Freitag, 29. Dezember 2023

Durchgang frei für 2024

Durchgang frei für 2024
Da direkt vor mir ist die Personenschleuse. Ich stehe noch im Jahr 2023, ein paar Schritte noch, dann gehen die beiden Türchen auf und ich kann hinübertreten in das Jahr 2024. Viel Technik, wenig Magic. Soll ich mich beim Passieren hinter der Schranke noch mal umdrehen oder einfach mit festem Blick nach vorne weitermarschieren?

Silvester ist jedes Jahr wieder ein großes Geschehen. Mit ein wenig Wehmut blicken wir zurück auf die vergangenen Monate, haben vielleicht in den letzten Stunden auch allerlei Fernsehbeiträge mit Zusammenfassungen der Ereignisse gesehen. Und dann begrüßen wir das neue Jahr mit Feuerwerk und Sekt - gute Vorsätze, fromme Wünsche und Katerstimmung am Morgen darauf eingeschlossen.

Was wir zu Silvester selbstverständlich finden, ist im Alltag oft nicht so gegenwärtig. Durchleben wir nicht fortlaufend irgendwelche Umstellungen, Durchgänge und Wechsel? Im Grunde ist die zeitliche Lage der großen Feierorgie am Ende des Dezembers willkürlich gewählt, genauso könnten wir an irgendeinem anderen Tag des Jahres zurückblicken und nach vorne schauen. Tun wir aber nicht. Das kollektive Gejauchze hat seinen festen Platz im Kalender, die eingangs erwähnte Schleuse steht ja auch jeden Tag an derselben Stelle.

Und an dieser Schleuse drehen wir uns auch nicht jeden Tag um, denken in Wehmut an unseren geliebten Arbeitsplatz und schauen voller Unsicherheit, aber mit frohem Mut, auf den herannahenden Feierabend. Wir treten einfach hindurch und setzen unseren Weg fort.

In diesem Sinne „Prost“ und „guten Rutsch“!

Montag, 25. Dezember 2023

Life-work-balance nach Weihnachten

Heute Morgen hat der Wecker nicht geklingelt. Als ich aufwachte bekam ich kurz einen Schreck, dann fragte ich mich, ob Wochenende ist oder ob ich verschlafen hätte. Nein, nichts davon, auch kein Urlaubstag, wohl aber Feiertag. Beruhigt ließ ich mich wieder in die Kissen fallen. Jetzt merkte ich auch, dass ich noch müde war, dazu ein leichter Kopfschmerz vom Alkohol gestern Abend.

Langsam fällt mir alles wieder ein. Es ist erster Weihnachtsfeiertag, gestern war Heiligabend, wir haben festlich gegessen, Champagner getrunken und Geschenke ausgepackt. Ein schöner Abend, ruhig und harmonisch neben dem Christbaum. Heute geht es weiter, die Besuche der Verwandten stehen an, Kaffeetrinken, Abendessen, eine einzige Schlemmerei, aber auch eine willkommene Gelegenheit, sich mal wieder zu treffen.

Die Aussicht auf den heranbrechenden Tag mit seinen absehbar interessanten Gesprächen und dem leckeren Essen treibt mir trotz Müdigkeit und Kater ein Lächeln ins Gesicht. Mit dieser Grundhaltung werde ich auch Cousin Patrick mit seiner Angeberei und Tante Rosana mit ihrer Wehleidigkeit überstehen. „Das Leben ist schön, carpe diem“, denke ich.

Life work balance nach Weihnachten
Ich könnte es mir leisten, mich noch mal herumzudrehen und eine halbe Stunde zu schlafen, aber jetzt ist statt des Körpers die Tatkraft in mir erwacht und ich nutze den inneren Schwung, lasse die Beine aus dem Bett gleiten und wackle mit dem Restalkohol im Blut zum Badezimmer.

Montag also, aber der typische Montagseffekt fehlt. Die sehnsüchtige Erinnerung an den Sonntag, der deprimierende Gedanke, dass das nächste Wochenende noch fünf Tage in der Zukunft liegt. Im Grunde könnte ich den genießerischen Rückblick, den verheißungsvollen Ausblick und die Freude über die Möglichkeit, einen neuen Tag für mich zu erobern auch im Alltag ausleben. Das gelingt mir leider selten, ist doch die Arbeitswelt oft eher ernüchternd, hat keine interessanten Gespräche oder besonders leckeres Essen im Programm. Obwohl: Eine Mischung aus lästigen Rosanas und Patricks einerseits und Austausch von Neuigkeiten mit lieben Kollegen andererseits gibt es dort auch. Und zu einem gewissen Grad kann ich auch das Mischungsverhältnis einstellen. 

Sicher ist nicht jeder Arbeitstag wie erster Weihnachtsfeiertag, aber den Tag zu nutzen und den Augenblick zu genießen kann ich zumindest ein wenig vom Life zum Work übertragen. Ich werde übermorgen mal probieren, ob das in der Praxis bei mir funktioniert.

Montag, 18. Dezember 2023

Ich mache mir so meine Gedanken

Es ist gar nicht so einfach, dem Gehirn mal eine Ruhepause zu verordnen. Anders als manchmal behauptet wird, ist es nur eingeschränkt fähig zum Multitasking, im Sinne von Nachdenklichkeit jedenfalls überhaupt nicht. Andererseits möchte es sich aber auch stets und in der jeweils adäquaten Geschwindigkeit mit einem Thema befassen.

Nehmen wir mal einen Vortrag. Ich sitze irgendwo zwischen den Zuhörern, der Redner führt etwas langatmig durch seine Präsentation. Mein Denkapparat ist unterfordert, von Zeit zu Zeit mal einen Schnipsel aufzufangen reicht völlig. Die Folge: Meine Gedanken schweifen ab, ich schaue aus dem Fenster und sehe den Eichhörnchen zu.

Das passiert aber auch, wenn es zu schnell geht und ich nicht folgen kann. Eine Weile versuche ich noch hinterherzukommen, dann gebe ich (eventuell unbewusst) auf und in die entstehende Lücke drängt sich irgendein anderes Thema. Das kann dann auch wieder inspiriert werden durch einen Blick aus dem Fenster und Eichhörnchen.

Bei anderer Gelegenheit sitze ich nicht in einem Vortrag, sondern an meinem Schreibtisch, arbeite bestimmte Vorgänge ab und muss dabei aufpassen, die richtigen Daten in das zugeordnete System zu übertragen. Mein Gehirn ist beschäftigt, keine Möglichkeit abzuschweifen. Kaum ist diese Aufgabe erledigt oder klingelt auch nur das Telefon: Zack, wieder eine potentielle Lücke, die mein Gehirn sofort erkennt und nur darauf lauert, sich mit neuen Inhalten zu beschäftigen.

Besonders ausgeprägt ist das Phänomen bei Entspannung. Wenn die Arbeit getan ist, die Heimfahrt mit Zugfahrtänderungen oder die Autofahrt durch den Stadtverkehr erledigt ist, dann sind wieder Denk-Ressourcen frei. Ich sitze da, mein Puls kommt zur Ruhe und das Hin-und-her der Anstöße hat ein Ende. Zum ersten Mal am Tag kann ich für mich entscheiden, über was ich nachdenken möchte. Nichts und niemand jagt mich, es gibt höchstens zeitliche Vorgaben, weil irgendwann Zeit für das Abendessen ist.

Und diese Chance, die darf ich nicht ungenutzt verpassen. Ja, wenn ich jetzt noch die Hände an den Kopf lege, dann kann ich meine Gedanken geradezu fühlen. Das Pochen der Schläfen, die warmen Wangen sind erfahrbarer Ausdruck der inneren Aktivität. Ich grüble darüber, welches Thema mich heute besonders bewegt, was es wert ist, diese kostbare Lebenszeit zu besetzen.

Narzissten weiden sich an der eigenen äußeren Erscheinung, und genauso kann man sich an den inneren Vorgängen, der eigenen Gedankenwelt erfreuen. Und erkennen, dass man diese beeinflussen kann, einerseits im Sinne von „die Gedanken sind frei“, andererseits aber auch im Sinne der Notwendigkeit eines Gedankenmanagements. Solange ich nur so vor mich hindenke, kann ich nicht erwarten, dass etwas Zielgerichtetes herauskommt. Das ist es beim Denken nicht anders als bei der täglichen Arbeit oder der persönlichen Entwicklung.

Montag, 11. Dezember 2023

Speed-Dating in der New Work

Gut gelaunt laufe ich am Empfang vorbei, direkt auf den Aufzug zu, Knopf gedrückt: Der Arbeitstag kann kommen, ich bin voller Tatendrang und habe eine lange Liste mit Arbeit im Kopf. Aufwärts, der Zieletage entgegen und es stört mich kaum, dass der Lift zwischendurch immer wieder anhält, Kollegen aufnimmt und in anderen Stockwerken wieder entlässt.

Mit wenigen langen Schritten bin ich in der Home Base meiner New Work, betrete also das Großraumbüro, in dem mein Locker untergebracht ist. Schließfach auf, Headset herausgenommen und zusammen mit dem Laptop aus meiner Aktentasche halte ich auf den nächsten freien Arbeitsplatz zu. Hier gilt Free Seating, man sucht sich einfach einen Schreibtisch und steckt seinen tragbaren Computer an.

Mir gegenüber sitzt ein junger Kollege, wir kennen uns noch nicht, ich stelle mich kurz vor und erfahre, dass Stefan vierundvierzig Jahre alt ist, zwei Kinder hat und hier im Controlling arbeitet. Mein Computer ist inzwischen hochgefahren, aber der Bildschirm will sich nicht mit ihm verbinden. Ja, erfahre ich von Stefan, das Problem hatte ein anderer Kollege gestern auch, da ist wohl was kaputt.

Wir wechseln noch ein paar Worte, wünschen uns einen schönen Tag und ich ziehe weiter zu einem Schreibtisch weiter hinten, der noch nicht belegt ist. Diesmal ist Stefanie meine Schreibtischnachbarin, arbeitet im Kreditbereich, wie ich von ihr höre, nur heute mal hier im Office, normalerweise arbeitet sie wegen der kranken Mutter von zu Hause aus. Sie macht einen netten Eindruck, ich erzähle ihr, dass ich mir vor dem Einstieg in die Arbeit schnell noch einen Kaffee holen will und ob ich ihr einen mitbringen soll.

Mit den zwei Kaffee komme ich von der Maschine zurück, stelle danach aber voller Enttäuschung fest, dass zwar der Bildschirm funktioniert, aber keine Datenverbindung aufgebaut wird. Auch nach dem Neustarten diverser Programme kann ich noch keine Mails abrufen, Stefanie ist zwar nett, kann mir aber nicht weiterhelfen, auch wenn sie mir allerlei gute Ratschläge gibt.

Ich packe wieder Headset und Laptop, wir nicken uns noch mal freundlich zu und dann stehe ich auch schon auf dem Flur. Ein Blick auf die Uhr, langsam wird es Zeit, dass ich an die Arbeit komme, die erste Sitzung ist in zwanzig Minuten. Also den Gang hinunter, in eine andere Parzelle. Ein recht kleines Büro, aber ein einziger freier Platz reicht ja für mich. Und tatsächlich, drüben am Fenster ist ein Schreibtisch unbelegt, ich hätte ihn fast übersehen, weil mein potentielles Gegenüber seinen Clean Desk auf Stehhöhe ausgefahren hat.

Hans-Peter erklärt mir ungefragt, dass er im Vertrieb für unsere Kundenprodukte arbeitet und was zuerst wie ein Ohrwärmer aussah entpuppt sich als sein Kopfhörer, der sich in seinem vollen Haar verborgen hatte. Gerade als er ansetzt, mir seine Produktwelt zu erklären, geht er ohne Luft zu holen in ein Telefongespräch über, meldet sich mit Namen und ich werde für ihn unsichtbar. Wenn er den Rest des Tages so lebhaft weitertelefoniert, kann ich keinen klaren Gedanken fassen, lieber mal woanders hinsetzen.

Fünfzehn Minuten noch, jetzt aber schnell und endlich scheine ich Glück zu haben. Im nächsten Raum sehe ich diese Hübsche aus der Kantine und ihr gegenüber ist sogar noch ein Platz frei. Guter Dinge nehme ich Anlauf und will gerade das Verbindungskabel in den Cube stecken, als sie mir ohne mich anzuschauen zuraunt, der Schreibtisch sei schon besetzt. Irgendein Martin hat dort seinen persönlichen Stammplatz eingerichtet und wird innerhalb der nächsten Minuten auftauchen.

Speed-Dating in der New Work
Irgendwas zwischen enttäuscht und verärgert schaue ich mich um und sehe eine ältere Kollegin, die mich freundlich zu sich heran winkt. Sie sieht aus wie der Mit-mir-kannst-du-Pferde-stehlen-Typ. Und tatsächlich errät sie treffsicher, in welcher Lage ich mich befinde. Ohne meine Erklärung abzuwarten versichert sie mir, dass der Tisch hier in Ordnung sei, alle Komponenten funktionierten und sie mir bei Bedarf auch weiterhelfen könne.

Was für eine Freude, fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben und sie hatte nicht zu viel versprochen, Netzwerkverbindung, Monitor, Headset, alles tut seinen Dienst. Naja, genaugenommen musste meine Kollegin noch ein wenig bei der Verkabelung nachbessern, aber für sie sei das kein Problem. Schließlich arbeite sie im IT-Bereich, wie sie mir schmunzelnd erläutert.

Und so endet das Speed-Dating mit einer Verabredung zum gemeinsamen Mittagessen und mit dem Beginn eines wunderschönen Arbeitstages. Und wenn er noch nicht zu Ende ist, dann arbeite ich noch immer gegenüber von Beate.

Montag, 4. Dezember 2023

Fortschritt im Kreis

In den frühen 70er Jahren – ich war im Vorschulalter – pflegte meine Mutter täglich einkaufen zu gehen. Meist hatte sie ihr Fahrrad dabei, auf dem Gepäckträger hinten war der Flechtkorb eingeklemmt, mit Wachstuch ausgeschlagen. Supermärkte waren noch unüblich, es ging zu den verschiedenen Einzelhändlern, zu mehreren Bauernhöfen oder je nach Wochentag zum Markt. Am Ende der Runde war der Korb gefüllt, Lauch streckte seinen Kopf über den Rand, ein paar Äpfel weiter unten und ein Salatkopf thronte ganz oben.

Fortschritt im Kreis
Einige Jahre später wurde der Korb durch Plastiktüten abgelöst, viel bequemer und flexibler war das und ermöglichte die einfache Erweiterung der Transportmöglichkeiten. Auch Supermärkte mit Produkten aus der Ferne kamen in Mode, Südfrüchte gab es nicht mehr nur als Exotikum im Feinkostladen. Zahlreiche Hausfrauen stellten ihr Fahrrad in die Garage und hatten ein kleines Auto, mit dem sie ohne Schlepperei einkaufen konnten.

Riesige Supermärkte mit Schlaraffenland-artigem Sortiment lösten die Tante-Emma-Läden ab. Die gigantischen Parkplätze davor realisierten den Traum einer automobilen Republik, alles unter einem Dach, alles in ein Auto, alles von Tür zu Tür. Da mochte man Hausfrau / Hausmann / Hausdiverses sein.

Doch herrje, die Steigerung über Customer Experience und Internet-Bestellung zu einem orgiastischen Erlebnis wollte sich nicht so recht einstellen. Denn ausgerechnet in diesen Boom und die unbremsbar scheinenden Entwicklungen grätschten lange Zeit unbeachtete Aspekte herein. Unvermittelt nahmen die Themen Nachhaltigkeit, ökologischer Fußabdruck und Regionalität an Bedeutung zu.

Der Biohof vor Ort erlebte eine Renaissance und die Plastiktüten mussten dem Korb weichen, mit dem man auf den aufstrebenden Erzeugermarkt marschierte. E-Bike statt Auto, Regionalität statt Globalisierung. Und da frage ich mich, wann wir nach all dem Fortschritt wieder in den 70er Jahren angekommen sind. Fortschritt im Kreis sozusagen.

Montag, 27. November 2023

WWW.Zweite-Chatbot-Meinung.de

Ich werde wieder mal so richtig freundlich begrüßt, heute von Lisa, das ist die digitale Assistentin meiner Autoversicherung. Lisa fragt zwar nicht nach meinem Wohlbefinden, stellt sich aber höflich vor und bietet mir ihre Hilfe an. „Das ist doch nett“, denke ich, und erläutere ihr mein Anliegen. Erst versteht sie mich nicht, sucht in meinem Text nach Schlagworten, mit denen sie etwas anfangen kann.
Ich gehe mit ihr um wie mit einer schwerhörigen Oma, überlege schon beim Schreiben, was sie aus meinen Ausführungen herauspicken könnte. Das Wort „Tarifwechsel“ ist sicher in ihrem Wortschatz, auch „Zweitauto“ sollte ihr etwas sagen. Im Laufe unseres netten Austausches kommen wir meinem Anliegen recht nahe, sie verspricht, mir ein Angebot per E-Mail zu schicken.
Das hat ja phantastisch geklappt, gleich weiter zum nächsten Sprachroboter. Diesmal verlange ich nach einer Zusammenfassung der Erfahrungen mit einem bestimmten Rasenmäher. Der Freundliche stellt mir einen wundervoll gestalteten Text zur Verfügung, ich lese, was andere Kunden, was Testzentren, was Verbraucherzentralen zu dem Produkt verlauten lassen.

WWW.Zweite-Chatbot-Meinung.de
Und an diesem Punkt kommen mir plötzlich Zweifel. Wenn ich erkältet bin, dann gehe ich zum Arzt. Er schaut mir in den Hals, misst vielleicht noch die Körpertemperatur, hört die Lunge ab. Dann rät er mir zu Inhalation und schickt mich mit einer Krankmeldung nach Hause. So ganz glücklich bin ich mit der Behandlung nicht, am nächsten Tag also zum nächsten Arzt, und siehe da: Nach der Prozedur mit Halsbesichtigung, Temperaturmessung und Lungenbelauschung empfiehlt er mir Kamillentee, Wadenwickel und Bettruhe. Wozu ich keine Lust habe und beim dritten Arzt nach Handauflegen und Auspendeln die Anwendung von Zwiebelsud, ätherischen Ölen und einem Erkältungsbad ans Herz gelegt bekomme.

Aus den Therapievorschlägen der Ärzte suche ich mir dann das Passende heraus. Das würde ich mir auch bei den Chatbots wünschen, einfach noch mal anrufen, werde mit anderen Fragen konfrontiert und schon erhalte ich für denselben Sachverhalt von einem anderen Bot einen Alternativvorschlag. Eine zweite Chatbot-Meinung eben. Oder vielleicht können sich die Chatbots mit unterschiedlichen Schwerpunkten auch untereinander austauschen und mir nach einer Art Diskussion ihr ausgehandeltes Ergebnis mitteilen.


Montag, 20. November 2023

Heute fühle ich mich nicht wohl

Schon beim Aufstehen merke ich, dass etwas nicht stimmt. Die Beine sind schwer, leichte Kopfschmerzen, meine linke Hand ist eingeschlafen. Nein, krank bin ich nicht, aber alles fällt ein wenig schwerer, auch der Morgenkaffee kann mich nicht wirklich in Schwung bringen.

Ich grüble über meinen Zustand nach, zu viel getrunken habe ich nicht, eigentlich auch genug Schlaf gehabt, soweit ich mich erinnere war die Nacht auch weitgehend ohne Störung. Trotzdem signalisiert mir der Körper, dass er heute keine großen Leistungen vollbringen will.

Das geht natürlich in unserer Arbeitswelt nicht. Ich kann mich nicht einfach wieder hinlegen, erst mal ruhen und abwarten, ob der Zustand sich nach und nach bessert. Vielmehr mache ich mich startklar, gehe ins Büro und beginne den üblichen Vormittag: Schreibtischarbeit, Besprechungstermine.

Natürlich macht mein Körper das mit, aber er lässt mich spüren, dass es ihm nicht Recht ist. Lahm und müde kämpfe ich mich von Aufgabe zu Aufgabe, missmutig erledige ich die notwendigen Tätigkeiten. Selbst das Mittagessen kann mich nicht wirklich aufmuntern.

Es hat keinen Sinn, dass ich mich dagegen stemme, mein Körper sitzt da sozusagen am längeren Hebel. Und da wir ein Team sind, komme ich ihm ein Stück entgegen und lege ein paar Minuten Mittagsschlaf ein. Nach der Uhr sind es gerade mal zwanzig Minuten mit geschlossenen Augen.

Ob er genau darauf gewartet hat oder mir mitteilen will, dass er meinen guten Willen zu schätzen weiß oder tatsächlich in der kurzen Zeit etwas in Ordnung bringen konnte: Es geht mir jetzt viel besser. Wie mit aufgetanktem Akku geht die Arbeit jetzt erheblich leichter von der Hand.

Und ich ärgere mich, weil ich diesem doch deutlichen Impuls nicht schon früher nachgekommen bin.

Montag, 13. November 2023

Da erwacht das Tier (in dir und mir)

Kathrin ist total lieb. Bei ihr habe ich noch nie erlebt, dass sie laut wurde, mit deutlichen Worten ihre Meinung geäußert oder gar aggressiv geworden wäre. Aber neulich auf dem Spielplatz, als ein fremder Mann mit seinem Hund zu nah am Sandkasten vorbei kam, da ist sie mit dem Picknickmesser auf ihn losgegangen. Ich glaube, im nächsten Moment war sie über sich selbst erschrocken.

Da ist Paul von einem anderen Kaliber. Im Alltag lebhaft und als typischer Vertriebsmensch kontaktfreudig und sehr eloquent. Er hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen, verwickelt Kunden in jeder Warteschlange in ein Gespräche und ist auch für einen Flirt immer zu haben. Aber die Rede bei der Mitgliederversammlung im Sportverein hat ihn schlaflose Nächte gekostet.

Im Moment sitze ich bei einem Vortrag über die Geschäftsentwicklung eines großen Unternehmens. Freundlich winkt der Vorsitzende ins Publikum, präsentiert gute Zahlen und sonnt sich in seinem eigenen Erfolg. Auf Fragen aus der Zuhörerschaft reagiert er mit einfühlsamen Worten. Doch plötzlich kippt die Stimmung, er wird wegen einer Entscheidung zur Strategie kritisiert. Mit groben Worten wehrt er sich und kontert mit Vorwürfen der Ignoranz und des mangelnden Verständnis.

Da erwacht das Tier in dir und mir
Drei Menschen, drei Szenen. Was immer gleich ist, dass man selbst nach vielen Jahren der Bekanntschaft nicht vor Überraschungen sicher sein kann. Meist sind es Stresssituationen, die zu einer unerwarteten oder zumindest betont heftigen Reaktion führen. Es können aber auch (bis dahin verdeckte oder unbekannte) Vorgeschichten sein. Bei der Gelegenheit denke ich an den Hund aus dem Tierheim, der ausrastet, weil ihn mein Bart an einen Peiniger aus seiner Welpenzeit erinnert.

Manchmal hilft es, wenn man sich mit dem Gegenüber beschäftigt, möglichst viel über sein bisheriges Leben und seine Erfahrungen weiß. Vielleicht ist Kathrin selbst schon einmal von einem Hund gebissen worden, Paul als Kind bei einem Vortrag ausgelacht oder der Vorsitzende bereits von seinen Kollegen in die Zange genommen worden.

Obendrein ist es manchmal sinnvoll, sich mit der Position des Mitmenschen zu beschäftigen. Eine Person ist nicht dadurch Vorstand geworden, dass er es allen Recht machen und angepasst mitlaufen wollte. Vielmehr gehören Durchsetzungsvermögen und eine gewisse Härte meistens zu den Grundausstattungen. Und die kann dann mehr oder weniger unvermittelt zum Vorschein kommen.

Und selbst wenn man mit einem Kampfhund auch mal schmusen kann, darf man nie vergessen, dass er scharfe Zähne hat und diese bei Gelegenheit auch einsetzt. Nur dass wir oft nicht wissen, wann aus Sicht unseres Gegenübers die „Gelegenheit“ ist, dass das Tier in ihm erwacht. Aber wir können ganz sicher sein, dass in wirklich jedem von uns ein Tier steckt, dass ohne Vorwarnung herausbricht.

Montag, 6. November 2023

Mehr Spiegel!

Im Laufe der Jahrhunderte hat es immer wieder Figuren gegeben, die die Rolle eines Spiegels einnehmen. Seien es Personen wie Till Eulenspiegel oder auch Victor von Bülow, bekannt als Loriot. Im etwas erweiterten Sinne würde ich auch Hofnarren in diese Gruppe aufnehmen. Im Kern geht es darum, dem Umfeld etwas zu demonstrieren, was es eigentlich schon weiß oder wissen könnte. Sie haben es zwar gewusst, es war ihnen aber nicht bewusst. Nur ein Buchstabe unterschied, für unseren Kopf aber eine eklatant andere Situation.

Niemand wird behaupten, dass er bei Loriot etwas lernt, was ihm vorher unbekannt war. Aber er zieht Dinge ins Bewusstsein, die wir dann (selbst ohne merkliche Überzeichnung) als lustig empfinden. Erst im nächsten Moment kommt dann (hoffentlich) die Erkenntnis, dass eigentlich wir es sind, die da vor der Kamera stehen. In irgendeiner verborgenen Ecke unserer Seele juckt es uns vielleicht auch, die horizontale Position eines Bildes herzustellen und das nach unserem Korrekturversuch hereinbrechende Durcheinander mit den entschuldigenden Worten „Das Bild hing schief“ zu kommentieren.

Mehr Spiegel
Wir brauchen mehr Spiegel! Als gesunder Mensch hat man maximal ein Gesichtsfeld von rund 180 Grad (Halbkreis). Uns selbst können wir also ohne Hilfsmittel nur zum Teil sehen. Bei unserm Körper sind wir von Natur aus mehr oder weniger neugierig, erst recht, wenn es einen konkreten Anlass wie die Betrachtung der Frisur (von der Seite) oder das Herausfinden der Ursache des Rückenschmerzes gibt. In diesen Fällen kommen wir von uns aus zur Erkenntnis, dass nur ein Spiegel uns einen unverfälschten und direkten Blick auf den Status erlaubt.

Aber zur Einschätzung unseres Verhaltens, der eigenen Außenwirkung oder eingeschliffenen Gewohnheiten verlangen wir selten nach einem Spiegel. Recht gängig ist im beruflichen Kontext das Einfordern von Feedback, aber schon die aufmerksame Betrachtung des Umfeldes und dessen Reaktion kann wertvolle Informationen liefern. In der Bibel heißt es, dass man den Balken im eigenen Auge nicht sieht, sondern nur den Splitter im Auge des Gegenübers. Mit Spiegel wäre das nicht passiert.

Montag, 30. Oktober 2023

Lehren und Belehren

Wir Menschen haben sehr deutlich ausgeprägt die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Diesen ursprünglich von Lauten geprägten Austausch haben wir im Laufe der Evolution sprachlich verfeinert und um bildliche Weitergabe im Sinne von Zeichnung und Schrift ergänzt. Dadurch können wir Erkenntnisse relativ leicht weiter-geben, jemand anderem etwas bei-bringen. Das Vor-Machen wird durch Dar-Stellen und Er-Klären bereichert.

So geht also in der Zivilisation die Verteilung von Erkenntnissen oder Forschungsergebnissen, die Egalisierung von Umgangsformen oder die Verbreitung von Nachrichten. Professionell beschäftigen wir uns mit der Optimierung des Lehrens und nennen das Ganze Pädagogik. Auswahl und Aufarbeitung sind tief in der menschlichen Sozialstruktur verankerte Grundvorgänge. Fachleute nennen wir Lehrer, und diese sollen es hinbekommen, einen vorgegebenen Stoff im Sinne eines Multiplikators einer Gemeinschaft von Schülern zu vermitteln.

Lehren und Belehren

Anders ist das mit dem Belehren. Eng verwandt, denn auch hier geht es um Informationen, Richtlinien oder Vorgaben. Aber im Gegensatz zum Lehren werde ich unfreiwillig damit konfrontiert, hier wird nichts bereit-gestellt, sondern mir auf-gedrückt. Der Lehrende präsentiert sich nicht nur als Fachkundiger in der Sache, er stellt sich auch exekutiv einer verdeckten judikativen Instanz zur Seite.

Selbst lernaffine Menschen lassen sich nicht gerne belehren. Denn es geht ja im Kern gar nicht darum, einem Mitmenschen etwas mitzuteilen, was er vielleicht noch nicht wusste oder was ihm zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise das Leben leichter macht. Zentrale Botschaft ist der Hinweis, dass er etwas anders machen soll, eigentlich sogar verbunden mit der Kritik, dass er etwas falsch gemacht hat. Und gerade an der Stelle der enthaltenen Kritik entscheidet sich das Belehren grundsätzlich vom Lehren.

Montag, 23. Oktober 2023

Nicht nur der Montag ist dein Freund

Nicht nur der Montag ist dein Freund
Ein Blick aus dem Fenster: Heute ist mal wieder ein Regentag. Nicht schön, eigentlich hatte ich heute Rasenmähen vorgesehen. Es heißt umplanen, vielleicht ist das Gras morgen wieder trocken genug und ich kann es kürzen. Alternativ kann ich mich heute mit dem Rasenmäher durch die nassen Halme kämpfen, Verstopfen des Mähwerks und mühsame Entleerung des Fangkorbs eingeschlossen. Mit dem Kopf durch die Wand sozusagen. 

Sicher, wenn ich einen guten Grund dafür habe, bei meiner ursprünglichen Tagesgestaltung zu bleiben, dann muss ich mich den Widrigkeiten des Wetters stellen, mich mit den Widerständen arrangieren und das schwerere Arbeiten und das schlechtere Ergebnis in Kauf nehmen. Denn das Wetter kann ich nicht beeinflussen, nur versuchen, damit zu Recht zu kommen.

Ohne Glück oder Pech zu haben kennt jeder Segler diese Randbedingung, denn sie gehört zu dieser Form der Fortbewegung. Der Wind hat eine bestimmte Richtung und Stärke. Mit der falschen Richtung zu hadern ist möglich, bringt aber nicht weiter. Bei Gegenwind muss man kreuzen, immerhin kann man dann mit verringerter Nettogeschwindigkeit vorankommen. Kluge Seeleute arbeiten gemäß dem Grundsatz „der Wind ist dein Freund“.

Wie im richtigen Leben sozusagen. Das kann man nämlich auch nicht wirklich beeinflussen. Geschickt ist es dann, gute Randbedingungen zu nutzen, schlechte Situationen zu überstehen und mit geschicktem Kurs auch bei Widerständen vorwärts kommen. Im übertragenen Sinne gemäß dem Motto „das Leben ist dein Freund“.

[Diese Woche beim Interdisziplinären: Mittwoch, Wartungstag]
[Diese Woche beim Feingeistigen: Aufstehen, es ist Freitag!]


Montag, 16. Oktober 2023

Schwarmintelligenz – Attraktoren – Schulterklopfen

Auf den gängigen Social Media Plattformen kann man ja schmökernd seinen Tag verbringen. Da gibt es Veröffentlichungen, die von neugierigen Lesern nicht nur aufgenommen, sondern auch kommentiert werden. Das hat unterschiedliche Ursachen, mal ist das Bild ansprechend, mal kennt man die Person oder das Unternehmen, mal ist es einfach schick und die Freunde haben schließlich auch schon einen Daumen-hoch gegeben.

Schwarmintelligenz Attraktoren Schulterklopfen
Ein typischer Fall von Schwarmintelligenz oder vielleicht besser die Frage, was einen Bestseller zum Best-seller macht. Ist es wirklich die Qualität, die hier im Mittelpunkt steht? Oder bilden sich nicht vielmehr Trampelpfade aus, nichtlineare Prozesse führen zu sogenannten Attraktoren. Gibt es erst mal viele Likes, dann kommen noch weitere dazu: Was die anderen gut finden kann ja nicht schlecht sein. Ein Prozess des gegenseitigen Schulterklopfens setzt ein; Gibst du mir eine gute Bewertung kriegst du auch einen Stern von mir.

Das kennt man ja klassisch von Marken, wie reizt man zum Kauf, wie hält man die Interessenten bei der Stange und wie scheu ist manchmal das Reh, das wir Kunden nennen. Da heißt es mit Gefühl die richtigen Knöpfe zu drücken, strahlende Gesichter sind selten hinderlich und weibliche Reize sind wie Erfolgsgeschichten ein willkommener Köder.

Das Internet als großer See, Untiefen inbegriffen und während er für die einen ein Planschbecken ist, räkeln sich anderen selbstdarstellerisch am Ufer und wieder andere genießen auf dem Tretboot die Sonne. Exhibitionisten kommen genauso auf ihre Kosten wie introvertierte Ruhesuchende, hinter Röhricht könnte ein Liebesnest verborgen sein, vielleicht aber auch nur eine Entenfamilie hausen.

Und was auch immer Instagram, Tictoc, Tinder und Co anbieten: Alles ist öffentlich, keine Barriere schirmt die Anbieter, kein Mechanismus unterscheidet bei den Konsumenten. Ein Traum scheint wahr zu werden, ein Traum von der Existenz der Schwarmintelligenz, von ungezügelter Demokratie. Da könnten einem höchstens bei Shitstorms, Korrelationen zwischen äußerlicher Attraktivität und Klickzahlen oder auch bei der Begründung von Meinungen Zweifel kommen.

[Weitere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges] 

Montag, 9. Oktober 2023

Die Grenzen von Murphys Gesetz

Grenzen von Murphys Gesetz
Sicher, nicht alles im Leben läuft optimal. Es liegt durchaus im Rahmen der Normalität, dass manche Vorgänge gut verlaufen, andere schlecht. Aber was heißt eigentlich gut oder schlecht? Es beginnt schon damit, dass wir für uns selbst eine Art Erwartungswert definieren. Sind wir es gewohnt, dass wir jeden Tag bei der Fahrt zum Arbeitsplatz eine grüne Welle erleben und keine nennenswerten Behinderungen auftreten, dann finden wir das nach einiger Zeit normal. Ist es aber eigentlich gar nicht, vielmehr haben wir eine Zeit lang schlichtweg Glück gehabt oder sagen wir mal vorsichtiger ist eine Zeit lang alles bestmöglich gelaufen. Aber bestmöglich ist eben im langzeitlichen Mittel nicht normal. Tage mit Lieferfahrzeugen, erhöhtem Verkehrsaufkommen oder Stau wegen einer Baustelle empfinden wir dann schon als schlimm.

Dann gibt es Situationen, die zwar unerwünscht verlaufen, aber eigentlich logisch absehbar sind. Fahre ich zu spät los, dann sind die guten Parkplätze nahe des Kinos schon belegt. Ich bin nicht nur zeitlich knapp dran, ich muss auch noch einen weiteren Fußweg in Kauf nehmen und komme noch später. Auch das ist kein Fall von Murphys Gesetz, sondern simple Logik.

Des Weiteren gibt es viele Alltagssituationen, in denen Pannen durchaus erwartbar passieren. Man kann ausrechnen, dass es wahrscheinlicher ist, dass ein herunterfallendes Brot auf die Marmeladenseite fällt. Das ist keine Bösartigkeit der Natur, sondern reine Physik.

Der Nachbar stellt die Mülltonnen in den Weg? Naja, das kann verschiedene Ursachen haben, vielleicht kann er mich einfach nicht leiden, ist unaufmerksam oder hat diesen Platz innerlich für die Mülltonnen reserviert. Dass ich sie erst zur Seite räumen muss und mich besonders darüber ärgere, wenn ich es eilig habe… das ist bedauerlich, aber da steckt keine höhere Gewalt dahinter.

Murphys Gesetz ist ein Sinnbild für menschliches Versagen bzw. Fehlerquellen in komplexen Systemen. Doch allzu oft wird es für Situationen bemüht, in denen wir es eigentlich in der Hand haben, günstigere Randbedingungen zu schaffen (z. B. früh genug losfahren), nicht den Optimalfall mit dem Normalfall verwechseln und nicht jede Unannehmlichkeit als Panne zu interpretieren.

Montag, 2. Oktober 2023

Modell-Eisenbahn

Das habe ich mir mal ganz genau erklären lassen. Kinder haben eine Spielzeug-Eisenbahn, Erwachsene dagegen eine Modell-Eisenbahn. Die beiden Produkte sehen für Laien ziemlich ähnlich aus, aber es liegen natürlich Welten dazwischen. Während die Kleinen die Lokomotiven auf mehr oder weniger fest installierten Schienen hin- und herschieben oder auch mit elektrischem Strom bewegen, ist bei den Großen die Modellierung der Landschaft und Gebäude neben der miniaturisierten Form der Wagons ein wichtiges Equipment.

Modell-Eisenbahn
Also, da staune ich selbstredend, beide Seiten versichern mir, dass sie Spaß haben. Geht das denn überhaupt, frage ich mich, dass man auf alle Details verzichtet und sich am Herumfahren auf dem Schienenkreis ergötzt? Oder andersherum: Kann man Freude entwickeln, wenn man eigentlich nichts verändern darf, weil es dann nicht mehr ganz der geschrumpften Wirklichkeit entspricht?

Da ist – stelle ich für mich fest – gar kein Maßstab zu definieren. Weder hätte ich Spaß am pingeligen Basteln und Aufbau einer Miniwelt. Die reale Welt ist eigentlich ganz schön, die Bahnhöfe zum Teil prächtig oder urig und die Züge zum Teil sehr schnittig. Und ich fühle auch keinen Bedarf, einen pünktlichen Fahrplan in einem Kellerraum nachzuspielen, Züge auf Gleise zu manövrieren und sich ausweichen zu lassen, Lokomotiven von den Schienen zu heben, Personenwagen ein- und Speisewagen auszuhängen etc.

Und doch ein schönes Hobby, wenn man es denn mag. Und zwar als Spielzeug oder als Modell. Jedem das seine.

Montag, 25. September 2023

Fragen ohne Antwort

Das Leben von gebildeten Menschen verläuft in logischen Bahnen, flankiert von erlernten Inhalten und bearbeiteten Fragen. Manche Dinge können wir selbst ergründen, anderes mit der Hilfe von Informationsquellen oder Fachkundigen erforschen. Ob wir die Antworten verstehen oder nicht, hängt von der Vorbildung und dem Verständnis für ein Fachgebiet oder eine Materie ab.

Fragen ohne Antwort

Zunächst gibt es jene Fragen, deren Antwort wir mehr oder weniger alle verstehen. Dass ein Apfel vom Baum fällt liegt an der Erdanziehung, die kennen wir und die erfahren wir. „Das ist doch klar“, wäre eine Aussage, die uns jeder Handwerker an den Kopf werfen würde.

Nächste Stufe sind Aspekte, die wir berechnen, ja, sogar nachweisen können, die aber im Leben eines normalen Menschen nie auftauchen. Schlaue Menschen berichten uns glaubwürdig von schwarzen Löchern, zeigen Grafiken und Simulationen oder gar Fotografien.

Dann gibt es Fragen, die wir zwar beantworten können, deren Erläuterung aber außerhalb unserer Erfahrungswelt liegt. Das Speichern von Erbinformationen in der DNA klingt logisch, aber wir können hier nichts anfassen oder nur mit speziellen (z. B. mikroskopischen) Verfahren einen Bezug dazu gewinnen.

Als nächsten Abstraktionsschritt kann man mit bestimmten mathematischen Verfahren Rechenoperationen in gekrümmten Koordinatensystemen durchführen, aber anschaulich ist das nicht. Überhaupt merken wir, dass unser Gehirn mit seiner Vorstellungskraft hier an seine Grenzen gerät. Immerhin gibt es gelegentlich Transformationen, die uns helfen, die Berechnungen wieder unserer Anschauungswelt zu nähern.

Und dann – Königsklasse – gibt es Fragen, die wir weder mit unserem menschlichen Denkapparat noch mit von ihm erdachten Verfahren beantworten können. Es fällt uns Menschen unglaublich schwer, diese Grenze zu akzeptieren. Hartnäckig versuchen wir, auch hier Wissenschaft zu betreiben ohne zu erkennen, dass wir in ein Metier vorstoßen, das für uns nicht erfassbar ist. Wer sich die Frage nach der Größe des Weltraums stellt oder sich vorstellen soll, wie es „dahinter“ weitergeht, der merkt schnell, dass es hierzu keine Antwort gibt.

Tatsächlich ist schon die Suche nach Antworten auf solche Fragen unvernünftig, da es diese Antworten für uns Menschen nicht geben kann. Recht leicht sind wir bei der Hand, einem Kind zu sagen „das verstehst Du nicht“ und erwarten, dass das Kind sich damit zufrieden gibt. Wieviel schwerer tun wir uns damit einzuräumen, dass wir auch als Erwachsene nur einen vermutlich ganz kleinen Ausschnitt – nämlich unsere Alltagswelt und ein wenig drumherum - er-fassen und be-greifen können. Und dabei denke ich noch nicht mal so sehr an religiöse oder transzendente Themen. Auch die durchaus technische Frage nach dem Beginn der Zeit gehört in diese Rubrik. Wer meint, dass es einen Anfangspunkt gegeben haben muss und entsprechend Theorien wie Urknall oder dergleichen verfolgt, der extrapoliert in unzulässiger Weise seine menschliche Erfahrung, dass doch alles begrenzt ist.

Aber genau das ist es eben nicht, oder wie Nena so wundervoll naiv gesungen hat: „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ – undefiniert halt.

Montag, 18. September 2023

Das Leben ist leicht

Es gibt manchmal diese Tage, an denen ich ganz traurig bin. Da liegen mehr als fünfzig Jahre Leben hinter mir, ganz sicher nicht mehr so viele Jahre vor mir. Und es gibt doch noch so Vieles, was ich gerne machen möchte, machen muss, es nicht einfach anderen Menschen hinterlassen kann. Gemessen an der (bisherigen) Geschichte der Menschheit bin ich nur ganz kurz auf der Erde, das Vor-mir ist mehr oder weniger bekannte Geschichte, das Nach-mir nicht genauer vorherzusagen als das Wetter der nächsten Woche.

Ein Hauch von Vergänglichkeit streicht an mir vorbei, in der (gedachten) Lebensmitte stellen sich Fragen nach dem Sinn der Arbeit, der Verlässlichkeit von Beziehungen oder dem Sinn des Lebens. Das war als Jugendlicher ganz anders, der Tag startete voller Elan, die Welt um mich herum schien nach Veränderung durch mich zu betteln, Gestaltungswille und Lebensfreude im unbeschwerten Umfeld waren die großen Überschriften.

Aber mit den Jahren sind immer mehr Belastungen dazu gekommen, kein Hüpfen durchs Leben, sondern ein mühsames Waten durch den Morast des Alltags. Frustration über die Widerstände beim Erobern der Welt, Enttäuschung über misslungene Beziehungen, fehlende Perspektive der persönlichen Entwicklung an allen Fronten. Der ursprüngliche Weg nach oben geht zunehmend in einen Pfad der Depression und Burn-out über. Wir können nicht mehr, wir wollen nicht mehr.

Das Leben ist leicht

Und dann kommt jemand an, klopft mir auf die Schulter und sagt: „Living is easy“ – das Leben ist leicht! Erst mal nur so dahingesagt, aber dann dämmert mir, dass da was dran ist. An beeindruckend vielen Stellen kann ich es mir leicht oder zumindest leichter machen. Der Kühlschrank ist leer? Nicht so toll, aber es gibt ja noch Nachbarn oder Tankstellen. Das Auto streikt? Es geht auch ohne mich, tut mir Leid. Kein Handwerker für die Renovierung aufzutreiben? Ein bisschen rumtelefonieren und notfalls verschieben. Nur nicht sauer werden, diese Pannen des Alltags gab es schon immer, entscheidend ist, davon keine schlechte Laune zu bekommen… ändern kann man meist ohnehin nichts.

„Junge, musst Du cool sehen“ ist ein ziemlich bescheuerter Spruch, aber im Grunde bringt er die Sache auf den Punkt. Es ist ganz oft eine Frage der Perspektive. Alles was von der Planung oder Erwartung abweicht ist vielleicht unangenehm und erfordert gedankliche Ausweichmanöver. Aber andererseits ergibt sich oft eine neue Sicht der Dinge und bei genauerer Betrachtung ist es manchmal gar nicht schlimm, möglicherweise sogar lustig.

Aus Kindersicht ist es lustig, mit den Füßen in eine Pfütze zu trampeln, das hochspritzende Wasser anzuschauen; Die mit jedem Tritt nasser werdenden Füße spielen da eine eher untergeordnete Rolle. Spielen, Spaß haben, über das lachen, was die Erwachsenen "albern" nennen ist fester Bestandteil des jungen Lebens. Genau an der Stelle können wir auch Ü50 noch ansetzen, mit Humor gegen Stress und Burnout und von Zeit zu Zeit zu der Bürowand umdrehen, auf der (und sei es nur in Gedanken) mit farbiger Sprayflasche die Worte „Das Leben ist leicht“ wie eine Aufforderung aufgesprüht sind.

Montag, 11. September 2023

Probiers mal mit Gemütlichkeit

Ich hatte ja nie den Eindruck, dass das Dschungelkind Mogli merklich Stress hatte. Vielmehr bedient es in seiner Disney-Fassung die Sehnsucht nach unbekümmerter Kindheit, Umgebung mit Freunden und dem Schutz vor Gefahr im entscheidenden Moment.

Die jungen Konsumenten nehmen dieses Bild einer heilen Welt als warmherzige Lebensgeschichte auf, Erwachsene stellen sich mehr oder weniger bewusst diesem naiven Zielbild. Und in diese weltfremde Idylle platzt dann noch der Bär Balu als liebenswert gemütliches Fabeltier. Mit seinen guten Ratschlägen zu Ruhe und Gemütlichkeit weißt er den Weg zum Glück.

Naja, das ist zweifellos ziemlich einfach gestrickt und ein allzu simpler Antritt. Besonders schwierig ist es nämlich, Gemütlichkeit zu erreichen. Die kann man nicht einfach einschalten, entweder hat oder erreicht man innere Ruhe, oder man hat noch zusätzlichen Stress, weil man nicht an seinem Ziel (nämlich die Ruhe und Gemütlichkeit) ankommt.

Ruhe kann man nicht einfach verordnen. Was man aber beeinflussen kann, ist die Stärke, mit der man an seiner inneren Unbewegtheit festhält. Manche sprechen von Ge-lassenheit, also dem Vermögen, Dinge, Menschen, Charakter und Umstände als gegeben zu akzeptieren, sie zuzulassen. Das hat nichts mit Nüchternheit oder gar Gefühlskälte zu tun, sondern ist ein Maß dafür, wie stark man sich von äußeren Impulsen beeinflussen lässt.

Eine wichtige Stufe der gelungenen Stressbewältigung ist das Annehmen der Situation und die Suche nach Alternativen. Und wenn es selbst bei sorgfältiger Betrachtung keine Ausweichmöglichkeit oder Erleichterung gibt, dann ist es hilfreich, statt dem Hadern mit der aktuellen Lage mit Ruhe und Gemütlichkeit zu kontern.

Montag, 4. September 2023

Du bist total unsympathisch

Die Verteilung an den Tischen hatte sich ganz zufällig ergeben. Mir gegenüber ein Mann um die Vierzig, Business-Casual in grau, eckige Brille, leichte Stirnfalten. Sein Haar kurz geschnitten, sorgfältig gegelt und aus den Hemdenärmeln ragten manikürte Hände, Ehering.

Ich war ein wenig überrascht, denn er machte keinen Hehl daraus, dass er sich nicht mit mir unterhalten wollte. Mehr noch ließ er mich spüren, dass ich ihm total unsympathisch wäre. Woran konnte das nur liegen, ich hatte mir wie alle anderen Gäste die Vorträge angehört, mich aber nicht an der Diskussion beteiligt. Auch konnte ich mich nicht erinnern, ihm vielleicht den Vortritt an der Garderobe genommen oder ihn durch irgendeine andere Handlung oder Geste verärgert zu haben. Nein, vor dem Treffen hier am Tisch hatte ich ihn noch nicht einmal gesehen. Trotzdem reagierte er unübersehbar ablehnend.

Es ist offenbar nicht so, dass diese Apathie irgendeinen konkreten Auslöser haben muss. Meinem eigenen Charakter entsprechend war ich davon ausgegangen, dass jeder Fremde mir erst mal eine Chance gibt, mich in mehr oder weniger positivem Licht darzustellen. Wieweit das über den Abend trägt ergibt sich dann im weiteren Verlauf, aber man könnte erst mal einen guten Eindruck vermitteln.

Du bist total unsympathisch
Aber mein Gegenüber war da anders. Laut Namensschild war er Mitarbeiter einer Firma Blablub-Consulting, ich fragte mich, ob der Name richtig geschrieben war und ob er witzig sein sollte. So sah der Mann gar nicht aus, nach seiner finsteren Miene wollte ich ihn aber auch nicht darauf ansprechen. Ob er auch anderen Menschen gegenüber dermaßen verschlossen agierte? Gerade drehte er sich zu einem Gesprächspartner zu seiner linken Seite, wechselte ein paar Worte, die ich nicht verstehen konnte und machte dann Anstalten aufzustehen.

Sein Blick fiel wieder auf mich, verdüsterte sich und mit einem gewissen Schwung stieß er den Stuhl zurück, um mit zügigen Schritten in Richtung Buffet zu verschwinden. Was habe ich ihm nur getan, wollte ich mich gerade fragen, als mir klar wurde, dass genau diese Frage hier schlicht verkehrt war. Sie kam aus mir, meiner Erfahrungswelt und meiner inneren Einstellung. Ich konnte ihm ja noch gar nichts getan haben, sein Verhalten konnte also keine Reaktion sein.

Vielleicht erinnerte mein Äußeres ihn an irgendeine verhasste Persönlichkeit, vielleicht eine bestimmte Handbewegung, mein Aftershave, Haltung, Kleidung oder was auch immer. Wenn er wieder auftauchte, das nahm ich mir tapfer vor, dann wollte ich ihn nach dem Grund seines Auftretens fragen. Aber er kam nicht wieder, so unvermittelt wie er plötzlich am Tisch saß, so spurlos war er auch wieder verschwunden.

Ob er mir überhaupt eine Antwort auf meine Frage gegen hätte, grübelte ich noch ein Weilchen. Aber selbst das konnte ich nicht herausfinden, weder an diesem Abend noch später, denn weil es mir keine Ruhe ließ fragte ich den Organisator nach diesem merkwürdigen Fremden von Blablub-Consulting. Doch weder dieser graumelierte Brillenträger noch die von mir zitierte Firma waren bekannt. So bleibt nur die Erkenntnis, dass es Menschen gibt, die mich spontan unsympathisch finden, ohne dass ich eine Möglichkeit habe, den Auslöser herauszufinden.

Montag, 28. August 2023

Ein Sommergarten voller Kunst (2023)

Vielen Dank an alle Gäste, die unsere Veranstaltung "Ein Sommergarten voller Kunst" besucht haben. Hier die Begrüßungsrede mit der Verknüpfung der einzelnen Programmpunkte.

Ein Sommergarten voller Kunst

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Nachbarn, Weithergereiste, Freunde, Bekannte, Kunstliebhaber und Neugierige. Ich begrüße Sie herzlich zu unserer ersten Ausgabe von „Sommergarten voller Kunst“. Lassen Sie sich ein auf einen interessanten Nachmittag, einen Nachmittag für das Auge, einen Nachmittag für das Ohr. Denn wir haben zum einen eine Gemäldeausstellung, zum anderen eine Lesung und dazu noch etwas für den Gaumen für Sie im Angebot.

Lassen Sie mich etwas zum verbindenden Element sagen. Das sind natürlich zuallererst Sie, liebe Gäste, Sie sind mit wachem Geist gekommen und nun will dieser Geist etwas zu tun bekommen. Unser Gehirn liegt auf der Lauer, ist neugierig, was jetzt kommt.

Ein Sommergarten voller Kunst
Zunächst zur Lesung: Einen Teil der Arbeit nimmt uns der Vorleser ab, denn er verwandelt irgendwelche meist schwarzen Zeichen auf dem weißen Papier in Buchstaben, die zu Wörtern werden und sich zu ganzen Sätzen zusammenfinden. Beim Vorlesen dringen nun diese Sätze in unsere Ohren und unser Kopf filtert aus all den Geräuschen einen Sinn heraus, der in uns Gedanken auslöst, Emotionen, Sichten und am Ende schlichtweg Bilder. Diese Bilder sind ganz individuell, jeder, der schon mal ein Buch gelesen und danach die Verfilmung gesehen hat, kennt dieses Phänomen. Das selbst entworfene Bild weicht vom Bild ab, das der Regisseur auf die Leinwand gebracht hat. In meiner Phantasie war der Hauptdarsteller ein wenig dicker und seine Tochter viel kleiner. Stand das nicht auch irgendwo im Buch?
Da findet also ein komplexer Vorgang in uns statt, der nicht nur die Handlung, sondern auch den Rahmen, die Figuren, die Umgebung aus-malt.

Ein Sommergarten voller Kunst
Ein wenig anders ist es bei der Betrachtung von Gemälden. Auch hier haben wir es mit einer Abstraktion zu tun, denn das Auge und insbesondere der dahinter liegende Sehnerv leisten hier enorme Arbeit. Ein Oval mit ein paar Punkten und einem Strich wird von uns schon im Kindesalter als Gesicht, als Mondgesicht, erkannt. Ähnlichkeiten zu erkennen, zuzuordnen und als Erfahrung abzuspeichern, ist die Kernkompetenz unseres Gehirns. Wir sehen ein Bild und können darauf Details erkennen, die mehr oder weniger versteckt sind oder hineinmontiert wurden. Aber wir können noch mehr, gerade zunächst unbekannte Formen und Inhalte versucht nämlich unser Denkapparat ebenfalls mit seiner Erfahrungswelt zusammen zu bringen. Man nennt dies Assoziation und ich möchte herausarbeiten, dass diese sich an den eigenen Erfahrungen, sozusagen dem inneren Fundus orientiert. So ist es nicht verwunderlich, dass verschiedene Menschen vor ein und demselben Bild deutlich unterschiedliche Assoziationen entwickeln und anderes darin sehen. Aus dem äußeren Bild entsteht ein inneres und auch dieses ist – wie bei dem Gedanken an das verfilmte Buch – individuell. Ein richtig oder falsch gibt es hier nicht, kann es nicht geben.

Ein Sommergarten voller Kunst
Begleitend zu diesen Sprach-Bildern und Leinwand-Bildern steht noch der Alkohol. Durch Unterdrückung gewisser Botenstoffe in unserem Gehirn erweitert er zwar nicht wirklich das Bewusstsein, ist aber bei ganz geringer Dosierung dafür verantwortlich, dass wir Gedanken und Assoziationen zulassen, die sonst der Vernunft halber unterdrückt werden. Wir lassen zu, dass Wasser den Berg hoch fließt, dass es unter dem Erdboden Wolken gibt oder ein Mund größer ist als eine Hand. Plötzlich kann etwas sein, was nicht sein kann, was aber der Botschaft des Gemäldes oder des Sprachbildes entgegenkommt.

Sie alle sind eingeladen, diese Eindrücke aufzunehmen, mitzunehmen und miteinander zu diskutieren. Der Sommergarten voller Kunst will nicht nur Konsumieren anbieten, denn Lesen können sie ja selbst und Gemälde anschauen geht auch im Internet. Vielmehr ist die Interaktion, also der Austausch, das Kennenlernen von Mitmenschen, deren Sicht und deren Verständnis ein zentrales Element dieser Veranstaltung. Genießen Sie den Nachmittag, tauschen Sie sich aus und berücksichtigen Sie bei jedem Gespräch, dass eine andere Meinung zunächst einfach nur anders und bedenkenswert ist.


Montag, 21. August 2023

Liebe als Produkt des Flirt-Marktes

Noch mal so zur Wiederholung. Auf der einen Seite haben wir ein Produkt, auf der anderen Seite einen Abnehmer. Und dazwischen den Markt. Ziemlich simpel, wie ich finde. Es ist naheliegend, dass der Austausch ein dynamischer Prozess ist, der durch die Vermittlung des „Marktes“ abläuft. Solange nur auf der einen Seite produziert oder nur auf der anderen Seite angefordert wird passiert gar nichts. Erst wenn es eine Plattform gibt, die die beiden Parteien miteinander in Kontakt bringt, kann ein Geben-und-Nehmen stattfinden.

Liebe als Produkt des Flirt-Marktes
Ganz klassisch denkt man da an einen Wochenmarkt mit Ständen, Händler hinter den Auslagen, und Kunden, die sich zwischen den Buden drängen. Wer Salat kaufen möchte wählt einen Gemüsestand aus (wenn es mehrere gibt) und lässt sich dort von der Verkäuferin einen Salatkopf geben. Dass das nicht immer ganz nach Wunsch funktioniert weiß jeder, der schon mal auf dem Markt eingekauft habe. Die Person hinter dem Tresen versucht nämlich, erst mal den nicht ganz so frischen Salat loszuwerden, bevor sie den gerade geernteten Nachschub hervorholt. Daneben spielt auch die Wahl des richtigen Marktes eine Rolle. Je nach Wochentag und Ort wird der Markt von anderen Lieferanten besucht, mein Lieblings-Gemüsestand ist vielleicht nur am Donnerstag in der Stadt aufgebaut.

Auch die Partnersuche verläuft nicht anders. Wer zu Hause bleibt, der taucht nicht auf dem Markt auf und muss sich nicht wundern, dass er keine Kontakte knüpft. Auch wird man im Club andere Menschen kennenlernen als im Museum, im Fitnessclub andere als beim Schachspielen. Anders als auf dem Wochenmarkt ist das aber ein zweiseitiger Markt. Beide Seiten (in den meisten Fällen Männer und Frauen) haben ein Produkt (nämlich sich) im Angebot.

Als Tauschmittel auf dem Wochenmarkt ist Geld universell, Sympathie und Liebe bei der Partnerwahl sind individuell. Es geht also darum, nicht nur den Markt auszuwählen, in dem man sich selbst seinen Wunsch erfüllen kann, sondern dabei zu berücksichtigen, dass man auf eben diesem Markt auch selbst eine gute Figur macht. Das klingt recht trivial, wird aber häufig nicht beachtet.

Und noch ein anderer Aspekt ist eine Betrachtung wert. Es gibt richtige Marktplätze, zum Beispiel Dating-Plattformen. Alle Teilnehmer sind sich einig, dass sie suchen oder zumindest grundsätzlich kontaktwillig sind. Zweitens gibt es Bühnen, die zwar sehr gerne als Kennenlernangebot genutzt werden, aber offiziell einem anderen Zweck dienen. Tanzschulen, Schwimmbäder, Clubs oder Sportvereine haben auf den ersten Blick eine andere Funktion als Kontaktvermittlung, haben aber einen hohen „Flirtfaktor“. Und als dritte Rubrik noch alle anderen Gelegenheiten, Personen zu treffen. Das kann die Arbeitsstelle genau so sein wie der Linienbus, der Supermarkt oder die Tankstelle.

Nach dieser recht ausführlichen Betrachtung des Marktes noch ein kürzerer Blick auf die beiden Anbieterseiten. Für mich selbst habe ich es in der Hand, mich als Produkt interessant zu gestalten. Will ich im Fitnessstudio herausstechen müssen die Arme schon ein bisschen nach Popeye aussehen, im Club sind eher cooles Auftreten und der richtige Dress wichtige Zutaten. Das hat etwas mit meinen Produkteigenschaften und natürlich auch mit Werbung zu tun und muss im Sinne der Strategie, Planung und des Budgets auch entsprechend behandelt werden.

Zurück zum Wochenmarkt die ernüchternde Erkenntnis, dass manche Käufer den breitblättrigen Salatkopf bevorzugen, anderen möchten eher den kompakten Wuchs - den für alle perfekten Salatkopf gibt es nicht. Und am Ende wird auch nicht jeder Salatkopf verkauft – manch einer landet im Kompost.

Montag, 14. August 2023

Echte Schnäppchen sind selten

Mindestens einmal im Jahr kommt die große Urlaubsplanung. Ein Blick in den Geldbeutel setzt die Randbedingungen, das Reiseziel wird festgelegt, dann beginnt die Recherche. Es soll natürlich für möglichst wenig Geld ein möglichst toller Urlaub werden. Ein Schnäppchen eben.

Aber das ist gar nicht so einfach. Nur nach dem Preis zu gehen wird dem Anspruch nicht gerecht. Dieses Kriterium lässt sich zwar simpel durch Sortierung nach dem Preis berücksichtigen, aber es macht nur einen Teil der Betrachtung aus. Im schlechtesten Fall bezahlt man zwar weniger, aber die Qualität ist schlechter. Vielleicht liegt das billigere Zimmer im unrenovierten Altbestand, das kann man bei der Buchung nicht erkennen. Oder es gibt keinen Transfer vom Flughafen zum Hotel, das steht zwar irgendwo in der Reisebeschreibung, geht aber möglicherweise beim Vergleich unter.

Dann gibt es Leistungen, die beim niedrigen Preis nicht enthalten sind, die ich aber haben möchte und – selbst wenn ich es bei der Buchung schon erkannt habe – separat bezahlen muss. Das kann dann in Summe teurer werden als der zunächst höhere Paketpreis der Alternative. Beispiel hierfür ist die Verpflegung im Flugzeug oder ein angeforderter Aufpreis für Gepäck.

Andererseits gibt es Leistungen, die zwar enthalten oder ausgeschlossen sind, die ich aber ohnehin nicht in Anspruch nehme. Als kinderloses Ehepaar wird mir die angebotene Kinderbetreuung kein Geld wert sein. Man könnte auch sagen, das Paket ohne Kinderclub ist passender und ich bezahle nichts, was ich gar nicht haben will.

Und schließlich die echten Schnäppchen. Im Flugzeug sind noch ein paar Plätze frei, um möglichst volle Auslastung zu erzielen werden die übrigen Tickets vergünstigt angeboten. Ein Hotel entschließt sich, die Zielgruppe zu wechseln und lockt mit Rabatten für Singles.

Echte Schnäppchen sind selten
Natürlich gilt das alles auch für technische Artikel, Dienstleistungen oder Produkte des täglichen Lebens. Sei es die Kaffeemaschine, die statt Edelstahl mit einer Kunststoffhülle daher kommt oder Autos, die zwar auf gleicher Plattform aber mit reduziertem Federungskomfort angeboten werden. In jedem Fall ist es entscheidend, dass man nicht nur den Preis vergleicht, sondern auch so gut es geht den Versuch unternimmt, den Auslöser für die Preisdifferenz herauszufinden. Um dann entscheiden zu können, ob es preiswerter oder billiger ist.



Montag, 7. August 2023

Da kann ich doch nur lachen

Da kann ich doch nur lachenGerade komme ich die Treppe hoch, biege auf den Flur mit meinem Zimmer ein. Noch ein paar Schritte, die 206. Mein Kopf ist schwer, die Beine sind es auch, irgendwo muss der Schlüssel in der Hosentasche vergraben sein. Ich bleibe stehen, mein Blick fällt auf den Boden, aber da ist nichts, ich gehe weiter, immer noch tief in Gedanken versunken.

Was war das eigentlich heute Abend? Die große Überschrift war politische Bildung, gemeinsam haben wir uns einen Film angesehen, der vermutlich das Prädikat wertvoll erhalten hatte. So ist es manchmal, denke ich. Als der Streifen produziert wurde, haben die Kritiker ihn verrissen, inzwischen verreißen die heutigen Kritiker die damaligen Kritiker und loben die einstige Filmkunst. Da kann ich doch nur lachen.

Schlüssel gefunden, die Tür geht auf. Ich stehe im dunklen Zimmer, schließe behutsam die Tür und lasse die Dunkelheit auf mich wirken. Es war eine cineastische Sonderbarkeit, die ich da vorgelegt bekommen habe. Ob man sich über die Vorgänge im Jahr 1939 lustig machen darf, war die Frage, für mich vielleicht eher der Gedanke, aus welcher Perspektive ich diese Frage beantworten soll. Ist die Transformation in die heutige Zeit oder ein Zurückversetzen in die kriegsgebeutelte Historie angemessen? Mit den Augen welcher Nation soll ich das Werk bewerten? Wie waren die Motive für den damaligen Produzenten und Regisseur? Und so weiter. Da vergeht mir das Lachen.

Ich setze mich vorsichtig auf das Bett. In meinem Kopf geht es immer noch um Schauspieler, wobei im Film nicht immer klar war, ob sie eine Figur oder einen Schauspieler spielen. Genauso wenig war erkennbar, ob es nun eine Komödie oder eine Tragödie sein sollte und ob der Antritt darin lag, Kritik zu üben oder Unterhaltung anzubieten. Ich weiß nicht, ob ich darüber lachen kann.

Schuhe aus, Hose auch, dann Hemd und Unterhemd. Die mittlerweile eingeschaltete Stehlampe verbreitet ein mildes Licht, in dem ich zum Badezimmer schlurfe. Mit der Zahnbürste im Mund beschäftigt mich die Frage, ob ich Zuschauer eines großen Kunstwerkes war oder ob es sich lediglich um eine wirre Mischung verschiedener Genres und Szenen handelte. Aber allein durch die Positionierung der Handlung in den Kontext des zweiten Weltkrieges in Kombination mit einem damals renommierten Regisseur wird der Film posthum zu einem wertvollen Zeitzeugnis. Da muss ich schon schmunzeln.

Das Bett ruft, die Zimmertür ist abgeschlossen, das Licht im Badezimmer ausgeschaltet. Während ich in den Schlafanzug schlüpfe ein letzter Gedanke an die vergangenen Stunden. Es war politische Bildung, aber die Menschen, die in diesem Zusammenhang Defizite haben schauen sich diesen Film mit Sicherheit nicht an. Als Zielpublikum die Ü50-Bildungsgesellschaft zu adressieren ist fragwürdig, über diesen liebenswert naiven Antritt sollte ich nur innerlich lächeln.

[Weitere Blogs: Interdisziplinäre GedankenFeingeistiges] 

Montag, 31. Juli 2023

Gast in meinem Leben

Ich liebe Urlaub, die Unterbrechung des Arbeitsalltags, die fremde Umgebung mit ihren ungewohnten Gerüchen und Gebräuchen sowie das exotische Essen. In einem hochwertigen Hotel werde ich freundlich empfangen, an der Rezeption wartet ein Begrüßungsgetränk auf mich, alles läuft reibungslos und die Angestellten behandeln mich sehr zuvorkommend. Die Gäste strahlen gute Laune aus, das ganze Leben scheint easy. Und insbesondere bekomme ich das Gefühl vermittelt, dass ich willkommen bin. Gastfreundschaft eben.

Neben den Erlebnissen, dem Kennenlernen des für mich Fremden ist es aber selbstverständlich, dass ich mich der Kultur anpasse. Ich bin nun mal nicht zu Hause und muss mir bewusst sein, dass ich mich als Gast benehmen und entsprechend Rücksicht nehmen muss.

Gast in meinem Leben
Neulich habe ich bei einem Kongress einen Kollegen kennengelernt, der mir auf Anhieb sympathisch war. Unsere Sicht über die besuchten Vorträge war sehr ähnlich, die präsentierten Inhalte führten zu ähnlichen Gedanken und unsere Einschätzung der Referenten war deckungsgleich. Kurz, wir hatten einen sehr kurzweiligen und interessanten Austausch, der mit der Verabredung zu einem gemeinsamen Mittagessen endete.

Die Bekanntschaft entwickelte sich weiter zu einer Freundschaft, die wir auch im privaten Rahmen und gelegentlich auch mit den Partnerinnen fortsetzten. Wie schön, denn ich hatte einen Freund hinzugewonnen, einen Menschen, der ein Stück Leben mit mir teilt. Wie ist das eigentlich grundsätzlich, überlegte ich, mit den Personen um mich herum. Sie waren irgendwann da, manche kamen durch die gemeinsame Arbeit in mein Leben, anderen durch Nachbarschaft, wieder andere teilten irgendein Hobby mit mir. Doch egal, welche Umstände zum Kontakt führten und egal, zu welchem Zeitpunkt das erste Treffen stattfand, jedenfalls stimmte in diesem Moment die Chemie.

Andererseits habe ich im Laufe der Jahre auch viele Freunde verloren. War es ein Umzug, der Wechsel des Arbeitgebers, eine eifersüchtige Partnerin oder schlicht ein Auseinanderleben: Mal schlief der Austausch still ein, mal mehrten sich die Zeichen, dass man sich auseinander gelebt hatte. Wie schön, wenn man dann nicht zwanghaft an der Beziehung festhalten muss, sondern ihr einen liebevollen Platz in der Erinnerung einräumen kann.

Mitmenschen kommen – zum Teil recht unvermittelt – und Mitmenschen gehen. Aber in der Zeit dazwischen sind sie Gast in meinem Leben. Ich lasse sie daran teilhaben, heiße sie willkommen und versuche mit ihnen easy drauf zu sein. Wie in einem richtig guten Urlaub, in einem richtig guten Hotel ist auch das eine Frage der Gastfreundschaft. Auf der einen Seite also der Anspruch, mit seinen Freunden nett und freundlich umzugehen. Andererseits aber auch die Erwartung, dass sich die Mitmenschen nicht nur als durchaus willkommene Gäste in meinem Leben verstehen, sondern sich auch angemessen rücksichtsvoll verhalten.

Montag, 24. Juli 2023

Wir müssen wieder mehr arbeiten

Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bringt es auf den Punkt: „Wir müssen wieder mehr arbeiten.“ Ein interessanter Appell, den dieser Manager da von sich gibt.

Wir müssen wieder mehr arbeiten
Nach aktuellen Prognosen wird die Wirtschaft dieses Jahr nicht wachsen, da wird man vom Direktor des IW natürlich erwarten, dass er sich Gedanken macht und Vorschläge unterbreitet, wie man diesem Trend entgegentreten kann. Und wie auf Managerebene üblich wird die geeignete Maßnahme im Wesentlichen im Bereich der Umsetzenden gesucht.

Diese Ebene ist in den letzten Jahren zu immer mehr Produktivität und Effizienz gezwungen worden. Hier scheint es also derzeit eine Schwelle zu geben, die eine weitere Erhöhung schwierig oder (zumindest derzeit) unmöglich macht. Also liegt es nahe, die Arbeitsmenge oder in der praktischen Umsetzung die Arbeitsdauer zu erhöhen.

Der Stagnation im Bereich Wirtschaft steht die Erwartung eines fortlaufend steigenden Wohlstands gegenüber. Das ist ein Spannungsfeld, das entweder durch einen Nachholeffekt der Wirtschaftsleistung oder durch Korrekturen beim Wohlstand (mindestens der Erwartung an seine Entwicklung) aufgelöst werden muss. Ohne Änderungen verschärft sich die Diskrepanz, was zu sozialen Spannungen führt.

Der Mensch ist auf Wachstum und Fortschritt programmiert, was sich entsprechend auch in allen sozialen Strukturen und Gesellschaften wiederfindet. Damit wir unseren Standard halten können, müssen wir nach Überlegungen des Soziologen Hartmut Rosa ein jährliches Wachstum hinbekommen, das aber an seine Grenzen stößt. Entweder gelingt es uns, die Effizienz weiter zu steigern, die Quantität zu erhöhen und damit das BIP zu vergrößern, oder wir brauchen neue Ansätze, wenn wir Unruhen und Aufstände verhindern wollen.

In diesem Zusammenhang schlägt der Soziologe einen Resonanzansatz vor, der sowohl zwischenmenschlich als auch im Umgang mit der Umwelt oder der Politik zu einem Einschwingen führen soll. Es gibt also – betrachtet am Beispiel dieses Ansatzes - noch weitere Wege zur Behebung der aktuellen Fehlstellung.

Selbstverständlich kann man auf bewährte Vorschläge („wir müssen mehr arbeiten“) zurückgreifen, und mit gewisser Wahrscheinlichkeit können diese sogar funktionieren, sofern man sie umgesetzt bekommt. Aber das wirkt nur eine Weile, da die eigentliche Ursache nicht behoben wird. Ohne Frage brauchen wir neue Herangehensweisen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Umstellungen in allen Bereichen unserer Gesellschaft erforderlich machen.

Das erinnert an die Energiediskussion, bei der ein wichtiger Schritt das Energiesparen ist, dann aber zwingend Überlegungen zu alternativen Energiequellen angestellt werden müssen. Und auch hier sind zum Teil recht deutliche Veränderungen unumgänglich, das erleben wir ja derzeit bei den politischen Auseinandersetzungen bezüglich Heizungen.

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Montag, 17. Juli 2023

Da bin ich ja mal neugierig

Da bin ich ja mal neugierig
Es ist schön, Kindern beim Entdecken der Welt zuzuschauen. Ihr Ansatz ist das unvoreingenommene Kennenlernen, das geistige und körperliche Erobern der Welt. Welche Eigenschaften hat ein bestimmtes Objekt, will der kindliche Geist wissen, ist es warm oder kalt, schwer oder leicht, kann man diesen Gegenstand essen?

Genau so stellt sich das Kind immer die Frage, ob es das auch kann, wie es mit den bislang erlernten Dingen zusammenpasst und wie seine Eltern, Geschwister und Freunde das machen.

Bis dahin ist alles leicht, der Gewinn an Wissen ist von innen motiviert und geht ohne Widerstand. Das liegt insbesondere daran, dass unser Gehirn lernen will. Da muss nicht von außen motiviert werden, da müssen keine Anreiz geschaffen, Belohnungen oder Bestrafungen ins Feld geführt werden. Nein, der Kopf bedient sich einfach so aller Möglichkeiten, um Erkenntnisse zu sammeln oder Geschicklichkeit auszubauen.

Leider kommt jetzt ein wesentlicher Hemmschuh ins Spiel. Manches, was wir lernen möchten, dürfen wir nicht lernen, werden vorsichtshalber vor der Erfahrung gebremst oder scheitern an Verboten. Schnell begreift unser Gehirn, dass es nicht einfach drauflos lernen darf. Die Steuerung durch unser Umfeld nimmt im Laufe der Lebensjahre sukzessive zu und unser Gehirn ist zunehmend frustriert, weil es nicht das lernen darf, wozu es Lust hat. Diese Unzufriedenheit teilt uns der Denkapparat allerdings nicht so deutlich mit. Schließlich ist er ein Meister der Verschleierung und gaukelt uns vor, dass uns auch die auferlegten Lerninhalte zufrieden stellen.

Wie hungrig wir nach den richtigen Themen sind, merken wir manchmal bei anderen Mitmenschen, die wir für ihren Herzblut-Arbeitseinsatz bewundern. Oder noch schöner, wenn wir im Alltag eine Aufgabe finden, in der wir richtig aufgehen. Sei es im Beruf oder in der Freizeit. Dann flutscht das Lernen, Zeit und Aufwand spielen keine Rolle und wir strahlen trotzdem, weil unser Gehirn das machen darf, was es möchte.

Ein vielversprechender Weg wieder ein bisschen in diese Richtung zu kommen und sein Leben durch die Zufriedenheit des Gehirns zu bereichern ist die Wiederentdeckung der kindlichen Neugierde. Dabei sind meist nicht nur die Denkprozesse reglementiert, auch die Sinne haben wir älterwerdend deutlich vernachlässigt. Wie schmeckt eigentlich dies und das, wie fühlt es sich an, wie riecht es?

Und noch eine Sache können wir unserem Nachwuchs nachmachen, nämlich das unermüdliche Ausprobieren. Ist die Meinung, die ich mir vor ein paar Jahren gebildet habe eigentlich noch zutreffend? Soll ich nicht doch mal wieder ins Theater gehen, auch wenn ich das irgendwann mal als langweilig eingestuft habe? Oder kann ich inzwischen irgendeine Aufgabe erledigen, die mir vor einiger Zeit noch zu schwierig erschien?

Da bin ich ja mal neugierig.