrauen
So könnte eine Definition von Vertrauen aussehen:
Vertrauen ist der Glaube oder die Zuversicht in die Zuverlässigkeit, Integrität oder Fähigkeiten einer Person, einer Gruppe oder einer Sache. Es basiert auf positiven Erfahrungen, die man in der Vergangenheit gemacht hat, und darauf, dass man erwartet, dass diese positiven Erfahrungen auch in Zukunft eintreten.

Zentrale Aussage ist, dass Vertrauen eine Art Projektion der bisherigen Erfahrungen (Vergangenheit) auf die erwarteten Verläufe (Zukunft) darstellt. Man muss also erst mal Erfahrungen sammeln, dann kann man darauf aufbauend versuchen zu extrapolieren. Wie wackelig dies ist, wird durch die Begriffe Glaube oder Zuversicht ausgedrückt.

Dann ist bemerkenswert, dass man Vertrauen nicht fordern kann. Es entwickelt sich aus dem bisherigen Verlauf, aus der Kumulation der gemachten Beobachtungen. Das braucht per definitionem seine Zeit, einer fremden Situation kann man nur einen Vertrauens-Vorschuss gewähren oder versuchen, sich an ähnlichen Situationen zu orientieren.

In diesem Zusammenhang kommen auch vertrauensbildende Maßnahmen ins Spiel. Die in der Definition erwähnten positiven Erfahrungen kann man beispielsweise durch Hinweis auf bestimmte Eigenschaften, Referenzen und Berichte ergänzen.

Schließlich ist Vertrauen auch ein kollektiver Effekt. Das gilt in Hinblick auf bestimmte Fraktionen der Mitmenschen, beispielsweise Vertreter einer bestimmten Berufsgruppe. So wird die Aussage von Polizisten a priori für glaubwürdig gehalten. Andererseits zeigt sich dieser Kollektiveffekt aber auch als Referenzersatz. Wenn alle meine Freunde mit dem Produkt einer bestimmten Marke gute Erfahrungen gemacht haben, tue ich mich leichter damit, es nachzukaufen.

Erwähnenswertes Detail, dass bei Produktempfehlungen (Werbung) neben dem zeitlichen Aspekt (hat in der Vergangenheit gut funktioniert) auch ein Masseneffekt zum Tragen kommt. Wenn es schon tausende zufriedene Kunden gibt, dann werde ich wahrscheinlich auch zufrieden sein, so die Botschaft. Oder wenn tausende Geräte funktioniert haben, dann auch das von mir gekaufte.

Aber wie man es auch dreht: Vertrauen kommt von trauen, also dem Glauben an die Übertragbarkeit von einem zum anderen Produkt oder Mensch; der Vermutung der Übertragbarkeit von einem Menschen auf einen anderen; der Hoffnung auf die Übertragbarkeit von der Vergangenheit auf die Zukunft. 

Einfach nur zu vertrauen ist naiv, es bei Mitmenschen einzufordern unseriös und damit hausieren zu gehen sentimental.

Montag, 30. September 2024

Konkurrierende Gewohnheiten

Gewohnheiten sind etwas Feines. Man braucht nicht über sie nachzudenken oder sie bewusst befolgen. Alles läuft automatisch ab. Bis zu dem Moment, in dem eine Gewohnheit nicht in der üblichen Form ablaufen kann, insbesondere, wenn sie mit einer andere Gewohnheit in Konflikt gerät.

Konkurrierende Gewohnheiten
Auf dem morgendlichen Weg durch das Bürogebäude biege ich bei der Cafeteria ab, hole mir einen Kaffee und setze meinen Marsch in Richtung Arbeitsplatz fort. Ein Teil dieses Weges führt mich auch eine Treppe hinunter, wobei ich meine Hand auf dem Handlauf entlanggleiten lasse. Das ist eigentlich kein Problem, aber in der Hand habe ich schon die Kaffeetasse. Und da ich der hierzulande üblichen Orientierung folge bleibe ich auf der rechten Seite der Treppe.

Hier konkurrieren also gleich drei Gewohnheiten miteinander. Da ist die Kaffeetasse, die normalerweise in der rechten Hand gehalten wird. Dann das ungeschriebene Gesetz, dass man als Fußgänger auf der rechten Seite der Treppe unterwegs zu sein hat. Drittens die Vorgabe, dass man eine Hand am Handlauf platziert.

Was aufgeben? Die Tasse in die linke Hand? Das fühlt sich merkwürdig wackelig an, mit erhöhter Wahrscheinlichkeit schlabbert der Kaffee auf den Boden. Oder auf der linken Seite die Treppe hinunter, überraschte oder gar böse Blicke der Kollegen eingeschlossen. Oder auf die Sicherheit des Handlaufes verzichten und ohne Option zum kurzfristigen Festhalten den Stufen folgen.

Nun, zum einen könnte man auswählen, welche der Varianten man für geeignet hält, vielleicht sogar je nach Tag und Uhrzeit. Oder einen anderen Weg nehmen, auf dem es keine Treppe gibt. Oder den Kaffee in einer anderen Cafeteria – näher am Arbeitsplatz – holen. Oder den Kaffee von jemand anders holen lassen, oder ihn in ein verschließbares Gefäß umfüllen, das dann in die Arbeitstasche kommt.

Die kleine Geschichte rund um das koffeinhaltige Heißgetränk soll Verschiedenes vor Augen führen. Manchmal muss man eine Gewohnheit über Bord werfen, alles andere ist dogmatisch. Aber vielleicht gibt es auch eine ganz andere Lösung, bei der die Gewohnheiten gar nicht in Konkurrenz geraten. Ob diese Alternative ein gangbarer Weg ist, kann man ja im Einzelfall noch mal betrachten, aber wichtig ist, dass man überlegt, ob es solch eine Alternative gibt.

Montag, 23. September 2024

Die Flüchtigkeit der Archivierung

Seit einigen Jahren macht sich ein Tool breit, das die "eierlegende Woll-Milch-Sau" sein soll. Wirklich alles rund um den Austausch wird an dieser zentralen Stelle gesammelt, verteilt, bereitgestellt, abgelegt und archiviert. Ein Traum, möchte man meinen, denn endlich ist Schluss mit der Vielzahl der Ablagestrukturen, haben alle Teilnehmer denselben Informationsstand. Alle? Natürlich nicht, denn auch hier gibt es Zugriffsrechte. Und ein leidiges Thema ist in der Praxis das Wiederfinden eines Eintrags. War es im persönlichen Chat, im Chat einer Besprechung, eines Kanals, einer Teamsitzung? Oder im Notizbuch? Vielleicht als Beitrag in einem Kanal (nur: welchem?) oder gehörte es zu einem Anruf?

Sicherheit schafft die zehnjährige Archivierung aller Einträge. Egal in welchem Tonfall, egal wie unpassend oder gar peinlich irgendeine Verlautbarung in schriftlicher, bildlicher oder auch bewegter Form: Alles wird aufgehoben. Unerbittlich speichert die Datenkrake alles was ihr zum Fraß vorgeworfen sind, kein Speicher ist zu klein, um jedwede Äußerung für ein Jahrzehnt zu bevorraten.

Das ist natürlich gleichzeitig auch die große Chance. Als Anwender kann man nichts vergessen, nichts versehentlich in den Papierkorb werfen oder irgendwelche Filter definieren, die definierte Beiträge gezielt verschieben. Im Strom der nachrückenden Chatnachrichten sind auch alte Beiträge noch vorhanden, auch nach Jahren lässt sich noch rekonstruieren, wer bis wann an welchem Meeting teilgenommen hat.

Die Flüchtigkeit der Archivierung
Doch oh weh. Zwar sind die Datenberge vorhanden, lassen sich auch ohne weiteres nachverfolgen, aber der unermüdliche Datenstrom reißt jede Information mit sich und spült sie aus dem Sichtfenster des Anwenders. Als würde ich eine Flaschenpost in den Rhein werfen und ihr eine Weile nachschauen bis sie hinter der nächsten Biegung oder Brücke verschwunden ist. Sie ist dann nicht weg, ich kann sie nur nicht mehr sehen. Und eigentlich muss man das Bild noch ergänzen, denn es ist ja nicht nur ein Fluss, in dem meine Flaschenpost dahinschwimmt, es sind mehrere, die ich nahezu zeitgleich bedienen kann.

Das Bild der Flaschenpost trifft zu, wird die Nachricht doch mal hier- mal dorthin befördert, manchmal mit Kommentar versehen und wieder in diesen oder jenen Fluss geworfen. Wo man sie dann vielleicht wiederfindet oder die Flasche durch die Strömung an Land gespült wird.

So ist die Archivierung in der Praxis also eher flüchtig, auch wenn sie technisch noch so gut funktioniert. Was im Bildschirm nach oben wegscrollt ist nicht verloren, aber für meine Arbeit aus dem Fokus. Oder wie man früher gesagt hat: "Aus den Augen, aus dem Sinn."

[Weitere Blogs:  Interdisziplinäre Gedanken, Feingeistiges]

Montag, 16. September 2024

Das hast du aber fein gemacht

Es gibt diese Momente im Leben, da freut man sich. Mal über eine Sache, die einem selbst passiert ist, mal als Schadenfreude, mal als Mitfreuen. So kam ich vor ein paar Tagen auf dem Bahnhofsparkplatz an einem Fahrzeug vorbei, das von seinem Fahrer ein wenig raumgreifend abgestellt worden war.

Sagen wir besser: Es war sorgfältig genau in der Mitte zweier Parkplätze positioniert. Und das ganz offensichtlich ohne Not, denn der halbe Parkplatz rechter Hand grenzte an ein Pflanzbeet und auf der linken Seite ein ordnungsgemäß stehendes Fahrzeug.

Das hast du aber fein gemacht
Es liegt mir recht fern, den Fahrzeugführer oder die Fahrzeugführerin im Sinne des Miteinanders als asozial zu bezeichnen, aber eine gewisse Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitmenschen würde ich ihm oder ihr schon zusprechen. Da frage ich mich unwillkürlich, was in dem Kopf dieser Person vorgeht. Ist es eine Gedankenlosigkeit? Tief versunken in Überlegungen zu einem anderen Thema halbautomatisch in die freie Lücke geschlüpft und losgelaufen.

Oder vielleicht extreme Eile, die ein Korrigieren der Parkposition nicht mehr zulässt. Mit rauchendem Auspuff über den Parkplatz geheizt und mit quietschenden Reifen eingeparkt. Da ist dann natürlich keine Zeit mehr übrig.

Oder ist es die Berücksichtigung der eigenen Bequemlichkeit, die Sicherheit, auch mit aufgerissener Tür kein anderes Fahrzeug beschädigen zu können. Und ohne Limbo das eigene Auto verlassen zu können. Eingeparkt werden ist a priori ausgeschlossen.

Unabhängig vom auslösenden Faktor kommt jedenfalls dabei heraus, dass ein ansonsten daneben abzustellendes Fahrzeug auf einen anderen Platz muss, dass der Parkplatzbetreiber diesen verschwendeten Parkraum nicht mehr vermieten kann und letztlich, dass mindestens ein Zeitgenosse weiterkurven muss.

Was hier so offensichtlich ist und durch das amtliche Kennzeichen auch keine Anonymität zulässt erleben wir tagtäglich. Meist können sich die Menschen, die in dieser Form ohne Berücksichtigung ihrer Umwelt und anderer Personen unterwegs sind, verdeckt halten. Wer Müll in den Wald wirft, den Einkaufswagen irgendwo vor dem Supermarkt stehen lässt, die gebrauchte Tasse auf den nächstbesten Tisch platziert und so weiter: Man wird schon nicht erwischt. Und selbst wenn.

Ein Plädoyer für respektvollen und rücksichtsvollen Umgang miteinander. Da kann jeder mal in den Spiegel schauen, aber selbst wer ohne Schuld ist, darf deswegen leider nicht mit Steinen auf die falschparkenden Autos werfen.

Montag, 9. September 2024

Die wohlige Wärme der Herde

Was ist es doch herrlich, wenn man seine Meinung in der gesicherten Mehrheit äußern kann. Sich lautstark über Dinge echauffiert, zu denen aktuell auch Statements von Meinungsbildnern, Influencern und Prominenten vertreten werden. Gefahrlos wichtig sein. Da sehe ich Menschen, die in bunte Ponchos gekleidet und mit Trillerpfeifen ausgestattet viel Lärm machen. Für Außenstehende ist kaum erkennbar für oder gegen was hier gerade demonstriert wird. Die Sprechchöre sind unverständlich, die Plakate nichtssagend.

Zur Ergänzung dieser lautstarken Truppe gibt es Menschen, die gezielt von Demonstration zu Demonstration reisen, einfach Spaß daran haben, in der Menge zu baden und sich für irgendein beliebiges Thema ins Getümmel zu stürzen. Nicht die Sache liegt diesen Zeitgenossen am Herzen, vielmehr ist es die Aktion, das Dabeisein, das Dagegensein.

Zwischen diesen Demo-Profis gibt es die Überzeugten, die eine Angelegenheit mit Haut und Haaren vertreten, dafür auch mal eine kleine Ordnungswidrigkeit hier und eine kleine Rangelei mit Gegnern dort in Kauf nehmen. Im weiten Feld zwischen Engagement, Überzeugung und Fanatismus sind sie sich sicher, dass jeder anders denkende einen Fehler macht und selbst eine neutrale Haltung oder Hinnehmen eine kritikwürdige Grundeinstellung sind.

In diese Sicht der Dinge kann man sich auch gut hineinsteigern, ohne Aufwand findet man in Presse oder Internet zahlreiche Aussagen, die die eigene Meinung bestätigen. Aufrührende Reportagen, plakative Behauptungen und eindrucksvolle Zahlen scheinen den eigenen Standpunkt zu unterstützen. Die kämpferischen Kumpane vertreten natürlich ebenfalls diese Ansicht, es entwickelt sich eine Gruppendynamik, die insbesondere zum Gefühl der Meinungsmehrheit führt.

Man kann geradezu Modewellen beobachten, die mit viel Getöse ein gerade aktuelles Thema nach außen tragen. Mal ist eine Startbahn der große Aufreger, mal sind es Entscheidungen zur Renten- oder Gesundheitspolitik. Und selbst gegen Demonstranten kann man demonstrieren oder sich zumindest aufregen, besonders, wenn man selbst betroffen sind. Schneeballartig vergrößert sich die Anzahl der Menschen, die aggressiv gegen Personen vorgehen, die sich auf die Straße kleben.

Dabei ist es ein schmaler Grat, der zwischen Verständnis für das Lahmlegen des Personennahverkehrs durch die Lokführer und dem Blockieren einer Bundesstraße durch organisierte Klimaaktivisten liegt. Für den an der Fortbewegung gehinderten Bürger macht es zwar keinen Unterschied, aber schnell bildet sich eine elementar wichtige Solidarität oder eben auch nicht. Während die frierenden Bahnreisenden zähneklappernd ein gewisses Verständnis für die Gewerkschaft äußert, muss man bei den Straßen-Klebern mit stockbewaffneten Gegnern rechnen, die ihrer körperlichen Überlegenheit freien Lauf lassen.

Die wohlige Wärme der Herde
Immerhin schleicht meist im einen wie im anderen Fall eine Abordnung der Polizei wie ein Hütehund um die demonstrierende Herde. Und da ist sie, die wohlige Wärme der anderen Demonstranten, dieser Gleichklang der Gesinnung, diese selbstverstärkende Meinungskonsonanz. Fast scheint es, als ob es gar keine andere Meinung geben könnte, jedenfalls keine sinnvolle Alternative. Und umhüllt von ähnlich Gesinnten, geschützt durch einen Kokon der Ordnungshüter, kann man das zum Ausdruck bringen, wovon man aktuell überzeugt ist.

Vereinzelt und vor einem aggressiven Gericht würde nahezu jeder Teilnehmer dieser Versammlung einknicken, Rückgrat ist nicht gerade eine Voraussetzung für das Mitgrölen von Parolen. Und so kann man heute dies, morgen das behaupten oder mit Massengewalt und Lautstärke aus der Anonymität heraus forcieren. Hierbei ist durchaus wichtig zu erkennen, dass diese Gruppen im Sinne der Demokratie und Meinungsbildung unterwegs sind und die eher ruhigen Betroffenen zwar vielleicht die Mehrheit bilden, aber nicht so sichtbar sind.

Montag, 2. September 2024

Zwischenstation in der B-Ebene

Zwischenstation Konstablerwache
So richtig gestrandet bin ich nicht. Vielmehr sitze ich zum Umstieg von der U5 in die S2 in der B-Ebene der Konstablerwache in Frankfurt. Für die Fahrgäste, die partout sitzen möchten, sind hier ein paar Stahlrohrsitze aufgestellt, wenn man seine Jacke darauf legt zieht es nicht so von unten und der Sitz wird ein wenig gepolstert.

Ich sitze also hier, beobachte die Tafel mit der elektronischen Zugauskunft und verfolge die einfahrenden S-Bahnen zu den verschiedenen Zielbahnhöfen. Um mich herum eine bunte Mischung an Menschen. Da sind zwei arabisch aussehende Pärchen knapp älter als jugendlich, verstreut stehen ein paar Schulmädchen mit coolen Taschen, vertieft in ihre Handys. Eine ältere Frau mit Einkaufstüten, eine noch ältere Frau mit Rollator und allerlei Habseligkeiten in einem Einkaufsrolli.

Gerade kommt auch noch ein Junge vorbei, riesige Sonnenbrille, Rucksack, Schildmütze. Und dann natürlich ein Mann ohne festen Wohnsitz, früher hätte man Penner gesagt, denke ich, und warte darauf, dass er bettelnd auf mich zukommt. Einen Augenblick später schleppt er sich zu dem arabischen Paar rechts von mir; um eine Spende zu bitten soll in diesem Kulturkreis ja bei Bedürftigkeit üblich sein, er kann mit einem Geldstück in den hingehaltenen Kaffeebecher rechnen. Aber das Paar ist miteinander beschäftigt oder tut zumindest so, jedenfalls ignorieren sie den Bettler, der nach kurzer Wartezeit abdreht und Kurs zu mir nimmt.

Einen Moment steht er vor mir, hält mir seinen Becher hin, murmelt irgendetwas und versucht sein Recht auf Mitleid auch pekuniär einzuklagen. Im Hintergrund sehe ich schon seinen Kameraden warten, er hat das Araberpaar direkt übersprungen und liegt nun auf der Lauer, ob ich ein geeignetes Opfer bin. Wenige Sekunden später sind beide verschwunden, vielleicht liegt es daran, dass ein paar Sicherheitskräfte auftauchen. Sie schauen auf die Rollator-Frau, inspizieren den Mülleimer und vertiefen sich dann wieder in eine Diskussion über Fußball.

Aus der einfahrenden S-Bahn quillt wieder ein neuer Schwung Leute heraus. Eine Frau mit üppigem Busen dazwischen, sie steuert ohne Umweg den Sitzplatz neben mir an und lässt sich darauf fallen dass die Bank wackelt. Ein aufdringliches Parfüm dringt mir in die Nase und auch die jetzt ein wenig weggezogene Oberbekleidung mit Blick auf ihre enorme Oberweite kann mich nicht mit der verlorenen Platzfreiheit versöhnen. Hoffentlich spricht sie mich nicht auch noch an, aber so weit kommt es nicht, denn wider Erwarten taucht einer ihrer Bekannten auf, wirft sich genauso krachend wie sie auf den Sitz und begrüßt sie in einer mir nicht bekannten kehligen Sprache.

Noch etwa fünf Minuten sind zu überbrücken, ich werfe noch mal einen Blick auf die Zugauskunft, nehme noch wahr, dass die Schulmädchen mittlerweile verschwunden sind und auch die Frau mit den Einkaufstüten nicht mehr zu sehen ist. Vier Jungs kommen die Treppe herunter, pubertär laut und erst mal die Lage checkend. Offensichtlich sind sie auf Fun aus, der süßliche Geruch um sie herum lässt den Konsum von Joints vermuten. Enttäuscht stellen sie fest, dass hier nichts los ist, ohne Tussis macht es keinen Sinn sich zu produzieren.

Aber jetzt kommt doch Bewegung in die Szene. Von links kommt eine weitere Gruppe von Jungs, sie haben uniform schwarze Shirts an und sehen nicht besonders freundlich aus. Ich habe den Eindruck, dass ich zwischen den Fronten zweier Gangs bin, räume meinen Rucksack zusammen und mache mich auf den Weg zum Bahnsteig. Hinter mir höre ich lauter werdende Geräusche, verbales Säbelrasseln und Geschrei.

Weiter hinten am Bahnsteig doch noch die Frau mit den Einkaufstüten, nur die Sicherheitstypen sind nirgends zu sehen. Wahrscheinlich könnten sie gegen diese Horde auch gar nichts ausrichten. Zu meinem Glück höre ich jetzt das Quietschen einer herannahenden S-Bahn. Es ist zwar noch nicht meine Linie, aber ich kann eine Station mitfahren und dort dann auf meine Bahn warten. Nur weg hier.

Es scheint noch anderen Fahrgästen so zu gehen, denn ein ganzer Strom an Menschen stürmt auf die Bahn los, oder wollen die alle nach Bad Homburg? Der Zug ist voll, durch die schließenden Türen sehe ich, wie die Jugendlichen aufeinander losgehen, auch wenn sie nicht bewaffnet scheinen bin ich froh, dass ich flüchten konnte. So kann der Feierabend doch noch ohne Blessuren starten.

Freitag, 30. August 2024

Ein Sommergarten voller Kunst 2024: Berührung (3/3)

Die Berührung in der Kunst

Sommergarten voller Kunst - Berührung 3
Vielen Dank für den Zwischenapplaus. Gemeinsam wollen wir nun den Bogen vom Thema Berührung zur Beschäftigung mit Kunstwerken schlagen. Hier tut sich ein weites Feld auf, denn jede Kunstform hat das Potential, uns zu berühren, viel wichtiger noch, mit uns in eine Resonanzbeziehung zu treten. Dabei müssen wir zwei Punkte unterscheiden. Berührungen können Teil des Kunstwerkes sein, beispielsweise ein eng umschlungenes Paar. Sie können auch vom Künstler provoziert sein, das erlebt man häufig bei Skulpturen, die man ausdrücklich anfassen, streicheln, fühlen soll. Berührend kann aber auch ein Blick sein, der aus dem Bild auf uns gerichtet ist. Oder eine Form oder eine Pose, die wir mit einer Erfahrung in Verbindung bringen.

Ich habe für den Abschluss meines Vortrages zwei Bilder meiner Frau ausgewählt, die ich für das Thema Berührung sehr interessant finde. Gerne möchte ich mit Ihnen gemeinsam ein paar Gesichtspunkte der Berührung in den Bildern entdecken, die versammelte Schwarmintelligenz von Ihnen, meinen lieben Zuhörern, nutzen. 

Um alle Bedenken zu zerstreuen und Ihnen die Scheu zu nehmen möchte ich betonen, dass es keine falschen Gedanken oder Assoziationen gibt. Wenn Sie das Bild als aggressiv oder beunruhigend empfinden dann ist diese Sicht genauso zulässig wie die Wahrnehmung einer inniglichen Verbundenheit über Kulturgrenzen hinweg. 

Sommergarten voller Kunst - Berührung 3
Lassen Sie Ihren Gedanken freien Lauf, oft kommt Berührung gerade beim Aufeinandertreffen von Gegensätzen zu Stande. (Farben und Blässe, Körperberührung, Bleich-Blau, psychodelisch-realistisch, Blickrichtungen, Wellenlinien/Kringel und Blumen, Gemälde im Gemälde…, Kulturen, Mann und Frau, Kälte und Wärme)

Auf eine ganz andere Art der Berührung stoßen wir beim zweiten Werk. Die ineinander verhakten Hörner und das geradezu körperlich erfahrbare Kämpfen und Ringen steht im Kontrast zum ersten Bild, das wir uns gerade angeschaut haben. (Kampf, Unübersichtlichkeit, Dynamik, Verhaken)

Ich bedanke mich ganz herzlich für das Zuhören, es würde mich freuen, wenn ich den einen oder die andere mit meinem Vortrag erreicht hätte. Denn als Vorstufe für die Berührung muss ich Sie ja erst einmal erreichen, dann mit Worten und Sprachbildern berühren und mitnehmen auf einen Weg der Transformation. Oder um es ganz hochtrabend zu formulieren: Dass Sie jetzt gegenüber dem Beginn der Veranstaltung ein gaaaaanz klitzeklitzeklitzekleinwenig anderer Mensch sind.

Mittwoch, 28. August 2024

Ein Sommergarten voller Kunst 2024: Berührung (2/3)

Der Prozess der Berührung

Ich habe Sie jetzt ein wenig mit Berührungen Vertraut gemacht, die Kombinationen angesprochen, die Bewertung durch unser Gehirn und natürlich die Zweiseitigkeit, also das Berühren und Berührt-werden. Diesen Punkt möchte ich im Folgenden weiter vertiefen, weil er bei der Beschäftigung mit Berührungen eine wesentliche Rolle spielt. Angelehnt an die Resonanztheorie von Hartmut Rosa kann man davon ausgehen, dass Berührung auch eine Antwort erfährt. Wir haben das schon beim Handauflegen mit der Schulter kennengelernt.

Sommergarten voller Kunst - Berührung 2

Der erste Punkt – die Aktion – wurde in uns zu einer inneren Antwort, einer Reaktion. Die Hand auf der Schulter oder auch die Schulter unter der Hand war Teil eines Dialoges. Diese Selbstwirksamkeit führt dazu, dass wir auch dann, wenn wir selbst berühren eine aktive Antwort erfahren. Welche wiederum mit einer leiblichen Reaktion verbunden ist. Je nach Intensität kennen wir das als Gänsehaut, einer Schauer, die uns über den Rücken läuft oder sonstigen körperlichen Ausdrücken von Emotionen.

Und diese Reaktion, diese Emotion macht etwas mit mir. Ich bin danach nicht mehr ganz der Mensch, der ich vorher war. Die Berührung hat mich innerlich bewegt, mich verändert. Das muss nicht immer so dramatisch sein, dass man sein Leben danach umstellt, aber schon die Beeinflussung der Stimmung ist eine typische Auswirkung der Berührung. Sie kann uns nachdenklich machen, fröhlich, traurig; Das hängt von dem Berührt-sein ab, aber sie kann uns nicht völlig kaltlassen.

Man spricht von Transformation und meint damit, dass eine vielleicht unbemerkt und kaum erkennbar kleine Veränderung in unserer Seele stattfindet. Dieser spannende Aspekt wird uns im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kunstwerken noch beschäftigen. Denn beim Kunstwerk steht zwischen dem Werk und dem Betrachter noch der Künstler, den wir in dieser Rolle als Initiator der Transformation sehen können.

Sommergarten voller Kunst - Berührung 2
Als kleinen Exkurs möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass der Künstler auch im Sinne eines Übersetzers Transformationsarbeit leistet. Was von seinem künstlerischen Auge aufgenommen und dann auf die Leinwand gebracht wird, ist geprägt von seinem Charakter, von unterbewussten Veränderungen, Umwandlungen und Verfremdungen. Ich denke beispielsweise an Tom Sommerlatte, ebenfalls hier aus dem Wildpark, der in seinen Kunstwerken eine bemerkenswerte Transformation leistet, die es zu entschlüsseln gilt.

Doch zurück zum Prozess, der sich an die Berührung anschließt. Ich habe schon von der Affizierung gesprochen, jenem Moment, der mit seiner Kontaktaufnahme über mindestens einen der Sinne den Vorgang startet. Dann die Reaktion als Teil eines entstehenden Dialogs, einer Re-Sonanz, das heißt einem Widerhall in uns. Drittens die Transformation als Verinnerlichung, in der aus dem zunächst flüchtigen Dialog eine manifeste Veränderung hervorgeht.

Und abschließend noch der Aspekt der Unverfügbarkeit. Sicher haben Sie sich gefragt, ob ich mit meinen komplexen Überlegungen überhaupt noch auf dem Boden der Realität bin. Ob die vielen Fremdwörter und umständlichen Erläuterungen nicht eher akademischer Natur sind und eigentlich gar nichts mit dieser Bilderausstellung oder gar mit dem Alltag zu tun haben.

Sommergarten voller Kunst - Berührung 2
Richtig ist jedenfalls, dass manchen meiner Gedanken ziemlich schwierig zu folgen ist. Gerne können Sie mich nachher noch mal ansprechen und diesen oder jenen Punkt mit mir diskutieren. Denn an genau dieser Stelle greift mein vierter Aspekt, denn man kann zwar eine Berührung erzwingen, aber weder die Resonanz noch die Transformation sind zwingend erreichbar. Vielmehr sind Sie mir als Zuhörer im ersten Moment unverfügbar.

Wer könnte in einer Stresssituation oder wenn er müde oder gelangweilt ist aktiv zuhören, mehr als höfliche Antworten geben oder gar zu einer intrinsischen Veränderung kommen? Um überhaupt mehr als einen reinen Vortrag zu halten muss ich zum einen versuchen, Sie verbal zu berühren und zum anderen müssen Sie bereit sein, sich berühren zu lassen.

Nehmen wir mal an, Sie säßen als Zuhörer in einem mehr oder weniger langweiligen Vortrag über Berührung. Der Redner gibt sich Mühe oder auch nicht, aber Ihre Gedanken schweifen ab, da ist nichts, was Sie als innerliche Berührung oder gar Transformation bezeichnen könnten. Sind Sie bitte so gut, stellen sich das möglichst intensiv vor und klatschen jetzt alle mal Beifall.

Halbherzig und vorwiegend höflich lassen Sie Ihre Hände aufeinanderprallen und genügen also klatschend der Pflicht, die eher mäßig attraktive Darbietung zu würdigen. Aber wir machen auch gleich die Gegenprobe, versetzen uns noch mal in die Szene, diesmal aber mit Begeisterung für die zahlreichen Denkanstöße, die in uns brodeln und nur darauf warten, bei einem Glas guten Weins weiter durchdacht und mit dem sympathischen Nachbarn oder der sympathischen Nachbarin diskutiert zu werden. Können Sie bitte noch mal einen geradezu euphorischen Befall spenden?

Montag, 26. August 2024

Ein Sommergarten voller Kunst 2024: Berührung (1/3)

Die Formen der Berührung

Guten Tag, meine Damen und Herren. Wir haben uns heute ein universelles, aber auch schwieriges Thema vorgenommen. Ich möchte versuchen, es von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Und Sie dabei mit einbinden, um es zu einer Erfahrung für verschiedene Sinne zu machen.

Sommergarten voller Kunst - Berührung1

Im ersten Moment denke ich als Physiker bei Berührung an das Aufeinandertreffen zweier Körper, Sie erinnern sich bestimmt an den Unterricht in der Schule und wie wir da Kugeln auf dem Tisch hin- und hergerollt haben.

Wer von Ihnen hatte einen guten Physiklehrer? Gegenprobe: Wer hatte einen schlechten Physikunterricht? – Das habe ich mir gedacht. Aber egal wie langweilig und wenig begeisternd der Unterricht war, es ging um ganz elementar einfach mechanische Vorgänge, und dazu gehört eben auch der elastische Stoß. Halten wir an dieser Stelle auf jeden Fall mal fest, dass für eine Berührung mindestens zwei Objekte notwendig sind… ich werde nachher noch einmal darauf zurückkommen.

Warum eigentlich nachher. Wir wollen das jetzt direkt mal ausprobieren. Bitte nehmen Sie ihre rechte Hand mal hoch, etwa auf Brusthöhe. Und jetzt umfassen Sie mit der linken Hand das rechte Handgelenk. Sie merken jetzt, wie die eine Hand die andere berührt, genau genommen berührt die linke Hand die rechte, während die rechte berührt wird.

Sie können sich bewusst auf die rechte Hand konzentrieren und einmal fühlen, wie es sich anfühlt, wenn die Hand berührt wird. Und umgekehrt mal in die linke Hand hineinfühlen, die eine andere Hand berührt. Wir haben also einerseits eine Berührung, eine Gegenseitigkeit und andererseits die Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit gezielt auf die Berührung oder das Berührt-werden zu lenken.

Sie können die Hände wieder herunternehmen, denn wir wollen uns einem anderen Aspekt widmen. Konzentrieren Sie sich bitte mal auf ihr Gesäß. Gerade haben Sie es noch nicht wahrgenommen, aber jetzt wo ich es anspreche fühlen Sie den Sitz unter sich. Es kommt schon seit einiger Zeit zu einer Berührung, die wir aber schon kurz nach dem Hinsetzen gar nicht mehr zur Kenntnis nehmen. Das Gefühl ist sozusagen eingeschlafen, und das passiert praktisch nach jeder noch so heftigen Berührung.

Und wo wir gerade bei heftigen Berührungen sind: Auch Schläge sind eine Art Berührung. Keine angenehmen, aber auch hier erleben wir eine Form des Aufeinandertreffens, des Berührens und Berührt-werdens. Wussten Sie, dass etwa jeder sechste Mann und jede siebte Frau sich schon einmal beim Sex spielerisch hat peitschen lassen?

Womit wir beim nächsten wichtigen Punkt angelangt sind. Ausgehend von einer rein mechanischen Handlung, dem elastischen Stoß auf dem Experimentiertisch im Physikunterricht sind wir nun schon recht tief bei der emotionalen Komponente angekommen. Es gibt Berührungen, die wir angenehm, möglicherweise sogar lustvoll finden. Und solche, die wir unangenehm oder sogar verängstigend einstufen. Das gilt für Berührungen im Allgemeinen und ist mehr oder weniger trivial: Sowohl zur Belohnung – Streicheln - als auch zur Bestrafung – Prügel - werden verschiedene Berührungen eingesetzt.

Andererseits kann ein und dieselbe Berührung auch positiv oder negativ behaftet sein. Wenn mir mein Nachbar seine Hand auf den Arm legt kann ich mich peinlich berührt fühlen oder vielleicht heimlich den Wunsch nach mehr Berührung entwickeln. Der rein haptische Eindruck wird von unserem Gehirn in ein ist-schön oder ist-nicht-schön kategorisiert. Es hat, und das möchte ich betonen, nichts mehr mit der eigentlichen Berührung zu tun.

Können wir das bitte alle mal ausprobieren. Legen Sie bitte mal paarweise eine Hand auf die Schulter eines Nebenmannes oder Nebenfrau. Wer seine Hand auflegt fühlt eine Schulter, vielleicht muskulös, vielleicht zart, groß oder klein, schmal oder breit. Und wer umgekehrt eine Hand auf seiner Schulter liegen hat, der nimmt eine mehr oder weniger große Handfläche, Finger, warm oder kalt, und ein gewisses Gewicht wahr. Ob das Berühren oder auch das Berührt-werden ein willkommenes oder ein eher unangenehmes Erlebnis ist, ist natürlich sehr individuell und hängt davon ab, was in unseren Gedanken vor sich geht.

Überhaupt spielt unser Gehirn eine wichtige Rolle beim Management unserer Empfindungen von Berührungen. Denn es hat es mit einer beeindruckend großen Zahl von Reizen zu tun, die alle bewertet, vielleicht aber auch ignoriert werden müssen. Zu der Vielfalt mechanischer Berührungen kommen nämlich noch die anderen Sinne hinzu. Auch der zarte Hauch eines Parfums kann mich in den Bann ziehen, mich berühren. Oder eine Musik der ich lausche, meine Augen schließe und nachher völlig aufgewühlt bin.

Sommergarten voller Kunst - Berührung1

Augen, Ohren, Mund, Nase: Diese Sinnesorgane ergänzen unseren Tastsinn. Und oft kommt das eine zum anderen, wird erst in der Kombination das Erlebnis daraus, das wir in Erinnerung behalten. Die hämmernden Bässe auf dem Rockkonzert beispielsweise sind ein Zusammenspiel aus Hören und Fühlen. Oder sicher erinnern Sie sich an ein besonders leckeres Getränk, das aber nach der Rückkehr aus dem Urlaub in Deutschland ganz anders schmeckt. Die besondere Berührung bestand nicht nur aus einem isolierten Eindruck, den wir vielleicht wiederholen können, sondern aus einer Kombination, einem Kontext.


Montag, 19. August 2024

Ich lauere meinen Handwerkern auf

Ich stehe auf starke Männer. So Typen mit Oberarmen wie Popeye, Stiernacken, breiter Brust und Waden wie Fußballprofis. Ein kleiner Bierbauch ist ok, aber insgesamt eher durchtrainiert. Das sind die Männer, die was wegschaffen, die einen Sack Zement mal eben so mitnehmen, wenn sie ohnehin die Treppe hochlaufen. Oder von mir aus auch unter jedem Arm einen Werkzeugkoffer nach oben transportieren.

Meine Begeisterung für diese Geschöpfe liegt übrigens weniger an einer Sehnsucht nach einem so aussehenden Partner, als vielmehr an meiner ziemlich verzweifelten Suche nach Handwerkern für Arbeiten in Haus und Garten. Geht man den regulären Weg, sind diese Menschen für die nächsten Monate ausgebucht, haben Urlaub, sind krank oder rufen so abgehobene Preise auf, dass man nicht ins Geschäft kommt.

Ich lauere meinen Hanwerkern auf
Zentrale Frage ist nun, wo ich solche Personen finde. Und da kommt mir der Baumarkt in den Sinn. Nicht so sehr im Baumarkt selbst, viel besser ist der Imbissstand davor. Hier, wo sie einen Moment stehen müssen, in der Schlange auf ihre Currywurst warten, am Stehtisch die Pommes konsumieren oder schlichtweg nur einen Kaffee trinken. Egal wie aktiv sie sind und egal, welches Material sie gerade gekauft haben oder gleich kaufen wollen: Sie müssen einen Augenblick innehalten.

Und das ist die Gelegenheit. Langsam löse ich mich von dem Stehtisch, an den ich mich mit meiner Cola postiert habe, nähere mich, um die Gespräche zu belauschen und an Hand der Kleidung und eventuell vorhandenem Werkzeug auf die Fachrichtung zu schließen. Da gerade habe ich einen Installateur ausgemacht, mit seiner kleinen Rohrzange im Engelbert Strauss ist er unverkennbar für die Montage meines Boilers geeignet.

Mehr zufällig schiebe ich mich an ihm vorbei, schaue ihm ganz verdattert ins Gesicht und entschuldige mich, dass ich mich beinahe vorgedrängelt hätte. Was ja gar nicht in meinem Sinne wäre, ja, wenn wir alle bei der Arbeit… apropos Arbeit ob er vielleicht, muss ja nicht über die Firma sein, eine Kleinigkeit für ihn, aber eine riesige Hilfe für mich.

Er zögert, wittert eine Falle und überhaupt hat er keine Zeit, ich könne ja mal seinen Chef anrufen, Telefonnummer steht auf dem Lieferwagen da hinten. Ach was, sage ich, der Chef interessiert mich nicht, und ob er immer das tut, was der Chef so sagt? Meine Frau ist so eine ganz Nette und macht richtig guten Kaffee, naja, wenn er mit dem Kaffee hier am Imbiss zufrieden ist, ist er vielleicht doch nicht mein Mann.

Damit habe ich ihn, zufällig habe ich einen Zettel in der Tasche und finde auch einen Bleistift, um mit ihm die Adressen auszutauschen. Jetzt nur nicht zu professionell, keine Visitenkarten, das muss alles ein wenig improvisiert wirken. Also, diese Woche sicher nicht mehr, aber Anfang kommender Woche kann ich abends mal anrufen, jetzt muss er aber dringend weiter und schönen Tag noch.

Na also, jetzt brauche ich noch einen Elektriker, um den Boiler auch anzuschließen. Elektriker sind etwas schwieriger zu bekommen, ziemlich scheu und eher selten zwischendurch am Büdchen. Also mache ich mich auf den Weg in den Baumarkt, lungere zwischen Kabelrollen, Leerrohren und Sicherungsautomaten herum. Es dauert eine Weile, endlich ein interessanter Kandidat, mindestens einen Kopf größer als ich und mit dicker Brille, aber ansonsten passt er in mein Beuteschema.

Etwas zu lang steht er vor den Kabelschellen, sucht im Regal nach einer Großpackung und beweist damit, dass er kein Heimwerker ist. Zack, stoße ich rückwärts gegen ihn, und: „viel zu kleine Packungen“, raune ich ihm zu, während ich selbst mit dem Finger über das Regal gleite. Durch seine dicken Brillengläser stiert er auf mich herab, er hat einen Zwerg getroffen, der nach seiner Einschätzung planlos im Regal herumgrabbelt.

Einige Minuten und eine kurze Diskussion über Nagelschellen und Schraubschellen später habe ich ihn soweit. Diesmal schaue ich mich ängstlich um, nehme den Abreißblock für Kleinteile, krame unbeholfen einen Kuli aus der Tasche und schon habe ich seine Adresse. Die nachfolgende Verhandlung über den möglichen Einsatzzeitpunkt kann ich durch ein kleines Vorab-Trinkgeld erheblich verkürzen. Es gelingt mir, den Termin mit dem vorher gebuchten Installateur zu koordinieren.

Weiterhin guten Einkauf wünschend schlendere ich weiter. Eigentlich habe ich für heute mein Team akquiriert, aber auf einmal dringen polnische Wörter an mein Ohr. Mit Polen habe ich gute Erfahrungen gemacht, unauffällig schleiche ich mich an mein neues Opfer heran. In dem etwas heruntergekommenen Hosenanzug wirkt er sehr aktiv, der Zollstock in der Seitentasche und der Cutter in der Brusttasche lassen Innenausbau vermuten. Diese Allrounder kann man immer gebrauchen.

Richtig geraten, gerade kommt sein Kumpel mit einem hochbeladenen Einkaufswagen mit Metallständern, Rigips-Schrauben und Spachtelmasse. Gleich zwei, wie praktisch! Leider verlässt mich mein Glück ein wenig, denn sie sprechen wirklich überhaupt kein Deutsch. Aber so leicht entkommen sie mir nicht. Ich eile an der Kasse vorbei zum Ausgang und setze mich auf einen dort platzierten Blumenkübel.

Es dauert noch eine Viertelstunde, aber dann kommen meine Handwerker aus dem Ausgang heraus und schieben den Wagen in Richtung eines ziemlich rostigen Sprinters. Dort angekommen sperren sie die Tür auf und siehe da: Ein dritter Mann wuchtet sich vom Beifahrersitz, mit dem kann ich mich verständigen, mit wenigen Sätzen habe ich erfahren, dass sie hier in der Gegend für kleines Geld spontan in den Häusern herumrenovieren. Wegen der Sprachbarriere läuft es leider noch nicht so mit den Aufträgen.

Volltreffer! Die Rückseite des Kassenzettels muss herhalten für eine Handynummer und ich bestehe darauf, dass ich mir mal die Baustelle ansehen kann, auf der sie gerade tätig sind. Einen Moment halten sie mich für irgendeine Bauaufsicht, aber nachdem ich ihnen ein Bild von meinem Badezimmer gezeigt habe und sie in polnischer Diskussion über das Vorgehen zur Neugestaltung der Fliesen und Duschabtrennung abgestimmt haben, bin ich mit ihnen im Geschäft.

Zufrieden lasse ich sie ihre Ware in den Wagen packen, überlege, ob ich noch weitere Handwerker brauche, ob ich sicherheitshalber noch einen weiteren Installateur oder Elektriker daten soll oder ob ich mein Tagwerk für heute vollbracht habe.